Home Ein frühes Plädoyer für den Tierschutz

 

 

Der Freymäurer.

 

Seiten 241-248

 

Das XXXI Stück.

 

Leipzig, Sonnabends, den 2 Aug. 1738.

 

            Cupidine caedis

Vtitur in pecudes: & nunc quoque sanguine gaudet.

 

Ouid.

 

 

Dieser Tagen bin ich unvermuthet zu einem Schauspiele gekommen, von welchem ich wünschen möchte, daß vernünftige Geschöpfe keinen Gefallen daran hätten, noch ein Vergnügen darinnen suchten.

 

Nachdem ich mich eine Zeitlang vergnügt hatte, die überall beschäfftigten Ackersleute anzusehen, wie sie hier den Segen ihrer Felder abmäheten, dort in Garben banden, an einem andern Orte aufluden; und ich mich dabey von meinem Aufenthalte, unter vielen freudigen Betrachtungen der Wunder und der Güte Gottes, ziemlich weit entfernt hatte: So trieb mich der Durst in ein nahgelegenes Dorf.

 

Kaum war ich in die Schenke getreten, als mir eine Magd entgegen rief: Ey sie kommen noch eben recht; es ist nur erst angegangen. Damit zog sie mich bey dem Arme auf den Hof. Hier kam mir gleich ein wildes Gelächter zu Ohren, und ich sah eine Menge Volks in einem Kreise stehen, welche ein inniges Ergetzen bezeugten. Ich trat näher zu ihnen, um die Ursache ihrer Freude auch mit anzusehen.

Allein, wie bestürzt wurde ich nicht, als ich einen bereits halbzerfleischten Esel ansichtig wurde, auf den man einige Hunde hetzte, die von verschiedenen Zuschauern bloß zu diesem Ende waren mitgebracht worden, wie ich solches aus ihren Reden sattsam vernehmen konnte. Das arme Thier suchte überall Schutz und Sicherheit vor seinen angereizten Feinden, wider die es sich aus Schwachheit nicht mehr wehren konnte. Wo es sich aber hinwandte, da wurde es mit Prügeln wieder zurück auf den Kampfplatz getrieben, und dem Grimme der aufgebrachten Hunde vorgeworfen.

 

Doch diese schienen fast mehr Mitleiden und Barmherzigkeit zu haben, als ihre Herren, und wollten sich kaum recht anhetzen laßen. Sie schämten sich, so zu sagen, fast, sich an ein Thier zu wagen, das gar nicht mehr im Stande war, ihnen Widerstand zu thun. Ja einer von ihnen war, wenn ich so reden darf, so großmüthig, daß er durchaus nicht auf den Esel losgehen wollte, wie sehr ihn auch sein Herr dazu aufmunterte.

 

Ich konnte aber dieses grausame Schauspiel nicht lange mit ansehen. Ich war ungefähr neben dem alten Herrn dieses Thiers zu stehen gekommen. Man unterschied ihn dadurch von den andern, daß er mit dem stärksten Prügel versehen war. In der größten Angst erblickte das Thier solchen. Es eilte auf denselben mit einem kläglichen Tone zu, als wenn es ihn um Hülfe anflehen wollte, und am ersten bey ihm seinen Schutz zu finden dächte. Allein kaum konnte es dieser erreichen, als er es mit einem heftigen Schlage wieder zurück jagte. Diese Unbarmherzigkeit bewegte mich so sehr, daß ich nicht unterlaßen konnte, ihm mein gerechtes Missfallen darüber zu bezeugen, welches er aber mit einem höhnischen Gelächter anhörte.

 

Mein Durst war mir darüber vergangen, und ich eilte nur, von einem Orte wegzukommen, welcher mir gewissermaßen ärger, als eine Mördergrube, zu seyn schien. Ich entdeckte meine Gedanken einer mir begegnenden Weibesperson, und wunderte mich, wie man ein Thier so quälen könnte. Was ists mehr? war ihre Antwort, es ist nur ein unvernünftig Vieh und dem Menschen zu seiner Lust gegeben. Er ist Herr über die Thiere, und kann sie brauchen, wozu er will. Künftigen Freytag muß der Esel noch einmal an den Tanz, und da wirds erst recht gehen; denn alsdann wird er todt gehetzt werden.

 

Diese Nachricht erregte ein solches Mitleiden in mir, daß ich so gleich zurückkehrte, und mich bey dem Wirthe erkundigte, ob er mir nicht den Esel verkaufen wollte. Anfangs hatte er keine Lust dazu. Als ich ihm aber so viel Geld dafür both, als er ihn gekostet hatte, und er bedachte, daß er schon dreymal gehetzet wäre, und er ihn bey dem viertenmale doch nur tödten laßen würde: So gieng er den Handel ein.

