Home Freimaurerei ist keine Religion

 

 

siehe auch:

Die ethisch inspirierte Anthropologie der Freimaurerei

Rezension von: Giuliano di Bernardo: Die Freimaurer und ihr Menschenbild. Über die Philosophie der Freimaurer. 1989, 3. Aufl. 2010.

 

 

 

Die wichtigsten Merkmale von "Religion"

 

… Vorerst gilt es zu untersuchen, was denn "Religion" sei. Die meisten Wörterbücher drücken sich seltsamerweise um eine präzise Definition. Zudem finden sich in jedem Wörterbuch andere Umschreibungen dieser seltsamen Sache. Sie ist also nicht so leicht wie naturwissenschaftliche oder technische Gebilde und Sachverhalte fassbar.

 

Schon vom Wort her ist die Sache zweischneidig, gibt es doch die beiden lateinischen Verben: religere (oder relegere) und religare. Letzteres bedeutet "zurückbinden", "wieder verbinden", ersteres "wiederholt durchgehen", "gewissenhaft beachten".

 

Man nimmt mehrheitlich an, "Religion" leite sich von religere, also "wiederholt und sorgfältig beachten" ab.

Das steht nun bereits im Gegensatz zu dem, was dann in den Umschreibungen folgt, denn diese bewegen sich meistens im Bedeutungsfeld von "Zurückbindung", etwa im Sinne des Gefühls "der Verbundenheit, der Abhängigkeit, der Verpflichtung gegenüber einer geheimnisvollen, haltgebenden und verehrungswürdigen Macht" (Schmidt-Schischkoff 1969; ähnl. Hoffmeister 1955).

Diese Macht kann "Gott" sein; es kann sich aber auch um eine "Gottheit", um eine Mehrzahl göttlicher Wesen, ja um Geister oder Seelen handeln. Schliesslich können mit dieser Macht auch Naturgewalten oder ein einheitliches oder ein dualistisches Prinzip gemeint sein.

An Götter, Geister oder Prinzipien wird geglaubt. Glauben heisst hier vor allem, man glaubt, dass diese Mächte irgendwie wirken, d. h. den Lauf der Welt, der Ereignisse oder das Menschenleben lenken, und zwar aktuell, durch ständiges Eingreifen, oder eher generell, durch eine Bestimmung etwa von Richtung, Geschwindigkeit und Dauer der Geschehnisse.

 

Wenn eine Macht wirkt, kann der Mensch versuchen, sie günstig zu stimmen oder sogar etwas von ihr zu verlangen. Das kann einerseits durch Opfer, Beschwörungen oder Gebete geschehen, anderseits dadurch, dass man die Macht als heilig ansieht, sie verehrt, sich ihr unterwirft.

Wenn der Mensch so seine ganze Lebensführung, sein Erleben, Streben und Denken nach dieser oder auf diese Macht hin ausrichtet, dann trifft nun plötzlich die zweifache Bedeutung von Religion zu: Die "Verbundenheit" mit dieser Macht ist so gross, dass eine "sorgfältige Beachtung" derselben vonnöten ist. Oder umgekehrt, die "sorgsame Beachtung" der Macht muss so gross sein, damit der Mensch sich mit dieser Macht, von der er sich einst losgelöst hat - z. B. durch den Frevel oder die Erbsünde -, in der Versöhnung wieder verbinden kann. Bemüht er sich darum, dann kann sich für ihn ein Heilsweg eröffnen, der von Leid und Sünde befreit und zur Erlösung führt.

 

Wenn immer die Menschen etwas festigen, für längere Zeit fixieren wollen, müssen sie dafür Regeln aufstellen, Institutionen bilden. Um nun die Verbundenheit mit der wirksamen, jenseits der menschlichen Fassbarkeit liegenden Macht zu festigen, schafft der Mensch das Dogma, das Ritual, die Kirche. Diese Einrichtungen verbinden die Menschen untereinander in ihrer Hinwendung zu einer übermenschlichen Macht.

