Home Die Freimaurerei als

                     „körperlich fundierte Praktik zur Einübung moralischer Verhaltensweisen“

 

 

Kristiane Hasselmann: Die Rituale der Freimaurer. Zur Konstitution eines bürgerlichen Habitus im England des 18. Jahrhunderts.

Diss. FU Berlin 2005; Bielefeld: transcript Verlag 2009.

 

 

Bereits im Jahre 2000 hat sich Kristiane Hasselmann in ihrer Magisterarbeit an der Humboldt-Universität Berlin dem Ritual der Freimaurer gewidmet: „Identität – Verwandlung – Darstellung. Das Freimaurer-Ritual als Cultural Performance“ (Innsbruck: Studienverlag 2002, 104 Seiten).

Nun ist also, vier Jahre nach ihrem Abschluss, ihre leicht revidierte 371seitige Dissertation als Buch herausgekommen.

 

 

Riesige Sprünge von 1200 bis 1818

 

Was hier vorliegt, ist zwar im Fach Theaterwissenschaft angesiedelt, aber eher ein geschwätziges Geschichtsbuch. Die Rituale der Freimaurer werden nur in einem kleinen Teil behandelt (149-191; 227-235).

 

Die Autorin versucht, die Entstehung der Freimaurerei im Mittelalter sowie die Herausbildung der modernen Freimaurerei in der Aufklärungszeit aus den damaligen Zeitumständen zu erklären. Beides misslingt.

 

Zweimal behauptet Frau Hasselmann: „Bereits seit dem 13. Jahrhundert suchen einzelne nicht-operative Mitglieder Aufnahme in die operative Steinmetzenzunft, sogenannte  Masons of Redemption, die sich aus Interesse an den spekulativen Schichten der Freimaurerei in die Gemeinschaft einkaufen“ (52). An einer anderen Stelle behauptet sie gar, dass sich seit dem 13. Jahrhundert „gebildete Gentlemen, die nicht dem operativen Handwerk angehörten, darunter Kenner mystischer Renaissancetexte“ als „Accepted Masons“ in die London Company hätten aufnehmen lassen, „um ihren mystischen Interessen nachzugehen“ (193).

 

Selbstverständlich erwähnt die Autorin als älteste erhaltene Konstitutionsmanuskripte das Regius- und Cooke-Manuskript, die sie beide auf 1425 datiert.

„Die Manuskripte liefern eine herkunftsmythische Begründung des Versammlungsrechts der Handwerkszunft der Steinmetze und können als eine Reaktion auf eine parlamentarische Verfügung des gleichen Jahres gelesen werden, die Versammlungen zur Forderung von Lohnerhöhungen unterbinden soll. Der Arbeitskräftemangel nach der Pestepidemie [1349-53] sorgt in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in London für starke Lohnanstiege im Baugewerbe, die man von staatlicher Seite einzudämmen suchte“ (42).

 

Sie macht dann aber sofort einen Sprung über mehr als 250 Jahre und erwähnt, dass die „Society of Free-Masons“ ab 1680 Erwähnung in Publikationen findet (52f).

„Die Wandlung der Zunftgemeinschaft der Steinmetzen seit den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts in einen Zusammenschluss von Gentlemen, die als Geschäftsleute eigene distinktiv bürgerliche Werte und Haltungen äussern und gesellschaftlich durchzusetzen beabsichtigen, ist eng mit den einschneidenden sozio-ökonomischen Umbrüchen in England und dem Wandel von einer postfeudalen, agrarisch geprägten Nation in eine pre-industrielle, von frühkapitalistischen Marktverhältnissen bestimmte Gesellschaft verbunden. Besitzindividualismus und spezifische Freiheitsrechte, wie die freie Interessenbestimmung und Bindungsaufnahme, sind die neuen sozialen Prämissen einer sich ausbildenden liberal-demokratischen Gesellschaft und konsumorientierten Commercial Society“ (87; vgl. 22f, 76f, 107f, 206).

 

Anderswo heisst es kürzer: Weil die Masons‘ Company in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert als Kontrollinstanz des Bauhandwerks immer mehr an Bedeutung verlor, begann sie interessierte, finanziell wohl situierte und gebildete gebildete „Gentlemen“ aufzunehmen (112, 193; vgl. 49, 53, 108).

 

 

Lücken über Jahrhunderte

 

Was in den Jahrhunderten von 1200 bis 1425 und hernach in den 250 Jahren bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts passiert ist, findet bei Frau Hasselmann keine Erwähnung. Sie macht es sich leicht, indem sie einfach verkündet:

„Der historische Übergang von ‚operativer‘ zu ‚spekulativer‘ Freimaurerei ist ein Ende des vorletzten Jahrhunderts … aufgestelltes Paradigma, welches sich, obwohl mittlerweile grundlegend veraltet, hartnäckig bis in die heutige Zeit hält“ (212; ähnl. 40f).

