Home Die Gleichstellung der Frauen und die Humanitätsbrüderschaften

 

Von Ludwig Keller, 1911

 

Eins der wirksamsten Kampfmittel, dessen sich die Gegner der Gedankenwelt der Humanität und ihrer Organisationen bedient haben, ist das leicht zu erregende Misstrauen der Frauen gegen die „geheimen Gesellschaften“ gewesen, die ja in ihre Verbände in der Regel nur Männer aufgenommen haben.

 

Um die Stellung der Humanitätslehre in dieser Frage zu verstehen, muss man ihre grundsätzlichen Anschauungen von den praktischen Erwägungen, denen sie vielfach Rechnung tragen mussten, scheiden.

Der Grundsatz, dass alle Menschen Gottes Kinder und mithin unter sich Brüder und Schwestern sind, ist seit den Tagen Platos und seit der Gründung der ersten Christengemeinden von keiner grossen kultischen Vereinigung und nachdrücklicher und wirksamer vertreten und verteidigt worden als von der Brüderschaft der Humanität. Dieser Grundsatz gibt von der Wertschätzung der Frau die breiteste Unterlage und erst durch ihn öffnen sich die Pforten, die die Kirche verschlossen hat, mit den Worten: Mulier tacceat in ecclesia, d. h. die Frau hat zu schweigen in der Kirchengemeinschaft.

 

Aus diesem Grundsatz folgt aber noch nicht, dass  es notwendig oder angängig ist, Männer und Frauen in einer Organisation zu vereinigen. Schwierigkeiten, die aus der Verschiedenheit der Geschlechter erwachsen, die aber mit der angeblichen Minderwertigkeit des weiblichen Geschlechts nicht das geringste zu tun haben, machen es einstweilen nicht möglich, beide Geschlechter so eng zusammenzuführen, wie sie durch die geltende Organisationsform bedingt ist. Das Prinzip der Freundschaft, mit dem die Organisation steht und fällt, kann unter Männern und auch unter Frauen die Grundlage einer innigen Vereinigung bilden, aber die Freundschaft zwischen Männern und Frauen schliesst einstweilen in vielen Fällen Schwierigkeiten in sich, die sich als unüberwindlich erweisen.

 

Nicht also grundsätzliche, sondern lediglich praktische Erwägungen haben das bisherige Verhalten bestimmt. Ihren Prinzipien nach würde es die Frmr lediglich begrüssen, wenn die Frauen ihrerseits Organisationen schaffen wollten oder könnten, die für die geistige Erhebung und für die Pflege der Freundschaft im Geiste der Humanität das gleiche für das weibliche Geschlecht leisteten, was die Logen für das männliche leisten. Tatsächlich haben sich einzelne Systeme und einzelne hervorragende Führer im 18. und 19. Jahrhundert und früher ernsthaft bemüht, Frauenorden nach dem Vorbild der Logen zu organisieren. Wenn diese Versuche einstweilen nicht überall zum Ziele geführt haben, so liegt das keineswegs an den Prinzipien des Systems.

 

Diejenigen Frauen, die in Verkennung der praktischen Schwierigkeiten Vorwürfe wegen ihres Ausschlusses laut werden lassen, übersehen die Tatsache, dass alle Erfolge, die die Brüderschaft bisher erzielt hat, in erster Linie gerade dem weiblichen Geschlecht zugute gekommen sind; keine Organisation und keine Gedankenwelt hat für die Menschenrechte, und zwar auch für die der Frauen, nachdrücklicher sich eingesetzt. Die Kirchen haben solange keine Mädchenschulen gekannt, als sie das Staatsleben ausschliesslich beherrscht haben. Erst  der starken Hand so einflussreicher Führer wie Comenius ist es gelungen, Bresche in dieses System der Zurückdrängung zu legen; erst sie haben die gleichen Rechte an der allgemeinen Bildung für die Frauen gefordert und in ihrem Machtbereich auch durchgesetzt.

 

Die Freunde der Humanität und des reinen Menschentums erkannten und sahen auch in der Frau in erster Linie den Menschen; und die Rechte, mit denen jeder Mensch geboren wird, vor allem das Recht auf freie Entwicklung seiner Eigenart, wollten sie auch den Frauen gewahrt wissen. Dabei aber haben die Einsichtigeren unter den Wortführern der Weisheitslehre nie verkannt, dass die Eigenart der Frauen eine andere ist als die Eigenart der Männer, und daraus die richtige Folgerung gezogen, dass beiden Geschlechtern verschiedene Aufgaben im Organismus und in der Entwicklung der Menschheit gestellt sind.

 

Aus:

Die geistigen Grundlagen der Freimaurerei und das öffentliche Leben. 1911, 134.

Zitiert nach August Horneffer: Freimaurerisches Lesebuch. Zweiter Band, Berlin: Alfred Unger 1920, 50-52.

 


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