 

In dieser kurzen Skizzierung sind einige wichtige Merkmale von Religion gegeben. Es gilt nun zu untersuchen, ob die Freimaurerei sämtliche dieser Merkmale ebenfalls aufweist, womit sie eine Religion wäre, oder ob einige wichtige Merkmale fehlen.

Dabei ist immer im Auge zu behalten, dass die Spannweite von Naturreligionen über Stifterreligionen bis zur Offenbarungsreligion reicht.

 

Freimaurerei: Selbständigkeit des Menschen und Brüderlichkeit

 

Gewiss kennt die Freimaurerei eine übermenschliche Macht, den A. B. a. W., den „Allmächtigen Baumeister aller Welten“. (Der „allmächtige Gott“ kommt bereits im Regius-Poem von 1390 vor; der „Grand Architect du ciel et de la terre“ im Dumfries-Manuskript von 1710.)

Doch handelt es sich hierbei wohl eher um eine Anerkennung dieser Macht als um das Gefühl der Abhängigkeit und der Verpflichtung ihr gegenüber.

Die Verbundenheit mit ihr steht nicht derart im Mittelpunkt der freimaurerischen Arbeit, dass eine Verehrung und Anbetung stattfindet. Der A. B. a. W. wird zwar in einigen Logen im Gebet angesprochen und auch am Ende der Arbeit um seinen Segen gebeten, doch hat das mehr den Charakter einer zusätzlichen Absicherung. Es ist nicht zentral.

 

Viel mehr Gewicht liegt bei der Freimaurerei auf der Selbstverantwortung des Menschen, seiner Selbständigkeit und seiner Lebensgestaltung aus eigener Kraft.

Das Schwergewicht des Verbundenheitsgefühls liegt in der Verbundenheit mit den Mitmenschen, nicht mit Gott. Kerngedanke ist die universale Bruderkette, nicht die Gemeinschaft in Gott. Daher lautet die Losung: "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit". Es ist bekannt, dass diese Parolen der Französischen Revolution aus freimaurerischem Gedankengut stammen.

 

Zwei verschiedene Bedeutungen von Religion in den "Alten Pflichten"

 

Das ist auch in den sogenannten "Alten Pflichten von 1723" nachzulesen, wo es gleich im ersten Kapitel, "von Gott und der Religion" heisst:

 

"In alten Zeiten waren die Maurer in jedem Lande zwar verpflichtet, der Religion anzugehören, die in ihrem Lande oder Volke galt, heute jedoch hält man es für ratsamer, sie nur zu der Religion zu verpflichten, in der alle Menschen übereinstimmen ... Sie sollen also gute und redliche Männer sein, von Ehre und Anstand", auf englisch: "to be good Men and true, or Men of Honour and Honesty."

 

Das ist eine kurze Erklärung für den ersten Satz der Alten Pflichten, der mit der Forderung beginnt:

"Der Maurer ist als Maurer verpflichtet, dem Sittengesetz zu gehorchen." Dazu kommt, wie es im 2. Kapitel heisst: "Der Maurer ist ein friedliebender Bürger des Staates", englisch etwas präziser: "A Mason is a peaceable Subject to the Civil Powers."

 

Der Maurer ist also nicht verpflichtet, an Gott zu glauben, noch einer Religion im strengen Sinne anzugehören.

 

Das könnte man vorerst meinen, doch die Angelegenheit ist komplizierter. Im Text der Alten Pflichten kommt "Gott" (ausser im erwähnten Titel) gar nie vor, und das Wort Religion wird in zwei verschiedenen Bedeutungen gebraucht. Das muss man sauber auseinanderhalten.

·        Nicht von Belang ist die Religion in dem eingangs definierten Sinne; man soll über sie auch keine Streitgespräche (Quarrels, Kap 6.2) führen.

