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Die Freimaurer. Weltverschwörer oder Menschenfreunde? München: Knaur Taschenbuch 2007, 239-247.

 

 

 

Wenn die Meisterin den Hammer führt

 

Die Frage, ob sich die Bruderschaft für eine reguläre Mitgliedschaft von Frauen öffnen sollte, ist so alt wie die »blaue« Maurerei selbst. In den Alten Landmarken [des Amerikaners Albert Gallatin Mackay, 1858] heisst es hierzu rigoros:

» Die Anwärter für die Aufnahme müssen Männer sein ... Frauen, Krüppel und Sklaven können nicht beitreten.«

 

Berichte und Anekdoten von Frauen, die sich in Logen eingeschlichen haben sollen, sind so bizarr wie bei den meisten anderen Männerbünden - ja, in vielen Fällen handelt es sich um ein und dieselbe Wanderlegende, die seit alten Zeiten immer wieder aufgefrischt und den jeweils im Schwange befindlichen Orden angeheftet wird. So wird meist von Frauen fabullert, die sich gewaltsam oder listig Zutritt zu einer Loge verschafft haben und daraufhin notgedrungen vereidigt worden sein sollen, damit sie das »Geheimnis« nicht verraten konnten.

 

Warum aber beharrten die Begründer der Johannismaurerei überhaupt darauf, die halbe Menschheit aus einem Bund auszuschliessen, der sich doch die Vervollkommnung des »Tempels der Humanität« zum Ziel gesetzt hat?

 

Die Antwort müsste ehrlicherweise wohl lauten: Weil es sich bei der Maurerei nach wie vor um einen zuinnerst »archaischen« Männerbund handelte. Dessen »aufklärerische« und philanthropische Zielsetzung war zwar gewiss nicht nur Fassade, wie seine Widersacher unermüdlich verbreiteten. Aber für die Mehrzahl der Maurer waren Mildtätigkeit und ethische Besserung eben keineswegs der einzige oder auch nur der wichtigste Beweggrund für ihren Beitritt zur Bruderschaft. Sehr viel bedeutsamer waren wohl für die meisten noch immer die Überreste mystischer Ritualistik, die sie in dieser Weise nirgendwo sonst mehr in der »aufgeklärten« westlichen Welt vorfanden - weder in der Kirche noch in weltlichen Organisationen, die sich allein der Wohltätigkeit, der Karriere ihrer Mitglieder oder philosophisch-politischen Debatten widmeten.

 

Der Tiefenpsychologe Erich Neumann [1953] spricht in diesem Zusammenhang von Ritualen der »patriarchalen Einweihung unter der Devise: durch Nacht zum Licht. Das heisst, die Richtung des Geschehens ist durch eine Symbolik bestimmt, die wir von der Nachtmeerfahrt des Helden her als die der Sonne kennen. Abendlich-nächtlich im Westen sterbend, muss sie die Fahrt durch das Nachtmeer des Dunkels der Unterwelt und des Todes bestehen, um - gewandelt und wiedergeboren - als neue Sonne im Osten aufzuerstehen ... Der ‚Gewinn’ der Einweihung, ihr Sinn und Ziel, liegt in der Erweiterung der Persönlichkeit, die als Erleuchtung auch immer die Erweiterung des Bewusstseins mit einschliesst.«

 

Wenn es sich hierbei jedoch um ein patriarchales Initiationsritual handelt, so sind in der Tat Zweifel angebracht, ob derlei Weihefeiern für weibliche »Lichtsuchende« geeignet wären, Aber das gilt dann entsprechend wohl auch für das begleitende Brauchtum, die gewaltige Traditionslast, die spezielle Bekleidung und Dekoration der Brüder, die steife Feierlichkeit, die Ritualen und »Tempelarbeit« generell anhaftet - letztlich für die gesamte Struktur der Bruderschaft, die sich teils direkt aus Männerbündischem herleitet, teils nachträglich Komponenten aus diversen, durchweg rein männlich geprägten Orden und Mysterien in ihr Brauchtum eingefügt hat.

 

»Die Vorstellung, eine Damenrunde bei einer gleichartigen Initiation zu erleben, wirkt zumindest befremdlich«, schreibt Hans Biedermann [1986] mit einigem Recht. Dagegen scheint Skepsis angebracht, wenn der reformfreudige österreichische Freimaurer Rainer Hubert [2005] erklärt: »Die in Symbol und Ritual entworfenen Inhalte sind allgemeinmenschlicher Natur und nicht geschlechtsspezifisch.« Derlei kann man wohl nur behaupten, wenn man von den tieferen Dimensionen der männerbündischen Ritualistik gänzlich absieht. »Die Umsetzung der maurerischen Ideen lässt sich sowohl in reinen Männer- wie Frauen- und gemischten Gruppen denken«, fährt Hubert fort - und auch dieser Aussage kann man nur so weit zustimmen, wie sie sich auf das philanthropische Programm der »blauen« Maurerei bezieht.