 

Freimaurerische Fachliteratur nicht ernst genommen

 

Schade, dass sie weder die „alten“ Schriften von Wilhelm Begemann (1909-14) und Knoop/ Jones (1938-48) noch die neueren von Harry Carr (1968; 1984), John M. Hamill (1986) und David Stevenson (1988) ernst nimmt.

 

Die Dissertation von Kristiane Hasselmann basiert weitgehend auf der Hauptthese, „das Wesen der Freimaurerei sei in besonderer Weise von körperlich fundierten Praktiken zur Einübung moralischer Verhaltensweisen geprägt“ (18). Den Beginn dieser Einübung sieht sie bereits in der Zeit des Handwerks (41-43, 51-52, 215, 276, 339) resp. in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Damit setzt sie sich in Gegensatz zum Heidelberger Freimaurerforscher Jan Snoek, der in seinen Ritualstudien (z. B. 2004) zum Schluss gelangt ist, „dass erst die revidierte Hiramische Fassung des dritten Grades aus dem Jahre 1816 das Ritual moralisch wendet“ (188). Die Autorin behauptet demgegenüber keck: „Moralisierende Intentionen sind auch der temporären rituellen unio mystica der Hiramischen Originalfassung ... [um 1725/30] nicht abzusprechen – und so will Snoek seine These auch nicht verstanden wissen“ (189).

 

 

Die Freimaurerei als Vehikel einer modernen Reformation of Manners

 

Als Gegengewicht zu der um 1700 entstehenden „Commercial Society“ bot die moderne Freimaurerei eine „Reformation of Manners“ (z. B. 21-24; 53-55; 86-89; 107-110; 126¸ 276, 339). Dabei ist bemerkenswert:

„Der kulturelle Hintergrund, vor welchem sich die Freimaurerei zum Vehikel einer modernen Reformation of Manners transformiert, ist zweifelsohne ein genuin christlicher. Im Zuge divergierender religiöser Entwürfe und Glaubenskonzepte wird dieser christliche Grund jedoch zusehends problematisch. Die neuen Konstitutionen der Gentleman Masons aus der Feder James Andersons übernehmen als abstrakte theologische Grösse den Buchstaben ‚G‘, der bereits von der Steinmetzenzunft als Symbol christlicher Gottheit angerufen wurde, machen jedoch Zugeständnisse gegenüber den verschiedenen Erscheinungsformen christlichen Glaubens, die sie als Form der Meinungsfreiheit tolerieren“ (48; vgl. 275).

Das bedeutet:

„Der Freimaurerei geht es nicht … um die Positionierung innerhalb eines Feldes widerstreitender Glaubenssysteme, sondern um die Durchsetzung einer spezifisch freimaurerischen Ethik christlicher Prägung, die nur in Anbindung an einen bzw. über die Identifikation mit einem Schöpfergott zu denken ist“ (50).
„Das Augenmerk gilt dabei zunehmend der konkreten Um- und Übersetzung ethischer Vorstellungen in eingefleischte Verhaltensweisen und den dafür notwendigen normativen Interventionsformen“ (55; ähnl. 149).

 

 

Das maurerische Ritual im „heterotypischen Raum“

 

Für die Darstellung und Analyse der frühen freimaurerischen Rituale stützt sich die Autorin auf Samuel Prichards „Masonry Dissected“ (1730) sowie auf die anonyme Kompilation „L’Ordre des Francs-Maçons Trahi“ (1745). Sie meint, diese und viele andere sogenannte „Verräterschriften“ seien authentische Ritualpublikationen, allerdings „in einem typisch britischen Doppelspiel als vermeintlich unrechtmässige Enthüllungsschriften“ getarnt (157; vgl. 154f, 274).

 

Was ist die Funktion von maurerischen Ritualen?

„Die Rituale öffnen Immersionsräume, in denen aussergewöhnliche Erfahrungen gemacht werden können. Das Eintauchen in diesen heterotypischen Raum ist sowohl von der ihnen eigenen Suggestivkraft und mystischen Legitimation als auch von der subjektiven Akzeptanz und emotionalen Involviertheit seiner Teilnehmer abhängig.
… Das Ritual und seine Symbole eröffnen Assoziations- und Imaginationsräume, die der Adept selbständig füllt“ (165).

