HomeWas ist ein Modell?

 

Bitte öffnen Sie als Begleitung zu diesem Artikel die Tabelle von Herbert Stachowiak.

 

Literatur

Ernst Mach: Die Mechanik in ihrer Entwickelung: Leipzig: F. A. Brockhaus 1883; 9. Aufl. 1933;
Nachdruck der 7. Aufl. von 1912 Frankfurt am Main: Minerva 1982;
Nachdruck der 9. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1963, mehrere Aufl. bis Saarbrücken: VDM, Dr. Müller 2206;
engl.: The science of mechanics. A critical and historical exposition of its principles. Translated from the 2d German ed. (1889). Chicago: Open Court 1893;
erneuert nach der 9. ed. La Salle, Ill./ London: Open Court 1942, 1960 und öfters; Paperback 1988.

Heinrich Hertz: Die Prinzipien der Mechanik in neuem Zusammenhange dargestellt. (Drei Beiträge 1891-1894). Gesammelte Werke Bd. 3, hrsg. von Philipp Lenard und eingeleitet von Hermann von Helmholtz. Leipzig: J. A. Barth 1894, 2. ed. 1910;
engl.: The principles of mechanics. London: Macmillan 1899; Reprint with a new introduction by Robert S. Cohen, New York: Dover Publications 1956; Mineola, N. Y.: Dover 2003.

 

Heinrich Schmidt, Georgi Schischkoff: Philosophisches Wörterbuch. Stuttgart: Kröner, 11. Aufl. 1951, 18. Aufl. 1969 (siehe unter: Mach, Ernst).

Walter R. Fuchs: Knaurs Buch der modernen Physik. München: Droemer/ Knaur 1965; als Taschenbuch 1971 (hier die Zitate von Werner Heisenberg, 13 und 158).

Walter R. Fuchs: Knaurs Buch der Denkmaschinen. München: Droemer/ Knaur 1968; als Taschenbuch 1972.

Georg Klaus (Hrsg.): Wörterbuch der Kybernetik. Frankfurt am Main: Fischer Bücherei, 2. Bde, 1969, 741 Seiten
(Lizenzausgabe nach der 2. Auflage des Dietz Verlages, Berlin; 1. Aufl. 1967).

 

Herbert Stachowiak (1921-2004): Allgemeine Modelltheorie. Wien: Springer 1973, 494 Seiten.

 

 

Von ERNST MACH ist heute den meisten kaum etwas bekannt, obwohl viele wissen, dass die Schallgeschwindigkeit zu Ehren dieses mährischen Naturforschers und Philosophen die Massbestimmung 1 Mach erhalten hat und seit einigen Jahren eine Autofirma einen ihrer Typen recht grosspurig «Mach 1» nennt.

 

Dass EINSTEIN von MACHS Werk - «Die Mechanik in ihrer Entwicklung» (1883) - tief und nachhaltig beeinflusst worden ist, hat er nie verhehlt. War er anfangs von dessen erkenntnistheoretischer Position sehr beeindruckt, so schien sie ihm später im Wesentlichen unhaltbar. Was er genau beanstandete, wäre noch näher zu untersuchen, jedenfalls hat WALTER R. FUCHS neuerdings in «Knaurs Buch der Denkmaschinen» (1968) auf die Forderung MACHS hingewiesen, dass die Wissenschaft «mit dem geringstmöglichen Aufwand an Denkenergie, das heisst mit Denkökonomie, sich streng auf die Untersuchung des wirklich Tatsächlichen beschränken, besonders allen metaphysisch-religiösen Spekulationen entsagen» müsse (wie es im «Philosophischen «Wörterbuch» von Schmidt/ Schischkoff, 1969, heisst).

 

MACH fand, dass die Sprache eine «ökonomische Einrichtung» sei, und er formulierte laut FUCHS: «Die Erfahrungen werden hier mehr oder weniger vollkommen in einfachere, häufiger vorkommende Elemente zerlegt und zum Zwecke der Mitteilung stets mit einem Opfer an Genauigkeit symbolisiert» (1883, 452; 1912, 458). Diese Bemerkung kann man durchaus als Beginn des Modelldenkens auffassen.

Hatte MACH in diesem Zitat die Vermittlung von Erfahrung im Auge, so untersuchte sein Zeitgenosse HEINRICH HERTZ - dem zu Ehren die Masseinheit von Schwingungen pro Sekunde (Frequenz) «Hertz» (Hz) genannt wurde -, wie wir diese Erfahrung gewinnen. Er formulierte in der Einleitung seiner «Prinzipien der Mechanik» (1894):

 

«Wir machen uns innere Scheinbilder oder Symbole der äusseren Gegenstände, und zwar machen wir sie von solcher Art, dass die denknotwendigen Folgen der Bilder stets wieder die Bilder seien von den naturnotwendigen Folgen der abgebildeten Gegenstände» (1).

 

Die Nachbildung der Tatsachen in Gedanken

 

Diese Feststellung ist auch für die modernste Physik noch so zentral, dass WALTER R. FUCHS sie in der Einführung von «Knaurs Buch der modernen Physik» wieder aufgreift und insgesamt viermal auf die Nützlichkeit dieses Unterfangens mit HERTZENS Satz hinweist: «Es ist die nächste und im gewissen Sinne wichtigste Aufgabe unserer bewussten Naturerkenntnis, dass sie uns befähige, zukünftige Erfahrungen vorauszusehen» (1), um nach dieser Voraussicht unser gegenwärtiges Handeln einrichten zu können. Auch in «Knaurs Buch der modernen Mathematik» bringt FUCHS diese beiden Zitate, während er in den «Denkspielen vom Reissbrett» mehrfach auf MACH Bezug nimmt und dessen Bemerkung nachspürt:

 

«Alle Wissenschaft hat Erfahrungen zu ersetzen oder zu ersparen durch Nachbildung oder und Vorbildung von Tatsachen in Gedanken, welche Nachbildungen leichter zur Hand sind als die Erfahrung selbst, und dieselbe in mancher Beziehung vertreten können» (1883, 452; 1912, 457).

