Home Fluglärmbekämpfung und -untersuchungen in der Schweiz

                     1956-1974

 

Aus:

Forschungsbericht zum Nationalfondsprojekt Nr. 4.163-0.75:

Felduntersuchungen zur psychovegetativen Lärmbelastung

Projektleitung: Prof. Dr. Karl Bättig; PD Dr. Hans Zeier

I. Teil: Sozio-psychologische und epidemiologische Aspekte

Sachbearbeiter: Dr. Roland Müller

August 1977, 23-27

 

Literatur siehe: Literatur Fluglärmforschung

 

 

1. Behördliche und private Initiativen

 

Seit 20 Jahren [= seit 1956] wird dem Lärmproblem in der Schweiz besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

Auf Grund einer Motion und eines Postulats, welche 1956 von den Eidgenössischen Räten angenommen wurden, bestellte der Bundesrat mit Beschluss vom 21. Oktober 1957 eine Eidgenössische Expertenkommission, welche gut fünf Jahre später einen zusammenfassenden Gesamtbericht unter dem Titel "Lärmbekämpfung in der Schweiz" (Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, 1963) vorlegte. Als wichtigstes Beispiel der Vorwegnahme von Kommissionspostulaten sei die Schaffung einer Abteilung Akustik und Lärmbekämpfung an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Versuchsanstalt für Industrie, Bauwesen und Gewerbe (EMPA), Dübendorf, ab 1. Januar 1961 erwähnt.

 

Eine der fünf Unterkommissionen (3) befasste sich unter der Leitung von Regierungsrat Dr. W. König, Zürich, mit dem Fluglärm. Ihr Bericht war bereits am 1. Juli 1960 abgeschlossen; er wurde vom Bundesrat am 7. Februar 1961 zur Kenntnis genommen. In der Unterkommission 1, in der neben akustischen und technischen auch die medizinischen Grundlagen zur Diskussion standen, war das Institut für Hygiene und Arbeitsphysiologie an der ETH Zürich durch seinen Direktor, Prof. Dr. med. Etienne Grandjean, vertreten.

 

In ihrem Bericht empfahl die Fluglärm-Unterkommission unter anderem

  • systematische Lärmmessungen in der Umgebung der Flugplätze,
  • medizinisch/ soziologische Untersuchungen über die Auswirkungen des Fluglärms.

 

Doch erst 1966 erfolgten die ersten Schritte in dieser Richtung:

¨ Der Regierungsrat des Kantons Zürich schuf auf den 1. Juni eine Abteilung für Fluglärmbekämpfung beim Amt für Luftverkehr im Flughafen Kloten (Leitung: Ernst Schurter). Seit 1967 werden hier Lärmbeschwerden der Bevölkerung registriert. Alle Fälle werden genau untersucht.

¨ An vier Stellen wurden - nachdem bereits im Vorjahr an einigen Stellen in Kloten temporäre Lärmmessungen durchgeführt worden waren - 4 feste automatische Stationen eingerichtet, und zwar in Kloten, Oberglatt, Rümlang und Glattbrugg, nicht aber in Höri. Die Weisung des Regierungsrates über den Bau dieser Messstellen datiert vom 4. Juli 1963. Als Aufgabe wurde die Flugpfadüberwachung, nicht die Lärmbekämpfung in den Vordergrund gestellt.

¨ Das Eidgenössische Luftamt bildete in der "Studienkommission Überschall- und Grossflugzeuge" unter anderem eine Untergruppe "Fluglärm" zum Studium der Probleme des Überschallverkehrs. Diese gab jedoch bereits ein Jahr später ihre Tätigkeit auf, nachdem im Sommer 1967 ein zusammenfassender "Interner Zwischenbericht der Studienkommission Überschall- und Grossflugzeuge" erstellt worden war.

 

Auf privater Seite hatte sich bereits 1960 unter der Führung des Rümlanger Arztes Dr. med. Alois Huwiler ein Komitee von sieben Personen zwecks "Kampf dem vermeidbaren Fluglärm Rümlang" konstituiert. Eine Versammlung im Jahre 1964 mobilisierte einen Grossteil der Bevölkerung, da damals der Einsatz von Jets ein beträchtliches Ausmass anzunehmen begann. Am 30. November 1967 wurde dann in Rümlang der "Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen Kloten" (SBFZ) gegründet, der nach seinen Statuten vor allem dreierlei bezweckt:

a) Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem Fluglärm und anderen durch den Flugbetrieb verursachten Immissionen, wie Abgase etc.

b) Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, insbesondere des Waldes,

c) Wahrung der Interessen und Rechte der Betroffenen.

 

Der Schutzverband setzt sich zusammen aus Gemeinden, Einzelmitgliedern und Ortsgruppen. Heute gehören ihm 46 Gemeinden an, ausser Kloten und Opfikon-Glattbrugg. Im Frühling 1970 hat der Schutzverband eine vielbeachtete'' von Dr. Manfred Kuhn, Ludwig A. Minelli und Edmund Tondeur verfasste "Dokumentation zur Urteilsbildung des Politikers und des Bürgers - Das Zürcher Flughafenproblem" herausgegeben (M. Kuhn et al., 1970).

