Home Nicht alle widerstehen den Verlockungen und Angriffen der Laster

 

 

 

Der Freimäurer.

 

Seiten 129-136

 

Das siebenzehnte Stück.

 

Leipzig, Sonnabends, den 26 April 1738.

 

Tu quod cauere possis, stultum admittere est.

 

Terent.

 

Niemand wird von mir höher geschätzt, als die treuen Liebhaber der Tugend, welche sich auf keine Art zur Ausübung der Laster bewegen lassen. Solche Personen legen bey denen Umstanden, von welchen viele glauben, daß es fast unmöglich sey, den Anfällen und Versuchungen zu widerstehen, die herrlichste Probe von ihrer Beständigkeit ab. Ihre Tugend leuchtet unter der Menge der Lasterhaften hervor. Dieses können die letztern nicht vertragen. Sie suchen dahero, wie sie jene sich gleich machen, und ihre Absichten dabey erreichen mögen.

Sie bedienen sich zu diesem Ende vielerley Mittel; sie werden nicht müde, den Angriff öfters zu wiederholen, und wollen nicht eher ruhen, als bis sie über die andern gesieget haben. Da fehlt es nicht an erdichteten Einwendungen, verkehrten Vorstellungen und falschen Gründen, wodurch man einen Verehrer der Tugend zur Annehmung anderer Meynungen verleiten will.

 

Die Lasterhaften wissen, mit was für häßlichen Farben sie von den Sittenlehrern abgemalet werden. Sie sind also bemühet, wie sie dem andern die Sache, vor welcher er einen Abscheu trägt, als etwas angenehmes vorstellen mögen. Sie wollen ihn durch Reizungen, Schmeicheleyen und Versprechungen gewinnen. Sie wollen seine Augen durch den Glanz des Goldes blenden; sie zeigen ihm ganz nahe die Vergnügungen, welche auf ihn warten; sie biethen ihm Ehre und Macht zur Belohnung an.

Hat ein Tugendhafter dieses alles großmüthig ausgeschlagen: So verändert man die vorige Sprache; und wenn diejenigen Gewalt haben, unter deren Händen er sich befindet: So wird ihm unter vielen Drohungen Schimpf und Schande, Gefahr und Unglück vor. gehalten, in welche er sich durch seine Hartnäckigkeit gewiß stürzen würde.

 

Und mangelt es etwan an Exempeln, welche uns zeigen, wie heftig man oft wider die beständigen Verehrer der Tugend verfahren hat? So oft ich dergleichen lese und höre; so oft denke ich bey mir selbst: Wie vieles Lob verdienen nicht solche Personen, deren Tugend zwar auf mancherley Art angefochten worden ist, welche aber dennoch bey allen Anfällen standhaft geblieben sind. Es ist dieses unstreitig ein Kennzeichen eines edlen und erhabenen Gemüths. Denn wer so fest in der Tugend gegründet, und von ihrer Vortrefflichkeit so gewiß überzeuget ist, daß er derselben überall treu verbleibet, dem kann man den Namen und Ruhm eines Tugendhaften nicht absprechen.

 

 

Wollte ich einer gewissen Art von Leuten glauben, welche, ihrer Einbildung nach, wider den Angriff der Laster so wohl verwahret find, daß sie es wagen dürfen, ihre Feinde selbst aufzusuchen, und sich freywillig in die Gefahr zu begeben: So würde ich die Zahl solcher standhafter Personen ziemlich vermehret sehen. Sie geben sich für unüberwindliche Helden in der Tugend aus, und erzählen uns mit vielen Versicherungen, wie wenig sie sich vor der Verführung fürchteten, und wie sicher sie mitten unter aller Reizung und Gelegenheit, Laster zu begehen, seyn könnten.

Allein ich kann es nicht leugnen, daß mir das meiste bey dieser Aufführung verdächtig vorkömmt. Ich bin immer der Meynung gewesen, man müsse die Gelegenheit sorgfältig meiden, bey welcher man leicht zu Thorheiten verleitet werden kann. Ich habe es immer für eine Verwegenheit gehalten, wenn man sich ohne Noth auf die Probe stellen will, und seinen Kräften mehr zutrauet, als sie vermögen. Die Erfahrung hat mich zu vielenmalen gelehret, wie bald solche Leute in ein unordentliches Leben verfallen, und wie leicht sie von fremden Lockungen und eigenen Begierden sind hingerissen worden, wenn sie sich für stark gehalten haben.

 

Ich will zwey Exempel davon anführen, und meine Betrachtungen darüber mittheilen.