Er wunderte sich aber, was ich damit machen wollte, weil er zu keiner Arbeit mehr tätigte. Ich verheelte ihm nicht, daß ich das arme Thier nur darum kaufte, damit ichs von seiner Qual und denen heftigen Schmerzen, die es vermuthlich ausstünde, befreyen könnte, und seine ihm noch bevorstehende Marter verhinderte, und den Tod desselben beschleunigte; weil es doch nicht mehr im Stande wäre, länger zu leben und an seinen Wunden erbärmlicher Weise sterben würde: Wie ich denn auch gleich in seiner Gegenwart einen Menschen rufen ließ, welcher dem halbtodten Viehe vollends das Leben nehmen mußte.

 

 

Durch diese Barmherzigkeit gab ich unterschiedenen jungen Leuten zu vielen Spottreden über mich Anlaß. Sie schalten mich für einen Quacker, und noch wohl ärger. Doch ich kehrte mich nicht an ihre Frechheit, und bedaurete nur im Weggehn die strafbare Neigung so vieler Menschen, sich an dem Blute unschuldig hingerichteter Thiere zu weiden. Wie kann das, dachte ich bey mir selbst, wohl ein großmüthiger Trieb heißen, wenn man die Angst, die Qual, das Aechzen und Winseln unvernünftiger Thiere ohne Bewegung ansieht und höret? Ist es ein Kennzeichen einer edlen und erhabenen Seele, ohne Mitleid zu seyn? Die Thiere sind von dem gütigsten Wesen zum Gebrauche und Nutzen der Menschen erschaffen worden. Hat man aber dadurch ein Recht erlangt, barbarisch mit ihnen zu verfahren?

 

Ich glaube nicht, daß es ein Irrthum sey, wenn ich dafür halte, daß ein Mensch, wegen seines grausamen Verfahrens mit den unvernünftigen Geschöpfen, für eben so strafbar zu halten sey, als wegen der Unbilligkeit, die er an seinem Knechte ausübet. Wenn wir Herren über die Thiere seyn wollen: So müssen wir auch die Pflichten eines Herrn bey ihnen beobachten. Bestehen diese aber nicht in einer liebreichen Pflege, in der Gelindigkeit, in der Güte, und in der Beförderung ihrer Glückseligkeit?

 

Wir dürfen eben nicht glauben, daß die Thiere zu der Glückseligkeit unfähig sind, und daß wir also nicht befugt wären, solche zu befördern. Es ist wahr, ihre Glückseligkeit ist von einer andern Art, als der Menschen ihre. Nichts destoweniger aber kann man doch auch denjenigen Zustand, in welchem es ihnen an keinem Futter gebricht, da ihr Leib gesund und von Schmerzen befreyet ist, da sie ihren Unterhalt leicht erlangen können, da sie von dem Ungestüme des Wetters nicht beschweret werden, glückselig für sie nennen. Und ich glaube, daß wir um so vielmehr schuldig seynd, ihnen solchen zu verschaffen, da sie keiner bessern Glückseligkeit fähig sind. Was für eine Erkenntlichkeit können wir ihnen wohl sonst für die Dienste erzeigen, die sie uns leisten?

 

Man hat es dem alten Cato in Rom öffentlich verwiesen, und es als ein sicheres Merkmaal seiner Unmenschlichkeit ausgegeben, daß er aus Geize seine unbrauchbaren und alten Pferde, Ochsen und Esel weggejagt, und ihnen kein Futter mehr geben wollen. Was würde man aber nicht gesagt haben, wenn er sie noch mit vielen Martern belegt, und dem Volke auf dem Kampfplatze ein Schauspiel damit gemacht hätte? Indessen waren es die Römer gewohnt, ihre Augen an dem blutigen Kampfe der Thiere zu weiden.

 

Ich kann nicht umhin, die Gedanken des Plutarchus hier anzuführen, die er bey der Erzählung von der Strenge des gedachten Cato gegen seine Thiere machet.

 

„Die Menschen, saget er, sollen sich glücklich schätzen, daß die Leutseligkeit nicht in eben so enge Grenzen eingeschlossen ist, als die Gerechtigkeit. Die Verbindlichkeit, daß man in Ansehung dererjenigen, welche Menschen sind, wie wir, billig und gerecht sey, ist eine solche unumgängliche Schuldigkeit, die aus unserer Natur selbst hervorkömmt, und welche man nicht anders verletzen kann, als daß man allemal in sich selbst einen Widerspruch empfindet.

