Home "Der Freymäurer" meint: Die Religion ist allen Menschen von Natur eingeprägt

 

 

Der Freymäurer

 

Seiten 409-416

 

Das LII Stück.

 

Leipzig, Sonnabends, den 27. Decemb. 1738.

 

Nunc guae causa Deum per magnas numinas gentes

Peruolgarit, et ararum compleuerit vrbes.

Non ita difficile est rationem reddere verbis.

 

Lucret.

 

Unter denen Einwürfen, womit man, so wohl in den alten, als itzigen Zeiten, den göttlichen Ursprung der Religion hat streitig machen wollen, sind sonderlich drey, welche die Freygeister zur Schwächung ihres Ansehens gemeiniglich zu gebrauchen pflegen. Sie geben nemlich vor, daß so wohl die Vorstellung von einer Gottheit, als auch der Dienst, den man ihr erweiset, theils von der Furcht, theils von der Unwissenheit der Ursachen der Dinge, theils auch von der List und Verschlagenheit der obrigkeitlichen Personen herrühre.

 

Ich habe mir schon längst vorgesetzt gehabt, die Nichtigkeit dieses Vorgebens, und deren Unwahrheit auch in meinen Blättern auszuführen, und nach und nach in verschiedenen Stücken zu zeigen, wie die Religion aus keiner von den angeführten Ursachen entsprungen sey, sondern einen weit höhern und reinern Grund habe. Ich glaubte, um so viel mehr dazu berechtiget zu seyn, weil man meine Mitbrüder an einigen Orten unter die Zahl der Religionsspötter zu rechnen pflegt, und noch immer in dem Wahne steht, es müßte in Religionssachen mit uns so gar richtig doch wohl nicht seyn.

 

Aus was für einem Grunde man solches muthmaßet, will ich eben nicht untersuchen. Ist aber das bloße Geheimhalten unserer Gebräuche ein genügsamer und hinlänglicher Beweis, daß wir Schwärmer, oder Spötter, oder Freygeister seyn müssen? Sollte man uns daher mit Recht für Ungeheuer der Natur halten dürfen, und uns etwas vorrücken können, wozu kein vernünftiger Mensch fähig ist, und welches ihm die ärgste Schande bringen würde, wofern es mit Wahrheit von ihm könnte gesagt werden?

Noch zur Zeit bin ich so glücklich gewesen, daß ich nicht den Schmerz und Verdruß habe erfahren dürfen, den mir ein solcher grausamer Vorwurf machen würde. Ich will mich auch dahin bestreben, daß ich ihn niemals zu fürchten habe. Hat man es gleich zuweilen hier und dar an meinen Aufsätzen getadelt, daß ich meine Ermahnungen zur Tugend nicht mit den Gründen der göttlichen Weisheit unterstützte, und aus den heiligen Büchern unserer Religion einige Beweise zu mehrerm Nachdrucke herholete: So hat man doch daraus nicht schliessen können, daß ich ein Verächter derselben seyn müßte. Ich habe es an mehr als einem Orte nicht undeutlich zu verstehen gegeben, mit was für Hochachtung ich die geoffenbarten Wahrheiten ansehe. Daß ich mich ihrer aber in diesen Blättern noch nie bedient habe, und auch nie bedienen werde, geschieht deswegen, weil ich nicht glaube, daß sie auf eine Schaubühne gehören, wo man die Thorheiten der Menschen lächerlich vorzustellen sucht.

 

Man wird mir diese kleine Verteidigung meines bisherigen Verfahrens, die allhier gewissermaßen eine Ausschweifung von meinem Vorsätze seyn kann, gütigst verzeihen. Ich habe damit einem und dem andern von meinen lieben Lesern geantwortet, die es mir theils mündlich befohlen, theils auch schriftlich zu verstehen gegeben, daß ich zuweilen aus den Lehren des göttlichen Worts etwas anführen möchte. Ich vergnüge mich herzlich über ihre Liebe und Zuneigung zu diesen reinen Quellen.

Alles aber, was ich zur Erhaltung und Vermehrung derselben thun kann, ist, daß ich sie zu denen erleuchteten Lehrern verweise, welche, wenn ich so sagen darf, die Schlüssel zu diesem Brunnen des Lebens in Händen haben, und eines jeden Durst sattsam stillen werden. Es mag für mich genug seyn, wenn meine Aufsätze sie nicht auf dem Wege dahin verhindern, sondern ihnen vielmehr in etwas dazu beförderlich seyn. Und dieses kann ich mir, nicht ganz ohne Ursache, versprechen. Doch es wird Zeit seyn, auf mein eigentliches Vorhaben zurück zu gehen.

