Home Mathematische Modelle im 19. Jahrhundert

 

Alexander Brill

In Mathem.-naturw. Mitteil. Bd II, 1, 1889, 69-80, auch als Sonderdruck

 

 

Über die Modellsammlung des mathematischen Seminars der Universität Tübingen.

Einleitung zu einem Vortrag gehalten am 7. November 1886

von A. Brill in Tübingen.

 

Sehr geehrte Herrn!

 

 

Wer diesen Aufbau von Modellen in Gips und Holz, Seidenfäden und Messing erblickt, dem fallen wohl unwillkürlich die einfachen Hilfsmittel ein, deren man sich in früherer Zeit bei dem mathematischen Unterricht an Hochschulen bediente, und Mancher wird geneigt sein, den überhandnehmenden Luxus auch auf diesem Gebiet zu beklagen und, mit einem Seitenblick auf die heutige Methode, dem Unterricht und den Lehrern der guten alten Zeit ein Loblied zu singen.

 

Da muss ich dann gleich zum Beginn eine persönliche Voreingenommenheit für Veranschaulichungsmittel bei jeder Art von Unterricht, besonders aber für die vor Ihnen stehenden beim mathematischen bekennen. Ich finde, der Vortrag lässt sich mit Hilfe derselben lebendiger, der. Unterricht eindringlicher gestalten, und man wird doch immer nur auf einen Teil derselben verzichten können, weil ja die ganze Zeichensprache der Mathematik, jede Formel und jedes Symbol für die Anschauung geschaffen ist.

Dazu kommt aber für mich noch ein anderer Grund. Wohl reichlich die Hälfte dieser Modelle ist mir, bevor sie ihre definitive Gestalt hatten, verschiedene Male durch die Hände gegangen, ich kenne ihre Entstehungsgeschichte, die rechnerischen und technischen Versuche, die vorausgiengen, die Schmerzen, die manches derselben ihren Verfertiger kosteten und die Freude an dem schliesslich gelungenen Werk. Dieser enge Verkehr erschloss mir die verschiedenen Seiten eines solchen Gipskörpers, das Modell wurde mir in den Vorlesungen unentbehrlich und manches auch für die Arbeit förderlich.

 

Indessen, so ganz vereinzelt bin ich mit dieser Vorliebe auch nicht. Viele, auch kleinere, Universitäten besitzen ähnlich ausgedehnte Sammlungen von mathematischen Modellen, und namentlich sind fast alle technischen Hochschulen Deutschlands mit reichen Anschauungsmitteln, wie für den mechanisch-technischen, so für den geometrischen Unterricht ausgestattet. Dieselben dienen, wie die Sammlungen physikalischer und chemischer Institute, teilweise den Bedürfnissen des Lehrvortrags. Schon die äussere Gestalt der meisten dieser Modelle zeigt Ihnen, dass es sich dabei nicht um die Unterstützung der Trägheit des Vorstellungsvermögens handeln kann. Die Mannigfaltigkeit dieser Formen regt im Gegenteil die Einbildungskraft an, und der öftere Umgang mit ihnen zieht auch den mit räumlicher Anschauung wenig Begabten zum Interesse an der Geometrie heran und reizt den Talentvolleren zum Vergleichen und Nachdenken.

 

Die Meisten dieser Modelle sind jedoch bestimmt zur Förderung geometrischer Spezialstudien. Die Untersuchung der gestaltlichen Verhältnisse auch von Gebilden, die dem Geometer sonst wohl bekannt sind, fordert zu neuen und oft folgereichen Fragestellungen auf. Selbst eine Frucht oft mühsamer Einzelforschungen wenden sich viele dieser Modelle von Flächen und räumlichen Kurven mit ihren meist vorher unbekannten oder schwer vorstellbaren Formen an den Forscher, dem sie Aufschluss geben über Fragen, die ihn vielleicht sonst schon beschäftigten oder zu denen das Modell selbst Anlass gab.

 

In diesem Sinn ist eine solche Sammlung wie eine Bibliothek anzusehen oder wie ein Naturalienkabinet, nur dass sie nicht mit Zufälligkeiten und Unwesentlichem zu kämpfen hat, wie auch die beste systematische Anordnung eines solchen.

 

Bevor ich Sie einlade, die einzelnen Nummern meiner Sammlung zu betrachten, sei mir gestattet, einen kurzen historischen Überblick vorauszuschicken über die Bestrebungen, deren Ergebnisse Sie hier vereinigt sehen.

