Home Die Kölner Urkunde (1535)

 

Aus:
Nicolaas Luitse (1918-1992): Die Kölner Urkunde vom 24. Juni 1535.

Ein Bericht über niederländisches Quellenmaterial aus dem 19. Jahrhundert.

Bayreuth: Forschungsloge „Quatuor Coronati“ 1992 (Quellenkundliche Arbeit, Nr. 28), 49-55, 21-25 und 33-37.

 

Mit freundlicher Genehmigung der Freimaurer Forschungsloge "Quatuor Coronati", Deutschland

http://www.quatuor.coronati.org

http://qc-eu.eu/

 

Eine erste Fassung der Urkunde (anders als die nachstehende) bei:

Friedrich Heldmann: Die drey aeltesten geschichtlichen Denkmale der teutschen Freymaurerbrüderschaft. Aarau: Sauerländer 1819, 308-.330 (mit vielen Anmerkungen von Heldmann).

 

Der Wortlaut der Urkunde eingebettet in einen breiten Kommentar auch in:

Allgemeines Handbuch der Freimaurerei. Band 2, 1865, 129-146 (mit einer Datierung auf ca. 1776-1790)

Nachdruck ohne den Text der Urkunde (da „doch nicht echt“) und mit stark gekürzter Fassung von Kap. VI. „Untersuchung über die [1900: der] der Echtheit der Urkunde“ in:

Allgemeines Handbuch der Freimaurerei, Band 1, 1900, 552-556.

 

Nachdruck auch in:

Winfried Dotzauer: Quellen zur Geschichte der deutschen Freimaurerei im 18. Jahrhundert. Frankfurt am Main: Peter Lang 1991, 114-120 (mit einer Datierung auf ca. 1795)

 

 

ähnlich umstrittene Dokumente siehe:

Die umstrittene Yorker Urkunde von 1806

Das umstrittene Freimaurerverhör von 1753

 

  

 

A. M. G. D. O.

[Ad maiorem gloriam Dei Omnipotentis]

 

Zur höheren Ehre des Allmächtigen Gottes.

 

Wir auserwählten Meister der ehrwürdigen und dem Johannes geweihten Gesellschaft oder Genossen des Ordens der Freimaurer, Leiter der Herbergen oder Hütten, die zu London, Edinburg, Wien, Amsterdam, Paris, Lyon, Frankfurt, Hamburg, Antwerpen, Rotterdam, Madrid, Venedig, Gent, Königsberg, Brüssel, Danzig, Middelburg, Bremen und der Stadt Köln errichtet sind, kapitelweise in derselben Stadt Köln - Jahr, Monat und Tag wie unten bezeichnet - versammelt, unter dem Vorsitz des Meisters der in dieser Stadt gegründeten Hütte, eines ehrwürdigen Bruders, eines hochgelehrten, hochweisen und hochumsichtigen Mannes, der durch unsre einstimmige Wahl berufen wurde, diese Verhandlungen zu leiten, - wir erklären durch dieses an alle oben genannten Herbergen auszusendende Schreiben sowohl den jetzigen wie den zukünftigen Genossen:

 

Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf das, was in diesen unheilvollen sowie durch Uneinigkeiten und Zwietrachten der Bürger verwirrten Zeiten unsrer oben genannten Gesellschaft und allen in diesen Orden der Freimaurer oder des Johannes aufgenommenen Brüdern an Plänen, Meinungen, Umtrieben, sowohl verborgenen als offenkundigen, vorgeworfen wird, was alles wie uns so auch dem Wesen, dem Zwecke und den Vorschriften dieser Genossenschaft völlig fremd ist.

Es ist festgestellt, dass die Genossen dieses Ordens besonders deshalb, weil wir durch unauflösliche geheime Verpflichtungen, die uns binden und von allen aufs gewissenhafteste beobachtet werden, gefesselt sind, und damit sie um so sicherer dem Tadel Aussenstehender und Profaner sowie dem öffentlichen Abscheu verfallen, des Verbrechens der Wiederherstellung des Ordens der Templer angeklagt und wir öffentlich so dem Volke gekennzeichnet werden, als ob wir weiter planmässig gefesselt und verschworen wären, dass wir, wie diesem Orden angehörig, dessen Güter und Besitzungen wieder gewinnen, den Tod des letzten höchsten Meisters, der diesem Orden vorgesetzt war, an den Nachkommen der Könige und Fürsten, die dieses Verbrechens schuldig und die Urheber der Vernichtung des genannten Ordens waren, rächen wollten; dass wir zu diesem Zweck in der Kirche Spaltungen, dagegen in weltlichen Reichen und Herrschaften Verwirrung und Aufruhr stifteten: dass wir gegen den Papst, den mächtigsten Priester, den Kaiser und alle Könige von Hass und Feindschaft brennten; dass wir, der Macht keines Aussenstehenden, sondern allein den obern und auserwählten Meistern unsrer über den ganzen Erdkreis zerstreuten Genossenschaft gehorchend, deren geheime Aufträge und verborgne Pläne durch geheimen Briefwechsel und abgesandte Boten ausführten; dass wir endlich keinen andern den Zutritt zu unsern Geheimnissen gestatteten als denen, die, durch Peinigungen des Körpers geprüft und erprobt, durch einen fluchwürdigen anschaulichen Eid sich unsern Kapiteln zugelobt und geweiht haben.

 

Darum und in Erwägung alles dessen erschien es nützlich und durchaus notwendig, den wahren Stand und Ursprung unsres Ordens, und wohin dessen Wohlfahrtsstiftung ziele, so darzulegen, wie das Einzelne von vorzüglichen, in der Kunst am meisten erfahrenen und von der echten Kenntnis der Stiftung erleuchteten Meistern geprüft und gebilligt worden ist, und das so Dargelegte den einzelnen Kapiteln oder Herbergen unsrer Gesellschaft als ein von uns unterschriebenes und besiegeltes Muster zusammengestellt und ausgearbeitet zugehen zu lassen, damit dadurch zum dauernden Andenken der Sache die Erneuerung dieser unserer Grundlage und die unverletzte Makellosigkeit unsres Zweckes feststehen könne, und damit auch, wenn durch eine von Tage zu Tage überhand nehmende Neigung der Bürger und Völker zu Hass, Feindschaft, Unduldsamkeit und Kriegen es dieser unsrer Genossenschaft mehr und mehr erschwert werden sollte, ihren Bestand und ihre Wesenheit bewahren, sich in irgendwelchen Gegenden der Erde ausbreiten und sich selbst im Fortgang der Zeiten weniger unversehrt, ungeschädigt und unverdorben erhalten zu können, - damit dann nichtsdestoweniger zu besserer Zeit und bei bessern Zeitverhältnissen, wenn nicht alle, so doch das eine oder andere Exemplar dieses Schreibens übrig bleibe, nach dessen Richtschnur der Orden, wenn erschüttert, wieder hergestellt und, wenn er verderbt oder seinem Zwecke und seinen Plänen entfremdet sein sollte, neu gestaltet werden kann. Deswegen beschwören wir auserwählten, vom Streben nach dem wahren Lichte geleiteten Meister durch dieses allgemeine, nach dem Inhalt der ältesten Urkunden und der Denkmäler, die über die Pläne, Gebräuche und Gewohnheiten der Stiftung und unsres sehr alten und sehr geheimen Ordens vorhanden sind, verfasste Schreiben jetzt oder später zukommen sollte, bei ihrem heiligsten Pflichtgefühl, dass sie sich nicht von diesem Zeugnis der Wahrheit lossagen. Ausserdem melden und verkünden wir sowohl der erleuchteten wie der dunklen Welt, deren beider Wohlergehen uns beschäftigt und stark bewegt:

