Home Definitionen von Modell in Mathematik und Logik

                     1969-1999

 

Inhalt

Erwin Grochla (Hrsg.): Handwörterbuch der Organisation. 1969

N. I. Kondakow: Wörterbuch der Logik. 1978

Edmund Braun, Hans Radermacher: Wissenschaftstheoretisches Lexikon. 1978

Joachim Ritter, Karlfried  Gründer (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. 1984

Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften. 1990

Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie. 1999

 

 

 

Erwin Grochla (Hrsg.): Handwörterbuch der Organisation. 1969

Stuttgart: Poeschel

Artikel „Modelle und Experimente“, Sp. 1000-1010.

 

Sp. 1001-1002

(5) In den Formalwissenschaften versteht man unter dem Modell eines Axiomensystems (Kalküls) eine Realisierung (Interpretation) dieses Axiomensystems, d. h. ein (nichtleeres) Universum - genauer: ein Relationsgebilde, bestehend aus einer Grundmenge M von Entitäten und einem System von in dieser Menge definierten Relationen R1, ..., Rn -, das alle Axiome erfüllt, d. h. wahr macht (grundlegend: Tarski). Jede gültige, die Aussagenfunktionen erfüllende Interpretation liefert also ein Modell.

 

Bei logisch-mathematischen Gebilden spricht man von einem formalen, bei realen (empirischen) Gebilden von einem realen Modell des Axiomensystems.

 

Helmut F. Spinner

 

 

N. I. Kondakow: Wörterbuch der Logik. 1978

Leipzig: VEB Bibliographisches Institut (orig. russ. 1975)

Artikel Modell, 351-352

 

p. 352

In der formalen Logik werden seit jeher M. verwendet. Als M. der ersten Figur des einfachen kategorischen Syllogismus, der die Bezeichnung Barbara trägt, dient z. B. ein Schema.

Die Operation der Negation des Begriffs A kann auch durch ein M. ausgedrückt werden. Hier schliesst der Bereich, der die Elemente nicht-A enthält, alles ein, was nicht zu A gehört.

 

In der Logik dient das M. neben allem übrigen als Mittel zur Konkretisierung, zur anschaulichen Darstellung des Abstrakten. In ihm wird gleichsam Sinnliches und Logisches vereint.

 

... Logisch-mathematische M. werden aus Zeichen konstruiert. Es sind abstrakte Modelle, die wie Kalküle konstruiert werden.

 

... In der mathematischen Logik versteht man unter einem M. einer Menge X von Aussagen einer elementaren oder nichtelementaren Sprache eine Interpretation dieser Sprache, so dass jede Aussage der Menge X bei dieser Interpretation wahr ist; die Menge X kann z. B. ein Axiomensystem sein, und unter Aussage wird ein Ausdruck ohne freie Variablen verstanden.

 

Nicht selten werden die Sätze einer formalisierten Theorie als die bei einer bestimmten Interpretation wahren Aussagen der Sprache dieser Theorie definiert; man spricht dann auch von einer Theorie mit semantisch definierter Satzmenge. In diesem Fall ist diese Interpretation ein spezielles M. für die betrachtete Theorie, das man auch das Standard-M. der Theorie nennt. Ein M., das vom Standard-M. wesentlich verschieden ist, das, genauer gesagt, nicht zum Standard-M. isomorph ist, wird ein Nichtstandard-M. der betreffenden Theorie genannt.

 

 

Edmund Braun, Hans Radermacher: Wissenschaftstheoretisches Lexikon. 1978

Graz: Styria

Artikel „Modell“, Sp. 383-385

 

In der Mathematik und Logik versteht man unter M. eine Interpretation eines formalen (Axiomen-)Systems (d. i. eine Ersetzung der „uneigentlichen", formalen Begriffe des Systems durch „eigentliche“, bedeutungshaltige Begriffe), welche zu wahren, gültigen Behauptungen führt.

Beispielsweise stellt die Interpretation des Axiomensystems der Euklidischen Geometrie mit Hilfe des physikalischen Raums, der Wege der Lichtstrahlen als Geraden etc. ein reales M. dieser Geometrie dar; die Interpretation der Ebenen und Geraden als Lösungsmengen linearer Gleichungen mit reellen Zahlen als Koeffizienten und der Punkte als Tripel reeller Zahlen usw. ist ein formales M. der Euklidischen Geometrie.

Ein formales M. eines Axiomensystems besteht also aus logisch-mathematischen Gebilden, ein reales M. aus realen Gebilden.

 

Die Konstruktion eines M.s zu einem Axiomensystem spielt eine wichtige Rolle beim Nachweis der Widerspruchsfreiheit, Unabhängigkeit und Vollständigkeit eines solchen Systems (Axiomatik); so gab beispielsweise F. Klein als erster ein euklidisches M. für eine nicht-Euklidische Geometrie (die hyperbolische Geometrie) an und bewies so - unter der Voraussetzung der Widerspruchsfreiheit der Euklidischen Geometrie - die Widerspruchsfreiheit der nicht-Euklidischen Geometrie und insbesondere die Unabhängigkeit des Parallelenaxioms von den übrigen Axiomen der Euklidischen Geometrie; dies zeigt aber auch die Grenzen der M.methode: Das Problem der Widerspruchsfreiheit eines Axiomensystems verschiebt sich auf das Problem der Widerspruchsfreiheit eines andern Axiomensystems.