 

Wenn man ein Werk der älteren mathematischen Literatur aufschlägt, das sich mit den Eigenschaften geometrischer Gebilde beschäftigt, so findet man es meist reichlich mit Figuren ausgestattet. So enthält die „Enumeratio linearum curvarum 3. ordinis" 'von Newton, die „Analyse des lignes courbes" von Cramer, der 2. , Teil von Eulers „Introductio in Analysin infinitorum" u.. s. w. zahlreiche Figurentafeln, die von der Freude der Autoren an der Gestalt der diskutierten Kurven zeugen.

Seit der Einführung der projektiven Geometrie hat man sich im Gegensatz hierzu vielfach der Figuren enthalten, teils weil man sich anfangs vorzugsweise mit Kegelschnitten und bekannten Gebilden beschäftigte, teils weil eben die Unabhängigkeit des untersuchten Gebildes von speziellen Lagen- und zufälligen Realitätsverhältnissen Voraussetzung der neuen Methode war. Aber diese von den Synthetikern eine Zeit lang mit Vorliebe gepflegte Beschränkung auf das Wort konnte nicht ermangeln, zu einer Unterschätzung des Bildes und der technischen Fertigkeiten, die zu dessen Herstellung erforderlich sind, zu führen. Man konnte von hervorragenden Mathematikern den Versuch, eine Vorstellung von den möglichen Formen eines Gebildes zu erhalten, das vielleicht Gegenstand vielseitiger langjähriger Untersuchung gewesen war, als eine untergeordnete Thätigkeit bezeichnen hören. Nicht Alle freilich waren der Meinung. Das Interesse, welches z. B. Plücker für die gestaltlichen Verhältnisse der Kurven 3. Ordnung hegte, veranlasste ihn zu einer neuen Einteilung derselben, die er in seinem „System der analytischen Geometrie" 1835 auf mehreren Figurentafeln zur Anschauung brachte, und lässt sich andrerseits aus den Zeichnungen von Kurven 4. Ordnung erkennen, die sein jüngerer Kollege Beer auf seine Anregung publizierte.

 

Plücker war denn auch Einer der Ersten, deren Interesse sich auf die Gestalt von krummen Oberflächen höherer Ordnung richtete. Seine Untersuchungen über Linienkomplexe hatten ihn auf gewisse Flächen geführt, die er in körperlicher Darstellung modellieren und vervielfältigen liess.

 

Bekanntlich interessieren den Mathematiker mehr die (durch Gleichungen definierten) krummen Oberflächen, als die von ihnen begrenzten Raumpartien. Indess bedarf er dieser letzteren für die Darstellung der Flächen, wenn nicht aus besonderen Gründen die schwierige Repräsentation durch gebogene dünne Metallbleche oder - in einigen Fällen - durch gespannte Fäden vorgezogen wird. Man füllt nämlich den auf der einen Seite der Fläche liegenden Raumteil mit einem festen Material: Gips, Holz, Zinkguss, u. s. w. aus, dessen Begrenzung die darzustellende Fläche bildet.

 

Mit der Anfertigung von solchen Modellen scheint man sich am frühesten in Frankreich beschäftigt zu haben, wo die von Monge begründete géométrie descriptive dem Maschinen- und Bau-Techniker die willkommenen Hilfsmittel zur Darstellung der ihn hauptsächlich interessierenden Flächen boten. Die Sammlung des Conservatoire des arts et metiers in Paris weist eine Anzahl von zum Teil vortrefflich ausgeführten Modellen von geradlinigen Hyperboloiden, Paraboloiden, Conoiden, Schraubenflächen, windschiefen Gewölbflächen (gewissen geradlinigen Flächen 4. Ordnung) auf, welche um das Jahr 1830 nach dem Muster eines von Monge 1814 konstruierten Hyperboloids auf Anregung von Prof. Olivier (an der Ecole polytechnique in Paris) in Fäden ausgeführt worden sind.

 

Die von Fabre de Lagrange 1822 [1872?] für das South Kensington Museum in London hergestellte Serie von windschiefen Flächen in Seidenfäden enthält ungefähr dieselben Modelle, wie die Pariser Sammlung.

