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Die Freimaurer. Fiktion, Realität und Perspektiven. Wien: Ueberreuter 1996, 149-153;
Taschenbuchausgabe München: Droemer Knaur 1999.

 

 

Freimaurerei und Frauen

 

Die »Basic Principles« [1929] und die «Alten Pflichten« [1723] schreiben vor, dass Freimaurerlogen Männerbünde sein müssen, und diesen Grundsatz haben alle Logen auch in ihren Satzungen verankert. Man muss dazu wissen, dass in der Gründerzeit der Freimaurerei, also Anfang des 18. Jahrhunderts, die Einstellung zur Frau eine völlig andere war als heute. Der Mann ging davon aus, in allem Priorität zu haben. Der Frau wurden Fähigkeiten für die Bereiche Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und für wesentliche Gebiete der Arbeitswelt rundweg abgesprochen. Das war der Grund, dass auch die Freimaurerei sich als Männerbund konstituierte, obwohl sie von einer humanitären Geistesbasis ausgeht und daher den Frauen gegenüber aufgeschlossener hätte sein sollen. Aber auch sie ging mit dem Zeitgeist konform.

 

In der Zwischenzeit und besonders im letzten Jahrhundert hat sich viel verändert. Die Gleichberechtigung der Frauen ist in den Verfassungen festgeschrieben. Die Mehrzahl der Wissenschaftler, der gesellschaftsgestaltenden Kräfte und grosse Teile der Bürgerschaft vertreten heute zudem die Auffassung von der Gleichwertigkeit von Frau und Mann. Streit gibt es nach wie vor um die Gleichheit der Geschlechter, also um die Behauptung, Frauen und Männer hätten gleiche Eigenschaften, Fähigkeiten und Neigungen.

 

Die Bolschewisten machten nach der Oktoberrevolution von 1917 solche Thesen zur Grundlage ihrer Politik und ihrer gesellschaftsumformenden Massnahmen, genau wie die Gründer der israelischen Kibbuzim. Beide mussten nach einiger Zeit der Praxis ihre Pläne und Massnahmen ändern. In der Realität erwies sich die These der Gleichheit von Mann und Frau als nicht haltbar. Gleichwohl vertreten einige Milieutheoretiker die These von der Gleichheit noch heute. Bedeutsamer für die Praxis ist aber die Tatsache, dass es trotz aller Fortschritte auch heute noch Schwierigkeiten mit der Gleichstellung, also mit der Gleichbehandlung von Frau und Mann besonders im Arbeitsprozess gibt - und nicht zuletzt auch in der Freimaurerei.

 

Diese Schwierigkeiten sind der Grund dafür, dass an der Geschlechterfront noch kein Frieden herrscht. Feministinnen übertreiben nach der einen Seite und rückwärtsblickende Männer nach der anderen.

 

Aber bei einem nicht geringen Teil der Männerwelt beginnt sich die Auffassung durchzusetzen, dass die stets als positiv eingestufte männliche Fähigkeit und Neigung zum Kampf heute wesentlich vorsichtiger und kritischer bewertet werden muss als früher. Die Kampfeslust hat der Menschheit viele unnötige Kriege beschert. Erst die Atomwaffe hat die Erkenntnis reifen lassen, dass grosse Kriege mit Gefahren ungeheuren Ausmasses verbunden sind, wodurch die Kampfeslust - zumindest auf diesem Gebiet - gedämpft zu sein scheint. Auf dem Terrain der Wirtschaft setzt sie sich fort im Streben nach ungebremstem und unkontrolliertem quantitativem Wirtschaftswachstum zum Schaden der Umwelt und damit des Menschen. Vernunft ist heute gefragt, von Vernunft getragene Kooperation der Menschen, der Menschengruppen und der Staaten auf der Ebene des rechten Masses (Friedenserhaltung, Lösung ökologischer Probleme, Fortführung der Demokratisierung, Verbesserung der sozialen Gerechtigkeit). Blindes Vorwärtsstürmen des Mannes in Wettkampfmanier mit Kampfeslust und Heldentum - alles dies lebt in der Moderne in Erfolgsstatistiken und -bilanzen durchaus weiter - wird in weiten Bereichen durch Kooperation, Kommunikation, Bewahren (z. B. der Umwelt) und den Aufbau solider, am Menschen und an der Menschlichkeit orientierter Strukturen und Einrichtungen in der Gesellschaft ersetzt werden müssen, weil wir sonst an Grenzen stossen, die zu überschreiten unabsehbare Gefahren für alle Menschen entstehen lassen.

 

Die Frau wird mit ihren Fähigkeiten, mit ihrer Kreativität und mit ihrer speziellen Vernunft und Lernfähigkeit ihre Chance erhalten bzw. sie hat sie schon. Sie muss sie aber auch ergreifen und sich durchsetzen. Und der Mann muss ebenfalls lernen und seine Neigungen überprüfen und ändern, und zwar zugunsten der Frau und zugunsten kooperativer Verhältnisse unter Abbau seines Dominanzstrebens.

 

Welche Folgerungen sind daraus für die Freimaurerei zu ziehen?

 

Bei der Freimaurerei als Männerbund muss zuvor noch ein anderer Umstand angesprochen werden, der in Form einer sich verdichtenden Vermutung als Ursache für den Frauenausschluss mit hineinspielt und der noch heute aktuell sein dürfte.