 

Zwar hat HERBERT STACHOWIAK schon in seiner Arbeit zur Modellfrage ("Über kausale, konditionale und strukturelle Erklärungsmodelle", Philosophia Naturalis 4, 1957) einerseits auf die Einführung des Funktionsbegriffs durch MACH sowie die Beschreibung von funktionalen Abhängigkeiten in "Scheinbildern" (HERTZ) hingewiesen, doch gibt er in seinem monumentalen Werk «Allgemeine Modelltheorie» (Springer, Wien 1973) keinen an diese beiden Forscher anknüpfenden Abriss der eben skizzierten Betrachtungsart der Funktion und Vorgehen der Wissenschaft. Dabei ist es doch recht bedeutsam, wenn MACH schon vor bald hundert Jahren formuliert hat:

 

«Die Abbildung der Tatsachen in Gedanken, oder die Anpassung der Gedanken an die Tatsachen ermöglicht dem Denken, nur teilweise beobachtete Tatsachen gedanklich zu ergänzen, soweit die Ergänzung durch den beobachteten Teil bestimmt ist» (Erkenntnis und Irrtum, 1905, 3).

 

Und wenn er dann fordert, in der Beschreibung dieser Tatsachen gehe es um die übersichtliche Darstellung funktionaler Abhängigkeiten und Zusammenhänge - nicht aber von nicht-erlebbaren Faktoren, die «an sich» existieren sollen (KANT) -, dann ist er dem modernen Denken doch schon sehr nahe gekommen. Auch die Betrachtung der Wissenschaft als eine «Minimumaufgabe», die mit möglichst geringem Denkaufwand das Tatsachenmaterial zweckmässig zu sortieren, ordnen und vergleichen hat - was MACH als «Anpassung der Gedanken aneinander» bezeichnete -, bestimmt auch heute noch den Modellbegriff.

Auch WERNER HEISENBERG hat nicht nur die Arbeit des Physikers als «Spiele mit verschiedenen Bildern» definiert - was wiederum für den Philosophen ganz in der Nähe von WITTGENSTEINS «Sprachspielen» liegt -, sondern er hat auch vorgeschlagen, «eine der klassischen Mechanik analoge quantentheoretische Mechanik auszubilden, in welcher nur Beziehungen zwischen beobachtbaren Grössen vorkommen». Daraus ergab sich die Matrizenrechnung.

 

Das neopragmatische Erkenntniskonzept des Modellismus

 

Nun legt HERBERT STACHOWIAK immerhin grosses Gewicht auf die von MACH eingeleitete erkenntnistheoretische Besinnung, welche nicht nur vom kritischen Neo-Empirismus Russellscher Prägung und vom sogenannten «Wiener Kreis» oder «Logischen Positivismus» (WITTGENSTEIN, CARNAP) weiterverfolgt wurde, sondern auch vom Pragmatismus (PEIRCE, JAMES, DEWEY) und Konventionalismus (POINCARE).

Alle vier Strömungen, genauer ihre wechselweisen Auseinandersetzungen, beeinflussten unter anderem KARL RAIMUND POPPER, dessen «Kritischer Rationalismus» beispielsweise in den sechziger Jahren in der Soziologie so heftig diskutiert wurde, dass sich die Angelegenheit zu einem regelrechten «Positivismusstreit» auswuchs (vgl. dazu den Sammelband bei Luchterhand, 1969).

Unter Beizug der Informationstheorie einerseits, logisch-Iinguistisch-semantischer Forschungen anderseits entwickelt daraus STACHOWIAK ein «neopragmatisches Erkenntniskonzept» (35ff, 54), das unzweifelhaft zu den herausragendsten Leistungen der frühen siebziger Jahre zählt.

 

Er wählt dafür auch die Bezeichnung «Modellismus». Dieser neueste «Ismus» vereinigt nicht nur «Erkenntnis und Interesse» (so die Formel von JÜRGEN HABERMAS, 1968), also Forschungslogik und Erkenntniskritik, sondern ebenso sehr pragmatische - das heisst auf Brauchbarkeit und Bewährung gerichtete - wie ethische Forderungen, woraus sich sowohl ein «antidogmatischer und nicht-autoritärer Humanismus» (60) als auch eine «konstruktive kybernetische Erkenntnisanthropologie» (67, 114) ergibt. Dafür gilt:

 

«Jedes nur denkbare Konzept eines neopragmatischen Humanismus hat seine Basis in der Vergewisserung der weitgehend übereinstimmenden Grundmotive des Menschen: Deckung des unerlässlichen vitalen Bedarfs, darüber hinaus Bedürfnisbefriedigung unter dem Gesichtswinkel maximaler Selbstverwirklichung ... Freiheit, Mündigkeit, Emanzipation sind Synonyme für die Wahl- und Entscheidungsfähigkeit des einzelnen Menschen» (61, 62; vgl. 104f).

 

Daraus ergibt sich folgende Forderung: «Eine operationale Weltgesellschaft in der Verfassungsform eines demokratischen Welt-Bundesstaates hätte von den sie bestimmenden Grundwerten her auf maximale Selbstverwirklichung des einzelnen, das heisst auf lebenslang anhaltende und weitestgehende Motiverfüllung möglichst vieler individueller Menschen zu zielen - allerdings unter der zum Teil entfaltungsrestriktiven Bedingung planvoll regulierten Bevölkerungswachstums. Die realen Möglichkeiten jener Zielverwirklichung sind natürlich nicht zuletzt wesentlich gebunden an die rasche Beseitigung der materiellen Armut in den Entwicklungsländern und die gleichzeitige intensive Hebung des Bildungsstandards der Menschen dieser Länder mit dem Leitprogramm der Schärfung des allgemeinen Bewusstseins für notwendige Mindest-Normen kollektiv-rationalen Verhaltens. Erst in einer Welt ohne Neid und Hass erzeugende Disparität der Chancenverteilung in den Ausgangspositionen der verschiedenen Wege zur Selbstverwirklichung ist tatsächliche, nicht nur proklamierte Partizipation des einzelnen an den politischen - im Optimalfall 'weltinnenpolitischen' - Entscheidungen - aller Ebenen erreichbar» (118f; vgl. 124ff).