 

Gleichfalls von der technischen Seite her wirkte um 1855 in Frankreich Bardin in öffentlichen Vorträgen an dem erwähnten Conservatoire für die Verbreitung geometrischer und technischer Kenntnisse durch Modelle zur Theorie des Steinschnitts, der Verzahnung, von Reliefkarten u. s. w., die er in Gips oder Fäden herstellen und vervielfältigen liess. Sein Zuhörer Muret, géométre de la ville de Paris, hat die von ihm gegründete Sammlung beträchtlich erweitert und (um 1870) mit einigen auch für die höhere Geometrie wertvollen Modellen, deren Urheber meist der bekannte Ingenieur und mathematische Physiker De Saint-Venant war, bereichert.

 

Von Seiten der Mathematiker in Frankreich scheint indessen diesen Bestrebungen eine nähere Beachtung nicht zu Teil geworden zu sein, wie denn auch neuere Erzeugnisse auf diesem Gebiet dort nicht zu verzeichnen sind.

 

Dass die hervorragenden englischen Mathematiker in diesem Punkte anders denken, zeigt der Umstand, dass die im Jahre 1876 in London veranstaltete Ausstellung wissenschaftlicher Apparate von den Professoren an den Universitäten Cambridge und London, Cayley und Henrici, mit selbst gefertigten Modellen beschickt war.

Auch in Deutschland giebt es seit Langem Modelle, welche den Bedürfnissen des mathematischen Unterrichts dienen sollen. Wohl an den meisten Universitäten und technischen Schulen finden sich in irgend einem Schrank oder einem staubigen Winkel Pappmodelle von Polyedern, Kegeln mit ebenen Schnitten, Durchdringungskurven von Kegeln mit Cylindern u. s. w. (1) von meist unbestimmbarer Herkunft, die bei dem heutigen Stande des Hochschul-Unterrichts nicht mehr gebraucht werden und deshalb durch die neuen schöneren Formen, welche zahlreiche Lehrmittel-Anstalten (darunter als älteste die verdiente Schröder'sche Modellfabrik in Darmstadt) diesen elementaren Unterrichtsmitteln zu geben pflegen, nicht mehr ersetzt werden.

 

(1) Die Universität Tübingen besitzt übrigens seit längerer Zeit zwei sehr elegant gearbeitete Fadenmodelle der geradlinigen Flächen 2. Ordnung, die auf Veranlassung von Prof. Dr. v. Reusch entstanden sind.

 

 

In dem Masse, als in Deutschland die darstellende Geometrie, der Anregung hervorragender Vertreter dieses Faches folgend, sich der Hilfsmittel der projektiven Geometrie bemächtigte, übertrug man das Interesse an der Veranschaulichung der geometrischen Gebilde auf das neu erworbene Feld. Das erste Modell einer Fläche dritter Ordnung mit ihren 27 geraden Linien (1868) rührt von Chr. Wiener, Prof. am Polytechnikum in Karlsruhe her, der es, ebenso wie die von ihm mit Netzen versehenen 4 regulären Keppler'schen Polyeder, vervielfältigen liess.

Eine spezielle Fläche 4. Ordnung, die Wellenfläche für optisch zweiaxige Krystalle, auf die Fresnel das Interesse der Physiker gelenkt hatte, war bereits 1840 von Magnus in Berlin und etwa um dieselbe Zeit von Soleil in Paris in zahlreichen Exemplaren hergestellt worden.

 

Eine ausgedehnte Gruppe von Flächen 4. Ordnung, welche die Wellenfläche sowie die bekannte Steiner'sche Fläche umfasst, hatte in den sechziger Jahren Kummer in Berlin zu Untersuchungen veranlasst, die sich auch auf die Gestalt dieser Flächen bezogen, und ihn zur Konstruktion einiger sehr gefälliger Modelle derselben bewogen, welche, seinerzeit dem mathematischen Seminar der Universität zu Berlin einverleibt, erst in jüngster Zeit vervielfältigt worden sind. Ähnlich verhält es sich mit den wohl um 1860 entstandenen Fadenmodellen gewisser Brennflächen, auf welche Kummer durch seine Untersuchungen über Strahlensysteme gekommen war.

 

Das Interesse seines früheren Lehrers für das Gestaltliche regte auch Schwarz, damals in Zürich, zur Konstruktion mehrerer eleganter Modelle an , darunter zwei Minimalflächen periodischen Charakters, die Centrafläche des Ellipsoids, u. s. w. Er übertrug dasselbe seinerseits auf seine Schüler, die er zu Darstellungen aus dem Gebiet der Krümmung der Flächen, der Funktionentheorie u. s. w. veranlasste. Der Öffentlichkeit sind jedoch nur wenige dieser meist in der Sammlung des mathematischen Seminars zu Göttingen befindlichen Modelle übergeben worden.