·        Das Wort "Religion" für das, "in which all Men agree", ist damit ein unglückliches Wort, es müsste eher heissen: Lebenshaltung. Auch wenn diese im Kapitel 6.2 als "Catholick Religion" bezeichnet wird, ist damit ebenfalls nicht gemeint: katholische Religionszugehörigkeit, denn gerade nachher wird auf die Reformation in Britannien und den Abfall und die Trennung von der Gemeinschaft mit Rom hingewiesen. Daher heisst es in der Version der Alten Pflichten von 1815 nur noch „universal religion“:

 

Nicht alle Menschen und auch nicht alle Brüder sind edle Menschen

 

Etwas hoch gegriffen ist nun die Behauptung, dass diese Religion als Lebenshaltung von allen Menschen beachtet werde, gibt es doch, wie die Alten Pflichten beschreiben, Männer, die sich "in einen Aufstand oder eine Verschwörung gegen den Frieden oder das Wohl" einer Nation verwickeln lassen (Kap. 2); es gibt "sittenlose und übel beleumdete Menschen" (immoral or scandalous Men; Kap. 3), ja "unwissende Betrüger" (ignorant false Pretender; Kap. 6.6).

Es sind also nicht alle Menschen, die in dieser "allumfassenden" (Krause, 1821) Religion übereinstimmen.

 

Selbstverständlich war schon den ersten Freimaurerei bewusst, dass auch gute und redliche Männer Sitten- und Staatsgesetz nicht immer einhalten.

Auch in der Loge kann es Rebellen geben (Kap. 2); der Maurer kann schimpfen (Kap. 5) und Dummheiten machen (6.1), streiten (6.2), andern lästig fallen (6.3), Geheimnisse aus der Loge heraustragen (6.5), Brüder verleumden und rachsüchtig sein (Finally).

Kurz, auch Maurer sind nur Menschen, aber Menschen, die sich bemühen um Anstand, Redlichkeit und Loyalität gegenüber Staat und Angehörigen.

 

Freimaurerei als Bruderschaft mit menschlichen und fachlichen Zielen

 

Nach den Alten Pflichten ist die Freimaurerei eine Bruderschaft, wofür zwei englische Begriffe stehen: Fraternity und Brotherhood.

Ihr einziges ausdrücklich genanntes Ziel ist, dass sie zu einer "Stätte der Einigung" werde (Center of Union) und zu einem "Mittel, wahre Freundschaft unter Menschen zu stiften, die einander sonst ständig fremd geblieben wären" (Kap. 1).

 

Indirekt werden weitere Ziele genannt, wovon schon beim einzelnen Menschen die Rede war.

Dazu kommt ein Berufsethos: Die Bauherren sollen gut bedient werden, damit "die Brüder sich nicht schämen müssen und auf die Königliche Kunst (d. h. die Maurerei) kein Schatten falle" (Kap. 4; vgl. Kap. 5). Es geht also darum, dem Bauherrn zu dienen, zu dessen Vorteil ein Werk zu vollenden.

Dafür müssen die jüngeren Brüder von den anderen instruiert werden. Und ineins mit dieser Unterweisung in der Arbeit soll auch die brüderliche Liebe wachsen und fortdauern (Kap. 5). "Eintracht" (Harmony) soll unter den Brüdern herrschen. Die brüderliche Liebe ist der Grundstein und Schlussstein der Bruderschaft (Finally).

 

Wenn man diese Pflichten (charges) zusammenfasst, kann man festhalten: Moral, Loyalität, Arbeit und Bruderliebe.

 

Ein Blick in die Geschichte: spekulative Maurerei und Spaltung

 

Nun darf man freilich die Alten Pflichten nicht überbewerten, stehen sie doch noch ganz im Banne der operativen Maurerei, also des tatsächlichen Bauens.

Anderseits war bereits im 17. Jahrhundert die spekulative Maurerei aufgekommen, d. h. vor allem in Schottland und England wurden auch Nicht-Maurer in die Logen aufgenommen, z. B. Kaufleute, Gewerbetreibende, Beamte, usw.

So war denn schon der erste Stellvertretende Grossmeister der englischen Logen, der die Alten Pflichten herausgegeben hat, John Theophilus Desaguliers, ein bekannter Physiker, der sich u. a. auch mit der Konstruktion der Dampfmaschine herumgeschlagen hat.