 

Alles Erkennen geschieht in Modellen und ist nie abgeschlossen

 

Besonderes Kennzeichen der Stachowiakschen Arbeit ist das Ernstnehmen des Modellbegriffs in seinem ganzen weiten Gebrauchsspielraum. Das bedeutet, dass nicht nur die in der Mathematik und Semantik (ALFRED TARSKI) verwendete Konzeption untersucht wird, wonach Modelle mengentheoretisch erfassbare (PATRICK SUPPES) Interpretationen (sogenannte «Belegungsmodelle» oder «Realisationen», 3) präexistenter Theorien respektive linguistischer Formengebilde (244ff: vgl. C. a. Il. 2. B. a. in der Tabelle) sind, sondern dass in umfassender Weise alles, was überhaupt als Modell gelten kann, fein säuberlich zusammengestellt wird. Dies ist um so bemerkenswerter, als an den zwei grossen modelltheoretischen Tagungen 1960 in Utrecht und 1963 in Berkeley trotz dem Einbezug nicht-formaler Modelle von diesen kaum die Rede war (6f). Die Ausweitung einer Theorie der Modelle war mithin überfällig.

 

Was denn nun ein Modell ist, sollte in den eingangs gebrachten Zitaten von MACH und HERTZ bereits deutlich geworden sein. STACHOWIAKS fundamentale These ist nun, dass «alle Erkenntnis Erkenntnis in Modellen oder durch Modelle» (56) ist.

Das bedeutet nichts Geringeres, als dass jegliche Weltbegegnung des Menschen, «indem sie auf das - passive oder aktive - Erkennen von etwas aus ist», sich «relativ zu bestimmten Subjekten, ferner selektiv - intentional selektierend und zentrierend - und in je zeitlicher Begrenzung ihres Original-Bezuges» (56) vollzieht [siehe Abb.: Inhalte des Modellbegriffs]. Der Modellbildung eignet so stets ein Moment schöpferischer Konstruktivität (57), die durchaus von einer spielerischen Haltung bestimmt werden kann (vgl. J. HUIZINGA: «Homo ludens», 1938).

 

Damit ist auch der Modellbegriff bestimmt. Bemerkenswert dabei ist, dass schlechthin alles als Modell gefasst werden kann. Es kommt ganz einfach auf den Standort und den Blickwinkel an, unter dem man etwas betrachtet, wobei dies selbst schon ein Modell-Vorgang ist. Das heisst gleichzeitig, es gibt nichts absolut Sicheres. Einen «archimedischen Standpunkt» zu finden - die Philosophen sprechen von «Letztbegründung» - ist für den Menschen unmöglich (33, 45ff, 55; vgl. auch 179, 209, 286-303); wie schon HERTZ sagte:

 

«Verschiedene Bilder derselben Gegenstände sind möglich, und diese Bilder können sich nach verschiedenen Richtungen unterscheiden.» Können wir demnach mehrere zulässige und richtige Bilder derselben Sache haben - am bekanntesten ist wohl das Beispiel vom Wellen- und Korpuskelcharakter des Lichts, der elektromagnetischen Schwingungen überhaupt -, so müssen wir nach der Nützlichkeit oder Zweckmässigkeit auswählen:

«Von zwei Bildern des selben Gegenstandes wird dasjenige das zweckmässigere sein, welches mehr wesentliche Beziehungen des Gegenstandes widerspiegelt als das andere; welches, wie wir sagen wollen, das deutlichere sei. Bei gleicher Deutlichkeit wird von zwei Bildern dasjenige zweckmässiger sein, welches neben den wesentlichen Zügen die geringere Zahl überflüssiger und leerer Beziehungen enthält, welches also das einfachere ist» (Hertz, 1894, 2).

 

Zieht man so das Interesse des Forschers und seine Werthaltungen in Betracht, so muss der Wissenschafter in «pragmatischer Freiheit» (54, 60; vgl. 286) seine Entscheide treffen dürfen. Damit wird Wissen nicht zu einem ehernen Bestand, sondern zu einem Vorgang. So meint auch STACHOWIAK:

 

«Das modellistische Erkenntniskonzept bleibt dem Umstand eingedenk, dass alles wissenschaftliche Erkennen unabgeschlossen, 'auf dem Wege' ist. Auf allen seinen Entwicklungsstufen bleibt es im Blick auf das Ganze des Theorienbildungsprozesses immer nur Heuristik» (60).

 

Wer erinnert sich da nicht an KARL JASPERS (1953): «Philosophie heisst: auf dem Wege sein. Ihre Fragen sind wesentlicher als ihre Antworten, und jede Antwort wird zur neuen Frage.»

 

Arten und Merkmale von Modellen

 

Wenn wir uns dies stets vor Augen halten, können wir endlich die strenge Definition von «Modell» in Angriff nehmen (auch STACHOWIAK kommt erst nach über einem Drittel seines Textes dazu). Nun kann eine Definition zweierlei angeben:

  1. den Inhalt (intensio), das heisst die Klasse der dem Begriff wesentlich zukommenden Merkmale, die insgesamt seine «Bedeutung» bestimmen, und
  2. den Umfang (extensio), das heisst die Gesamtklasse der Individuen, die «unter den Begriff fallen». Letzteres zeigt die Tabelle.

 

Demzufolge können Modelle in sechs Hauptgruppen aufgeteilt werden:

 

A. Graphische Modelle (159-174)

 

Wesentlich zweidimensionale anschaulich-räumliche Originalabbildung:

  • Bildmodelle (vorwiegend anschaulich; 159ff);
  • Darstellungsmodelle (brauchen Zeichenerklärung; 165ff).

 

B. Technische Modelle (174-196)

 

Überwiegend dreidimensionale raumzeitliche und materiell-energetische Repräsentationen:

  • Physikotechnische Modelle (vorwiegend hergestellt; 175ff);
  • Bio- psycho- und soziotechnische Modelle (zumeist vorgefunden; werden aber manipuliert; 190ff).

 

C Semantische Modelle (196-285)

Wahrnehmungen, Vorstellungen, Gedanken, Begriffe und deren sprachliche Artikulation:

  • Interne Modelle (perzeptive und kogitative; 207ff);
  • Externe Modelle (Zeichen-Modelle, Kommunikationssysteme; 214ff).

 

Was den Inhalt des Modellbegriffs angeht, lassen sich drei Hauptmerkmale (131ff, 209) angeben:

 

1. Das Abbildungsmerkmal: «Modelle sind stets Modelle von etwas, nämlich Abbildungen, Repräsentationen natürlicher oder künstlicher Originale, die selbst wieder Modelle sein können» (131).

 

2. Das Verkürzungsmerkmal: «Modelle erfassen im allgemeinen nicht alle Attribute des durch sie repräsentierten Originals, sondern nur solche, die den jeweiligen Modellerschaffern und/ oder Modellbenutzern relevant scheinen» (132). Modelle sind somit meist Vereinfachungen.