 

Die erste Sammlung von grösserem Umfang, welche vervielfältigt wurde, war die schon oben erwähnte Serie von Komplexflächen 4. Ordnung von Plücker (1868), welcher Klein, der Herausgeber des 2. Teils seiner Liniengeometrie, einige Modelle aus dem gleichen Anschauungsgebiet folgen liess, die in wenigen Typen die zerstreut an den Plücker'schen auftretenden Eigenschaften vereinigen.

Eine weitere Anregung wurde diesen Bestrebungen zu Teil auf einer Versammlung von Mathematikern in Göttingen (1873), wo eine vielseitig beschickte Ausstellung von mathematischen Modellen Interesse erregte. Es waren dort ausser den Kollektionen von Plücker, Klein, Muret, mehrerer Modelle von Schwarz, Wiener u. A. auch eine gewisse Fläche 3. Ordnung („Diagonalfläche"), welche auf Clebschs Veranlassung von Weiler (damals in Göttingen) hergestellt worden war, ferner einige Modelle zur Repräsentation singulärer Punkte einer Fläche 3. Ordnung (eine solche namentlich mit 4 Knoten), unter Mitwirkung von Klein konstruiert, dann ein elliptisches Paraboloid, das durch zusammen gesteckte Kartonscheiben in der Form von Halbkreisen aus seinen Kreisschnitten dargestellt war, u. A. m. Diese Ausstellung scheint auf die Teilnehmer vielfach anregend gewirkt zu haben. Zeuthen in Kopenhagen publizierte bald darauf Modelle in Karton von einigen abwickelbaren Flächen.

Mir selbst war namentlich das (von Henrici in London konstruierte) Paraboloid-Modell aus Kartonscheiben der Beachtung wert erschienen. Ich entnahm demselben ein Prinzip zur Darstellung der Flächen 2. Ordnung überhaupt, welches darin besteht, die Kreisschnitte dieser Flächen durch gegeneinander bewegliche Kartonscheiben darzustellen. Die Vervielfältigung dieser Modelle (1874) sollte dem Bedürfnis billiger und handlicher Modelle von Flächen zweiter Ordnung entgegen kommen.

 

Zahlreiche Modelle, die verschiedene Wissensgebiete der Mathematik betreffen, werden seit nun etwa 10 Jahren an der .technischen Hochschule in München von Studierenden der Mathematik angefertigt. Den nächsten Anstoss dazu gaben äussere Verhältnisse.

 

Als ich im Jahre 1875 zusammen mit Klein nach München kam, war unsere erste Sorge die Beschaffung von Mitteln zur Begründung einer Sammlung von mathematischen Modellen und Zeichnungen und einer Handbibliothek für den Gebrauch der Mitglieder des Seminars. Dieselben wurden uns, Dank der Liberalität der bayrischen Regierung, in ausreichendem Masse bewilligt. Allein die damals käuflichen Modelle liessen viele Wünsche unbefriedigt, die sich bei den Vorträgen über Geometrie, namentlich solchen über Krümmung der Oberflächen, geltend machten.

 

Die Gelegenheit zur Ausfüllung dieser Lücken bot eine technische Hochschule in einer Stadt wie München in ausgiebiger Weise. Ein Modellierkabinet, mit den nötigen Werkzeugen und Zeichenutensilien ausgerüstet, wurde für die Mathematik-Studierenden erstellt, und alsbald entfalteten in dessen Räumen wissenschaftlich gesinnte und geschickte junge Leute eine rege Thätigkeit.

 

Die Modellier-Übungen bildeten einen Zweig der Arbeiten im mathematischen Seminar, in dessen oberen Kurs nur Solche Aufnahme fanden, die sich einer selbständigen wissenschaftlichen Arbeit zu widmen vorhatten. Meist schloss man sie an Untersuchungen an, welche die Diskussion einer interessanten Fläche oder Kurve zum Gegenstand hatten, oder die Theorie geometrischer Gebilde betrafen, deren Repräsentation in gewissen Typen wünschenswert war. Es entstanden so unter Kleins und unter meiner Leitung zahlreiche Modelle, die entweder den Bedürfnissen des geometrischen Unterrichts in München gewidmet waren, oder auch wohl nur in dem Verhältnis von Figurentafeln zu einer wissenschaftlichen Arbeit standen. Manche dieser Modelle durften vorn wissenschaftlichen wie vom ästhetischen Standpunkt aus ein weitergehendes Interesse beanspruchen und wurden, in Serien, sowie sie gerade fertig waren, lose aneinander gereiht, durch Vermittlung einer Buchhandlung der Öffentlichkeit übergeben. Übrigens stehen auch die Modelle verschiedener lose gefügter Serien vielfach in gegenseitigem Zusammenhang, oder bilden mit denen anderer Serien zusammen abgeschlossene Gruppen.

