Home Peter Franz, Nina Hager: Modell (1991)

 

 

Herbert Hörz, Heinz Liebscher, Rolf Löther, Ernst Schmutzer, Siegfried Wollgast (Hrsg.): Philosophie und Naturwissenschaften.

Wörterbuch zu den philosophischen Fragen der Naturwissenschaften.

Neuausgabe Berlin: Dietz-Verlag 1991, 613-619

 

Der Text erschien ziemlich ähnlich (aber  anders) bereits in der 1. Aufl. 1978 (606-612) von denselben Autoren

 

 

Modell:

materielle oder ideelle Produktion oder Reproduktion möglicher und wirklicher Objekte bzw. Systeme, Prozesse, Eigenschaften, Beziehungen und Funktionen durch ein Erkenntnissubjekt mittels Analogien im weiteren Sinne oder das Nutzen solcher Analogien in anderen materiellen oder ideellen Systemen zur Erkenntnis bzw. besseren Beherrschbarkeit des modellierten Originals.

 

Man muss zwischen M., Modellierung und Modellmethode unterscheiden.

Die Modellmethode stellt eine Gesamtheit von Prinzipien dar, mit deren Hilfe der Mensch seinen zielgerichteten, bewussten Umgang mit M. im Prozess der Erkenntnis und Beherrschung der Wirklichkeit ordnet.

Dagegen ist Modellierung die Gesamtheit der jeweiligen spezifischen Prozesse der Modellbildung und -nutzung; sie umfasst den konkreten Prozess der Anwendung der Modellmethode zum Erreichen der jeweils angestrebten Ziele.

 

Schon die griechischen Denker benutzten materielle und ideelle M. zur Erklärung oder Darlegung ihrer Vorstellungen. Uber Anaximandros berichtete Diogenes Laertius, dass dieser eine Sphaera (einen Himmelsglobus) konstruiert habe. Die Atomvorstellungen Demokrits und Epikurs würden wir heute ebenfalls als M. bezeichnen. Alle diese Denker waren sich jedoch nicht bewusst, dass sie M. benutzten und dass die verwendeten Analogieschlüsse Beschränkungen unterliegen.

Obgleich diese M. wegen des niedrigen Erkenntnisstandes oft phantastischen Charakter hatten, zeigt sich in ihnen häufig das Bemühen, die objektiven Erscheinungen in ihrem eigenen Zusammenhang zu erklären. Einige M., die in der Geschichte der Wissenschaften auch weiterentwickelt wurden, wie z. B. Atommodelle, M. des Aufbaus des Sonnensystems oder M. der Metagalaxis, erlangten unmittelbar philosophische Bedeutung. Sie spielten in den weltanschaulichen Auseinandersetzungen zwischen Materialismus und Idealismus, Wissenschaft und Religion eine wichtige Rolle.

Bewusst wurde die Modellierung eigentlich erst durch G. Galilei angewandt, ohne dass er den Ausdruck M. benutzte. Er findet sich aber bei R. Descartes; seine theoretischen Vorstellungen werden oft als »Physik der M.« bezeichnet.

 

Mit fortschreitender Entwicklung der Wissenschaften wurde im 18. Jh. die Modellmethode zu einer viel benutzten wissenschaftlichen Methode. Bei der Entwicklung der Atom- und Molekülvorstellungen wurden M. in der Chemie in immer stärkerem Masse verwendet. M. in der Chemie sind beispielsweise auch die chemischen Strukturformeln.

 

In der Biologie wird die Modellmethode bewusst seit O. Bütschli und St. Leduc (Ende 19., Anfang 20. Jh.) angewandt. Mit Hilfe von M. konnten in der Biologie grosse theoretische Fortschritte erreicht werden. Heute haben sich M. und die Modellmethode neben der Methode der Beobachtung einen festen Platz erobert und fördern die Mathematisierung der Biologie.

In den einzelnen Zweigen und Arbeitsgebieten der Biowissenschaften werden sowohl materielle (natürliche) Biosysteme (Versuchstierkunde, Reproduktionen) als auch ideelle M. (z. B. in der Biomathematik, Biokybernetik, Molekularbiologie, Ökologie, Ethologie) eingesetzt.