 

Incautus, ein junger Mensch, hatte unter der strengen Aufsicht seiner Aeltern bis in das 18te Jahr gelebet. Er hatte bisher das Gute darum gethan, weil es seine Aeltern von ihm also verlangt, und weil er sich ihnen dadurch gefällig gemacht. Er hatte das Böse deswegen unterlassen, weil unterschiedene Strafen und Verdrüßlichkeiten darauf folgten. Durch die Gewohnheit war es bey ihm so weit gekommen, daß er sich nach seiner Aeltern Willen richtete, und sich dabey für den tugendhaftesten Jüngling hielt, ob er gleich keine wahre Erkenntniß des Guten und des Bösen, der Tugend und des Lasters hatte. Er gehörte mit allem Rechte zu denjenigen, welche nur aus Sclaverey das Gute zu thun, und das Böse zu unterlassen pflegen.

 

In solchen Umständen verläßt er das Haus seiner Aeltern, welche glauben, daß sie einen tugendhaften Sohn in die Fremde schicken, welcher alle Laster scheuen, und sich zu keiner Thorheit verführen lassen werde. Incautus glaubt dieses auch selbst von sich. Er befindet sich auf der hohen Schule in völliger Freyheit. Ich komme mit ihm von ungefehr bey einem meiner Freunde in Gesellschaft, da er etwa vierzehn Tage in seinem veränderten Zustande gelebet hatte. Wir reden unter einander von der Gefahr der Verführung, welcher junge Leute auf hohen Schulen unterworfen sind. Wir erinnern, wie vorsichtig man an einem Orte leben müsse, wo man auf vielfache Art in das Verderben gezogen werden könne.

Incautus mußte vielleicht glauben, daß wir diese Reden seinetwegen führeten. Er unterbrach dahero unser Gespräch mit folgenden Worten: Davor bin ich sicher. Mich soll niemand verführen. Ich müßte meiner Tugend wenig zutrauen, wenn ich nicht drey bis vier Jahre auf hohen Schulen leben, mit den lasterhaftesten Personen umgehen, und doch die guten Sitten beständig beybehalten wollte. Ich fragte ihn darauf: Ob es nicht am sichersten seyn würde, wenn er sich nur zu tugendhaften und wohlgezogenen Leuten hielte, und sich des Umganges mit unordentlichen und rohen Menschen ganz und gar entschlüge? Gleichwohl ist es gut, versetzte Incautus, wenn man alles mit ansieht ; man kann ja dabey über die Versuche lachen, welche Menschen von schlimmen Sitten zu machen pflegen, wenn sie andere auf ihre Seite ziehen wollen.

 

Er erzählte mir hierauf zwo Proben, welche er bereits von seiner Beständigkeit im Guten abgeleget hätte, und aus welchen ich urtheilen könnte, wie er sich künftig aufführen würde. Er hätte sich nemlich in einer Gesellschaft, deren größte Beschäfftigung im Trinken bestanden, die vollen Gläser auszuleeren geweigert, weil man ihm von Jugend an einen Abscheu vor dieser Art der Unmäßigkeit beyzubringen bemüht gewesen wäre. Bey einer solchen Verweigerung hätte er aus dem Munde eines halbtrunkenen unterschiedene Schimpfworte anhören müssen. Er wäre von einigen angereizet worden, sich deswegen an dem andern zu rächen. Allein diese Schimpfworte hätten ihn zu keiner Rache bewegen können, weil er dergleichen Unternehmen für sich zu kühn gehalten.

 

Was sollte ich von diesem jungen Menschen denken? Ich schloß aus seinen Reden, wie groß seine Unbedachtsamkeit, wie schwach und unrichtig seine Erkentniß von Tugenden und Lastern, von den allgemeinen Bewegungsgründen, und besondern Regeln unserer Handlungen zu nennen sey. Ich befürchtete von ihm, daß er bald bey einigen andern Arten der Verführung unterliegen, und daß die so gerühmte Beständigkeit wider sein Vermuthen aufhören werde.

Ich konnte mich nicht enthalten, ihn bey seinem Abschiede davor zu warnen. Allein er sprach mit einer spröden Mine zu mir: Gewiß, sie trauen mir auch sehr wenig zu.

 

Ich war begierig von seiner fernern Aufführung etwas zu erfahren. Ich frage nach einiger Zeit meinen Freund um die Lebensart des jungen Incautus, und ich höre von ihm folgende Umstände. Incautus sagt überall nach seiner Sprache von sich, wie unempfindlich er bey den Stralen schöner Augen sey, wie er über die Pfeile des kleinen Cupido nur lache, wie er sich von keinem Frauenzimmer zum Sclaven machen, und in Ketten und Banden legen lassen wolle. Er geht auch mit solchen Personen des weiblichen Geschlechtes um, durch deren Gesellschaft man sich bey andern leicht verdächtig machen kann. Er will nur sein Gespötte mit ihnen treiben, und sie sollen an ihm einen jungen Menschen kennen lernen, welchen dasjenige nicht rührt, wodurch sich andere bestricken lassen.