 

Es erschienen auf diese Weise in den Jahren 1877-1884 gegen 100 Modelle, über welche wegen der Verschiedenheit des behandelten Stoffes auch nur ein Überblick schwer zu geben ist. Zur Darstellung gelangten u. A.

die Krümmungslinien auf den Flächen 2. Ordnung;

geodätische Linien und Asymptotenkurven auf verschiedenen Flächen;

eine Reihe von Flächen konstanten Krümmungsmasses;

die Centraflächen einiger Flächen 2. Ordnung;

eine Anzahl interessanter Flächen 3. 4. und höherer Ordnung;

Modelle zur Perspektive, Mechanik und mathematischer Physik u. s. w.

 

Dem Verfertiger eines Modells stand es frei, eine Abhandlung zu demselben zu schreiben, deren Veröffentlichung unter seinem Namen nicht wenig dazu anreizte, die oft mühsamen Rechnungen und Zeichnungen, welche der praktischen Ausführung zu Grunde lagen, durchzuführen.

Öfter veranlasste umgekehrt das Modell nachträgliche Untersuchungen über Besonderheiten des dargestellten Gebildes. So liess, um nur einen Fall zu erwähnen, eine gewisse Fläche von konstantem negativem Krümmungsmass durch ihre äussere Gestalt auf eine Verwandtschaft mit (von Enneper angegebenen) Flächen, die ein System ebener Krümmungslinien besitzen, schliessen, und wirklich zeigte sich, wie Hr. Kuen, damals in München, nachwies, dass in der Ennepersehen Diskussion eine Lücke war, nach deren Ausfüllung sich die modellierte Fläche bequem unter jene als besonderer Fall einreihen liess.

 

Eine nicht zu unterschätzende Stütze des ganzen Unternehmens bildeten übrigens ein zuverlässiger Dreher und ein Gipsformator, dem die Modelle mehrfach zum Abguss übergeben wurden. Rotations- und Schraubenflächen wurden erst in Holz gedreht und dann von dem Gipsgiesser geformt; etwaige Linien auf das fertige Gipsmodell aufgezeichnet und eingeritzt. Von unregelmässig gestalteten Flächen wurden zunächst ebene Schnitte in Zinkblech ausgeschnitten und zu einem Gerüste zusammen gelöthet, das mit Thoncerat, einer plastischen Masse, ausgefüllt und zu einem ersten rohen Modell überarbeitet wurde. Dies wurde genormt, in Gips abermals überarbeitet und dann erst vervielfältigt.

 

Das Interesse für Anschauungsmittel, die der Erweiterung der wissenschaftlichen Erkenntnis dienen, hat, nach der Aufnahme zu urteilen, welche allenthalben die in München hergestellten Modellserien fanden, in weiten Kreisen des In- und Auslandes Wurzel gefasst. Auch die Modellproduktion ist, namentlich unter den jüngeren 'Mathematikern, in rege Aufnahme gekommen, wie die vor Ihnen stehenden Serien neueren Datums beweisen. Die beiden neuesten derselben rühren von früheren Mitgliedern des Oberseminars der technischen Hochschule in München her, die zugleich an älteren Modellserien mitgearbeitet hatten; beide zeugen durch ihre Formvollendung von den Fortschritten, welche in technischer Hinsicht diese Art von Produktion inzwischen gemacht hat.

 

Die eine derselben hat zum Gegenstand die Darstellung Riemann'scher Flächen für eine gegebene Funktion eines komplexen Arguments und beschreitet damit ein bisher noch kaum betretenes Anschauungsgebiet. Dieselbe ist unter Leitung des damaligen Vorstandes des mathematischen Instituts der technischen Hochschule in München, Prof. Dr. Dyck, durch Zusammenwirken mehrerer Verfertiger entstanden.