 

Wichtig ist die Abgeschiedenheit und „Gegenplatzierung“ zum Profanen. Daher wird etwa mit der Arbeit am Mittag begonnen und „High Twelve“ aufgehört. Mit dieser rituellen Zeit öffnet die Bruderschaft „einen eigenen, temporären Erfahrungsraum in realen öffentlichen Räumen … oder in eigens für sie entworfenen und errichteten Versammlungsstätten“ (163).

Zentraler Referenzpunkt der rituellen Arbeit ist der Tapis. „Als universalisierende Hetertopie eröffnet die Arbeitstafel eine alternative Entität, die sich zwar in realen Räumen niederlässt, als mobile und flüchtige Einrichtung diesen aber niemals die gleiche symbolische Vollkommenheit zuerkennt“ (169).

 

Die „Beförderung zum Maurermeister“ (177) ist in die Form eines poetischen Dramas gekleidet.

„Der rituelle Vorgang ist von der Vorstellung einer Aneignung neuer mystischer Kräfte über die unio mystica geleitet. Dem Initianden wird im Ritual die Rolle Hirams, des Architekten des Salomonischen Tempels, zugewiesen, welcher, so steht es in der Heiligen Schrift geschrieben, Gott selbst ist …Die mystische Gleichsetzung von Adept und Gott soll eine Veränderung im Initianden in Gang setzen, die über die Körperdarstellung eingeleitet und kommuniziert wird.
Im Ritual des Meistergrades stirbt die alte Identität des Gesellen und ihm werden über seine Identifikation mit Gott der Status, die Rechte und Pflichten eines Maurermeisters übertragen“ (185; ähnl. 188f).

 

 

Hedonistische Gemeinschaftsrituale erfordern Erklärungen

 

Grosses Gewicht legt die Autorin auf die Darstellung „hedonistischer Gemeinschaftsrituale“ (172f, 237-248), denn sie beeinflussen das Bild, das die Öffentlichkeit von den Freimaurern hat, nämlich

„das Bild einer elitären Hüterin mystischen Wissens und zugleich hedonistischen Ess- und Trinkgemeinschaft – eine aus kleinbürgerlicher Sicht höchst widersprüchliche Kombination. Festessen, der ausgiebige Konsum von Alkohol und Tabak scheinen dem Gebot der moralischen Selbstregulierung und der propagierten Distanz zu den eigenen Leidenschaften zunächst zu widersprechen, denn es findet keine Sublimierung realer Genüsse durch ihre Ritualisierung und Zeremonialisierung statt. Es wird real und in grossen Mengen konsumiert.
Erst zum Ende des 18. Jahrhunderts werden rituelle Arbeit (work) und geselliges Beisammensein (refreshment) zeitlich und räumlich getrennt. Als hedonistische Gemeinschaftsrituale festigen das anschliessende gemeinschaftliche Mahl, das gemeinsame Rauchen und Trinken die Bindung der Mitglieder untereinander. In diesen Tätigkeiten stellt sich der private und vertrauliche Rahmen ihrer Zusammenkünfte her und sie generieren – so unvereinbar es auf den ersten Blick auch erscheinen mag – nicht zuletzt die Basis für die Sublimierungsarbeit“ (272).

 

Daher brauchte es eine Rechtfertigung, welche die Freimaurerei in zahlreichen „erklärenden“ Publikationen bot. Die Autorin bespricht davon eingehend das Leland-Locke-Manuskript von 1753 (33-40) und weitere Schriften des Aufklärungsphilosophen (61-76, 144-146, 219-227; vgl. 21f, 28-31) sowie die 1797 aus der Feder eines Rechtsanwalts erschienenen „Masonicus“-Aufsätze (276-.290; 295-329), welche „das Locke’sche Konzept eines im forensischen Licht des sozialen Verkehrs konstituierten Selbst indirekt weiter“ ausführen (30):

Eine weitere „Operationalisierung moralphilosophischer Ansätze“ bot der Philosoph John Toland in seiner „Beschreibung der esoterischen Lehre eines philosophischen Bundes Sokratischer Brüder“ unter dem Titel „Pantheisticon“ (1720) (308-319).

 

 

Fazit

 

Das umfangreiche Werk lässt einen strengen Aufbau vermissen, und die Autorin verliert sich in viele Exkurse. Manche historischen Behauptungen und Bezüge überzeugen nicht.

Die akademisch gestelzte, mit Fremdwörtern und Leseblüten gespickte Sprache macht die Lektüre mühsam. Bedauerlich ist auch, dass das reichhaltige Literaturverzeichnis nicht durch ein Sach- und Namenregister ergänzt wurde.

 


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