 

 

A. Die Gesellschaft oder der Orden der Freimaurer oder der dem Dienste des Johannes ergebnen Brüder leitet seine Abstammung weder von den Tempelrittern her noch von irgend einem andern Orden geistlicher oder weltlicher Ritter, weder von einem einzelnen noch von einem aus mehreren vereinigten; noch hat er mit ihnen unmittelbar oder durch irgend ein Zwischenband auch nur die geringste Gemeinschaft. Er ist älter als alle Ritterorden dieser Art und war sowohl in Palästina und Griechenland wie in dem einen und andern Teile des römischen Reiches schon vor den heiligen Kriegen und den Zeiten der Wanderung der oben erwähnten Ritter nach Palästina vorhanden. Dies ist uns aus verschiedenen Denkmälern bewährter Altertümlichkeit offenkundig und bekannt geworden, und diese unsre Genossenschaft ist schon zu der Zeit entstanden, als zuerst wegen verschiedener Sekten der christlichen Sittenlehre wenige Eingeweihte, die mit der wahren Lehre der Ethik und einer gesunden Auslegung des Geheimwissens vertraut waren, sich von der Menge absonderten; denn zu jener Zeit haben gelehrte und erleuchtete Männer, jene wahren, von den Irrlehren des Heidentums am wenigsten beeinflussten Christen, da sie glaubten, durch eine verunreinigte Religion würden Spaltungen, nicht aber Friede, nicht Duldung und Nächstenliebe, sondern abscheuliche Kriege verbreitet, sich durch den heiligsten Eid gebunden, dass sie die den Gemütern der Menschen eingepflanzten ethischen Grundsätze dieser Religion besser und unbefleckt bewahren, sich ihnen ganz widmen wollten, damit mehr und mehr das wahre Licht aus der Finsternis hervorgehe. Dazu Schriftkundige, nach der Gewohnheit jener Zeiten Meister genannt, suchten aus den erfahrensten und besten ihrer Schüler welche aus, die sie als Mitarbeiter annahmen, woher der Name Genossen entstand, während die übrigen ausgesuchten, aber nicht angenommenen nach der Sitte der hebräischen, griechischen und römischen Philosophen mit Benennung Schüler bezeichnet werden.

 

 

B. Unsre Genossenschaft besteht wie einst so auch jetzt aus diesen drei Graden: des Schülers, des Genossen und des Meisters, die letzten Meister aber auch aus auserwählten Meistern und höchsten auserwählten Meistern; alle obengenannten Genossenschaften oder Brüderschaften dagegen, welche mehr oder andre Benennungen oder Unterabteilungen zulassen oder sich einen andern Ursprung beilegen oder, sich in politische oder geistliche Geschäfte mischend, sich jemand verschwören und Hass und Feindschaft versprechen und geloben, unter welchen Namen es auch geschehen mag, unter dem von Freimaurern oder von Brüdern, die dem Dienst des Johannes ergeben sind, oder unter andern, die gehören nicht zu unserm Orden, sondern werden als Schismatiker abgewiesen und ausgeschlossen.

 

 

Γ. Zwischen jenen Lehrern und Meistern dieses Ordens, welche mathematische, astronomische oder andre Wissenschaften übten, hat nach der Zerstreuung derselben über den ganzen Erdkreis ein Wechselverkehr der Lehre und des Lichts stattgefunden, wodurch geschehen ist, dass man anfing, aus jenen auserwählten Meistern einen besonders auszuwählen, als von den übrigen hervorragend, der, allein den auserwählten Meistern bekannt, als höchster auserwählter Meister oder Patriarch verehrt und zugleich als unserer ganzen Genossenschaft sichtbares und unsichtbares Oberhaupt und Führer angesehen werden sollte, wie dann auch heute nach dieser Bestimmung ein oberster Meister und Patriarch, wenn auch nur von sehr wenigen gekannt, wirklich vorhanden ist.

 

Dies vorausgeschickt, was aus der Sammlung der ältesten Pergamente des Ordens und seiner Urkunden zusammengetragen ist, mit Genehmigung unsres Patriarchen, bestimmen wir, nachdem wir die geheiligten Zeugnisse, die für die Zukunft der Treue unsres Vorsitzenden und seiner Nachfolger anvertraut sind, genau verglichen haben und verordnen wir, mit der Genehmigung desselben höchsterleuchteten Patriarchen ausgerichtet:

 

 

Δ. Die Leitung unsrer Gesellschaft und die Art und Weise, wie die Strahlen des Flammenden Lichts zu den erleuchteten Brüdern als auch in die profane Welt getragen und verbreitet werden sollen, stehen bei den höchsten auserwählten Meistem; diese haben zu wachen und zu sehen, dass die Genossen, welches Standes und Ranges sie sein mögen, nichts gegen die wahren Grundsätze unsrer Gesellschaft unternehmen; denselben Spitzen des Ordens liegt auch die Verteidigung der Gesellschaft ob, sowie die Bewahrung und Sicherstellung ihres Wohlergehens; wenn ein Unglück dieselbe trifft, sollen sie mit Aufopferung ihres Vermögens und Gefahr ihres Lebens sie gegen alle Angreifer unsrer Stiftung schützen, so oft und wo es auch der Fall sein mag.

 

 

E. Nirgends haben wir erfahren, dass diese Genossenschaft von Brüdern vor dem Jahre 1440 nach Christi Geburt unter einer andern Benennung als der von Johannisbrüdern bekannt gewesen sei; damals aber hat man zuerst, wie uns kund wurde, angefangen, die Brüderschaft mit dem Namen der Freimaurer zu benennen und zwar insbesondre in Valenciennes in Flandern, zur Zeit als in einigen Flecken des Hennegaus mit Hülfe und auf Kosten jener Brüder zuerst Krankenhäuser gebaut wurden, zur Heilung der Dürftigen, die am heiligen Feuer, dem sogenannten Antoniusübel, litten.