 

Im 19. Jh. kam es in der Physik durch die Überbetonung der Mechanik auch zur Verabsolutierung der Bedeutung mechanischer M., was zu  erkenntnistheoretischen Problemen führte. In allen Zweigen der modernen Physik werden im grossen Masse M. verwendet. Man kann in vielen Bereichen (z. B. Kernphysik, Festkörperphysik) eine nicht reduzierbare Vielfalt von M. nachweisen, was die Kompliziertheit des Erkenntnisprozesses und damit verbunden von Theorienbildungen zeigt. Hier gibt es nach wie vor die Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit resultierender M. bzw. sogar nach Einheitstheorien auf Grundlage der vorliegenden M.

 

 

Unter dem modellierten Original wird das ursprüngliche Ausgangsobjekt der Untersuchung verstanden, dessen Erkenntnis bzw, bessere Beherrschung (Optimierung, Steuerung, Simulation usw.) Ziel der Nutzung von M. ist.

Die durch ein M. realisierte Produktion oder Reproduktion ist in doppeltem Sinne zu verstehen. Zum einen ist damit die Repräsentanzfunktion bestimmter ideeller oder materieller Objekte (Prozesse) gemeint, die der Mensch ihnen auf der Grundlage bestehender Ähnlichkeiten bzw. gedanklich widergespiegelter Relationen gibt. Zum anderen können diejenigen Objekte (Prozesse), die als M. benutzt werden,

1. aus einem Vorrat ideeller Strukturen (Bildvorstellungen, symbolisierte, formalisierte oder mathematisierte Darstellungen) ausgewählt werden;

2. speziell auf der Grundlage vorhandener praktischer Erfahrungen wie theoretischer Erkenntnisse als ideelle Objekte konstruiert werden;

3. künstliche materielle Objekte (auch Prozesse) sein (wie z. B. beim Kalottenmodell in der Chemie) oder

4. natürliche materielle Objekte (oder Prozesse) sein, die hinsichtlich der mit der Modellierung verfolgten Zielstellung ausgewählt und unter hinreichend genau bestimmbaren bzw. schaffbaren Bedingungen untersucht werden.

 

Das Erkenntnissubjekt - ein einzelner Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlergruppe - wählt bzw. bildet ein M. hinsichtlich ganz bestimmter Zwecke mit der allgemeinen Zielsetzung einer tieferen Erkenntnis bzw. besseren Beherrschbarkeit des Ausgangsobjekts (Prozesses), d. h. des Originals der Untersuchung.

 

Ein M. wird im menschlichen Erkenntnisprozess stets durch seine Beziehungen zu dem, wovon es M. ist, und zu dem, wofür es M. ist, bestimmt. Menschliche Zwecke und Zielsetzungen sind dafür entscheidend, ob ein ideelles oder ein materielles Objekt (bzw. ein Prozess) als M. für andere Erscheinungen herangezogen wird. Unumgängliche Voraussetzung dafür ist aber, dass gewisse Beziehungen der Ähnlichkeit bzw. entsprechende gedanklich widergespiegelte Relationen zwischen dem M. und der zu untersuchenden Erscheinung existieren. Analogien im weitesten Sinne schliessen alle Sonderfälle ein.

 

Je nach der Natur des Originals und entsprechend den gewählten Wegen und Formen der Modellierung treten unterschiedliche Beziehungen zwischen dem Subjekt der Erkenntnis, dem M. und dem Original auf. (K. D. Wüstneck /1963/, 1514ff.)

Allgemein kann man sie hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Subjekt-Objekt-Dialektik wie folgt kennzeichnen:

1. Der Mensch bildet ideelle Modelle materieller Originale; das ideelle M. wird für bestimmte Stufen der Untersuchung zunächst zum Ersatzobjekt, zum ideellen Als-ob-Objekt.

2. Er benutzt oder stellt materielle (natürliche oder künstliche) M. für materielle Originale her, also materielle Als-ob-Objekte. Dabei wird das materielle M. stets durch mehr oder weniger ausgearbeitete ideelle M. (Modellvorstellungen) vorweggenommen.