 

Humanforscher haben festgestellt, dass sich in reinen Männerbünden in der ganzen Welt - Schützen-, Traditions-, Berufsvereinen, Führungsgremien, Klubs, Banden u, a. - Verhaltensweisen aus grauer Vorzeit verselbständigt haben, die im Kern auf die alten Jägerkooperationen der Frühzeit zurückzuführen sind und die damals wichtig waren, um zu überleben. Gemeint sind damit die das eigentliche Vereinsziel überlagernden Sitten und Verhaltensweisen, an denen Männer hängen und die sie unkritisch fortführen und pflegen. Solche Wesensmerkmale sind:

  • Das Zusammengehörigkeitsgefühl, die Identifizierung mit einem gemeinsamen Ziel, die ständige Beteuerung, wie wichtig das Ziel sei, und die Bereitschaft, um seinetwillen »Persönliches« zurückzustellen.
  • Permanenter Wettkampf, um zu ermitteln, wer der Beste an Taten, Argumentation und Renommierkunst ist.
  • Rangordnung, Hierarchie, Dominanzstreben als Festigungselemente.
  • Abwehrtendenz oder Aggression gegen Gruppenfremde.
  • Ausschluss der Frauen und die abwertende Beurteilung der Frauen und der männlich-weiblichen Beziehungen. Frauen werden offenbar als störend empfunden. Sie stehen dem auf die Frühzeit zurückgehenden Einigungsstreben der Männer im Wege (Jagd- und Kampfsituation), weil sie durch das Lagerleben zu Sozialkontakten anderer Art geformt wurden.

 

Projiziert man diese Merkmale auf die Freimaurerei, so wird deutlich, dass auch hier diese Wesenszüge bestehen. Das Zusammengehörigkeitsgefühl trifft völlig zu. Das Wettkampfmoment finden wir teilweise im Klubleben in den Diskussionen. Hierarchien werden in den Ritualfeiern gepflegt. Abwehrtendenzen sind in der Neigung zur Abschottung gegenüber der Gesellschaft (Geheimnis, Verschwiegenheit) erkennbar. Der Frauen-Ausschluss wird strikt praktiziert.

 

Wir haben es also neben dem Motiv der Frauenabwertung aus der Gründerzeit der Freimaurerei wahrscheinlich noch mit einem viel tiefer sitzenden und viel älterem Motiv zu tun, das die Männer aus der Frühzeit ihrer Entwicklung mit sich herumschleppen. Aber dieser Sachverhalt sei hier nur der Vollständigkeit halber angesprochen. Für eine Öffnung der Freimaurerei gegenüber Frauen ist er nicht relevant.

 

Für die Freimaurerei bekommt der Frauen-Ausschluss eine ganz andere Dimension, und zwar durch die ethisch-moralische Komponente, also durch die humanitäre Zielsetzung. Man kommt damit nicht umhin, sich mit folgender Logik auseinanderzusetzen:

 

Werden - ganz allgemein betrachtet - bei einem humanitären Anliegen auf der Seite der Akteure Frauen von vornherein bereits ausgeschlossen, so könnte der Eindruck entstehen, Frauen seien entweder nicht Objekt der Bemühungen, oder sie werden ausserhalb der Kategorie des Menschseins angesiedelt. Beide Einstellungen treffen aber für die Freimaurerei eindeutig nicht zu.

Die Frauen sind nach den Grundrechten gleichberechtigt und gleichwertig; zumindest besteht darüber im Rechtsraum und bei den Theoretikern Einigkeit.

 

Geht man nun von den beiden dargelegten Positionen aus, so ist es nicht folgerichtig, Frauen von der Mitgliedschaft in der Freimaurerei und damit von den humanitären Zielrichtungen und Bemühungen auszuschliessen, nachdem die Hälfte der Menschheit aus Frauen besteht. Männer massen sich ohne zwingende Notwendigkeit an, für Frauen zu denken, zu sprechen und zu entscheiden.

 

Wenn es also für die Gründerzeit noch verständlich erscheint, Frauen aufgrund der damals herrschenden gesellschaftlichen Prägung von den Logen fernzuhalten, so ist dieser Grund in der Zwischenzeit obsolet geworden. Heute kann der Frauenausschluss nur als Willkürmassnahme des Mannes in Ausübung seines Macht- und Dominanzstrebens ausgelegt oder als reine Frauenfeindlichkeit deklariert werden.

Oft wird argumentiert, die Freimaurerei schliesse die Frauen nicht aus, sondern ziehe sie zu geselligen Veranstaltungen hinzu. Das ist richtig, aber es ist ein nichtstichhaltiges Argument, weil die Frauen als Nichtmitglieder am eigentlichen Logenleben nicht teilnehmen können. Auch die Möglichkeit, eigene Frauenlogen zu gründen, löst das Problem nicht. Die »Basic Principles« stehen dagegen - solche Logen wären also irregulär -, und die Ablehnung der Frauen durch die Männer wäre damit nicht beseitigt.

Die Freimaurerei wird in Zukunft Frauen in ihren Logen aufnehmen müssen. Die alten Gründe für den Ausschluss sind entfallen, neue Gründe gibt es nicht. Unbeweglichkeit in diesem Punkt würde dem Ansehen der Freimaurerei weiter schaden und Vertrauen schwinden lassen. Die Freimaurerei braucht aber das Vertrauen des modernen Menschen, insbesondere der Jugend. So wird in der Frauenfrage eine weitere Inkonsequenz der Freimaurerei erkennbar - eine Diskrepanz zwischen auf den Menschen ausgerichtete Zielsetzung und praktischem Verhalten.

 


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