Seine Verwegenheit war hierinnen zu groß. Er wird gefangen. Sein stoisches Wesen verschwindet. Er geräth dabey in schädliche Verwirrungen. Er bereuet seine unbesonnene Aufführung. Allein es ist schon zu späte; und die schlimmen Folgen seiner begangenen Thorheiten, welche er vor Augen siehet, bringen sein Gemüthe noch mehr in Unordnung. Und so bald ist Incautus verführet worden, welcher sich bey allen Reizungen standhaft erweisen wollte.

 

 

Als ich mich in Engelland aufhielt, pflegte mich eines deutschen Kaufmanns Sohn oft zu besuchen. Er hatte ausser Engelland vieles von denen Freygeistern, Spöttern und andern Arten von rohen Leuten gehöret, welche man daselbst anträfe. Er suchte also dieselben genauer kennen zu lernen, und mit ihnen umzugehen. Er erzählte mir dieses. Ich fragte ihn alsbald: Ob dieser Umgang für ihn nicht allzugeahrlich wäre? Nein! gab er mir darauf zur Antwort: Denn ich gehe nicht in der Absicht mit ihnen um, daß ich ihre Meynungen annehmen, und ihrer Lebensart folgen will; sondern ich bin bemühet, sie zu widerlegen, und ich übe mich in Auflösung derer Zweifel, welche sie vorbringen.

Unternehmen sie aber nicht damit eine Arbeit, versetzte ich, welcher sie vielleicht nicht gewachsen sind? Ist wohl ihre Erkenntnis; und Einsicht so groß, daß sie im Stande sind, den Einwürfen solcher rohen Geister zu begegnen? Wenn auch meine Antwort, erwiederte er, nicht allemal so gründlich ist, daß sie ihre Einwendungen völlig umstößt; genug, ich glaube ihnen nicht, und werde ihre Meynungen auch nimmermehr annehmen. Ich fragte ihn nochmals: Leiden aber ihre Sitten dabey keinen Schaden, und können sie nicht dadurch in ein unordentliches Leben verfallen? Ich erhielt die Antwort von ihm, daß er von seiner Tugend schon versichert wäre.

 

Es giengen einige Monate vorbey, in welchen er mich nicht besuchet hatte. Ich verwunderte mich anfangs darüber. Ich war seinetwegen besorgt; und da ich einmal mit diesen Gedanken beschäfftigt bin, kömmt er zu mir. Er entschuldigt sein langes Außenbleiben mit wichtigen Geschäfften, welche ihn abgehalten hätten. Ich rede ihn mit den Worten an: Ob er die Freygeister und andere Spötter bald auf bessere Gedanken gebracht hätte? Er giebt mir aber darauf zu verstehen, daß die Meynungen dieser Leute nicht durchgehends zu verwerfen wären.

Was konnte ich anders daraus schließen, als daß er durch diesen Gift bereits wäre angestecket worden? Ichsuchte ihn mit allem Eifer von dem Verderben abzuziehen, in welches er sich völlig stürzen wollte. Allein es war schon zu späte, und er redete von nichts, als von freyen Meynungen und einer freyen Lebensart.

Er entfernet sich nach diesem von mir, und fliehet alle Gelegenheit, mich zu sprechen. Nach einem halben Jahre läßt mich ein guter Freund ersuchen, ich möchte mich vor seinem Ende noch einmal zu ihm bemühen. Ich gehe an den Ort, wo sich der gute Freund befinden sollte, ohne daß ich wußte, wen ich daselbst antreffen würde. Ich erblicke denjenigen Menschen in einem Bette liegend, mit dem ich längstens einmal zu reden gesucht hatte. Er rief mir voll Verwirrung entgegen: Nun bin ich verlohren. Ich habe bishero unordentlich gelebet, und in dieser Unordnung muß ich auch sterben. Ich erkundigte mich nach seinen Umständen; er ertheilte mir aber darauf keine Antwort. Er wiederholte nach einiger Zeit die Worte: Nun bin ich verlohren.

Und da ich ihn ferner anredete, sagte er mit dem größten Verdruße: Meine Verwegenheit ist bestraft. Ein wilder Strom hat mich dahin gerissen. Nun kann mir niemand wieder aus dem Abgrunde helfen, in welchem ich liege. Verfluchte Stunde! in der ich zuerst unter den ungezogenen Schwarm gerathen bin.