3. Er stellt materielle M. für ideelle Originale her, verwirklicht ideell vorweggenommene Entwürfe.

4. Ideelle M. werden für ideelle Originale gebildet.

 

Ein wesentlicher Zug der Nutzung der Modellmethode besteht darin, dass an die Stelle des ursprünglichen Erkenntnisobjekts für einige Etappen des Forschungsprozesses ein mit den vorhandenen Mitteln entweder besser zugängliches oder leichter handhabbares Ersatzobjekt tritt bzw. ein Objekt, das aus anderen Gründen (ökonomischen, humanen) den Platz des Originals einnimmt. Jedoch erst bei der Übertragung der durch das Operieren an ideellen oder das Experimentieren an materiellen M. gewonnenen Erkenntnisse auf das Original kann sich erweisen, inwieweit die ideellen Entwürfe bestimmte Züge des Originals adäquat erfassen, abbilden, widerspiegeln. Darin kommt ein Aspekt des ideellen M. als dialektischer Einheit von Abbild und Entwurf (Konstruktion) zum Ausdruck, die eine entsprechende Verwirklichung in materiellen M. finden kann.

Zwar gehen der Konstruktion von materiellen M. stets ideelle M. voraus, aber es werden nicht in jedem Fall materielle M. hergestellt. Das hängt vor allem mit der Funktion des M. und mit der Realisierbarkeit ideeller in materiellen M. zusammen (z. B. kann das M. der Turing-Maschine prinzipiell nicht materiell realisiert werden).

Ideelle M. stellen eine spezifische Form der Erkenntnis dar. Ebenso wie Hypothesen sind sie eine Entwicklungsform der Wissenschaft. Ihre Spezifik hängt sowohl vom erreichten Erkenntnisstand als auch vom Charakter der M. selbst ab, d. h., von welcher Art die M. sind und welchem Zweck sie dienen. Ideelle M. sind daher sowohl Form als auch Mittel der Erkenntnis und unterliegen den Gesetzmässigkeiten der Widerspiegelung.

Insofern im M. bewusst bereits erkannte Gesetze abgebildet werden und es als M. bestimmte Seiten der zu untersuchenden Erscheinungen widerspiegelt, ist es Abbild. Entwurf ist es in mehrfacher Weise: Solange in Experimenten bzw. mittels Beobachtungen nicht nachgewiesen ist, dass bestimmte Seiten des Untersuchungsgegenstandes im M. adäquat widergespiegelt werden, ist es in grossem Masse Entwurf, trägt es in hohem Grade hypothetischen Charakter. Die Aspekte der M., von denen sich herausstellt, dass sie aufgegeben werden müssen, gehörten aber zuvor genau wie die bleibenden Kennzeichen des M. zum Entwurf.

M. stellen auch keine blossen Kopien des Untersuchungsgegenstandes dar, wie das Physiker im 19. Jh. (z. B. M. Faraday) glaubten, sondern tragen Züge, die keine Entsprechung im Untersuchungsgegenstand haben. Damit schliesst die Frage nach der Einheit von Abbild und Entwurf hypothetische Annahmen bei der Modellbildung mit ein, beschränkt sich aber nicht darauf.

 

Als Form der Erkenntnis spiegeln ideelle M. die Erscheinungen in Natur, Gesellschaft und Denken nicht in allen ihren mannigfaltigen Beziehungen wider; das könnten sie nur in einem unendlichen Erkenntnisprozess, und das geschieht zudem in Wechselwirkung mit anderen Formen und Mitteln der Erkenntnis der objektiven Realität wie Experiment, Theorie, Hypothese usw. Daher kann man M. als ein Bindeglied, einen Mittler zwischen Experiment und Theorie ansehen.