 

3. Das pragmatische Merkmal: «Modelle sind ihren Originalen nicht per se eindeutig zugeordnet. Sie erfüllen ihre Ersetzungsfunktion:

  • für bestimmte - erkennende und/ oder handelnde, modellbenutzende - Subjekte;
  • innerhalb bestimmter Zeitintervalle und
  • unter Einschränkung auf bestimmte gedankliche oder tatsächliche Operationen» (132f).

 

Kurz: Modelle sind stets Modelle von etwas (Original), für jemanden (Subjekt); sie erfüllen ihre Funktion eine Zeitlang und dienen einem Zweck. STACHOWIAK spricht in seinem den Laien - auch manchen Gebildeten - durchaus abschreckenden und mit Fremdwörtern und Neubildungen aller Art gespickten Text von einem «Frage-Quadrupel», dem man die «metawissenschaftliche Funktion eines vierdimensionalen basalen pragma-kategorialen Bezugssystems zuerkennen» (133) könne. Eine recht einprägsame schematische Darstellung der Modellrelation gibt das Schaubild I (auch dies ein Modell, und zwar gemäss Tabelle vom Typ A. b. 1) aus GEORG KLAUS' «Wörterbuch der Kybernetik» (1967/69, 413). Zu beachten dabei ist, dass sich sowohl Modell wie Original ausserhalb oder innerhalb des Subjekts befinden können.

 

Interessant ist die allgemeinsprachliche Dreifachbedeutung von Modell als Abbild wie Vorbild und Entwurf. Dabei gibt es von jeder Bedeutung zwei Varianten. In ersterem Falle je nach der Ähnlichkeit von Original und Modell: Abbild im engeren Sinne (z. B. Gemälde, Modelleisenbahn) und Repräsentation als Stellvertretung des Originals. Im zweiten Falle Vorbild im weiteren Sinne und Vorbild für eine künstlerische Nachbildung (z. B. Akt), wobei das nachzubildende Individuum (auch ein Arrangement oder eine Situation) nicht unbedingt als «es selbst» künstlerisch dargestellt werden muss, sondern als Modell etwa für den weiblichen Körper schlechthin oder die menschliche Tragik (z. B. in einem Roman) dienen kann. Der Entwurf schliesslich kann einen Versuchscharakter oder einen Vorbildcharakter haben.

 

Eine neueste, etwas pikante Variante von Modell hat vor einiger Zeit sogar in der Rubrik «Stellengesuche» einer Zürcher Zeitung Eingang gefunden gehabt. Diese Modelle verfügten sämtliche über zwei hervorstechende Kennzeichen: freie Termine und eine Telefonnummer. Es ist anzunehmen, dass sich diese Modelle weder als Vorbilder noch Abbilder angeboten haben, sondern als Originale - jedoch durchaus in einer Ersetzungsfunktion zur präzisen Erfüllung des pragmatischen Merkmals. Dies ein kleines Beispiel dafür, wie sehr, was schon VON HUMBOLDT und WITTGENSTEIN betonten, die Sprache in ihrem Gebrauch lebt.

 

In weniger verfängliche Gefilde - wie sehr ist doch Zweideutigkeit eine recht eindeutige Angelegenheit (auch dies eine sprachliche Finesse) - führt eine neue Methode in der sogenannten psychologischen Verhaltenstherapie: das Modellernen. Hierbei wird in einer therapeutischen Gruppe eine einzelne Person in die gewünschte Richtung «konditioniert», und an diesem stellvertretenden Vorbild soll der «Patient» lernen, sein Verhalten zu kontrollieren.

 

Wozu können Modelle dienen?

 

Dies führt uns mitten in die zentrale Problematik: Wozu Modelle? Leider unterlässt es STACHOWIAK, eine Zusammenstellung aller möglichen Zwecke zu geben. Einzig für die Wissenschaften (138f) unterscheidet er:

 

  • Demonstrationsmodelle (didaktische Modelle) zur Veranschaulichung von Zusammenhängen;
  • Experimentalmodelle zur Ermittlung (heuristische Modelle) und Überprüfung von Hypothesen;
  • theoretische Modelle zur Vermittlung von Erkenntnissen über Sachverhalte und
  • operative Modelle möglicher Zielaussenwelten zur Bereitstellung von Entscheidungs- und Planungshilfen.

 

Selbstverständlich besteht eine enge Beziehung zwischen den Arten der Subjekte (Organismen, aber auch Automaten) und den Zwecken, den diese mit der Herstellung oder Benützung von Modellen verbinden. Grundsätzlich kann man wohl mit KLAUS (1969, 412ff, 420ff) vier Gruppen von Zwecken auseinanderhalten:

 

  • Funktionsersatz, -erweiterung, -verstärkung (z. B. medizintechnische Geräte, Regelungsapparaturen);
  • Erkenntnisgewinnung (Information, Einsicht, Bestätigung, Aufbau, Verbesserung) und (meist daran anschliessend) entweder
  • Kenntnisvermittlung oder
  • Verhaltensregulation (als Übung von Fertigkeiten oder in der Realsituation, jedenfalls aber im Sinne einer «Beherrschung» des Originals, was von der Veränderung über die Projektierung bis zur Erzeugung des Originals selbst gehen kann).

 

In bemerkenswerter Weise können Computer sowohl als Funktionsersatz (Simulation) wie zur Informationsgewinnung dienen (416; vgl. 187). Eine besondere Variante des Funktionsersatzes ist etwa der Prüfstand zur Testung neu entwickelter Produkte.

 

Es ist ferner ganz klar, dass die Originale materielle wie ideelle Gebilde sein können, genauso wie die Modelle stofflich-energetisch - natürlich oder künstlich - sein können, aber auch gedanklich (vgl. Tabelle: D).

Diese letzteren, die internen semantischen Modelle, sind uns als die Machschen «Nachbildungen» respektive Hertzschen «Scheinbilder» bekannt. KLAUS (1969, 287) spricht von «Strukturen des menschlichen Gehirns». STACHOWIAK bezeichnet sie als «perzeptiv-kogitative Gebilde» (135), die als «psychische Prozesse und Zuständlichkeiten» existieren und «aus den Zusammenhängen der durch externe Beobachter feststellbaren Zeichenverwendungen erschliessbar sind» (136). Und zwar sind es die Zeichen der Sprache, welche «eine die Endglieder der attributenbildenden 'inneren' Geschehensketten abbildende Sphäre symbolischer Repräsentation» (136) aufbauen.