 

 

Z. Obgleich wir beim Wohltun keine Rücksicht auf Religion oder Vaterland nehmen, halten wir doch jetzt noch für nötig und sicher, keine andern, als die sich in den Kreisen der Profanen oder Unerleuchteten als Christen bekennen, in unsern Orden aufzunehmen. Beim Verhören und beim Vernehmen von Prüfungen bei denen, die sich zur Weihe des ersten Grades, desjenigen der Schüler, melden, sind keine Peinigungen des Körpers, sondern nur solche Proben anzuwenden, die zur Erforschung des Geistes, der Willensrichtungen und der Naturanlage der Novizen dienen.

 

 

H. Zu den Pflichten, die geboten werden und mit einem feierlichen Eide zu geloben sind, zählen treue Ergebenheit und Gehorsam gegen die weltlichen und rechtmässig uns vorgesetzten Obrigkeiten.

 

 

Θ. Die Grundsätze unsrer Handlungen und alle unsre Unternehmungen, wohin und wieweit sie zielen mögen, liegen in diesen beiden Vorschriften ausgesprochen: Liebe und schätze alle Menschen wie Brüder und Angehörige; du sollst Gott gewähren, was Gottes, und dem Kaiser, was des Kaisers ist.

 

 

I. Die Geheimnisse und Geheimlehren, in denen sich unsre Bestrebungen verbergen, dienen diesem einzigen Ziele, dass wir ohne Prunken und ohne Störung unsre Vorsätze durch Handeln bis zum äussersten verfolgen.

 

 

K. Das Gedächtnis des heiligen Johannes, des Vorläufers Christi und Beschützers unsrer Gemeinschaft, feiern wir alljährlich.

 

 

Λ. Diese Einrichtung und die übrigen ihr gleichartigen Förmlichkeiten, indem sie in den Versammlungen der Brüder durch Geben von Zeichen oder Worten oder auf andre Arten ausgeübt werden, sind nichtsdestoweniger von den kirchlichen Gebräuchen völlig verschieden.

 

 

M. Nur derjenige wird als Bruder der Johanneischen Gesellschaft oder Freimaurer anerkannt, welcher auf rechtmässiger Weise, mit Hülfe und unter Vorsitz irgend eines auserwählten Meisters, unter Beistand von mindestens sieben Brüdern, in unsre Mysterien eingeweiht und imstande ist, durch Zeichen und Losungen, deren sich die übrigen Brüder bedienen, seine Aufnahme zu beweisen. Unter diesen Zeichen und Worten sind jedoch auch diejenigen einbegriffen, welche in der Edinburger Herberge oder Hütte und den ihr angeschlossenen, ebenso in der Hamburger, Rotterdamer, Middelburger und der sich in Venedig errichtet findenden Hütte in Gebrauch sind, deren Übungen und Arbeiten, obwohl nach Weise der Schotten eingerichtet, doch in dem, was Ursprung, Zweck und Einrichtung angeht, von dem, was wir benutzen, nicht abweichen.

 

 

N. Indem diese unsre Gesellschaft nur von einem einzigen und allgemeinen Führer, die einzelnen Meisterschaften aber, aus denen sie besteht, von verschiednen Obermeistern regiert werden, ist nichts notwendiger als eine gewisse Gleichförmigkeit aller über den ganzen Erdkreis zerstreuten Glieder, die doch zusammen sozusagen einen einzigen Körper bilden, sowie auch ein Verkehr durch Boten und Zuschriften, der allerorten mit sich und in seinen Lehren übereinstimmt. Deshalb soll dieses gegenwärtige, Natur und Wesen unsrer Gesellschaft bezeugende Schreiben allen einzelnen Kollegien des Ordens, die bis jetzt bestehen, zugesandt werden.

 

Von diesem aus den oben erwähnten Gründen auf solche Weise abgefassten Schreiben sind daher 19 übereinstimmende Exemplare mit ganz demselben Wortlaut, zur Bestätigung mit unsern Unterschriften und Unterzeichnungen versehen, zu Köln am Rhein erlassen, im Jahre 1535 am 24. Tage des Monats Juni, nach der Zeitrechnung, welche als die christliche bezeichnet wurd. [laut Faksimile:]

 

[ 1. Zeile:] Hermannus †  Carlton Jo. Bruce,  Fr. v. Upna  Cornelis Banning  de Colligny Virieux.  Johan schröder  Hofman 1535  Icobus prepositus

 

[2. Zeile:] A. Nobel  Ignatius de la torre  doria  jakob Uttinhove  Falck  Niclaes van Noot  Philippus Melanthon  Huyssen  Wormer Abel.

 

 

 

 

V - DIE ECHTHEIT DER KÖLNER URKUNDE VOM 24. JUNI 1535

 

Auch für die Kölner Urkunde sollen alle Beweisgründe für die Echtheit möglichst vollständig und zusammenhängend aufgezählt werden, bevor - im VI. Kapitel - die Argumente der Bestreiter der Echtheit der Protokolle und der Urkunde aufgezählt und behandelt werden.

 

Für den Inhalt der Kölner Urkunde sei auf ANLAGE 4 B [siehe oben] verwiesen. Das Original-Pergament ist, wie in Kapitel III begründet, nicht mehr vorhanden, kann also nicht mehr einer materiellen Prüfung unterzogen werden. Es liegt jedoch durch die Initiative des National-Grossmeisters Prinz Frederik ein beglaubigtes Faksimile vor, das alle Züge des Originals wiedergibt, so dass jedenfalls auf Abstand die Art der Schrift, der Inhalt und die Unterschriften bedingt geprüft werden können.

Wir behandeln in diesem Kapitel:

1. die äusseren Merkmale der Kölner Urkunde;

2. den vermutlichen Versammlungsort;

3. den historischen Rahmen der Versammlung und

4. die Unterzeichner der Urkunde.

 

Die äusseren Merkmale der Kölner Urkunde

 

Weil das Original nicht mehr vorhanden ist, muss man sich an erster Stelle auf das Faksimile und die Erklärungen von Augenzeugen verlassen. Das Faksimile kann das Original natürlich nicht ersetzen, ist aber als beglaubigtes Dokument von 1819 äusserst wertvoll!

 

Das Original war laut Protokoll vom 29. 1. 1637 eine Art Pergament ('francijn'). Im Brief der Kombinierten Versammlung der Haager und Delfter Logen vom 15.3. 1818 heisst es: ... einen gewissen offenen Brief, auf Pergament mit Chiffre in lateinischer Sprache geschrieben, ganz unversehrt und ohne Rasuren und mit 19 Unterschriften (nicht in Chiffre, sondern in gewöhnlichen Buchstaben) unterzeichnet ..." [siehe ANLAGE 4 C].