 

Ideelle M. können im Theorienbildungsprozess Vorstufe einer Theorie sein. Daten aus Beobachtungen oder Experimenten werden im M. systematisiert. Hypothesen können im M. oder über das M. aufgestellt werden, Schlussfolgerungen für Experimente unter anderen Bedingungen aus dem M. abgeleitet werden usw. Dann wird zunächst auf dieser Grundlage eine Theorie des M. geschaffen, deren Konsequenzen in der experimentellen Praxis geprüft werden. Erst dann stellt sich heraus, ob die Theorie den Untersuchungsgegenstand adäquat widerspiegelt oder ob sie bzw. das verwendete M. aufgegeben oder abgeändert werden muss.

 

Manchmal werden M. bereits als Als-ob-Theorien angesehen. Die M. führen also in solchen Fällen zur Theorie über den Untersuchungsgegenstand, sie enthalten bereits Momente der analysierten Seiten des Wesens dieses Untersuchungsgegenstandes, stellen in der Regel jedoch noch nicht die Theorie dar, d. h. eine Zusammenfassung wesentlicher Beziehungen und Gesetze in einem Gesetzessystem mit den entsprechenden Existenzbedingungen.

 

Das M. unterscheidet sich von anderen Formen und Mitteln des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses aber in erster Linie durch seine Funktion im Erkenntnisprozess (auch Hypothesen können im oder über das M. formuliert werden, Theorien als M. dienen usw.). Ausserdem können Theorien durch M. veranschaulicht, interpretiert werden. Insbesondere in Naturwissenschaften mit einem hohen Grad der Mathematisierung entstehen durch innertheoretische Entwicklungen (des mathematischen Apparates der Theorie) Theorien, die interpretiert werden müssen. Diese Interpretationsfunktion spielt auch in der Mathematik eine grosse Rolle, wobei eine Theorie als M. einer anderen Theorie dient.

 

 

Bei der Modellierung lassen sich verschiedene Stufen unterscheiden. Die Abhebung solcher Stufen oder Phasen der Modellierung geschieht stets nach bestimmten Kriterien und ist insofern relativ. In einem konkreten Forschungsprozess können verschiedene Stufen gleichzeitig auftreten oder müssen evtl. gar nicht bzw. mehrfach durchlaufen werden.

Diese Einschränkungen vorausgesetzt, können folgende Stufen der Modellierung unterschieden werden:

 

1. Ausgangspunkt ist die Suche nach dem M. bzw. die Herausbildung einer Modellvorstellung, die Schaffung eines ersten, wenn auch manchmal sehr groben Ausgangsmodells (heuristische Stufe). Dabei kann diese Suche nach einem Ausgangsmodell auch auf bereits existierenden M. aufbauen. Auf dieser Stufe spielt die Intuition des Forschers eine grosse Rolle. Gerade das Überdenken der Möglichkeiten, welche M. angesichts der vorhandenen Fakten, experimentellen Daten, erkannten Naturgesetze und logischen Regeln der Modellierung bezüglich des Untersuchungsgegenstandes möglich sind, bildet den schöpferischen Teil der Anwendung von M. bei der Suche nach dem Ausgangsmodell. Oft ist eine Vielzahl von Ausgangsmodellen möglich, die im Laufe der Forschung immer mehr reduziert werden.

Die Anwendung mathematischer Variationsmethoden kann dabei die Modellauswahl erleichtern. Wie die Geschichte der Naturwissenschaften zeigt, haben sich jedoch die Forscher oft bereits sehr frühzeitig für ein Ausgangsmodell entschieden.

 

2. Das in der Ausgangsstufe der Modellierung entstandene M. (oder mehrere M.) kann dann hinsichtlich seiner logischen bzw. mathematisch-einzelwissenschaftlichen Konsequenzen geprüft werden, d. h., mit ihm wird gearbeitet (kognitive Stufe). Eine Form der Arbeit mit dem M. stellt das Gedankenexperiment dar, das auch als M. wirklicher oder möglicher Experimente angesehen werden kann, daneben jedoch auch andere Züge aufweist (Funktion im Erkenntnisprozess).