 

Sofern aber unter »maurerischen Ideen« eben auch und nach wie vor das Erlebnis der verschworenen Männergemeinschaft und die Formung des »männlichen Helden« im symbolischen Prozess der Bewährung und Reifung verstanden werden, muss man zu einem ganz anderen Schluss kommen. Dann nämlich gibt es für weibliche »Lichtsuchende« gewiss geeignetere Orte als die lokale Niederlassung eines Männerbundes, der Rituale und Selbstverständnis teils aus dem Brauchtum mittelalterlicher Steinmetzen, teils von kriegerischen Ahnherren wie den ritterlichen Kreuzfahrern bezieht.

 

Die Londoner »Gralshüter« der Johannismaurerei hatten also in gewisser Weise durchaus recht, wenn sie auf der Ausschliessung von Frauen beharrten - auch wenn sich dieses Dogma mit ihren »aufklärerischen« Grundsätzen kaum mehr begründen und noch weniger rechtfertigen liess.

 

»ADOPTIONSLOGEN« IM ROKOKO

 

[Rokoko als Epoche geht von 1730-1770]

 

Im späten 18. Jahrhundert war die adlige französische Gesellschaft weit weniger an strengen Grundsätzen als an raffinierter und galanter Unterhaltung interessiert. Die Voltairianer ihrerseits verachteten zwar höfische Vergnügungssucht, doch die Alten Landmarken der britischen Bruderschaft [?] schienen ihnen gleichfalls in einigen Punkten überholt.

Das Resultat so unterschiedlicher Interessen und Perspektiven war jedoch hier wie dort das gleiche: Im vorrevolutionären Frankreich drängten die Frauen in die Freimaurerei. Und wir laut auch aus London gegen derlei sittenlose Häresie gewettert wurde - bereits 1774, nur ein Jahr nach Gründung des französischen Grossorient [264: „zwei Jahre“], entstand in Paris die erste Frauenloge. Diese wurde als »Adoptionsloge« bezeichnet und war einer regulären Männerloge angeschlossen, die offiziell als »Wächter« des weiblichen Ablegers galt. Auch alle Ämter in der Adoptionsloge wurden der Form halber doppelt besetzt, so dass neben der Meisterin vom Stuhl auch ein Meister der Frauenloge vorstand, den Aufseherinnen männliche Aufseher über die Schulter schauten und so fort.

 

Diese Manöver beeindruckten die obersten Aufseher in der Grossloge zu London jedoch keineswegs. An sämtliche Logen, die es wagten, auf dem Umweg über Adoptionslogen Frauen aufzunehmen, erging umgehend die Anweisung, zur reinen Lehre zurückzukehren. Auch die Zugehörigkeit von Brüdern zu Frauenlogen war aus britischer Sicht eine inakzeptable Abirrung vorn maurerischen Weg.

 

Die erste Grossmeisterin der Pariser Adoptionslogen war die Herzogin von Bourbon. »Tout le monde en est«, schrieb Marie Antoinette 1781 über die Frauenlogen, »alle Welt gehört ihnen an«. Der Zustrom edelblütiger Frauen vom Königshof war in der Tat überwältigend. Die Damen »wetteiferten mit ihren Brüdern, um zu beweisen, dass Frauen den Armen ebenso gut zu Hilfe kommen können wie Männer« [berichtet Charles von Bokor]. Auch die Loge der »Aufklärer« und Enzyklopädisten um den Philosophen Voltaire, genannt »Les Neuf Soeurs«, hatte bald schon eine Adoptionsloge, in der die Gattin Voltaires [?] als hammerführende Meisterin fungierte.

 

Flammendes Herz und weibliche Tugend

 

Unter der Führung herzoglicher Grossmeisterinnen entwickelten die Adoptionslogen der französischen Maurerei ein eigenes Ritual, das sich mehr oder minder stark an das Brauchtum der männlichen Freimaurerei anlehnte. Analog zu den drei Graden Lehrling, Geselle und Meister gab es die weiblichen Ränge Apprentie, Compagnonne und Maîtresse. Die Grossmeisterin hiess entsprechend »La Grande Maîtresse«.

 

Statt nach Himmelsrichtungen wurde der »weibliche« Tempel nach »Klimazonen« gegliedert: Der Eingang befand sich im »Klima von Europa«, der Sitz der Meisterin vom Stuhl im »Klima von Asien«. Die beiden Längsseiten, wo die Schwestern aufgereiht sassen, nannte man »Klima von Amerika« und von »Afrika«.