Die andere ist eine Serie von Fadenmodellen geradliniger Flächen 4. Ordnung, von Prof. Dr. Rohn in Dresden konstruiert, der als Bearbeiter einer Preisfrage über Flächen 4. Ordnung vorzugsweise zu einer Arbeit dieser Art berufen war.

 

Inzwischen hatte man sich auch von anderer Seite her mit der Produktion mathematischer Anschauungsmittel aufs erfolgreichste beschäftigt. Vor Allem ist hier die 1881 erschienene grosse Serie von Flächen dritter Ordnung von Prof. Dr. Rodenberg, jetzt in Hannover, zu nennen, die durch zweckmässige Auswahl der Typen eine Vorstellung von sämmtlichen möglichen Flächen dieser Art zu geben geeignet ist; dann einige interessante Typen von Minimalflächen, 1876 von Kiepert in Karton modelliert; ferner eine 1879 von Chr. Wiener in Karlsruhe publizierte Serie eleganter Drahtmodelle zur Theorie der Raumkurven, welche andererseits von Björling in Lund in zahlreichen schönen Fadenmodellen (1877 und 1881) durch ihre Developpabeln dargestellt werden. Speziell die Raumkurven 4. Ordnung i. Spezies sind durch 4 grosse Fadenmodelle von H. Wiener (Sohn) in Halle eingehend studiert (1884). Auch die zierlichen Reliefperspektiv-Modelle von Burmester in Dresden sind hier zu erwähnen, sowie die aus Eisenstäben konstruierten zum Teil beweglichen Modelle von Flächen 2. Ordnung von Buka in Berlin, endlich die von Reuleaux in Berlin angegebenen Modelle zur Kinematik ebener Systeme, welche vorzugsweise technischen Kreisen zu dienen bestimmt sind.

 

 

Ich habe im Vorstehenden versucht, die auf plastische Nachbildung mathematischer Gebilde gerichteten Bestrebungen in ein Bild zusammen zufassen, welchem allerdings zunächst nur die zur Publikation gelangten Modellserien zu Grunde liegen. Mit Hilfe der Einzelkataloge liesse sich dasselbe leicht weiter ausmalen.

Aber die erwähnte Beschränkung bringt es mit sich, dass - abgesehen von den Mängeln, die überhaupt einem ersten Versuch anhängen - in einer Richtung die Vollständigkeit fehlt. In Privat- und öffentlichen Sammlungen befindet sich noch mannigfaltiges, oft gut gearbeitetes Anschauungsmaterial, das nicht veröffentlicht ist, und von dem oft kaum ein Verzeichnis besteht. Die technischen Hochschulen von Karlsruhe und München besitzen zahlreiche solche Modelle. Dies Alles konnte in dieser kurzen Aufzählung nicht berücksichtigt werden.

 

Was die hiesige Sammlung angeht, so befinden sich in derselben von nicht vervielfältigten Modellen, ausser den bereits erwähnten Fadenmodellen, die folgenden

 

1) Ein interessantes Modell der „Strahlenfläche" 6. Ordnung, der Fusspunktfläche zur Fresnel'schen Wellenfläche, das Herr Rektor Böklen, als Gegenstück zu der bereits früher von ihm publizierten Darstellung der Letzteren, unserer Sammlung geschenkt hat;

 

2) Ein Modell der Steiner'schen Fläche, auf welches Herr Dr. Fink das System der Asymptotenkurven, bekanntlich rationaler Kurven 4. Ordnung, aufgezeichnet hat;

 

3) Eine Serie von Fadenmodellen, darstellend die 5 verschiedenen Typen von Kegeln 3. Ordnung, von Herrn Dr. Kölmel gefertigt, sowie endlich

 

4) Ein schönes Modell derjenigen Fläche 6. Ordnung, deren Gleichung sich aus einer dreifach gerechneten Kugelgleichung und dem Produkt von 6 Ebenen linear zusammensetzt, von Herrn Dr. Finsterwalder in Karton gearbeitet.

 

Auch eine Reihe von Zeichnungen besitzt unsere Sammlung, die sich auf einzelne Fragen der Theorie der ebenen Kurven beziehen;

kollineare Verwandlung ebener Kurven 3. Ordnung in die 5 Haupttypen;

Aufzählung, der Typen ebener Kurven 4. Ordnung mit 2 Doppelpunkten;

Auflösung maskierter Singularitäten in die äquivalenten Plücker'schen u. s. w.

 

(Anschliessend wurden einzelne Modellgruppen eingehender besprochen.)

 


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