 

Br. F A. van Rappard - 1818 M:.  v:. St:. der Loge L'Union Royale und 1836 Sekretär des Ausschusses van Hall / van Rappard -, der sich mehr in die Kölner Urkunde vertieft hat als sonst jemand seiner Zeit, notiert 1821 in seinem Artikel 'Etwas wegen des Inhaltes und dem Wert der frm. Urkunde usw.' - eine Ausarbeitung seines Vortrags von 1818 [ANLAGE 3 B]:

 

"Sie trägt alle Merkmale des Altertums. Ein höchsterfahrener Kenner in diesem Bereich [d.h. der damalige Reichsarchivar Henrik van Wijn] erklärte auf den ersten Blick, dass sie davon alle Merkmale trug... Das ist noch näher erkenntlich an einigen der Charaktere [Buchstaben der frm. Geheim- oder Quadratschrift, worin sie geschrieben ist, welche durch die Hand der Zeit verblasst und verwischt sind, so dass, bei einer buchstäblichen Übersetzung in die lateinische Sprache, infolge der Bedeutung der Charaktere, an bestimmte Wörter ganz andere Buchstaben hinzugefügt werden müssen (siehe die Kopie dieses Stücks, von der Kombinierten Versammlung der Haager und Delfter Logen hergestellt)".

 

Das Pergament war, nach dem Faksimile zu urteilen, 82 x 67 cm gross. Es war beschrieben in einer alten, einfachen Form der frm. Quadratschrift - die kompliziertere Form benützt auch das Andreaskreuz -, aus der bei der Dechiffrierung ein lateinischer Text zum Vorschein kam.

 

Die benutzte frm. Quadratschrift ist als 'Noachitische Schrift' bekannt [Br. Dr. P. H. Pott, THOTH 1962 M S. 13]. Sie entsteht, indem man ein Quadrat durch zwei horizontale und zwei vertikale Linien in neun kleinere Quadrate zerteilt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Macht man nun die äussere Linie unsichtbar, dann bekommt man vier Rechtecke, die am Aussenrand vier einseitig offene Vierecke ein- und in der Mitte ein geschlossenes Viereck umschliessen.

 

 

Die so entstandenen Figuren werden für die ersten 9 Buchstaben des jeweiligen Alphabets gebraucht; die übrigen Buchstaben bekommt man, indem man die drei Reihen von links nach rechts zum zweiten Mal benutzt, jedoch jetzt die einzelnen Figuren mit einem Punkt und bei der dritten Benützung mit zwei Punkten versieht.

Diese 'Noachitische Schrift' war kennzeichnend für die Periode des 16. Jahrhunderts. [Br. Alfred Engel, Die frm. Geheimschriften, Quellenkundliche Arbeiten der Quatuor Coronati Bayreuth Nr. 5, 1972, S. 7, lässt den Kölner Brief ausser Betracht, weil er ihn - zu Unrecht - für eine Fälschung hält].

 

Die Benützung dieser 'Chiffre' im 16. Jht. ist an sich schon ein Beweis für das Alter der Urkunde. Ein späterer Fälscher würde nicht diese einfache Grundform, sondern die spätere, mit dem Andreas-Kreuz erweiterte, benutzt haben.

 

Ein weiterer Beweis der Echtheit liegt im Latein der Urkunde, ein (ziemlich fehlerhaftes) Latein mit Abkürzungen, die nur in mittelalterlichen Handschriften vorkommen. Ob die vielen sprachlichen Fehler oder Verschreibungen der Übertragung des Urtextes in die Quadratschrift zuzuschreiben sind, ist schwieriger zu beurteilen. Die Kombinierte Versammlung der Haager und Delfter Logen hat zuerst sorgfältig eine buchstäbliche Abschrift und danach eine verbesserte Lesart hergestellt, welche beide mit dem Brief des National -Grossmeisters vom 13. 6. 1818 verbreitet wurden [ANLAGE 4 B].

 

Betrachtet man das Faksimile genau, dann bemerkt man, dass der Titel der Urkunde aus fünf grossen Buchstaben - A M G D O - besteht, welche als ein Akrostichon gedeutet wurden:

 

AD MAIOREM GLORIAM DEI OMNIPOTENTIS
(Zur grösseren Herrlichkeit (od. Ehre) des Allmächtigen Gottes)

 

Hinter den 5 grossen Buchstaben stehen aber keine Punkte, wie sie in jedem gedruckten Text der Urkunde zu sehen sind, sondern nach dem ersten, zweiten, dritten und vierten Buchstaben sind unverkennbar vier Mondphasen gezeichnet, welche den 5 grossen Buchstaben einen Sonnenwert zuerteilen.

 

In der kunstvoll abgefassten Urkunde werden 19 Städte genannt, aus denen 19 Deputierte nach Köln gekommen waren oder kommen sollten. Es ist möglich, dass die Zahl 19 mehr als zufällig ist. Die Lichtsymbolik des Titels verweist wohl auf Psalm 19:1:

 

DIE HIMMEL MACHEN DIE HERRLICHKEIT GOTTES BEKANNT

UND DAS FIRMAMENT DIE ARBEIT SEINER HÄNDE.

 

Es ist möglich, dass der Titel sich auch auf Apokalypse 19:1 bezieht:

 

SALUS ET GLORIA ET VIRTUS DEO NOSTRO EST [Vulgata];

 

was da weiter folgt, lässt sich leicht auf die schrecklichen kirchlichen und staatlichen Unterdrükkungen des Jahres 1535 anwenden. Wenn es tatsächlich die Absicht war, auf Apokalypse 19:1 hinzuweisen, dann sollte man das ganze Kapitel lesen, was die geistige Bruderschaft in Not sehr angesprochen haben muss.

Die Titelbuchstaben stellen also ein Akrostichon in lateinischer Sprache dar, dessen Text sowohl auf den hebräischen 19. Psalm und das 19. Kapitel des letzten Buches des (griechischen) Neuen Testamentes hinzudeuten scheint. [Wenn man die 5 Titelbuchstaben als Zahlen nimmt (nach dem griechischen Alphabet),erhält man: A = 1; M = 40 oder 4; G = 3; D = 4; O = 70 oder 7; 1+4+3+4+7 = 191.

 

Von der uralten frm. Bruderschaft - 'ancient' ist älter als 'old' - wurde das Kennen Gottes, symbolisiert durch das Kennen des unaussprechlichen Gottesnamens IHWH, als Kern der Lehre betrachtet.

Die 4 Buchstaben JHWH haben im hebräischen Alphabet den Zifferwert 72 (J = 10; JH= 10+5= 15; JHW= 10+5+6=21; JHWH= 10+5+6+5=26; 10+15+21+26= 72) und es ist merkwürdig, dass die Zahl der Zeilen der Urkunde eben 72 ist, wenn man zu den 69 Zeilen des Textes den Titel und die 2 Zeilen der Unterschriften zählt.