 

 

Als ich das letztemal etwas später, als gewöhnlich, in unsere Versammlung kam: So fand ich meine Mitbrüder bereits in einer ernsthaften Unterredung begriffen. Ich durfte nicht lange zuhören, um die Materie ihres Gesprächs zu erfahren. Es kam, so viel ich verstehen konnte, auf die Frage an, ob die Religion von der List und Verschlagenheit der Gesetzgeber, oder Regenten sey hervorgebracht worden. Ich weis nicht, wer es mußte gewesen seyn, der zur Bescheinigung dieses Satzes, das Exempel des Numa vorgebracht hatte, welcher vorgegeben, daß er des Nachts mit der Göttinn Egeria allezeit ein Gespräch hielt, in welchem sie ihn alle die Gesetze lehrte, die er dem Volke vortrüge. Denn, Aristius Demophil gab eben zur Antwort, als ich kam: Numa würde niemals diese Gespräche erdichtet, noch vielweniger vorgegeben haben, daß er seine Anordnungen von dieser Göttinn lernte, wenn nicht schon bey den Römern vorher einiger Begriff von einer Gottheit gewesen wäre, und wofern er nicht wahrgenommen hätte, daß sie eine Neigung zur Religion von sich hätten blicken lassen.

Ich leugne gar nicht, sagte er, daß es nicht einige Könige und Tyrannen sollte gegeben haben, welche sich der Religion, oder, daß ich besser sage, des Aberglaubens bedienet, ihre Herrschaft zu befestigen. Wir finden davon so viele Beyspiele, daß man es nothwendig zugeben muß. Allein, folget denn daraus, daß die Religion also eine Erfindung der Regenten sey, weil sie von einem und dem andern zu seiner Herrschsucht gemisbraucht worden? Wer so schließen wollte, der müßte auch behaupten, Pythagoras habe die Musik erfunden, weil dieser Weltweise seinen Schülern befohlen, solche zur Stillung und Besänftigung des Gemüths zu gebrauchen.

Läßt sich nicht vielmehr daraus abnehmen, es müsse schon vorher ein Begriff von der Religion da gewesen seyn, ehe jemand an die Aufrichtung einer Republik habe denken können? Denn, wofern das nicht wäre; wie hätte man sich ihrer zu seinen hochmüthigen Absichten bedienen können? Man sieht es noch täglich, daß diejenigen, welche andere hintergehen wollen, sich gemeiniglich derjenigen Gemüthsbeschaffenheiten, welche sie bereits antreffen, zu Nutzen machen, nicht aber erst neue bey ihnen erwecken.

 

Ich bin gänzlich deiner Meynung, antwortete ihm hierauf Mentor. Wenn die Religion nur erfunden wäre, den Pöbel im Zaume zu halten: So würden die Weisen davon frey seyn, welche alle listige Kunstgriffe und Betrügereyen der obrigkeitlichen Personen leichtlich einsehen. Allein, diese sind in Vertheidigung der Religion oftmals die allerheftigsten gewesen. Ich besinne mich auf eine Stelle aus dem Lactantius, deren Inhalt ungefähr so lautet: Wenn sie die Religion erdichtet haben, uns, ja das ganze menschliche Geschlecht zu hintergehen: So sind sie keine Weisen gewesen. Denn, ein Weiser kann nicht lügen. Aber gesetzt, sie hätten die Unwahrheit gesagt; wie hat diese Unwahrheit doch so glücklich seyn, und nicht nur die Ungelehrten, sondern auch einen Plato und Sokrates hinters Licht führen können?

 

Demophil fuhr darauf wieder fort. Je mehr ich dieser Sache nachdenke, destoweniger kann ich mirs einbilden, daß die Regenten die Urheber der Religion seyn können. Wir sehen, daß wir überall eine Religion antreffen, sie sey auch nun von was für einer Art sie wolle, wahr oder falsch, rein oder unrein, nach dem der Verstand eines jeden Volks aufgekläret ist.

 

Dieses ists, was ich eben Vorbringen wollte, fiel ihm Freeport in die Rede. Denn, auf meinen Reisen habe ich angemerkt, daß auch unter denen Völkern eine Art von Gottesdienst zu finden sey, die sonst keine Gesetze haben, niemanden unterworfen sind, und nach ihrem eigenen Gutdünken leben. Ich habe theils selber solche wilde Völker gesehen, die keine bürgerliche Gesellschaft unter einander hatten, theils mir sie auch von andern glaubwürdigen Personen beschreiben lassen, und dabey allezeit gefunden, daß sie einen Samen des Guten und Wahren, und der Religion in ihren Herzen gehabt haben.