Diejenige Leutseligkeit hingegen, welche großmüthiger ist, und sich weiter erstreckt, hat alle unterschiedene Arten der lebendigen Geschöpfe vor Augen, und läßt sich so gar auch bis zu denjenigen hinunter, welche für die allergeringsten und verächtlichsten Geschöpfe gehalten werden. Die Barmherzigkeit, welche man gegen sie ausübet, ist gleichsam ein Ausfluß eines vortrefflichen Naturells, welches sich über den ganzen Erdkreis ausbreitet, und welches sich allem, was geringer ist, als wir sind, freygebig mittheilet.

Diesem zu Folge trägt ein gutes Herz Sorge für seine Hunde und Pferde, nicht nur wenn sie erst gebohren werden, und wenn man sie zu einem künftigen Nutzen fleißig in Acht nimmt; sondern auch wenn sie wegen der vielen Dienste, die sie ihm geleistet haben, untüchtig geworden sind, ihm neue und mehrere Dienste zu thun.“

 

Es ist allerdings der Wahrheit gemäß, daß es ein grausames Gemüth verräth, wenn man ein Belieben hat, Blut zu sehen, und sich an der Qual eines leidenden Thieres ergetzet. Man gewöhnet sich dadurch unvermerckt, auch seine Ohren vor dem Seufzen unsers gequälten Nächsten zu verschließen, und sich eben so hart und unempfindlich gegen ihn zu bezeugen, als wir uns gegen die Thiere erweisen. Ich halte es daher für ein sehr weises Gesetz der Engelländer, daß sie den Fleischern das Recht untersagt haben, in peinlichen Halsgerichten zu stimmen, welches sonst allen Handwerkern zusteht; bloß aus der Ursache, weil es ihnen nichts ungewöhnliches sey, Blut zu sehen.

 

Mich dünkt, man könne in der Natur und Vernunft nichts finden, welches man zu einer Entschuldigung anwenden könne, wenn man die Thiere ermuntert und erhitzt, sich einander anzugreifen, zu quälen, und zu zerreißen. Was für ein Beweis unserer Menschlichkeit ist es doch, unsere Augen an ihrer Wut, Raserey und an ihrem Grimme und Blute zu laben? Müssen wir denn mit Gewalt suchen, Tyrannen zu werden, und wenn wir solches nicht bey unsers gleichen seyn können, unsere Neigung dazu an geringern Geschöpfen blicken laßen?

 

 

Die größte Vollkommenheit eines vernünftigen Wesens besteht ohne Zweifel darinnen, daß es seinem Schöpfer, so gleich werde, als es ihm möglich ist. Wo findet man aber Merkmaale, daß unser liebreichster Schöpfer einen Gefallen an Grausamkeiten hat? Sieht man nicht überall die deutlichsten Spuren seiner Sanftmuth, Liebe und Güte? Er sorget recht väterlich für das Wohl aller seiner Geschöpfe; und wir wollten uns nicht angelegen seyn laßen, etwas zu der Ausfuhrung seiner Absicht, bey Versorgung und Erhaltung der Thiere, beyzutragen? Es scheint ja, als wenn uns Gott selbst zu Werkzeugen seiner Güte und Liebe gegen einige seiner Creaturen habe machen wollen, da er uns mit ihnen auf eine solche Art verbunden, daß wir ihrer theils ohne unsere große Beschwerde nicht entbehren, theils aber auch sie, ohne unsere Vorsorge, kaum würden leben können. Was für Bequemlichkeiten würden uns z. E. nicht entgehn, wenn wir kein Lastvieh hätten; und scheint es nicht, als wenn die kleinen Schooßhündchen bald umkommen müßten, wenn wir sie nicht von unsern Tischen unterhielten?

 

Wenn wir nur auf diejenigen Dinge, die rund um uns herum sind, Acht geben wollen: So werden wir genügsame Spuren von einer allgemeinen Gütigkeit antreffen, womit die Natur alle ihre Werke beschenket. Sie schützet dieselben, und kehret alles vor, was ihre Zernichtigung oder ihren Untergang verhindert. Sollte man nicht daraus abnehmen, daß es auch unsere vornehmste Pflicht und Schuldigkeit sey, diesem Verfahren nachzuahmen? Sollten wir uns nicht angelegen seyn lassen, ein so wohlgeartetes Gemüth zu zeigen, das sich bemühte, den Thieren nach allem seinen Vermögen beyzustehen, ihrer Nothdurft zu Hülfe zu kommen und ihnen ihr Elend zu erleichtern?