 

Die Urkunde bezieht sich, wie gesagt, auf Hebräisch, Griechisch und Latein. Die in Latein abgefasste Erklärung über die Absichten der Johannis-Bruderschaft - laut der Urkunde erst ab 1440: Freimaurer-Orden - ist in 13 (1+3 = Symbol der Dreieinigkeit der aus der Flut geretteten Menschheit? - Noah und seine drei Söhne) Abschnitte unterteilt, jede mit einem griechischen Buchstaben [A bis N] versehen, wobei - auffallend - in der 22. Zeile, genau in der Mitte der Zeile, folgend auf das Wort litteris, ein einziges Wort griechisch geschrieben ist:

 

καθολικαισ

 

Die Bedeutung ist wohl, dass das, was man für eine Urkunde hält, vom Verfasser als ein Brief an die ganze Welt gedacht war, weil die Bruderschaft der Menschheit seit Noah über die ganze Erde verbreitet war. Der alte Name der Freimaurer war ja bekanntlich NOACHIDAE, Söhne Noahs ["For they all agree in the 3 great Articles of NOAH, enough to preserve the Cement of the Lodge", James Anderson, Book of Constitutions 1738, S. 143/4].

 

Die 19 Deputierten, die die Urkunde unterschrieben, kamen aus 19 verschiedenen Städten Europas.

Wenn man auf der Europakarte zwei Linien zieht, von Edinburg nach Venedig und von Madrid nach Danzig, dann erhält man ein Andreaskreuz. Das Andreaskreuz ist das Kreuz der geistigen Bruderschaft. Die Deputierten mussten wohl absichtlich aus weit auseinanderliegenden Städten kommen, weil sie die NOCHIDAE zu vertreten hatten!

 

Es ist wahrscheinlich, dass die Urkunde im Hinblick auf die Kölner Zusammenkunft nur als ein Exemplar verfasst wurde (weitere Exemplare sind nicht zum Vorschein gekommen) und dass die 19 Städte im voraus hineingeschrieben wurden, obwohl nicht sicher war, ob ein Deputierter aus allen 19 Städten anwesend sein würde.

Nebenbei bemerkt: es ist durchaus möglich, dass die fragliche Beziehung zwischen Melanchthon und Danzig sich einfach aus der Wahl Danzigs als Endpunkt des ebenerwähnten Andreaskreuzes ergab!

 

Der Versammlungsort

 

Sie kamen wohl nach Köln, weil diese Stadt schon damals ein internationales Handelszentrum war. Die Versammlung fand wahrscheinlich am Rande eines Kongresses statt. Weil der Erzbischof Hermannus von Wied zum Vorsitzenden erwählt wurde, liegt es auf der Hand, dass die Versammlung in einem Saal seines Palastes stattfand. [Vielleicht lässt sich über diesen Palast oder einen anderen in Betracht kommenden Ort, noch etwas in kirchlichen oder städtischen Archiven ausgraben].

 

Der historische Rahmen der Kölner Urkunde

 

Das Jahr 1535 war wohl eins der finstersten Jahre in der Geschichte der Menschheit. Seit dem Jahre 1000 hatte jedes Jahrhundert seine schwarzen Seiten gehabt. Im 13. Jahrhundert gab es den Albigenser-Kreuzzug und den furchtbaren 'Holocaust' der Katharer und Waldenser in Südfrankreich; wer konnte, flüchtete, der fieberhafte Städtebau im Westen Europas versprach den zahllosen Flüchtenden eine neue Heimat. Vom Hass verfolgt, zogen die geistigen Brüder sich in 'innere Ringe' innerhalb der Stadtzünfte, später der Rhetorikerkammer usw. zurück - Sankt Katharina war die Schutzpatronin der Kammer, eine passende Schutzpatronin der Katharer. Sie pflegten ihre geistige Tradition als eine unsichtbare, namenlose Genossenschaft ("invisible society", "société anonyme") innerhalb der sichtbaren Katholischen Kirche und widmeten sich einzeln und zusammen der nützlichen, weltlichen Arbeit.

 

'Liebfrauenzünfte' entstanden Anfang des 14. Jahrhunderts, etwa gleichzeitig mit der brutalen Aufhebung des Templerordens durch den französischen König und den Papst zu Avignon, ein internationaler Skandal, der noch Jahrhunderte in der Fantasie des Volkes weiterwirken würde. [Mit 'Unsre Liebe Frau' wurde wahrscheinlich nicht Maria, sondern Sophia, die Weisheit, gemeint].

 

Die Macht des Klerus, des Mönchsstandes und der Fürsten nahm mit dem Bevölkerungszuwachs in den Städten immer mehr zu und am Ende des 15. Jahrhunderts stürzten die Mächtigen sich wieder einmal auf die Reichen: wer weiss nicht von der immensen Katastrophe der Ausweisung der unbekehrten Juden und Mauren aus Spanien (1492); die spanische Inquisition wurde beauftragt darauf zu achten, dass die conversos nicht heimlich ihre traditionellen Riten handhabten. Bald erhielt sie eine neue Aufgabe: die lutherischen Ketzer zu verfolgen.

 

Mit der Renaissance und dem Humanismus entstand gleichzeitig eine mächtige Bewegung zur Rettung und Erneuerung der antiken Kultur. Zentrum war die platonische Akademie in Florenz (Marsilio Ficino). Daran entzündete sich der sog. biblische Humanismus (John Colet, Thomas More, Desiderius Erasmus).

 

Erasmus' Bemühungen um die Pflege der bonae litterae und die Wahrung der Einheit einer innerlich reformierten Kirche scheiterten um 1530. Luthers Reformation und die Unnachgiebigkeit Roms waren auf eine Spaltung hinausgelaufen, aber die Trennung von Staat und Kirche wurde nicht erreicht: cuius regio, eius religio.

Es ist hier nicht der Platz, um die historischen Entwicklungen der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu erörtern. Es war ganz natürlich, dass allerhand Gerüchte und Vorwürfe die Runde machten, z. B. dass die Reformbewegung von den früheren Templern angefacht wurde. Jeder wusste um das Bestehen geheimer Bruderschaften. Und jeder war im Bilde über die Reichtümer der Kirche. In der Kölner Urkunde findet man einen Hinweis auf diese Gerüchte, der als Anlass genommen wurde, um das wahre Alter der Bruderschaft zu begründen.

 

Es ist hier auch nicht der Platz, um die gegensätzlichen Ansichten von Erasmus und Luther ausgiebig darzulegen. Es genügt darauf hinzuweisen, dass allzuleicht die Erasmianer mit den Lutheranern verfolgt werden konnten, weil sie die Reformation an sich gut hiessen, nicht aber die Art und Weise. Es muss aber betont werden, dass die Erasmianer abseits bleiben wollten im Kampf zwischen den Lutheranern und Rom und dass sie deshalb von beiden Parteien angegriffen wurden. Die Grundlagen ihrer Besinnung vermochten nur bei Leuten guten Willens Gehör zu finden. Ihre Anzahl war gering; die meisten waren in Kriegsstimmung und selbstredend war es damals völlig sinnlos, den Verleumdungen öffentlich entgegenzutreten.