 

Der Baron de la Hontan, unterstützte ihn Eitelfeind, erzählt ja selber in seiner Beschreibung von Canada, auf was für Art die Wilden daselbst ihren großen Geist verehren. Zeigt denn nun dieses nicht sattsam an, daß die Verehrung einer Gottheit nicht durch die Obersten im Volke könne gestiftet, oder zur Ueberwältigung der andern eingeführet seyn? Diese Völker haben ja keine Obrigkeiten; woher haben sie denn die Ehrerbietung gegen ein Wesen gelernet, von welchem sie ihre glücklichen oder unglücklichen Zufälle herleiten?

 

Eben daraus, verfolgte Demophil, daß wir überall eine Art des Gottesdienstes antreffen, wollte ich nun einem Vertheidiger dieser so ungereimten Meynung, daß die Religion ein Werk der Herrschsucht sey, zu überlegen geben, ob man sich wohl einbilden könne, daß alle obrigkeitliche Personen und Fürsten, die größtentheils sehr weit von einander entfernt sind, und keine Gemeinschaft mit einander haben, einmüthig auf den Anschlag gefallen wären, sich das Volk durch die Furcht vor den Göttern unterthänig zu machen, und durch die Religion desto nachdrücklicher zu verbinden.

Wenn er nun dieses ja für möglich hielte: So wollte ich ihn fragen, woher es doch allen so wohl geglückt, daß sie dem ganzen menschlichen Geschlechte eine Furcht vor einem Dinge beybringen können, welches nicht allein weder gesehen noch begriffen werden kann, sondern auch, wie er selbst vorgiebt, die Menschen mit Furcht und Schrecken ängstiget. Sollte es so leicht angegangen seyn, alle Menschen auf einmal durch dergleichen Betrug in eine elende Sclaverey des Leibes und der Seelen zu werfen?

Ist es auch wohl glaublich, daß man einen solchen Betrug niemals sollte gemerket haben? Sollte es auch wohl denjenigen unbekannt geblieben seyn, welche die nächsten nach dem Fürsten waren, und durch deren Hände das ganze Land regieret wurde, daß die Freyheit der Bürger durch eine verstellte Gottesfurcht unterdrückt würde? Ja, ist es auch wohl glaublich, daß so viele Könige und Regenten selbst von diesem Kunstgriffe nichts gewußt hätten, welche sich eben so sehr, als die übrigen Unterthanen, vor einem solchen Nichts gefürchtet?

Oder, wie ist es zugegangen, daß sie ein von ihnen selbst gemachtes Hirngespinst für etwas wirkliches in der That angesehen haben? Man hat es nunmehro schon über zweytausend Jahr der Welt vorgesungen, die Religion sey eine Erdichtung der Stifter neuer Republiken, und indessen hat sie doch nichts von ihrem Ansehen verlohren, sondern gilt noch eben so viel, als sie vor dem gegolten hat. Hieraus, dünkt mich, könne genugsam geschlossen werden, daß sie durch keine List der Menschen erdacht, sondern uns von Natur eingeprägt sey.

 

 

Als ich nun diese Unterredung mit angehöret hatte: So fing ich endlich auch an, und sagte: Es wird dieses, was ihr itzo von der Religion überhaupt gesagt habet, noch mehr erhellen, wenn wir die christliche Religion ansehen. Sie hat mit der Aufrichtung einer Republik und deren Gestalt gar nichts zu thun. Ihr Urheber stiftete keinen neuen weltlichen Stat. Sie diente auch nicht, ein großes Ansehen, ein großes Vermögen, oder andere Bequemlichkeiten und zeitliche Güter zu erlangen. Denn, ungeachtet sie zu der zeitlichen Glückseligkeit ebenfalls beförderlich ist, und es ihren Verehrern niemals daran mangeln läßt, als in so fern solche eine größere Glückseligkeit, die beständig ist, dadurch erhalten: So kann sie doch zur Unterdrückung und Ueberwältigung der Völker nicht angewandt werden. Denn sie predigt von lauter Güte, Liebe und Sanftmuth.

Zwar hat sie die Wut, Verschlagenheit und Macht vieler Regenten überwunden, und den größten Theil derjenigen Welt, deren Anfälle und Haß sie lange ertragen, durch ihre Lehren sich unterworfen. Wodurch aber hat sie diese Gewalt erlangt? Nicht durch Waffen und Kriegsheere, sondern durch die Geduld, durch den Untergang und durch die Ermordung der Ihrigen. Wer hier nicht ihre göttliche Kraft erkennen will, und hier noch behauptet, sie sey auch eine Erfindung der Obrigkeit, mit dem muß man, seiner Unfähigkeit, oder seines verruchten Herzens wegen, ein Mitleiden haben.