Wir wissen ja aus unterschiedenen Geschichten, wie gütig die wildesten Thiere mit schwachen und ohnmächtigen Menschen, welche Hülfe nöthig gehabt haben, umgegangen sind. Sie haben sich ihrer auf das sorgfältigste angenommen, ihnen ihre Brüste dargereicht, und ihnen so lange Unterhalt verschafft, als sie solchen bedurft haben. Ist das aber nicht eine Ehre für uns, daß grausame Thiere sanftmüthiger, gütiger und wohlthätiger gegen uns sind, als wir Menschen gegen sie, die wir uns doch mit unserer Menschlichkeit oder Leutseligkeit so viel wissen?

 

 

Ich weis es gar wohl, daß die Römer ein gesittetes Volk waren, und daß man solches den heutigen Engelländern nicht streitig machen kann; und daß jens dem ungeachtet sich an dem Thiergefechte und diese sich an dem Hahnenkampfe ergehet. Allein ich weis auch, daß ihnen solches von den Vernünftigsten unter ihnen jederzeit als eine Grausamkeit vorgerückt worden, wie noch heutiges Tages den Spaniern ihr Stiergefechte.

Allein wenn auch das nicht geschehen wäre: So könnten doch unsere Ochsen- und Eseljäger darinnen keine Rechtfertigung für ihr Verfahren finden. Bey den Römern führte man lauter wilde Thiere auf, denen man, zu unserer eigenen Erhaltung, noch wohl das Leben nehmen könnte, auch ehe sie uns wirklich beleidigt haben; und bey den Engelländern sind es große und starke Hähne, die man eine Zeitlang vorher zu diesem Streite wohl gefüttert hat. Bey uns aber nehmen wir gemeiniglich nur abgezehrte und meist unbrauchbar gewordene Thiere dazu, die ihres natürlichen Elendes wegen schon ohnedem Mitleid verdienen, und denen wir für ihre uns erwiesene treue Dienste eine bessere Belohnung schuldig sind.

 

Ich will durch diese Vergleichung weder die Spiele der Römer, noch die Neigung der Engelländer zu einer so blutigen Lust rechtfertigen. Sie sind grausam, wiewohl wir fast noch grausamer sind.

 

Nichts kan also denen zum Schutz gereichen, welche die Thiere durch einen zehnfachen Tod, durch Angst, Schrecken und Verfolgung sterben laßen. Denn sind wir befugt, die Geschöpfe unsers Gottes wider seine Absicht, zur Stillung einer Lust, die wahrhaftig nicht lobwürdig seyn kann, zu quälen, da er sie uns zu unserm Nutzen und Gebrauche verliehen hat? Glauben wir nicht, daß er uns auch wegen ihres Misbrauchs zur Rechenschaft ziehen werde?

 

 „Wie weis man“, saget der Hofmeister, an einem Orte, da er von einer gleichen Materie redet, „ob das Geschrey einer so großen Anzahl Thiere, welches eine so große Verwandtschaft mit gewissen Tönen der menschlichen Stimme hat, ihnen nicht von dem allerhöchsten Wesen zu dem Ende eingegeben worden, damit unsere Barmherzigkeit dadurch erregt, und denjenigen Grausamkeiten vorgebeugt werden möchte, welche wir so gern gegen solche Wesen ausüben, die eben sowohl, als wir aus der Hand des Schöpfers, hervor kommen.

Zum wenigsten ist es gewiß, daß diese „Regungen der Barbarey und Wildheit mit dem Zwecke Gottes und mit seinem Bezeugen in Ansehung der mit keiner Vernunft begabten Thiere im geringsten nicht übereinstimme.“

 

 

Ich schließe dieses Blatt mit der Bitte an alle hieselbst Studirende, denen Einladungen, die man ihnen zu einem solchen unmenschlichen Schauspiele an dem schwarzen Brette giebt, niemals zu folgen, und den Beförderern einer so barbarischen Lust keinen Gewinn zu gönnen. Man lobet sie ja sonst ihrer wohlgesitteten Lebensart wegen; Sie werden also ihrem Ruhme keinen Schandfleck anhängen, noch verursachen, daß man von ihnen sagen könne, sie haben Gelegenheit gegeben, sich an unvernünftigen Geschöpfen zu versündigen. Wenn keine Zuschauer mehr zu dergleichen Hetzen kommen werden: So werden sie schon von selbst aufhören müssen.

 

B.

 


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