 

Um so notwendiger erschien es, den international weit verbreiteten Logen und Kammern ein Manifest zukommen zu lassen, um deren Führer und Mitglieder und zukünftige Brüder gegen den inneren und äusseren Sturm zu stärken. Das war der Hauptzweck der sog. Urkunde. Sie stellt, überraschend schon für das 16. Jahrhundert, die Anwesenheit und den wahren Charakter der geheimen Johannis-Bruderschaft unter Beweis. Ohne deren frühes Bestehen wären ja das späte Auftauchen und schnelle Verbreiten der Logen im 18. Jahrhundert völlig unerklärlich!

 

Durch das Auftauchen der Kölner Urkunde im Jahre 1818 und die anfängliche Bestreitung der Echtheit wurden weitere historische Untersuchungen angeregt mit immer reicheren Ergebnissen, womit sich zukünftige Bestreiter der Echtheit noch auseinanderzusetzen haben. Der Ausschuss van Hall/ van Rappard suchte in den vaterländischen Geschichtsbüchern, fand aber wenig oder nichts. Dagegen bekam er aufschlussreiche Auskünfte aus Berlin. Die im Archiv des Ausschusses aufgefundenen Bemerkungen von Prof. Dr. J. J. Bellermann u. a. sind als ANLAGEN 20 A und B aufgenommen.

 

Die Unterzeichner der Kölner Urkunde

 

Nicht über alle Brüder, die die Urkunde unterschrieben haben, sind Auskünfte gefunden worden. In ANLAGE 21 sind alle Unterzeichner aufgeführt, mit den hauptsächlich von Br. A. C. Baron Snoeckaert van Schauburg 1838 zusammengetragenen Daten genealogischer oder historischer Art. (Sie wurden absichtlich nicht mit denen von Br. Bellermann vermischt, um die Quellen sauber auseinander zu halten).

 

Wie im Fall der Haager Loge 'Fredericks Vreedendall' von 1637 verstärken die im Laufe der Zeit bekannt gewordenen Einzelheiten über den historischen Rahmen der Versammlung von Köln von 1535 und die Mehrzahl der 19 Unterzeichner die wissenschaftlich berechtigte Vermutung der Echtheit der Urkunde. Erst nachdem dies festgestellt worden ist, kann man sich mit Erfolg den Bestreitern der Echtheit zuwenden.

 

 

VII - WERT DER URKUNDE, WENN SIE ECHT IST

 

Aber Br. Bobrik tat mehr als viele andere Bestreiter der Echtheit. Unter dem Titel dieses Abschnittes hat er die nachfolgenden Gedanken entwickelt: [a. a. O. S. 39 ff.]

 

"Der grösste Wert, den diese Urkunde im Falle der Echtheit hat, liegt in der genauen Bezeichnung des Zweckes der Freimaurerei. Nach Artikel A: "Die tugenderzeugenden Grundlehren der Christlichen Religion besser und reiner zu bewahren, sich denselben ganz zu weihen, damit sich auf solche Weise mehr und mehr das wahre Licht aus der Finstemiss erhebe, und dahin wirke, den Aberglauben zu bekämpfen, und durch zielgerechte Übung aller menschlichen Tugenden Friede und Wohlsein unter den Menschen fest zu begründen."

 

Der nächste Wert liegt in der genauen Bezeichnung der ursprünglichen Verfassung, eine aristokratisch-beschränkte Monarchie, ein Patriarch mit auserwählten Meistern zur Seite. Br:. Krause (im Hermes) nennt sie freilich nicht ohne Grund "eine hierarchisch-despotische Verfassung." [Diese Charakterisierung ist falsch!]

 

Der dritte Wert besteht in der geschichtlichen Nachweisung von dem Ursprung der Freimaurerbrüderschaft, dass sie aus jener Verbindung reiner und gebildeter Christen entstanden, die sich Johannisbrüder genannt, und erst später (1440) an die Baukorporationen angeschlossen haben.

 

Der vierte Wert findet sich darin, dass diese Urkunde, wenn sie echt ist, ein unerwartetes und erfreuliches Licht auf einen sonst dunkeln Zeitpunkt der Maurergeschichte wirft.

 

Der fünfte Wert liegt in der Nachweisung, welchen Einfluss die Maurerei auf das welthistorische Ereigniss der Reformation ausgeübt hat.

 

Je grösser nun durch diese Wertbestimmung die Bedeutung der Urkunde ist, desto sorgfältiger muss die Prüfung ihrer Echtheit angestellt werden."

 

Br. Bobrik war aber nicht vorurteilsfrei und sah nur eine Seite. Wie am Ende des vorigen Kapitels angeführt, genügt es nicht, die Echtheit der Kölner Urkunde sorgfältig zu prüfen, wenn man nicht gleichzeitig die gängige Theorie, dass die von der Werkmaurerei unabhängige Freimaurerei erst 1717 ins Leben gerufen wurde, in Frage stellt.

 

Während die englischen Autoren D. Knopp und G. P Jones in ihrem Buch The Genesis of Freemasonry, Manchester 1947, erwiesen, dass die speculative Freemasonry sich nicht aus der operative masonry fortentwickelt hat, liessen sie die Frage offen, ob sie nicht möglicherweise aus der operative masonry zum Vorschein gekommen sein könnte, nachdem sie sich darin mehrere Jahrhunderte lang auf dem Kontinent wie auf den Britischen Inseln, als inner circle verborgen gehalten hatte.

 

Dass diese Frage die fruchtbarere ist, wurde - ausgehend von Br. Ludwig Kellers erwähntem Artikel im Hohenzollern-Jahrbuch 1906 - in mehreren Artikeln des Autors in der niederländischen Zeitschrift LANDMERK dargelegt.

Hier soll auch auf Prof. Dr. August Wolfstiegs Die Allgemeine Entwicklung der Politischen, Geistigen, Sozialen und Wirtschaftlichen Verhältnisse vom XIII. bis zum XVIII. Jahrhundert usw. Kap. 7: 'Der Deismus in England und seine Geistesverwandten' 1920, hingewiesen werden, wo mit Begemann abgerechnet wird.

 

John Hamills Antrittsrede als Präsident der Quatuor Coronati Lodge No. 2066, London, 1986, Masonic history and its historians [AQC, Vol. 99, 1987,S. 1 ff.] scheint in dieser Hinsicht einen Wendepunkt im englischen Denken darzustellen. Nach seiner Meinung war Br. Harry Carr auf falschem Wege mit seiner Theorie, dass die spekulative Freimaurerei nach einer düsteren Übergangsperiode aus den operativen Baugenossenschaften Schottlands hervorgegangen ist. Er ist ebensowenig einverstanden mit der Theorie von Knoop und Jones, dass die spekulative Freimaurerei durch eine Art Mutation entstanden sei. Er regt zu einer neuen Untersuchung an und das ist schon bedeutungsvoll.