Ich suche ihn durch viele Vorstellungen noch zu gewinnen; allein es schien alles umsonst zu seyn, und er wollte kein Wort weiter reden.

 

Ich muß ihn endlich in diesem Zustande verlassen, und da ich des andern Tages wieder zu ihm gehen will, ist er schon todt. Ich kann nicht sattsam beschreiben, wie lastervoll und wild mir seine bisherige Lebensart von einigen abgemalt worden, welche von ihm genaue Nachricht hatten. Dieses Exempel hatte so großen Eindruck in mein Gemüthe, daß ich einige Tage lang fast keinen andern Gedanken Raum gab. Und ich habe seit dem die Unbesonnenheit dererjenigen jederzeit verabscheuet, welche sich ohne Noth an solche Oerter wagen, wo man ihnen die gefährlichsten Fallstricke legt, aus welchen man sich gewiß nicht so leicht wieder herauswickeln kann, als man von denselben gefangen wird.

 

Die Eigenliebe verursacht, daß sich ein solcher Mensch immer für vollkommner hält, als er in der That ist. Er stellt sich die Sache anfangs nicht so schädlich vor; und er glaubt von sich, daß seine Erkenntniß von Tugenden und Lastern schon zureiche, die Zweifel völlig zu heben, welche übelgesinnete Leute vorbringen sollten. Er will nur seiner Neugier eine Gnüge thun. Er bildet sich ein, daß er allemal die völlige Freyheit behalten werde, sich von den Lasterhaften wieder zu entfernen, wenn er ihre Thorheiten genug erkannt hatte. Er schmeichelt sich mit der Vorstellung eines besondern Ruhms, welchen er deswegen erlangen würde, weil er dasjenige als Kleinigkeiten verachtet hatte, wovor sich andre so bedachtsam hüten müßten.

Allein, ist man darum allezeit sicher, wenn man in einigen Stücken den verführerischen Stimmen kein Gehör gegeben hat? Vielleicht hat man von Natur einen Abscheu davor gehabt; vielleicht hat die Gewohnheit darinnen große Gewalt über uns erlangt, daß man das Gute beybehält, und selbst nicht eigentlich zu sagen weis, warum man solches thut.

 

 

Es kann geschehen, daß ein Geiziger von dem Haufen der Wollüstigen nicht verführet wird; und daß sich diese durch jenen nicht bewegen lassen, die Laster auszuüben, welche mit dem Geize verbunden sind. Ein Wollüstiger kann mit ehrsüchtigen Menschen umgehen, von denselben zum Zorne und zur Rache angereizet werden, und doch dabey von ihrer Lebensart nichts annehmen. Wenn aber die Neigung zur Wollust sich schon in ihm befindet; so darf er nur mit Leuten in Bekanntschaft kommen, welche ihr größtes Vergnügen in dem Genuße der Lüste suchen. Der erste Gang, den er mit ihnen nach denen Oertern thut, wo die unschuldigen Sitten Gefahr leiden, kann der Anfang seiner Unordnung seyn.

 

 Man hat nicht allezeit gleiche Stärke zu widerstehen. Man verirrt sich gar zu bald, wenn man allzusicher herumschweift. Der Betrug ist zu groß; und wenn man auch nüchtern die Thorheiten verabscheut: So weis man nicht, wie man sich zu der Zeit aufführen werde, wenn der Kopf von den Dünsten des starken Getränkes eingenommen ist.

 

Ein kluger Mensch erwählt allezeit das Beste; er greift zu dem sichersten, damit er nicht das ungewisse erst wagen dürfe. Kann man auf dem Lande ruhig wohnen, warum wollte man sich ohne Noth den ungestümen Wellen des Meeres anvertrauen? Die Gefahr ist ohnedem stark genug, welcher die Freunde der Tugend zu diesen Zeiten unterworfen sind. Die Nachstellungen sind häufig; und da wird es Zeit seyn, seine Standhaftigkeit sehen zu lassen, wenn man wirklich auf uns dringt, und uns zur Ausübung der Laster bewegen will.

 

Seneca hat zu allen Zeiten das Lob eines großen Weltweisen gehabt, und doch sagt er in einem seiner Briefe: Man müsse nicht allein dahin bedacht seyn, wie man an einem Orte wohnen möge, wo die Gesundheit unsers Leibes keinen Schaden leide; sondern man müsse zugleich auch dabey auf die Sitten sehen. Er möchte seine Wohnung nicht an denen Oertern aufschlagen, wo man die Trunkenen an den Ufern herumschwärmen sehe, und wo die Schwelgerey völlig überhand genommen habe.

 

M.

 


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