 

3. In diesem Prozess der Arbeit mit dem M. oder in nachfolgenden Etappen (evtl. auch in anderen Forschungsgruppen) wird aber auch vom Modellverhalten auf das Verhalten des Untersuchungsgegenstandes geschlossen (pragmatische Stufe). Dies geschieht beispielsweise, wenn Schlussfolgerungen für das Verhalten bei anderen experimentellen Bedingungen gezogen werden. Dabei bleibt letzten Endes das Experiment Kriterium für die Adäquatheit der Widerspiegelung bestimmter Seiten des Untersuchungsgegenstandes im M.

Das Experiment spielt die Rolle eines Richters, der über Beibehaltung oder Aufgabe eines M. bzw. über die vorzunehmenden Veränderungen am M. zu entscheiden hat. Die experimentellen Ergebnisse erleichtern dem Forscher damit auch direkt die Entscheidung für ein M. (oder für zueinander komplementäre M.) aus einer bestimmten Anzahl von möglichen Arbeitsmodellen.

 

4. Ein anderes Problem ist die Einordnung des M. in allgemeinere Vorstellungen (in Theorien, in das »Weltbild« der Einzelwissenschaft u. a.).

 

 

In der Modellierung manifestieren sich Aspekte der dialektischen Beziehung von Analyse und Synthese im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess.

Die Bildung eines M. bzw. die Suche nach einem M. erfordert stets zunächst die Analyse der durch Beobachtung oder Experiment erhaltenen Daten und ihre Systematisierung in M.

Das erfordert eine gewisse Synthese, da bereits erkannte Momente des Wesens eines (ideellen oder materiellen) Untersuchungsgegenstandes im M. ebenso berücksichtigt werden müssen wie neue Daten. Daneben weist das M. auch neue Züge auf, die der Untersuchungsgegenstand z. T. nicht enthält (Entwurf, Konstruktion des M.). Jedoch müssen auch bereits vorliegende Theorien, nach deren ideellem Objekt oder Interpretationsmodell gesucht wird, zunächst in gewissem Sinne analysiert werden (Gültigkeit bei entsprechenden Rand- und Nebenbedingungen; Beziehungen zwischen experimentellen Grössen und Grössen, die Bestandteil der Theorie sind usw.).

 

Auch bei der weiteren Arbeit mit dem M. - beispielsweise in Gedankenexperimenten, bei Schlussfolgerungen für das Verhalten des zu untersuchenden Systems unter anderen Bedingungen sowie bei der Einordnung von M. in allgemeinere Vorstellungen - zeigt sich stets diese dialektische Beziehung von Analyse und Synthese im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess.

 

Bei manchen Theorien der Physik zeigt sich, dass M. nach der Entstehung einer Theorie zum integralen Bestandteil dieser Theorie gehören können. Manchmal spricht man auch bei Vereinfachungen der Theorie von einem M., das dann eine gewisse Interpretationsfunktion hat. In bezug auf ideelle M. als Mittler zwischen Experiment und Theorie gilt also, dass M. als Vorstufe zur Theorie, Interpretationsmodell der Theorie oder als integraler Bestandteil der Theorie auftreten können.

 

 

Insbesondere in der Physik spielte die Frage eine grössere Rolle, ob M. anschaulich sind. Die Auffassung, dass die neue Physik und ihre M. im Gegensatz zur klassischen Physik unanschaulich sei, entstand mit der Herausbildung der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik. Die bisher verwendeten klassischen Vorstellungen trugen den neu entdeckten Sachverhalten keine Rechnung, oder ihre Anwendung war oftmals sehr unbefriedigend.

Diese Auffassungen über die Anschaulichkeit von M. zogen nicht in Betracht, dass in der heutigen Forschung nach wie vor M. aus der klassischen Physik benutzt werden und sich das experimentelle und theoretische Erkenntnisvermögen der Wissenschaften ständig weiterentwickelt. Die Anschaulichkeit der M. steht in enger Beziehung zum jeweiligen historisch begrenzten Erkenntnisstand und Erkenntnisvermögen.

 

 

In der fachwissenschaftlichen und philosophischen Auseinandersetzung spielt der Modellbegriff in den letzten Jahren eine wachsende Rolle im Zusammenhang mit den sog. Gesellschafts- bzw. Weltmodellen. Bei der Modellierung globaler Prozesse geht es um sehr unterschiedliche komplexe Ebenen und Bereiche der Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur, der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. Es handelt sich dabei erstens um Teilprozesse und zweitens um die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft insgesamt.