 

Jenen Daten wäre in den Archiven und besonders Hollands nachzuspüren, die auf das Bestehen vor der Reformation von 'inneren Ringen' innerhalb der Zünfte, Rhetorikerkammern usw. mit einer altherkömmlichen geistigen Tradition hindeuten, welche sich besonders unter den Adligen und den gebildeten Bürgern erhalten hat. Wie Anderson sagt [Book of Constitutions, 1723, S. 50], waren vordem die Masons eines jeweiligen Landes gehalten, "to be of the Religion of that Country or Nation, whatever it was", was auf die augsburgische Konfession (1530) hinzuweisen scheint.

 

Jedenfalls kann jetzt bei der inhaltlichen Beurteilung der Kölner Urkunde davon ausgegangen werden, dass die Freimaurer-Bruderschaft - als Johannis-Bruderschaft - schon viele Jahrhunderte eher über Europa verbreitet war, bevor sie kurz nach der Widerrufung des Toleranz-Ediktes von Nantes 1685 als ANCIENT FRATERNITY OF FREE AND ACCEPTED MASONS in London wiederauftauchte, um die Welt aufs neue segensreich zu erobern. Dass dabei die alte St. Pauls Lodge eine Rolle spielte, ist besonders hervorzuheben.

 

 

VIII - DER FREIMAURER-PATRIARCH

 

Wenn auf Grund obenangeführter Tatsachen und Argumente gefolgert werden kann, dass die Kölner Urkunde eher als ein echter Brief an die Bruderschaft zu betrachten sei, muss vorausgesetzt werden, dass ihre Verfassung nicht ohne Zustimmung des damaligen Patriarchen stattgefunden haben kann. Im Text wird bestätigt, dass der Brief vom Patriarchen selbst autorisiert worden ist. Deshalb muss zum Schluss die Frage gestellt und beantwortet werden, wer von den Unterzeichnern als der damals lebende Freimaurer-Patriarch verehrt wurde.

 

Merkwürdigerweise findet man nicht, dass die Bestreiter der Echtheit sich die Frage gestellt haben, welchen unsichtbaren/ sichtbaren Patriarchen der 'Falsarius' gemeint haben könnte: aber auch die Befürworter der Echtheit scheinen sich nicht an dieses Problem herangewagt zu haben. Es kommt nach der Meinung des Berichterstatters nur ein Mann in Betracht:

 

 

DESIDERIUS ERASMUS ROTERODAMUS,

der als König und Kaiser der damaligen Humanisten galt [Helmar Junghans, Die Reformation in Augenzeugenberichten, Düsseldorf 1967, S. 227].

 

Es erübrigt sich, hier ausführlich das Leben und Wirken des grossen Humanisten zu malen. Nach den neuesten Einsichten 1467 zu Rotterdam geboren, seit 1499 Freund von John Colet (1467-1519) und Thomas More (1478-1535) und von diesen für den christlichen (biblischen) Humanismus gewonnen, hat er wahrscheinlich 1510 massgeblich mitgewirkt an der Gründung von Colets Saint Pauls School, deren 'innerer Ring' die Saint Pauls Lodge gewesen sein muss.

 

Eine 1519 datierte Porträtmünze von Quinten Metsys lässt vermuten, dass Erasmus nach Colets Hinscheiden zum 'Patriarchen' ernannt wurde. Auf der Vorderseite der Münze sieht man Erasmus' Kopf. Auf der Kehrseite stehen am Rande Sprüche, die auf den Tod als das Ziel des "grossen" Lebens ("langen" ist hier sinnlos) deuten, und einen auf einem Felsen ruhenden Kubus mit dem Kopf eines jungen Mannes (JUVENTUS). Links und rechts vom Kopf die Wörter CONCEDO und NVLLI (Ich weiche keinem). Auf der Vorderseite des Kubus das Wort TERMINVS (engl. LANDMARK, dt. MARKSTEIN, ndl. LANDMERK), was auf den Grenzstein deuten soll, der bei dem Bau des Tempels von Jupiter Capitolinus zu Rom nicht auszurücken war und deshalb einfach in die Mauer des Tempels eingemauert wurde. [So Erasmus in einem 1528 (A. 2018) an Alfonso Valdes, den Sekretär von Karl V. gerichteten Brief - wohl eine Anspielung auf die geistige Bruderschaft, unausrottbar und Eckstein (Ps. 118-22) der unsichtbar/ sichtbaren Kirche].

 

Was hat Erasmus nicht alles für die Brüder und zur Verteidigung der unsichtbaren Bruderschaft geschrieben: Enchiriodion militis christiani, Antwerpen 1503; Stultitiae laus, Paris 1511; De ratione studii, Strassburg 1512; Institutio principis christiani, Basel 1516; Querela pacis, Basel 1517; Colloqia, Basel 1518; Antibarbari, Basel 1520; De libero arbitrio diatribe, Basel 1524; Hyperaspistes diatribae adversus servum arbitrium M. Lutheri, Basel 1526; Ciceronianus, Basel 1528; Vidua christiana, Basel 1529; de pueris statim ac liberaliter instituendis, Basel 1529; De civilitate morum puerilium libellus, Basel 1530; Explanatio symboli quod apostolorum dicitur, 1533; De sarcienda ecclesiae coincordia, Basel 1533; De preparatione ad mortem liber, Basel 1534 - um nur diese zu nennen.

 

Nicht ohne Grund nannten seine Bewunderer ihn: TER MAXIMUS (mit Anspielung auf den Hermes Trismegisthos), aber er soll dies abgelehnt und sich lieber TER MINUS (den dreifach Geringeren) genannt haben.

 

Erasmus lebte noch, als die Versammlung 1535 stattfand; man wird ihn über den Ablauf sofort informiert haben, denn der kränkliche Mann, der tief besorgt war wegen der Hinrichtung seiner englischen Freunde More und Fisher und wegen der furchtbaren - und von ihm sehr gefürchteten - Reaktion auf die Reformation Luthers, neigte seinem Ende zu. Die ihn persönlich kannten, bangten schon lange um sein Leben, und was geschehen würde, wenn Europas Licht nicht länger mit der ihn kennzeichnenden Freimütigkeit und Mässigung die finsteren Mächte der Zeit würde beschwören können.

 

Seine beiden Bücher vom Jahre 1533 (Explanatio symboli bzw. De sarciena ecclesiae concordia) kreisten um die beiden in der Kölner Urkunde zentral stehenden Lektionen der Freimaurerei: Liebe Deine Nächsten wie Deine Brüder und Verwandten [geistige Bruderschaft] und Gib Gott was Gottes und dem Kaiser was des Kaisers ist [Trennung von Kirche und Staat!].

 

Die über die ganze zivilisierte Welt verbreitete geistige Bruderschaft sah er als die 'heilige' (daher 'unsichtbare'), die wahrhaft 'katholische' Kirche, wie denn auch, laut den englischen OLD CHARGES, die Brüder verpflichtet wurden auf die HOLY (CATHOLIC) CHURCH.