 

Innere Modelle sind jedoch nicht nur an den Menschen gebunden. Man kann annehmen, dass auch Tiere solche bilden, ja sogar Automaten (wie das oben in einer Klammer bereits angetönt wurde). Diese letzteren - künstlich hergestellte Systeme, also ihrerseits technische Modelle von biologischen wie ideellen (z. B. logischen) Originalen, von STACHOWIAK «maschinelle kognitive Subjekte» (131) genannt - können ebenfalls Umwelterscheinungen in Gestalt interner Modelle abbilden und vermögen, wenn sie dieselben durch «Lernen» - was nicht zu verwechseln ist mit dem Modellernen in der Verhaltenstherapie - selbsttätig verbessern, sogar «Entscheidungen» zu treffen, die der Konstrukteur des Automaten nicht voraussehen kann (KLAUS, 1969, 416).

Unter anderem in der Fertigungstechnik spielen solche kybernetische Steuerungsanlagen eine grosse Rolle, wobei sie durchaus eine Ersatzfunktion erfüllen. Ähnlich lassen sich in Computern alle Arten von Vorgängen, meist unter Reduktion des Aufwandes, «simulieren».

 

Doch zurück zu den einfachsten Modellen, den graphischen. Sie dienen «oft der Sichtbarmachung bestimmter Kombinationen von Erinnerungsbildern oder der Veranschaulichung abstrakter, insbesondere mathematischer Zusammenhänge» (160).

Bei dieser knappen Bemerkung über deren Zweck belässt es STACHOWIAK, dabei könnte es sich bei der künstlerischen Fotografie und Gemälden - ebenso wie bei den poetischen semantischen Modellen (vgl. 235ff) - sicher auch etwa um Stimmungserzeugung, Verschaffung ästhetischen Genusses usw. handeln, was nicht unbedingt Erkenntnisgewinn oder Erinnerungsaktivierung bedeuten muss. Immerhin ist etwa bei Zeichnung, Foto und Film, Platte und Band die Speicherfunktion nicht zu unterschätzen (vgl. 180, 182), und zwar nicht nur in der Wissenschaft und Computer-Technik, sondern auch in dem Bereich, den wir gemeinhin als «Tradition» bezeichnen.

 

Dies gilt selbstverständlich auch für viele andere Modelle, wie etwa das Bohrsche Atommodell, das nur noch historische Bedeutung hat. Die geschichtliche Dimension ergibt sich umgekehrt bei den «Rekonstruktionen», geschehe das nun in Form von STANLEY MILLERS Erdatmosphäre (elektrochemisches Modell; 189), RANKES Weltgeschichte (56) oder ontogenetischen «Rekapitulations»-Modellen stammesgeschichtlicher Entwicklungslinien (biotechnische Modelle; 191f). Vergleiche dazu die Tabelle (B).

 

Experimentieren mit und Prüfen von Modellen

 

Dass auch der Zukunftsbezug nicht fehlt, wurde schon bei der Erwähnung der operativen Modelle deutlich. KLAUS erwähnt die «sogenannte Modellprojektierung und die Gestaltung des ökonomischen Perspektivplanes einer Volkswirtschaft oder eines volkswirtschaftlichen Teilbereiches als Modell künftiger Produktion» (1969, 420f). Auch diese Pläne können natürlich auf ihre Konsequenzen hin in einem Computer simuliert werden, was einerseits die Erprobung von Varianten, anderseits die Vornahme von Korrekturen erlaubt und drittens die Entscheidungsgrundlagen für zu treffende Massnahmen abgibt.

Genauso wie man das Nachdenken oder Überlegen als Experimentieren mit inneren Modellen bezeichnen kann, können solche Simulationen, wie selbstverständlich auch Manipulationen an externen Modellen, als «Modellexperimente» aufgefasst werden. Die Gründe für die Verwendung von Modellen sind jedenfalls nebst den früher genannten Zwecken meist:

 

  • ökonomische oder technische Ersparnis;
  • Vermeidung von Gefährdungen des Subjekts oder Originals;
  • Unzugänglichkeit des Originals oder
  • Unübersichtlichkeit oder Kompliziertheit des Originals;
  • auf der andern Seite Universalität und Flexibilität des Computer-Modells (188; vgl. 57).

 

Keineswegs ausgeschlossen ist dabei, dass die am Modell gewonnenen Ergebnisse mit früheren oder späteren Untersuchungen am Original verglichen werden. Im Gegenteil, die Modellmethode erweist erst dadurch ihre Fruchtbarkeit, gewinnt dadurch erst ihren Sinn. «Modell» ist ja schliesslich unter anderem definiert als «Ersatz auf Zeit».

Deshalb kann man auch keinem Menschen eigene Erfahrungen - mögen sie noch so unliebsamer Art sein - ersparen. Man kann höchstens versuchen, anhand von Modelldemonstrationen gewisse Konsequenzen eines Verhaltens aufzuzeigen. Solange dies freilich im Tenor von «Appellen an die Vernunft» geschieht, ist damit, wie die Geschichte lehrt, wenig zu erhoffen.

Man müsste da schon mit einleuchtenden und stichhaltigen Argumenten aufwarten können, doch wie die Destruktion der «Weltmodelle» von JAY W. FORRESTER («World Dynamics», 1971) und DENNIS MEADOWS («The Limits to Growth», 1972) durch die SUSSEX-GRUPPE («Thinking About the Future», 1973) gezeigt hat, ist damit vorderhand nichts.

 

Wie genau gibt ein Modell das Original wieder?

 

Nicht verwunderlich ist, dass STACHOWIAK als Mathematiker und Philosoph sich hauptsächlich mit den internen und externen semantischen Modellen beschäftigt (über 100 Seiten). Das zweite Schwergewicht legt er auf den Vergleich des Modells mit dem Original, also die Betrachtung des Abbildungs- und Verkürzungsmerkmals. Dabei können zwei fundamentale Bezugsarten unterschieden werden (140f):

 

  1. die formale (form- und gefügemässige) oder strukturelle Angleichung und
  2. die inhaltliche (inhalts- und bedeutungsmässige) oder materiale Angleichung.

