Home Christian Braun: Zur Sprache der Freimaurerei (2004)

 

Christian Braun: Zur Sprache der Freimaurerei. Eine textsortenspezifische und lexikalisch-semantische Untersuchung. Berliner Sprachwissenschaftliche Studien, Band 5. Berlin: Weidler Buchverlag 2004, 584 Seiten.

 

 

„.... Aber diese trennenden Bemühungen, immer und immer fortgesetzt, bringen auch manchen Nachteil hervor. Das Lebendige ist zwar in Elemente zerlegt, aber man kann es aus diesen nicht wieder zusammenstellen und beleben.“

Johann Wolfgang von Goethe, Ideen über organische Bildung, 1806-07

 

 

Eine nutzlose Fleissarbeit

 

Es ist erstaunlich, wie viele Seiten man füllen kann, wenn man von einer Sache nichts versteht. Schade für den immensen Aufwand!

Christian Braun arbeitete von 1999 bis 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie an der Freien Universität Berlin und legte dann eine fast 600seitige Dissertation „Zur Sprache der Freimaurerei“ vor. Sie zerfällt in zwei Teile: eine Geschichte der Freimaurerei und sprachliche Untersuchungen von uralten freimaurerischen Ritualen und neuen Katechismen.

 

80 Seiten: Geschichte der Freimaurerei

 

Für die Darstellung der Geschichte (22-102) stützt sich Braun hauptsächlich auf das Standardwerk von Douglas Knoop und G. P. Jones „Die Genesis der Freimaurerei“ (1968; engl. 1948). Dennoch berichtet er wenig über die Freimaurerei in England und Schottland, dafür viel zu detailliert über Frankreich und Deutschland und die Hochgrade. Ein Verweis auf das „Internationale Freimaurer-Lexikon“ von Eugen Lennhoff und Oskar Posner (1932) hätte genügt.

 

40 Seiten: „Corpus und Materialgrundlage“

 

Naheliegenderweise beschränkt sich Braun auf deutsche Rituale und Katechismen. Als Textgrundlage dient ihm dreierlei:

1) Prichards Verräterschrift von 1730 und mehrere Hochgradrituale samt der Strikten Observanz aus der 26bändigen Ritualsammlung, welche Friedrich Ludwig Schröder 1805-1816 zusammengestellt hat;

2) die drei Schröderschen Rituale der Johannisgrade (von 1801), wie sie heute noch in der Hamburger Loge  „Absalom zu den drei Nesseln“ praktiziert werden; und

3) die drei Katechismen der „Grossloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland“ (A.F.u.A.M.v.D.) von 1984/85. Diese neuen Katechismen basieren auf den alten Katechismen von Robert Fischer, der selbst wiederum auf den Schröderschen Katechismen aufbaute, jedoch auch Katechismen anderer Quellen heranzog (165).

 

Die Auswahl ist also recht heterogen. Auffällig ist die Berücksichtigung vieler Hochgrade aus dem 18. Jahrhundert (z. B. der „Royale Arche“, 1743, der „Chevalier Rosecroix“, der „Chevalier de l’Occident“, der „Ritus von Heredon“), des Rituals aus der Verräterschrift von Prichard (1730) und das gesamte System der Strikten Observanz (1764).

 

Die drei Gruppen von Texten werden nun in einem grässlichen Fachchinesisch nach Form und Inhalt untersucht.

 

150 Seiten: Die Form

 

Die Untersuchung der Form heisst „textsortenspezifische Analyse“. Sie führt auf 150 Seiten (146-293) zur grundstürzenden Erkenntnis, dass es sich bei Ritualen um Rituale und bei Katechismen und Katechismen handelt. Das Ritual ist gegliedert in Kapitel; der Katechismus besteht ausschliesslich aus „Frage-Antwort-Sequenzen“, wobei jede dieser Sequenzen „aus einem Frageteil und einem auf diesen Bezug nehmenden Antwortteil besteht“ (251, 555). Ja, noch mehr: Die Textsorten Freimaurer-Ritual und Freimaurer-Katechismus sind „in einen externen Kommunikationsrahmen eingebettet, der im Umfeld der Freimaurerei anzusiedeln ist“ (290, 292). Und: „Die Funktion aller Textexemplare ist die Vermittlung eines bestimmten, wie auch immer gearteten freimaurerischen Weltbilds. Damit verbunden ist eine dezidiert didaktisch-moralische Wirkabsicht. Bei beiden Textsorten kann man somit von einem spezifischen Lehrcharakter  sprechen“ (178; auch 291).

„Für beide Textsorten kann eine grosse diachrone Beständigkeit festgestellt werden“ (556).

 

Als Korrektur anzubringen wäre folgendes: Auch wenn die deutsche Übersetzung von Prichards Verräterschrift mit „Catechismus“ (200) überschrieben ist, dürfte es sich vom Inhalt her gesehen eher um die etwas holprige Wiedergabe der wichtigsten Teile eines Rituals um 1730 handeln. Im übrigen gibt es davon mehrere Übersetzungen (mit dazugehörigen Kommentaren), die im Wortlaut durchaus voneinander abweichen.