 

Am Ende seines Buches De sarcienda zitiert er den Dichter Horaz [Carm III, 4, 65]: "Vis consilii expers mole ruit sua" [Macht ohne Einsicht stürzt durch ihr eigenes Gewicht zu Boden]. Aber hoffnungsvoll fügt er hinzu: "vim temperatam dii quoque provehunt in maius" [aber auch tragen die Götter beherrschte Kraft zu grösseren Höhen empor] und er folgert: "Deshalb, wenn wir darangehen mit massvollem Rat und ruhigen Geistes, den Frieden in der Kirche wiederherzustellen, wird das, was Jesaja (32:28) prophezeit hat, gewiss in Erfüllung gehen: "Et sedebit populus meus in pulchritudine pacis, et in tabernaculis fiduciae, et in requie opulenta" [Dann wird mein Volk auf friedlichen Auen siedeln, und in sicheren Wohnstätten und in sorglosen Ruheplätzen] - wobei zu bemerken ist, dass im Kölner Brief "tabernacula" für Hütten (Logen) gebraucht wird.

 

Und er beschliesst mit den Worten des 84. Psalms: "Lasst uns sagen, wenn wir miteinander froh sind: Quam amabilia tabernacula tua, Domine virtutum" [Wie freundlich sind, O Herr der Mächte, Deine Hütten] - womit der Patriarch die Logen meinte, wo Frieden, Freundschaft und Bruderliebe herrschen. Und wenn einer den Anfang eines Psalms zitiert, ist es, um den ganzen Psalm in Erinnerung zu rufen, der endet mit den Worten: "Selig ist wer auf Dich vertraut!" - wobei bedacht werden muss, dass "I trust in God" als eins der wichtigsten "Landmarks" der engt. Freimaurerei gilt.

 

Br. Bellermann hat bemerkt, dass Melanchthon 1536 sehr deprimiert war und meinte, dass M. an der Sache der geistigen Bruderschaft gezweifelt haben muss. Wahrscheinlicher ist, dass M. untröstlich war wegen des Hinscheidens (am 12.7. 1536) des Patriarchen - so George Faludy, Erasmus von Rotterdam, Frankfurt a/ M 1973, S. 247.

 

Aber, wenn die traditionell so genannte Kölner Urkunde gar keine Urkunde im eigentlichen Sinne war - und deshalb nicht nach den Massstäben der diplomatischen Urkundenlehre zu beurteilen sei -, sondern ein einmaliger Brief mit einer Botschaft seitens des Patriarchen selbst an die Brüder, Glieder der die ganze Welt umfassenden Bruderkette, dann wäre es unverständlich, wenn dieser kunstvolle Renaissance-Brief nicht auch irgendwie den Namen dieses Patriarchen findbar verborgen hätte. Der Brief wollte wohl nicht nur alle damals lebenden und zukünftigen Johannes-Brüder auf die Botschaft der uralten geistigen Bruderschaft verpflichten, sondern auch die Ehrfurcht der Bruderschaft vor dem unsichtbaren/ sichtbaren Patriarchen zum Ausdruck bringen.

 

Wer ein Auge dafür hat - und wir dürfen ruhig annehmen, dass der kundige Verfasser ein Auge dafür gehabt hat -, wird sich vergegenwärtigen, dass in der für den Kölner Brief gebrauchten "Noachitischen Chiffre" der Buchstabe E das innere Viereck besetzt.

 

 

SCHLUSSWORT

 

Das englische Autorenehepaar Douglas Knoop und G. P. Jones betonten in ihrem berühmt gewordenen Buch The Genesis of Freemasonry, Manchester 1947 (dt. Übersetzung QC e. V. Bayreuth 1968), dass ihre Schlussfolgerungen reine Versuche seien, die auf dem gegenwärtig verfügbaren Beweismaterial beruhen. Ausdrücklich haben sie erklärt, dass, solange nicht noch viel mehr Beweismaterial vorhanden sei, keine Rede sein kann von der Abfassung einer endgültigen Geschichte der Freimaurerei, wie sie Dr. Wilhelm Begemann versuchte. Übrigens untersuchten sie nur die englischen und schottischen Baugesellschaften und gingen davon aus, dass es sinnlos war, sich mit den kontinentalen zu befassen, weil die britischen sich nun einmal unabhängig davon entwickelt hätten.

 

Die Kölner Urkunde liefert den Beweis, dass die Geschichte der spekulativen Freimaurerei einen Hintergrund hat von eher Jahrtausenden als Jahrhunderten und dass die geistige Bruderschaft im 16. Jahrhundert über die ganze zivilisierte Welt verbreitet war. Die Urkunde kann, nachdem sie lange Zeit als unecht beiseite gelegt worden war, sehr wohl zum Eckstein für eine neue Geschichtsauffassung werden.

Die vor mehr als 150 Jahren von Br. Prof. Dr. Bellermann herangetragenen Argumente untermauern die These, dass die Freimaurerei sich nicht aus der mittelalterlichen Werkmaurerei fortentwickelt hat, sondern dass die Brüder in den Zünften und Kammern 'innere Ringe' bildeten, welche im Laufe der Zeit, als die äusseren Ringe zerfielen, ans Licht treten mussten. Br. Dr. Ludwig Keller hat darauf in seinen wertvollen Monatsheften der Comenius-Gesellschaft hingewiesen.

 

Dass mit dem in der Urkunde angedeuteten Patriarchen tatsächlich Erasmus gemeint war, wird unterstützt von Kellers Vermutung, dass die niederländischen Rhetorikerkammern deshalb 1567 vom Statthalter Herzog von Alba geschlossen wurden, weil ihre inneren Ringe frm. Logen waren. Die Erasmianer wurden schon seit 1530 in Spanien von der Inquisition verfolgt (siehe Marcel Bataillon, Erasme et l'Espagne, Paris 1937, Kapitel IX, Persécution des érasmistes S. 467-539; Fr. Heer, Die Dritte Kraft, 1965; J. H. Elliott, Imperial Spain, 1496 -1716, 1963). Die 1559 beschlossene Neueinteilung der Bistümer in den Niederlanden diente tatsächlich zur Vorbereitung der Verfolgung der Erasmianer in den Niederlanden selbst. Der Aufstand der Niederlande unter der Führung von Wilhelm von Oranien war notwendig, weil sonst die Inquisition unter dem Adel und den Bürgern, Brüdern der geistigen Bruderschaft, ein wahres Blutbad angerichtet hätte.

Der Patriarch hatte dies vorausgesehen. Er hat die Kölner Urkunde veranlasst!

 


Return to Top

Home

E-Mail



Logo Dr. phil. Roland Müller, Switzerland / Copyright © by Mueller Science 2001-2016 / All rights reserved

Webmaster by best4web.ch