 

Für beide Typen von Angleichungen zwischen Modell und Original lassen sich Grade angeben. Der höchste Grad bei der strukturellen Angleichung heisst Isomorphie (143, 330f; morphé = Form); man kann auch von Strukturkopierung (154, 170) sprechen. Die minimale strukturelle Original-Angleichung findet sich bei monadischen Modellen (auch «Atom»- oder «Punktmodell» genannt; 143, 331).

 

Die kleinstmögliche materiale Original-Angleichung wird durch ein Analogmodell (152) geleistet; dabei findet eine Merkmalsverfremdung (vgl. 186) durch vollständige Neu-Kodierung statt (313ff, 332f). Die höchste materiale Angleichung an das Original findet sich in der kodierungsinvarianten Abbildung durch ein isohyles Modell (hyle = Stoff). Wenn die Original-Modell-Abbildung sowohl isomorph wie isohyl ist, heisst sie «äquat» (153, 333); das Modell ist ein äquates oder eine Kopierung. Darunter wiederum fällt die «Kopie» als räumlich-metrisches Modell.

 

Zu beachten ist, dass auch im semantischen Bereich materiale Angleichungen untersucht werden können (144f), es sind dann eben «bedeutungsmässige», so zum Beispiel zwischen Axiomensystemen (in einer formalisierten Objektsprache) und Belegungsmodellen (in einer semantischen Metasprache) respektive linguistischen und mengentheoretischen Entitäten, aber auch viel allgemeiner zwischen Perzeptionsgegebenheiten und formalen Modellen (vgl. 56, 145).

 

Drei weitere Begriffe bedürfen noch kurz der Erläuterung (155-157). Die bei einer Original-Modell-Abbildung absichtlich oder unabsichtlich nicht erfassten Merkmale (Attribute) heissen präterierte (übergangene, ausgelassene); werden bei der Modellbildung aus irgendwelchen Gründen Eigenschaften verwendet, denen keine auf der Seite des Originals entsprechen, so heissen diese umgekehrt abundante (überschüssige). Diese abundanten Merkmale schliessen Abbildungslücken, genau in dem Sinne wie MACH von der gedanklichen Ergänzung nur teilweise beobachteter Tatsachen sprach. Bei gewissen Modellen können solche Abundanzen ferner aus rein technisch-ökonomischen Gründen notwendig sein.

Kontrastierung schliesslich besteht in der Heraushebung von Merkmalen zur Betonung und Verdeutlichung bestimmter Züge und Beschaffenheiten des Originals, man denke etwa an Karikaturen oder Kontrastverstärkungen durch Computer bei Röntgen- und astronomischen Aufnahmen; aber auch ein «Modellfall» gehört als «Muster»-Beispiel hierher.

 

Beispiele von Modellen

 

Diese bereits recht komplizierten Sachverhalte werden etwas leichter fassbar, wenn wir die Beispiele betrachten, die KLAUS anführt. So kann etwa der physikalische Prozess in einem Stromkreis (materielles-technisches Original) durch eine mathematische Formel wie etwa das Ohmsche Gesetz oder eine Volkswirtschaft durch Verflechtungsbilanzen «modelliert» werden.

 

Ein technisches Modell von technischen Prozessen liegt etwa bei einem Flugzeugmodell vor, das im Windkanal getestet wird. Aber auch technische Modelle biologischer Vorgänge können hergestellt werden, sei das nun eine Realisierung des bedingten Reflexes, die «kybernetische Schildkröte» von WILLIAM GREY WALTER und der «Homöostat» von W. ROSS ASHBY, eine «künstliche Niere» oder eine dynamische Prothese. Auch Werkzeuge - angefangen bei Hammer und Zange - können durchaus als Modell biologischer Originale (z. B. Hand) aufgefasst werden. All dies gehört zum Bereich «Nachahmung». Die mathematische Beschreibung als Modell dieser biologischen Modelle ist dabei in den meisten Fällen ausserordentlich kompliziert.

 

Im weiteren lassen sich zu vielen inneren Modellen, die der Mensch bildet, ebenfalls technische Modelle herstellen, man denke etwa an die Drahtgestelle für das Bohrsche Atom-«Modell» oder für chemische Strukturformeln, aber auch an kleinmasstäbliche architektonische und andere plastische Entwürfe. KLAUS spricht hierbei von einer «Objektivierung» der Denkprozesse.

 

Ein Sonderfall ist schliesslich, wenn man natürliche Originale direkt als Modelle - meist «Beispiele» - benützt, sei das nun wenn ein Coiffeurlehrling willige Personen als Übungsobjekte «verwendet» oder ein Maler eine Gruppierung von Gerätschaften und Esswaren als Modell einer festlichen Tafel. KLAUS erwähnt, dass verschiedene Tierarten verletzte Beutetiere als Modell zur Demonstration und zur Übung für ihre Jungen verwenden, die lernen sollen, die Beute zu fangen (417). Viele weitere Beispiele für den biologischen Bereich (Tierexperimente) gibt STACHOWIAK. Als soziotechnische Modelle können repräsentative Stichproben aus der Bevölkerung für Meinungsumfragen dienen.

 

Interessant wäre es, für den technischen Bereich zu untersuchen, wie lange schon hier der Begriff Modell im Sinne von «Typ», «Ausführung», «Bauart» oder «Jahrgang» verwendet wird, beispielsweise bei Konsumgütern, Maschinen usw. (vgl. etwa das eingangs erwähnte Beispiel des Autos "Mach1").Im ganz spezifischen Bereich der Mode ist schliesslich ein Modell das in seiner Art nur ein einziges Mal hergestellte Kleidungsstück (und zwar nach einem Original-Entwurf), der ausgeführte Entwurf, der zur „Vervielfältigung“ dient, oder aber eine «Vorführdame» (mannequin; früher: Gliederpuppe).

 

 

Als knifflig könnte sich auch die Frage erweisen, welcher Grad von struktureller und materialer Angleichung zwischen Eltern und Kind besteht (vgl. bei KLAUS, 1969, 417, der Hinweis auf "Vererbung", bei STACHOWIAK, 191f, auf "phylogenetische Prozesse"). Wer ist da Original, wer Modell?

Das Beispiel zeigt, dass es noch zwei weitere Arten von Angleichungen zu beachten gilt: die funktionelle und die verhaltensmässige. Leider geht STACHOWIAK nicht darauf ein. Was er Funktionsmodelle nennt (188, 190, 342) wären bei KLAUS (1969, 695f) Verhaltensmodelle. Ebensowenig thematisiert er die Frage nach «natürlich» und «künstlich», obwohl er die beiden Wörter mehrfach, meist jeweils nur eines, verwendet.