 

Auch bei der Bekleidung lehnten sich die Maurerinnen an die brüderlichen Vorbilder an. Sie übernahmen den Schurz ebenso wie die weissen Handschuhe und selbst das Bijou, das einen Apfel, umschlossen von einem flammenden Herzen, darstellte.

 

Bei den Weiheritualen versuchte man offenbar auf »weibliche« Besonderheiten einzugehen. So standen beim Ritual der »Apprentie« die »weiblichen Haupttugenden« im Mittelpunkt, während das Ritual der »Compagnonne« um die Symbolik von Schlange und Baum der Erkenntnis im Paradiesgarten, also um das Drama des Sündenfalls und Evas Rolle im Garten Eden kreiste. Beim Ritual der »Maitresse« schliesslich galt es, eine symbolische Leiter zu erklimmen, deren höchste Sprosse die sittliche Vervollkommnung symbolisieren sollte.

 

Es scheint mehr als zweifelhaft, ob es überhaupt gelingen kann, quasi aus der hohlen Hand Rituale zu erschaffen, die nicht nur dem Nachahmungs- und Unterhaltungsbedürfnis genügen, sondern nach Struktur, Symbolik und Dynamik den tiefenpsychologischen Prozessen der Bewährung und Reifung entsprechen. Doch bevor die Meisterinnen auch nur geringfügige Verbesserungen anbringen konnten, brach ohnehin die Revolution aus und machte den Adoptionslogen ebenso wie einer Vielzahl der edelblütigen Schwestern den Garaus.

 

Küsse für den Mops

 

Die »Adoptionslogen« waren reine Frauenlogen, auch wenn die Ämter doppelt besetzt wurden, also jeder »Beamtin« symbolisch ein Mann zur Seite stand. Daneben entstanden im vorrevolutionären Frankreich auch gemischte Logen, in denen Männer und Frauen gemeinsam »arbeiteten« oder sich unterhaltsamen Ritualen nach dem Geschmack des späten Rokoko unterzogen.

 

Diese »androgynen Logen«, wie man sie auch nannte, wurden von den Londoner Hütern der reinen Lehre natürlich ebenso wenig anerkannt wie die Adoptionslogen. Meist entstanden sie in eigens gegründeten Orden, die Namen wie »Chevaliers et Chevalières de la Rose« oder »Ordre de la Félicité« trugen. Eine Variante dieser galanten Pseudo-Maurerei, die sich auch an deutschen Fürstenhöfen jener Zeit grosser Beliebtheit erfreute, war der sogenannte »Mopsorden«, eine dekadente Persiflage der feierlichen masonischen Rituale.

 

Wie Hans Biedermann spekuliert, trachtete man seit alters her auch deshalb gemischtgeschlechtliche Geheimbünde zu vermeiden, »um sich nicht dem ... Vorwurf der sexuellen Zügellosigkeit auszusetzen«. Ob dieser Punkt für männerbündische Organisationen nach dem Muster der Suque, der Mysterien oder der Rosenkreuzer von Bedeutung war, muss bezweifelt werden - zumal ja gerade reine Männerorden fast unweigerlich den Verdacht geheimer homosexueller Praktiken auf sich ziehen. Tatsache ist jedoch, dass man in den »gemischten« Logen nach freimaurerischem Vorbild, die im 18. Jahrhundert entstanden, »galanten« oder auch eindeutig erotischen Lustbarkeiten keineswegs abgeneigt war.

 

Das gilt zweifellos für die sogenannte Feigenbruderschaft, die um 1750 in Wien begründet wurde und einer hedonistisch erweiterten Gütergemeinschaft huldigte. Entgegen dem Namen gehörten der geheimen Gesellschaft Frauen so gut wie Männer an, und alle Mitglieder hatten die programmatische Besitzgemeinschaft »auch auf ihre eigene Person auszudehnen«. Die sogenannten »Schwestern von der Schwarzen Feige« trafen sich mit den »Brüdern vom Schwarzen Hut« mehrmals pro Woche, »um ihren Lüsten zu frönen«. Bereits im Jahr 1751. machte die österreichische »Keuschheitskommission« dem frivolen Treiben ein Ende.

 

Harmloser, wenngleich auch einigermassen dekadent ging es im erwähnten Mopsorden zu. Auch diese androgyne, also gemischte Geheimgesellschaft entstand bereits Mitte des 18. Jahrhunderts, wenige Jahrzehnte nach Neugründung der Johannismaurerei. Der Bezug auf die reguläre Maurerei war unübersehbar: Das Ritual der Mopsbrüder und -schwestern war von Anfang bis Ende eine - eher laszive als geistreiche - Parodie des masonischen Vorbilds.