»Die wichtigste Besonderheit der globalen Probleme ist ihr komplexer, systemhafter Charakter. Die gewaltigen Ausmasse und die Komplexität der Steuerungsobjekte, die zunehmende Differenzierung und Spezialisierung der Produktion, das verstärkte Zusammenwirken qualitativ unterschiedlicher Faktoren, ökonomischer, sozialer, ökologischer, technischer, das sprunghafte Anwachsen der Informationsmengen - all dies erfordert Systemforschung und setzt interdisziplinäre, komplexe Untersuchungen zu neuen Problemen voraus.« (D. Gwischiani /1979/, 8)

Besondere Schwierigkeiten treten bei der Begründung formalisierter und quantifizierter M. auf, wenn die Historizität sozialökonomischer Objekte berücksichtigt werden muss.

 

»Globale« Modellierung und Modellierung von Entwicklungsprozessen hängen eng zusammen; die Historizität natürlicher wie gesellschaftlicher Erscheinungen kann bereits bei der »globalen« Modellierung von Teilprozessen ökologischer, ökonomischer, politischer, technischer oder kultureller Aspekte der Entwicklung der Menschheit bzw. ihrer Teile oder der Wechselbeziehungen von Mensch und Natur Berücksichtigung finden. Globale Modellierung, die die Menschheit und ihre Zukunft insgesamt betrifft, führt zu mehr oder weniger adäquaten M. ihrer Entwicklung, dabei spielen auch die philosophisch-soziologischen Voraussetzungen der Modellierung eine Rolle.

 

 

Der Ausdruck M. wurde im Positivismus und in verschiedenen neueren Richtungen dieser Strömung benutzt.

Bereits D. Hume verwendete ihn in seinem Essay »Über den menschlichen Verstand« im Zusammenhang mit der Frage der Erkennbarkeit.

M. Schlick ordnet dem M. ausschliesslich Anschaulichkeit zu, und R. Carnap versteht M. als verschiedene Deutungen von Axiomensystemen, die ihrerseits als Entwürfe des Bewusstseins gefasst werden.

K. R. Popper unterstreicht lediglich die Interpretationsfunktion der M., ohne auf ihre heuristische Bedeutung zu verweisen.

Im Neupositivismus wird die Interpretation von Theorien mittels M. subjektivistisch verstanden und wird zu einem Zwischenglied zwischen formalen Zeichensystemen und Sinnesdaten.

Vertreter der Neuscholastik (J. M. Bochenski, F. Dessauer, A. Mercier, F. Renoirte u. a.) betonen die Bedeutung der M. für die Naturwissenschaften. Dabei steht aber z. B. bei einigen Vertretern der Aspekt der Konstruktion (des Entwurfes) einseitig im Vordergrund der Betrachtung.

 

Die dialektisch-materialistische Philosophie sieht M. als Form und Mittel der immer tieferen Erkenntnis des Wesens der objektiv-realen Erscheinungen, ihrer Erkenntnis und Beherrschung.

 

 

In der gegenwärtigen Auseinandersetzung um Fragen der Modellierung, die ursprünglich vor allem den Charakter ideeller M. als Abbilder der Wirklichkeit, ihre Funktion im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess, die Wahrheitsproblematik u. ä. betrafen, verlagert sich das Schwergewicht auf die philosophische Verallgemeinerung und die philosophischen Grundlagen der Untersuchung von Entwicklungsprozessen, speziell der gegenwärtigen und künftigen menschlichen Gesellschaft, der Prozesse der Menschwerdung, auf die Herausbildung von Evolutionsstrategien, die Erfassung von Wissenschafts- und Theorienentwicklung.

Ausserdem geht es um Fragen der Modellierung komplexer Systeme, die nicht immer historischgenetische Aspekte einschliesst, sowie um die Auseinandersetzung darum, wie die M. zur besseren Beherrschung objektiv-realer Prozesse eingesetzt werden können.

 

Peter Franz/ Nina Hager

 


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