Abb. 36: Kannibalismus?

Mögliche Ursachen für Schädeldeponien, erweiterte Hinterhauptslöcher (EHhl)

a)     nicht-menschliche Ursachen

 

Faunistik, Taphonomie

Greuelmärchen

Lewis Binford, C. K. Ho 1985:

Knochen= Überreste von Mahlzeiten fleischfressender Tiere

Franz Weidenreich 1943: ebenso

W. Arens 1979:

Self-fulfilling prophecy:

Weil die Naturvölker Kannibalen sind, müssen auch die Frühmenschen Kannibalen gewesen sein

b)     menschliche Ursachen

 

[vorsichtig, neutral]

rituelle/ psychologische

Hermann Müller-Karpe 1974:

Schädel besonders behandelt und bewertet

Ashley Montagu 1976:

EHhl: Schädel in intakter Form sauber aufzubewahren; z. B. als Erinnerung an den Verstorbenen

Reay Tannahill 1975:

EHhl: Schädel reinigen und feierlich aufstellen; eventuell symbolische Vorsteherschaft

Reay Tannahill 1975:

Lebensessenzen eines Stammes zurückführen; Euthanasie von Alten: damit die Seele davonfliegen kann

Jacques Attali 1979:

Träger der Seele verzehren, damit diese nicht zurückkehren kann

Eikle Winkler, Josef Schweikhardt 1982:

Schädel als "Kern", in den die Seele zurückkehren kann

Yves Coppens 1983:

Gehirn geopfert: Gesicht zerstört, eventuell, um Ebenbild des Verstorbenen auszulöschen

Erhard Oeser 1987:

Zeremonieller Kannibalismus im Rahmen einer rituellen Beisetzung

[Analogie zu Primaten]

 

Friedhart Klix 1980:

Schimpansen erschlagen verwandte Arten, und das Hirn ist ihr Leckerbissen

Eike Winkler, Josef Schweikhardt 1982:

Verzehren von Artgenossen im Tierreich

 

Praktische Gründe

symbolische

Oskar Kiss Maerth 1971:

Intelligenz ist essbar

Erhard Oeser 1987:

Gehirn gegessen; Schädelkapsel als Essgeschirr

Horst M. Müller 1987:

Verzehr von Gehirn

Marie E. P. König 1979/80:

Rundes Objekt als Symbol für runde Weltordnung

Reay Tannahill 1975:

Schädel steht symbolisch nachfolgenden Sippenräten vor; Trinkschale bei feierlichem Pakt

 

Literatur:

 

Franz Weidenreich: The skull of Sinanthropus Pekinensis. A comparative study on a primitive hominid skull. New York 1943 (Palaeontologia Sinica 127, Series D, NS 10).

Oscar Kiss Maerth: Der Anfang war das Ende. Der Mensch entstand durch Kannibalismus, Intelligenz ist essbar. Düsseldorf: Econ 1971.

Hermann Müller-Karpe: Geschichte der Steinzeit. München: Beck 1974 (aus Bd. 1 u. 2 des Handbuches der Vorgeschichte, 1966 und 1968)

Reay Tannahill: Flesh and Blood. 1975;
dt.: Fleisch und Blut. Eine Kulturgeschichte des Kannibalismus. München: Goldmann Taschenbuch 1979.

Ashley Montagu: The nature of human aggression. New York: Oxford University Press 1976.

William Arens: The Man-Eating Myth. Anthropology & Anthropophagy. New York: Oxford University Press 1979.

Jacques Attali: L'ordre cannibale. Vie et mort de la médicine. Paris: Grasset 1979;
dt.: Die kannibalische Ordnung. Von der Magie zur Computermedizin. Frankfurt: Campus 1981.

Marie E. P. König in:
Richard Fester, Marie E. P. König, Doris F. Jonas, A. David Jonas: Weib und Macht. Fünf Millionen Jahre Urgeschichte der Frau. Frankfurt: S. Fischer 1979; später Fischer Taschenbuch, ca. 8. ed. 1995.

Marie E. P. König: Unsere Vergangenheit ist älter. Höhlenkultur Alt-Europas. Frankfurt: S. Fischer 1980.

Friedhart Klix: Erwachendes Denken. Eine Entwicklungsgeschichte der menschlichen Intelligenz. Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften 1980, 2. A. 1983.

Eike Winkler, Josef Schweikhardt: Expedition Mensch. Streifzüge durch die Anthropologie. Wien: Überreuter 1982.

Yves Coppens: Le singe, l'Afrique et l'homme. Paris: Fayard 1983;
dt.: Die Wurzeln des Menschen. Das neue Bild unserer Herkunft. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1985, als Ullstein Taschenbuch 1987.

L. R. Binford, C. K. Ho: Taphonomy at a Distance: Zhoukoudian, "The Cave Home of Beijing Man"? Current Anthropology 26.4, 1985, 413-429.

Horst M. Müller: Evolution, Kognition und Sprache. Die Evolution des Menschen und die biologischen Grundlagen der Sprachfähigkeit. Berlin: Parey 1987.

Erhard Oeser: Psychozoikum. Evolution und Mechanismus der menschlichen Erkenntnisfähigkeit. Berlin: Parey 1987.