 

Im Mittelpunkt stand eine Mopsfigur aus Keramik oder Wachs, die auf dem Tisch des Meisters vorn Stuhl thronte, zwischen Degen und Spiegel. An die Stelle der »grossen Lichter« der Maurerei, Bibel, Winkelmass und Zirkel, traten hier also Mops, Degen und Spiegel. Der Eid wurde geleistet, indem Frauen ihre Hand auf den Spiegel, Männer die Rechte auf den Degen legten und Verschwiegenheit gelobten. Zuvor mussten Brüder wie Schwestern den »Hintern des Mopses« küssen - eine unverkennbare Anspielung auf jene hartnäckigen Gerüchte, die die Freimaurerei mit Teufelsanbetung in Verbindung brachten.

 

Doch die dekadente Adelsgesellschaft des 18. Jahrhunderts glaubte weder an Gott noch Teufel, sondern einzig an den Götzen der Vergnügung. Im Mopsorden, resümiert der Logenforscher Beyer, habe man »sicherlich an Ethik überhaupt nicht gedacht, sondern lediglich das Amüsement geschätzt, das den Mitgliedern durch die Aufnahme-Posse bereitet wurde«.

 

GEMISCHTE UND REIN WEIBLICHE LOGEN SEIT DEM 19. JAHRHUNDERT

 

Ebenso wie die regulären Freimaurerlogen wurden auch viele Adoptionslogen nach der »Schreckensherrschaft« in Frankreich wiedereröffnet. Dort entstand im 20. Jahrhundert zusätzlich ein rein weiblicher Orden nach maurerischem Muster, die »Grande Loge Feminine de France«. Ähnliche Organisationen konstituierten sich auch in anderen Ländern, so etwa der »Eastern Star« in Nordamerika oder die »Odd Fellows« [?] in Grossbritannien. Selbstverständlich wurden und werden auch alle diese Logen von der Londoner Grossloge nicht anerkannt.

 

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde - wiederum in Frankreich - eine weitere »gemischte« Maurerloge ins Leben gerufen, deren Mitbegründerin, Marie Deraismes (1828-1894), eine bekannte Feministin war. Auch diese Organisation namens »Le Droit Humain« oder »Das Menschenrecht« wurde von den britischen Gralshütern als häretisch gebrandmarkt - und in der Tat kann man sich fragen, ob eine feministische Maurerloge nicht einen Widerspruch in sich selbst darstellt.

 

Ist das Menschenrecht für alle, Frauen wie Männer, erst dann verwirklicht, wenn alle Individuen zu ausnahmslos allen gesellschaftlichen Orten Zutritt erhalten? Oder gibt es eben doch, geschlechtsspezifische Unterschiede, die nicht in der Sozialisation begründet liegen? In diesem Fall wäre es gewiss sinnvoller, nicht im Namen der Gleichberechtigung Männerbünde zu zerstören, sondern eigene »Frauenorden« nach spezifisch weiblichen Interessen und Bedürfnissen zu schaffen.

 

Auch diese Diskussion wird bereits seit über zweihundert Jahren geführt. Seit den Zeiten von Mme. Deraismes hat sie jedoch stark an Bedeutung verloren - nicht, weil die weibliche Gleichberechtigung unterdessen gänzlich verwirklicht worden wäre, sondern weil die Freimaurerei in den (kontinental-)europäischen Gesellschaften seit dem Zweiten Weltkrieg nur noch eine marginale Rolle spielt.

 

Unter dem Namen »Frauen-Grossloge von Deutschland« besteht auch in Deutschland seit 1949 eine rein weibliche Freimaurerei. Ihrem Selbstverständnis nach knüpfen diese maurerischen Schwestern einzig an die »aufgeklärte« Johannisbruderschaft an. Aus ihrer Sicht ist der Ausschluss von Frauen aus der masonischen Bewegung daher heute nicht mehr gerechtfertigt. »Auch engagierte Frauen« seien »zur Mitarbeit am grossen Bauwerk der Menschlichkeit aufgefordert«, heisst es auf ihrer Homepage (www.freimaurerinnen.de).

 

Dem ist gewiss zuzustimmen - dahingestellt bleibt allerdings, ob diese Mitarbeit ausgerechnet in den Ruinen eines männerbündischen Tempels stattfinden muss, der unter der parteiischen Obhut der Londoner Tempelwächter in den zurückliegenden knapp dreihundert Jahren seine ursprüngliche Funktion und Faszination ohnehin schon weitgehend eingebüsst hat.

 


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