 

R. Bensch

 

Joachim Ritter, Karlfried Gründer (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. 1984

Basel: Schwabe/ Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Bd. 6, Sp. 50-52

 

Modell, Modelltheorie (engl. model, model theory)

 

1. Logik. – ‚Modell’ (M.) heisst in der Logik ein System aus Bereichen und Begriffen, insofern es die Axiome einer passend formulierten Theorie erfüllt (TARSKI 1935/ 36 [1]). Die Sprache dieser Theorie muss dafür die mit Bereichen und Begriffen zu interpretierenden Grundsymbole enthalten, die durch die Interpretation zu sogenannten «Grundbegriffen» werden.

‚Interpretation’ (KEMENY 1948: Halb-M. [2]) heisst dann auch die Abbildung, welche den Symbolen, ohne Bezugnahme auf Axiome, ihre jeweilige Bedeutung zuordnet.

 

Interpretationen werden, nach einer Anordnung der Symbole, oft als Folgen gegeben. Kommt nur ein Bereich vor («Träger» der Struktur), so kann dieser als Ding-(Individuen-)Bereich B einer Sprache erster Stufe genommen werden. Die «Begriffe» können dann Objekte in B, Eigenschaften solcher Objekte, Beziehungen zwischen ihnen, sowie Abbildungen von B in B' (gegebenenfalls als spezielle Beziehungen) sein. Beziehungen werden extensional als Mengen von endlichen Folgen (zwischen deren Gliedern «die Beziehung besteht») bzw. als korrespondierende charakteristische Funktionen oder Attribute verstanden.

 

Die Modelltheorie (Mt.) in engerem Sinne (theory of models) behandelt die Beziehungen zwischen solchen Strukturen, wobei diese im allgemeinen durch gleiche «Grundbegriffe» (Typusgleichheit) und Axiome zusammengehören.

 

Anmerkungen.

[1] A. TARSKI: Grundzüge des Systemenkalküls I/II. Fund. Math. 25/26 (1935/36) 503-526; 283-301; engl. in: Logic, semantics and metamath. (1956) 343-383.

[2] J. G. KEMENY: Models of logical systems. J. Symbol. Logic 13 (1948) 16-30.

 

Literaturhinweise.

Lehrbücher:

H. HERMES: Einf. in die math. Logik (3. Aufl. 1972).

H. SCHOLZ und G. HASENJAEGER: Grundzüge der math. Logik (1961) § 167 und Kap. 4: zu Standard-M.

Elementare Einführung:

J. BRIDGE: Beginning model theory (Oxford 1977).

Weiterführend mit ausführlichen Bibliographien:

C. C. CHANG und H. J. KEISLER: Model theory (Amsterdam 1973).

J. W. ADDISON, L. HENKIN und A. TARSKI: The theory of models. Proc. 1963 int. Symposium Berkeley (Amsterdam 1965).

Speziell: A. ROBINSON: Nonstandard analysis (Amsterdam 1970).

 

G[ISBERT] HASENJAEGER

 

 

Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften. 1990

Hamburg: Meiner, Bd. 3

Artikel „Modell“ 425-432

 

p. 425

Ergänzend zu diesem verbreitetsten Verständnis werden in der Literatur die (vor allem) im Bereich der Formalwissenschaften verbreitete, historisch jüngere Verwendung des Modellbegriffs in der Logik und der mathematischen Grundlagenforschung sowie der Begriff der mathematischen Modelltheorie besonders hervorgehoben.

 

Die Modelltheorie der mathematischen Logik, wie sie sich in ihrer Frühphase mit den Arbeiten von L. Löwenheim, T. Skolem, K. Gödel, G. Birkhoff und A. Malcev verbindet, entwickelte sich Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre im Zusammenhang mit Schriften von L. A. Henkin, A. Robinson und vor allem A. Tarski zu einer relativ eigenständigen Disziplin.

Eine grundlegende Darstellung der mathematischen Modelltheorie geben Chang/ Keisler (1973; vgl. auch Addison/ Henkin/ Tarski 1965. Die Bezeichnung 'Theory of models' geht auf Tarski (1954) zurück.)

 

In der mathematischen Modelltheorie als Grenzgebiet zwischen mathematischer Logik und moderner Algebra bzw. allgemeiner Strukturtheorie werden die Beziehungen zwischen formalisierten Sprachen und sie interpretierenden Strukturen untersucht. M. sind hier Interpretationen formaler (Axiomen-)Systeme, d. h. Ersetzungen formaler Begriffe des Systems durch bedeutungshaltige Begriffe, die zu wahren, gültigen Behauptungen führen. Die Konstruktion von Modellen zu Axiomensystemen dient insbesondere der Untersuchung solcher Systeme auf Widerspruchsfreiheit, Unabhängigkeit und Vollständigkeit, d. h. M. haben hier eine vergleichbare Funktion wie M. ausserhalb der mathematischen Grundlagenforschung.