 

Hierbey ließen wir es dießmal in unserer Unterredung bewenden. Ich kam aber bey dieser Gelegenheit auf die Gedanken, daß die Freygeister selbst dadurch, daß sie vorgäben, die Religion sey von den Stiftern eines Stats erfunden worden, ihre Nutzbarkeit in einer Republik wider ihren Willen behaupteten. Wenn diejenigen, welche neue Reiche aufgerichtet, dabey an die Religion gedacht haben: So ist es bloß deswegen geschehen, weil sie solche in einer wohleingerichteten Republik für unentbehrlich gehalten, wie sie es denn auch in der That ist. Man hat noch kein ordentliches Reich gefunden, wo man nicht eine Art eines Gottesdienstes angetroffen; und die weisesten Gesetzgeber haben allezeit zuerst an die Religion gedacht, ehe sie ihre andere Gesetze vorgetragen.

 

An statt aller andern Zeugen, will ich nur die Vorrede des berühmten Gesetzgebers der Lokrienser, des Zalenkus, anführen. Man findet sie noch bey dem griechischen Schriftsteller Stobäus, welcher zum Unterrichte seines Sohnes viele weise Sprüche der Heiden zusammen getragen hat.

 

Sie ist mir so schön vorgekommen, daß ich folgende Uebersetzung davon gemacht habe, womit ich dieses Blatt beschliessen will:

 

„Ein jeder Einwohner, so wohl in der Stadt, als auf dem Lande, soll vor allen Dingen von dem Daseyn der Götter völlig überzeuget seyn; und er wird auch nicht daran zweifeln können, wenn er nur den Himmel ansieht, wenn er nur diese ganze Welt betrachtet, wenn er nur die Einrichtung, Ordnung und Zusammenstimmung dieses Weltgebäudes erweget, welches weder das Werk eines Menschen, noch die Wirkung eines blinden Ungefährs seyn kann. Diese Götter muß man, als die Urheber aller wirklichen Güter, deren wir geniessen, anbethen.

Ein jeder soll also sein Herz so zubereiten und einrichten, daß es von aller Art der Befleckung frey sey, weil es gewiß ist, daß ein böser Mensch Gott nicht ehren kann, welcher an prächtigen Ceremonien keinen Gefallen hat, und nicht, wie ein Geiziger, durch große kostbare Opfer, sondern einzig und allein durch die Tugend, und durch eine beständige Neigung gute Werke zu thun, versöhnt wird.

Daher soll sich ein jeder bestreben, so viel als ihm möglich ist, so wohl in seinen Gedanken als in seinem Wandel gut zu werden. Dieses wird ihn bey Gott lieb und angenehm machen. Er soll eher Schimpf und Schande über sich nehmen, als hiervon nachlassen, und denjenigen für den würdigsten Bürger halten, welcher viel lieber sein ganzes Vermögen aufopfert, als dem Wohlstände und der Liebe zur Gerechtigkeit entsaget.

Diejenigen aber, deren Leidenschaften so heftig sind, daß sie diese Regeln nicht einsehen, noch einen Gefallen daran haben können; deren Herz von Natur zum Bösen geneigt ist, Männer oder Frauen, Bürger oder Fremdlinge sollen sich erinnern, daß es Götter gebe. Sie mögen an ihr Wesen und an den Donner gedenken, den sie allezeit in Händen haben, und auf die Gottlosen zu werfen bereit sind. Sie mögen sich allezeit den erschrecklichen Augenblick des Todes vor Augen stellen, zu welchem sie alle über kurz oder lang kommen werden, und in welchem das Andenken der begangenen Uebelthaten die Seele eines jeden Verbrechers mit den grausamsten Gewissensbissen quälet, welche von einer fruchtlosen Reue, daß man sein Leben nicht nach den Vorschriften der Gerechtigkeit eingerichtet hat. begleitet werden.

 

Ein jeder soll also, fast bey allen seinen Schritten, auf seiner Hut stehen, als wenn der Augenblick des Todes nahe wäre, und auf eine jede von seinen Handlungen folgen würde. Dieses ist ein wahres Mittel, für die Vorschriften der Gerechtigkeit und Billigkeit beständig eine Hochachtung zu hegen.

Wenn ihn aber der böse Geist zum Bösen treiben will: So fliehe er zu den Altären und Tempeln der Götter, als den sichersten Schutzörtern wider die Ungerechtigkeit. Er sehe sie beständig als die härteste und grausamste Tyranninn an; er bitte um den Beystand der Götter, um alle Ungerechtigkeit von ihm zu entfernen.

Aus dieser Ursache nehme er auch seine Zuflucht zu Leuten, die wegen ihrer Frömmigkeit und Tugend in großem Ruhme stehen; er höre sie von der Glückseligkeit redlicher Leute, und von der Strafe, welcher die Bösen nicht entgehen können, reden.“

 

W.

 


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