 

260 Seiten: Der Inhalt

 

Die Untersuchung des Inhalts läuft unter dem Titel „lexikalisch-semantische Analyse“. Braun versucht vorerst (295-322) eine klärende Auseinandersetzung mit den Termini Allegorese und Allegorie, Metapher und Metaphernkomplex sowie Symbol. Erst jetzt, nach der Hälfte des Buches, erfolgt auf etwa 230 Seiten die Auswertung. Worin besteht sie? Braun klopft die erwähnten Texte in drei Schritten auf Schlüsselwörter ab. Er gibt zuerst eine knappe inhaltliche Zusammenfassung des Textbereiches, in welchem das Schlüsselwort vorkommt, und analysiert hernach die darin vorkommenden „Symbolphänomene“, Metaphernphänomene und Satzgliedmetaphern, Kohyponyme und Metonyme, normativen Deskriptionen, Präskriptionen, usw. Hierauf bietet er Belegsätze, also wörtliche Textstellen im Umfang von einer bis etwa einem Dutzend Zeilen (in einigen Fällen noch mehr). Das ist am Anfang ganz interessant, wird aber im Laufe der Zeit furchtbar eintönig.

Die Schlüsselwörter sind:

  • Bibel/ Buch des Heiligen Gesetzes
  • Freimaurer/ Maurer
  • Freimaurerei/ Maurerei (Mry)
  • Licht
  • Loge
  • Säule/ Pfeiler
  • Stein
  • Tempel
  • Winkel/ Winkelmass
  • Zirkel.

 

Ergebnisse

 

Was bringt die Gesamtauswertung (548-554)? Nichts Neues:

1)     Es gibt in der Freimaurerei viele Symbolphänomene, aber auch allegorische Textstellen, Vergleiche und Metaphern. Aber noch mehr. Braun meint selbstbewusst: „Dass darüber hinaus die in dieser Arbeit unter den Termini ‚normative Deskription’ und ‚Präskription’ behandelten Phänomene für die Bedeutungskonstitution und Sachbeschreibung eine zentrale Rolle spielen, wurde bisher noch nicht benannt. Gerade sie sind aber bei der Vermittlung des freimaurerischen Verhaltenskodex sowie der Vorstellung, was ‚Freimaurerei’ ist bzw. was ‚Freimaurer sein’ heisst, wesentlich“ (550).

2)     „Lexeme wie ‚Stein’, ‚Winkel’ und ‚Zirkel’ waren auch vor dem Auftreten des Phänomens ‚Freimaurerei’ in der deutschen Sprache vorhanden. Die spezifisch freimaurerische Bedeutung ist hier eine Zusatzbedeutung. Die Art, wie diese ... installiert wird, kann allerdings als spezifisch freimaurerisch bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die freimaurerische Sprache für die betroffenen Lexeme in der Tat zusätzliche Bedeutungen konstituiert und nicht die ursprüngliche Bedeutung durch neue verdrängt“ (550).

3)     Diese Zusatzbedeutungen sind nicht in allen Ritualen gleich. „Dem aktiven Freimaurer erschliesst sich also die freimaurerische Gedankenwelt nicht zur Gänze, sondern nur im Umfang seines jeweiligen Systems“ (551), das heisst, wer heute nach dem Schröderschen System arbeitet, weiss damit noch nichts über die die Symbole bei der Strikten Observanz oder beim Grad des „Chevalier Rosecroix“.

4)     Gemeinsame Elemente der diversen Freimaurersysteme sind die „werkmaurerische Ebene“ und die Licht-Thematik. Letztere hat eine esoterisch-initiatorische wie auch eine rationale Komponente.

5)     „Bei aller gebotenen Vorsicht vor einer Überinterpretation des Materials lässt sich durch das dominante Auftreten der werkmaurerischen Thematik eine Bestätigung der These von der Herkunft der Freimaurerei aus dem Werkmaurertum ableiten“ (553).

 

Von Interesse ist einzig die folgende „Schlussfolgerung“ von Braun:

„Die in der heutigen freimaurerischen Historiographie so häufig verbreitete These, nach der die Schrödersche Ritualreform nach Jahrzehnten des Niedergangs und der Auswüchse eine Rückbesinnung auf die englischen Wurzeln darstellt und nach der somit die heutige Freimaurerei die Fortführung der ursprünglichen und ‚wahren’ Freimaurerei ist, kann nicht bestätigt werden ... Die inhaltliche Ausfüllung dieser drei <d. h. der bei Prichard vorhandenen> Grade geschieht bei Schröder ... keineswegs nach altem englischem Vorbild. Vielmehr wird hier von den deutschen Reformern zu Beginn des 19. Jahrhundert eine massive inhaltliche Vertiefung unter aufklärerisch-humanistischem Aspekt geleistet“ (553-554; ähnl. 557-558).

 

Fazit

 

Es handelt sich bei dieser Dissertation von Christian Braun um eine äusserst nüchterne, sehr sorgfältige und um höchste Präzision bemühte, aber leider völlig unnütze Fleissarbeit.

 

Die Unbrauchbarkeit diese Arbeit ist allerdings keineswegs nur dem Doktoranden Braun anzulasten. Es sieht vielmehr aus, als hätte sich die Germanistik in den letzten Jahrzehnten in Richtung auf eine Wissenschaft entwickelt, welche an der Oberfläche von Texten haften bleibt, rein formalistische Wortklauberei betreibt und nur schon auf den Versuch eines Verständnisses ihres Gegenstands verzichtet. Ein sogenanntes „Corpus“ wird in tausend Einzelteile zerstückelt und hernach in parallelen Strecken einer linearen Reihenfolge fein säuberlich aufgereiht.

Durch diese Arbeitsweise ist es weder möglich, Zusammenhänge zu entdecken noch  darzustellen. Und gerade bei einem so brisanten Thema wie „Freimaurerei“ wären interessierte Laien wie Wissenschafter für die Herausschälung von Zusammenhängen dankbar.

 



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