 

Wäre etwas künstlich, das von Menschen - und zwar nicht nur technisch (vgl. 131, 165, 207, 325ff, 351) - «erzeugt» wird, so wären alle Menschen selbst künstliche Wesen.

Das soll beileibe keine Spiegelfechterei sein. KLAUS (1969, 419) klassifiziert beispielsweise das Bohrsche Atommodell als natürlich! Umgekehrt gehören technische Modelle - wie technische Systeme überhaupt - in der offiziellen Lesart des Marxismus-Leninismus «im ganzen und ihrem wesentlichen Aufbau nach nicht zu einer niederen (etwa zur physikalischen) Bewegungsform der Materie» (KLAUS, 1969, 425), obwohl sie zehn Seiten vorher «im wesentlichen der physikalischen Bewegungsform der Materie» zugerechnet werden. Da harrt also noch einiges - wie auch sonst im «Wörterbuch der Kybernetik» - der Klärung.

 

Merkwürdigerweise lässt KLAUS beispielsweise den ganzen Bereich der graphischen Modelle unter den Stichworten «Modell» und «Modellmethode» ausser acht, obwohl er selbstverständlich «Blockschaltbild», «Signalflussplan», «Graph», «Schaltplan» und «Programm» (Flussdiagramm) in sein Wörterbuch aufgenommen hat. Er sieht sie eben bloss als «graphische Darstellungen» (z. B. 1969, 113, 552, 485), nicht als Modelle. Immerhin fasst er unter «Aussagenlogik» diese als eine Interpretation der abstrakten Booleschen Algebra der Logik und ihre eigene Interpretation als Modell in der «Schaltalgebra» (ihrerseits, neben der Mengentheorie, eine Interpretation der Booleschen Algebra) auf.

Unter diesem Stichwort sowie unter «Semantik», «Semiotik», «Zeichen», «Metasprache» oder «Abstraktion», «Abbildung», «Homomorphie», «Äquivalenz», «Ähnlichkeit» usw. fehlen jedoch die Hinweise auf Modell. Einzig das «Durchspielen» von künftigen Aussenweltsituationen am internen Modell wird «letztlich» als Spiel mit «Symbolen» gefasst (KLAUS, 1969, 630), und unter «Spiel» heisst es:

 

«Spiel am und mit dem materiellen und geistigen Modell der Realität dient der Erlangung und Übung bestimmter Fähigkeiten beziehungsweise der Vorwegnahme künftiger Umweltsituationen, der Voraussicht oder Vorausberechnung als Operation am internen Modell der Aussenwelt» (KLAUS, 1969, 587).

 

Interessant wäre auch die Klärung, ob «die Sprache» ebenfalls ein Modell ist oder nicht. KLAUS (1969, 604) spricht nur vom «Sprachmodell», welches ein «durch Abstraktion gewonnenes Modell» ist, «das bestimmte Aspekte, Teilkomplexe der Gesetzmässigkeiten einer Sprache erfasst und dem Studium der sehr komplizierten Vorgänge dient, die sich bei der menschlichen Kommunikation mittels natürlicher Sprachen abspielen. Die zentrale Stellung nimmt dabei die Grammatik ein, die ein Modell für die Fähigkeit ist, Sätze zu bilden und zu verstehen.»

Unter «Grammatik» fehlt aber der Hinweis auf deren Modellcharakter, wie auch unter «Syntax»; dabei sind beides «Systeme von Regeln», wobei Grammatik auch noch eine Theorie ist, Syntax aber nicht. Dafür kann «ein und dieselbe syntaktische Struktur die verschiedenartigsten Modelle haben» (KLAUS, 1969, 634); das sind die uns schon mehrfach begegneten «Interpretationen».

 

Zusammenfassung: die internen und externen semantischen Modelle

 

Das mag alles ungemein verwirrend klingen. Doch die Verständnisschwierigkeiten werden noch grösser, wenn man für folgendes KLAUS mit STACHOWIAK vergleicht: Bei ersterem ist zum Beispiel von «(abstrakten) Zeichensystemen» (1969, 413-421) die Rede, bei letzterem von «Zeichen-Modellen» (207, 215, 227, 230).

 

Abgesehen von der Frage, wieweit Modell und System als dasselbe angesehen werden können, muss man eben zwischen inneren und externen (expliziten) Zeichen unterscheiden. Die abstrakten Zeichensysteme von KLAUS entsprechen den schon mehrmals erwähnten «inneren Aussenweltmodellen», also den «internen semantischen Modellen» (196, usw.) bei STACHOWIAK (deren Grundlage demnach «innere Zeichen mit Modellcharakter» sind; 210; vgl. 218, 228f), während die «Zeichen-Modelle» STACHOWIAKS aus «expliziten» (214) Sprachzeichen, mithin «semantisch konventionalisierten» (196) Zeichen bestehen und den externen, «explizit-semantischen» (207, 214) Raum der Kommunikationssysteme, vorwiegend der Sprache, konstituieren.

 

Wie die innere Sprache aussieht, wie sie etwa mit Wahrnehmungen, Vorstellungen und Gedanken zusammenhängt, entzieht sich dabei weitgehend unserer Erkenntnis; wir können sie, wie früher erwähnt, nur aus den expedierten Zeichen, also dem, was ein Mensch spricht oder schreibt, erschliessen. Reflexion oder Introspektion sind wohl diesbezüglich eher unzuverlässige Mittel.

 

Was in und mit den semantischen Modellen (sema, semeion = Zeichen, welches für etwas steht, das es bezeichnet) geschieht, soll in Anlehnung an Schaubild III (vgl. dazu auch in der Tabelle: C) nun endlich abschliessend - stark vereinfacht - zusammengestellt werden:

 

1. In der Optik des Modelltheoretikers gilt der individuelle Mensch als informationsverarbeitendes System (68ff). Erweitert man dieses kybernetische Subjekt-Aussenwelt-System auf Organismen und Automaten, wird es kurzerhand «K-System» genannt. «K» steht dabei für «Kybiak», was, wie der Leser schmunzelnd feststellen darf, eine Zusammenziehung von Kybernetik und Stachowiak ist (69). Dieses System wird eingehend beschrieben in dem bekannten Buch «Denken und Erkennen im kybernetischen Modell» (Springer, Wien 1965), es besteht im wesentlichen aus vier Funktionseinheiten - Perzeptor, Motivator, Operator und Effektor -, die untereinander (z. T. auch über die Aussenwelt) in Rückkopplung stehen (72f).