 

Das Verhältnis dieses speziellen Modellverständnisses zu dem des M. in anderen Wissenschaftsbereichen wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Im wesentlichen lassen sich drei Auffassungen unterscheiden:

1. Der Modellbegriff der Logik und der mathematischen Grundlagenforschung habe für alle anderen Wissenschaftsbereiche Orientierungscharakter (z. B. Suppes (1960), Böhnisch (1969), Asser (1974));

2. er habe eine unabhängige Bedeutung und einen eigenen Anwendungsbereich ausserhalb des allgemeinen Modellverständnisses (z. B. Schröter (1961), Wüstneck (1963) S. 1505 f.);

3. es wird (und dies ist überwiegend der Fall), an der vergleichbaren Funktion anknüpfend, versucht, diesen Modellbegriff als verwandtes Teilproblem in die Verallgemeinerung und Bestimmung eines allgemeinen Modellbegriffs mit einzubeziehen (z. B. Stoff 1969, Kranold 1976).

 

Addison, J. W./ L. Henkin/ A. Tarski (Hg.), 1965, The Theory of Models, Proceedings of the 1963 international Symposium at Berkeley, Anmsterdam.

Asser, G., 1974, Formalisierung, Modellierung und Mathematisierung aus der Sicht der mathematischen Grundlagenforschung. In: E. Albrecht/ G. Asser/ W. Ebeling u. a.: Streitbarer Materialismus und gegenwärtige Naturwissenschaft, Berlin.

Böhnisch, S., 1969, Zur Bedeutung von Modellen in der Wissenschaft. In: H. Laitko/ R. Bellmann (Hg.), Wege des Erkennes, Berlin.

Chang, C. C./ H. J. Keisler, 1973, Model Theory. Studies in Logic and the Foundations of Mathematics. Amsterdam/ London/ New York.

Karnold, R, 1976, Erkenntnistheoretische Aspekte von Modellen. In: Rostocker Phil. Manuskripte 15.

Schröter, K., 1961, Das mathematische Modell und das Modell in den Naturwissenschaften. In Jung, F. u. a. (Hg.), 1961, Arzt und Philosophie, Berlin.

Stoff, V. A., 1969, Modellierung und Philosophie, Berlin.

Suppes, P. A., 1960, Comparison of Meaning and Uses of Models in Mathematics and the Social Sciences. In: Synthese 12.

Tarski, A, 1954, Contributions to the Theory of Models I, II. In: Koninklijke Nederlands Akademie van Wetenschappen. Proceedings, Ser A 57 (= Indag. Math. 16) Amsterdam.

Wüstneck, K. d., 1963, Zur philosophischen Verallgemeinerung und Bestimmung des Modellbegriffs. In: Dt. Zschr. f. Phil. 12, H. 12.

 

Rolf Bernzen, Marburg

 

 

Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie. 1999

Hamburg: Meiner

Artikel „Modell“, 854-859

 

Der M.begriff tritt auch in der Metamathematik an zentraler Stelle auf. In der mathematischen M.theorie versteht man unter dem M. einer Theorie eine Struktur, die die Axiome der betreffenden Theorie erfüllt [1]. So handelt es sich beispielsweise bei der Kleinschen Vierergruppe um das (konkrete) M. für die (abstrakte) Struktur einer Gruppe, die durch ein Axiomensystem vollständig definiert ist.

Einige Philosophen bestehen darauf, dass alle anderen M.begriffe unter den M.begriff der mathematischen M.theorie subsummiert werden können [2]. Diese Behauptung ist jedoch umstritten [3].

 

[1] Bridge, J., 1977, Beginning Model Theory, Oxford

[2] Suppes, P., 1961, A Comparison of the Meaning and Uses of Models in Mathematics and the Empirical Sciences. In Freudenthal, H. (Hg.), 1961, The Concept and the Role of the Model in Mathematics and Natural and Social Sciences, Dordrecht, 287;
van Fraassen, B., 1980, The Scientific Image, Oxford, 44;
Giere, R., 1988, Explaining Science: A Cognitive Approach, Chicago, 79

[3] Achinstein, P., 1964, Models, Analogies, and Theories. In: Philos. of Sci., 31, 32;
McMullin, E., 1968, What Do Physical Models Tell Us? In: B. van Rootselaar/ J. Staal (Hg.), Logic, Methodology and Philos. of Science III, Amsterdam, 387;
Harré, R., 1970, The Principles of Scientific Thinking, London, 36;
Bunge, M. 1973, Method, Model, and Matter, Dordrecht, 111;
Hartmann, S., 1996, The World as a Process: Simulations in the Natural and Social Sciences. In: Hegselmann, R. et al. (Hg.), 1996, Modelling and Simulation in the Social Sciences from the Philos. of Science Point of View, Dordrecht, 81.

 

Daniela Bailer-Jones und Stephan Hartmann

 


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