 

Der Übergang von der Werkmaurerei zur spekulativen Maurerei brachte einerseits durch die "angenommenen" Maurer, die sog. Gentleman-Masons eine kultivierte Geselligkeit mit Tafelschmaus und -trank, Gesang und Rauchen, anderseits vor allem durch Einflüsse vom Festland her aufklärerisches Gedankengut unter den Prinzipien von Humanität, Toleranz und Kosmopolitismus.

 

Die liberale Richtung der ersten dokumentierten Londoner Grossloge war aber manchen Maurern ein Dorn im Auge, so dass sie sich abspalteten und 1751 unter Laurence Dermott zu einer eigenen Grossloge zusammenschlossen, die sich auf die sogenannten "old Institutions" also auf alte Traditionen beriefen. Die Alten Pflichten waren ja damals "New Constitutions". Zu dieser konservativen Wende gehörte auch eine starke Einschränkung auf den dogmatischen, und das bedeutet theologischen Standpunkt der englischen Hochkirche.

 

So gab es also in England die Modernisten (auf Grund der Alten Pflichten) und die Altmaurer.

Erst als zu Napoleons Zeiten die modernistischen Freimaurer auf dem Kontinent unter dem "Grand Orient de France" zusammengefasst wurden, wurden 1813 in London die beiden englischen Obödienzen zur "United Grand Lodge of England" zusammengefasst, wobei bei den Einigungsverhandlungen die konservative Auffassung der Altmaurer restlos siegte. Darin gibt es nur die drei symbolischen Grade der "blauen" Maurerei und den Royal Arch-Grad. Keine Hochgradorganisation hat Machtbefugnisse.

 

Seither sind also auch in der weltweiten Maurerbewegung zwei Richtungen vertreten. 1877 kam es zum endgültigen Bruch zwischen der Vereinigten Grossloge von England und dem Grand Orient de France.

Die tiefste Divergenz besteht in der letzten Orientierung der freimaurerischen Institutionen. Gottlieb Imhof (I, 100)  formulierte dies 1955 so:

"Während die Angelsachsen den Glauben an einen persönlichen Gott und an eine Auferstehung des Fleisches als höchste Landmarke betrachten, somit auf theologischem Boden stehen, erscheint den Romanen das Suchen der Wahrheit als die höchste Aufgabe der Freimaurerei."

 

Die Logenarbeit ist kein Gottesdienst

 

Was bedeutet das für die Logen, die der angelsächsischen Obödienz angehört?

Gottlieb Imhof hat es schon formuliert: Sie stehen "auf theologischem Boden", d. h. irgendein religiöses Bekenntnis, eine Verbundenheit und Zurückwendung zum Göttlichen ist Voraussetzung zur Aufnahme in eine Loge.

Aber das heisst nicht, dass die Freimaurerei Religion sei.

·        Die Arbeit in der Loge erfolgt zu Ehren des A. B. a. W. - so der 4. „Allgemeine Maurerische Grundsatz“ der Schweizerischen Grossloge Alpina).

·        Sie ist nicht auf etwas Heiliges zentriert - sondern auf die Selbstveredelung des Menschen ausgerichtet.

·        Sie ist kein Gottesdienst - sondern gemeinsame Arbeit im und am "Tempel der Humanität".

·        Sie erfolgt im Sinne der Alte Pflichten von 1723 - das heisst insbesondere: Wenn der Maurer "die Kunst recht versteht, wird er weder ein engstirniger Gottesleugner noch ein bindungsloser Freigeist sein" (he will never be a stupid Atheist, nor an irreligious Libertine").

 

Nun ist die Voraussetzung zur Teilnahme an einer Organisation nicht unbedingt eine Charakterisierung der Institution selbst.

Wenn Brüder im allgemeinen wie speziellen Sinne Religion haben müssen, also eine redliche Lebenshaltung wie den Glauben an eine göttliche resp. übermenschliche Macht, heisst das noch nicht, dass die Bruderschaft selbst eine Religion sei.

 

(Aus einem Vortrag, gehalten am 26.9.1979)

 


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