 

2. Vermöge seiner Sinnesorgane (Rezeptoren) empfängt (perzipiert) der Mensch Informationen aus der Aussenwelt (70), und zwar in Form von Signalen oder Taxen. (Dabei gilt nach KLAUS, 1969, 721: «Nur solche Signale sind Zeichen, die Träger einer Information sind.» Nach STACHOWIAK, 200ff, sind Taxen «individuell realisierte Einheiten» von «Ausdrucksatomen», also etwa Laute und Buchstaben.)

 

3. Aus den empfangenen Signal- oder Taxfolgen baut der Organismus Perzeptionsformen auf, die als «Partialmodelle der Aussenweltperzeption» (71) wiederum die «internen Aussenweltmodelle» (71, 207f, 344) aufbauen. (STACHOWIAK, 71,  formuliert: «In ihnen sind die perzipierten Signalkonstellationen auf bedeutungstragende Zeichensysteme abgebildet, die ihre Aussenwelt-Designate repräsentieren.»)

 

4. Operationales Denken ist dann ein inneres Manipulieren (daher: Kombinations- und Derivationsmodelle, 208, 213) «objektrepräsentierender Teilsysteme innerhalb der internen Aussenweltmodelle» (71f), und zwar nach Vorgabe von «Superprogrammen» des Motivators (344, 350).
Die Perzeptionsmodelle sind also grundlegend für alle geistigen (208f) - und wohl auch emotionalen (231f) - Vorgänge. Auf ihnen bauen sich nicht nur die Vorstellungen sowie Gedanken und Begriffe auf (nichtperzeptuelle interne Modelle), sondern darüber hinaus die mittels Effektoren - zum Beispiel Sprechwerkzeugen und Händen - expedierten Modelle der Kommunikation, die externen Zeichen-Modelle (die wiederum vom Subjekt selbst, wie etwa die eigene Handschrift, vor allem aber von andern Subjekten perzipiert werden können).

 

5. Die wichtigste Gruppe der nichtperzeptuellen internen Modelle (auch kogitative Modelle genannt) bilden die Aussagesysteme, welche unter die Narrativ-Klasse fallen (narrare = erzählen, berichten; 233ff). Solche Aussagesysteme können un-wissenschaftlich sein, wie etwa Dichtungen oder metaphysische Modelle, oder aber wissenschaftlich, wie Hypothesen und Theorien, wobei aus letzteren wiederum Entscheidungs- (operative Modelle) und aus diesen Prognosemodelle (prospektive Modelle) gewonnen werden können.

 

6. Gemäss der Feststellung von MACH, Nachbildungen seien oft leichter zur Hand als die Erfahrung und könnten dieselbe in mancher Beziehung vertreten, ist es für das Denken (den Operator) naheliegend, sich an den Theorien noch etwas eingehender zu betätigen (243f, 249): man kann sie axiomatisieren. Das geschieht vor allem in der heutigen Mathematik (Strukturtheorie; BOURBAKI, SUPPES) und Mathematischen Logik (Kalkül; logisch-semantische Modelltheorie; TARSKI, ADDISON).
Daneben gibt es auch zahlreiche Versuche, erfahrungswissenschaftliche Theorien zu axiomatisieren, worin die theoretische Physik bisher am weitesten gelangt ist, während in Biologie, Psychologie, Linguistik und Ökonomie die Bemühungen trotz teilweise beträchtlichem Einsatz noch nicht die erwarteten Früchte getragen haben (262ff).

 

Ist die Erstellung eines Axiomensystems einmal gelungen, kann man daran gehen, diese Aussagegebilde (Aussageformen, Formeln) zu interpretieren, was Belegungsmodelle ergibt. Diese letzteren sind vor allem für den Nachweis der Widerspruchsfreiheit des Axiomensystems von Belang. Interessant ist nun der Wechselbezug zwischen diesen beiden Modellen:

 

Axiomensysteme sind «semantische Modelle ihrer sie erfüllenden Bedingungen. Da sie die letzteren logik-sprachlich beschreiben, werden sie auch formal-linguistische Darstellungsmodelle genannt. Sie sind andererseits Abstraktionsmodelle, da sie von speziellen Attributen der sie erfüllenden konkreten Gebilde abstrahieren» (249).

 

Der Weg vom Belegungs- zum Darstellungsmodell ist also derjenige einer Abstraktion, der umgekehrte Weg eine Konkretion. Diese Konkretion - unsere altbekannte Interpretation, auch als Realisierung oder Deutung gefasst - geschieht im mathematischen wie logischen Bereich durch formale Belegungsmodelle (die selbst freilich auch «abstrakt» sind), im erfahrungswissenschaftlichen Bereich durch empirische.

 

Was aber diese empirischen Realisationen genau sind, ob «konkrete Gebilde» der «Aussenwelt» oder ihre Beschreibung in einer Beobachtungs- oder Messsprache, also auch schon Modelle - diese Frage zu klären, sprengte den Rahmen dieser Zusammenfassung. Sie sei aber als Hinweis auf die nicht nur in der Physik seit MACH aktuelle Problematik der «Realität der Aussenwelt» im Raume stehen gelassen (siehe Abb.: Das Subjekt zwischen Modell und Realität). Gerade STACHOWIAKS Allgemeine Modelltheorie bringt hier zahlreiche neue Diskussionspunkte ins Spiel, nicht zuletzt die in einer Auseinandersetzung (289-303) mit KLAUS' «Kybernetik und Erkenntnistheorie» (1965) fallende Feststellung:

 

«Die Setzung absoluter und subjektfrei objektiver Gegebenheiten kann nur spekulativ sein - oder sie beruht auf blosser, unmittelbarer Glaubensüberzeugung. Was uns für immer verschlossen bleibt, darüber können wir schlechterdings nichts wissen» (300; vgl. 266).

 

(geschrieben im Oktober 1975;

Artikel erschienen in: Schweizer Rundschau, Dezember 1977, 3-10; nach dem Manuskript mit den Seitenangaben der Zitate ergänzt)

 



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