 

Zwar hat das Zürcher Volk das darin zur Diskussion gestellte kantonale Lärmzonengesetz (auch Fluglärmgesetz , FLG, genannt) und die Ausbauvorlage am 27. September 1970 angenommen, doch wurde das Gesetz durch die Eidgenössische Verordnung später hinfällig, die im November 1973 von der Bundesversammlung gebilligt wurde.

 

Im März 1971 führte der Schutzverband im neuen Physikgebäude der ETH Zürich einen Internationalen Kongress "Fluglärmbekämpfung" durch. Er wurde von der "Europäischen Vereinigung gegen die schädlichen Auswirkungen des Luftverkehrs" (am 21. 1. 1968 in Strassburg gegründet) veranstaltet und stand unter dem Patronat der "Association Internationale contre le Bruit" (AICB, Internationale Vereinigung gegen den Lärm; Generalsekretär: Dr. O. Schenker-Sprüngli, Zürich) und der "Schweizerischen Liga gegen den Lärm" (Zentralpräsident: Nationalrat Dipl. Ing. Jakob Bächtold), einer der ältesten und regsten Lärmbekämpfungsorganisationen der Schweiz.

 

Ende der sechziger Jahre schliesslich hatte sich "das Eidgenössische Aktionskomitee gegen den Überschallknall ziviler Luftfahrzeuge" (Geschäftsleitung: Dr. Andreas Rickenbach, Zollikon) gebildet, aus dem 1971 die "Schweizerische Gesellschaft für Umweltschutz" (SGU, Präsident: Prof. Dr. med. Meinrad Schar, Direktor des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich) hervorging.

 

2. Die "sozio-psychologische Fluglärmuntersuchung" (SPF) und ihre Grundlagen

 

Mitte der sechziger Jahre untersuchten E. Grandjean, E. Perret und A. Lauber (1966) mit simuliertem Fluglärm die Störwirkungen des Lärms auf das subjektive Empfinden von Studenten während Vorlesungen in einem Hörsaal. Zur selben Zeit diskutierte K. Bättig (1966) Vergleiche zwischen Strassenlärm und Fluglärm in Hinblick auf Massnahmen in der Orts-, Regional- und Landesplanung.

Im Oktober 1967 legte A. Gilgen (1967) eine Expertise über die "Berücksichtigung des Fluglärms bei der Siedlungsplanung" vor, in welcher er Richtlinien für die zulässige Lärmbelastung um Flugplätze ausgearbeitet hatte (vgl. auch A. Gilgen, 1968), die sich im wesentlichen auf eine Zoneneinteilung die die dazugehörigen Lärmgrenzwerte stützt, wie sie im Jahre 1959 von einer Arbeitsgruppe der Unterkommission 1 der oben erwähnten Eidgenössischen Expertenkommission festgelegt worden waren (vgl. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, 1963, 62-66).

 

Am 18. Dezember 1967 schliesslich setzte der Bundesrat eine Arbeitsgemeinschaft für sozio-psychologische Fluglärmuntersuchungen ein, die im Juni des nächsten Jahres zwei Expertengruppen konstituierte (I: Literaturstudien; II: sozio-psychologische Untersuchung).

Unterdessen hatte am 30. Mai 1968 K. Bättig vom Institut für Hygiene und Arbeitsphysiologie an der ETH, Zürich, im Auftrag des Eidgenössischen Luftamtes eine Expertise vorgelegt unter dem Titel: "Lärm-Grenzrichtwerte (NNI) Flughafen Kloten" (K. Bättig, 1968). Vier Monate später lag aus demselben Institut bereits ein zweiter Bericht vor: "Die Fluglärmbelastung" von E. Grandjean, A. Gilgen und K. Bättig (er erschien später in der Zeitschrift Städtehygiene - vgl. E. Grandjean et al., 1969).

 

Am 31. Juli 1969 unterbreitete die Arbeitsgemeinschaft dem Bundesrat zwei Dokumente:

  • eine vertrauliche "Expertise über die Fluglärmbelastung im Bereich der Flughäfen Genf, Basel und Zürich" (ausgearbeitet von der Expertengruppe I, Dr. med. Alfred Gilgen, Prof. Dr. med. Karl Bättig, Dipl. Ing. Anselm Lauber, Dipl. Ing. J. R. Hediger). Darin wurden die Ergebnisse einerseits der Literatur, anderseits von drei Untersuchungsberichten der EMPA, Dübendorf, vorgestellt. Die Lärmbelastung wurde dabei nicht gemessen, sondern anhand ausgewählter Daten (1968: 5 Tage pro Flughafen) berechnet. Besonderes Gewicht wurde auf die Ermittlung von Grenzwerten gelegt. (Sämtliche allgemeinen Angaben aus dieser Expertise wurden von A. Gilgen in seiner Studie "Lärm" - 1970 erstellt für das ORL-Institut der ETH - übernommen und durch die Beschreibung anderer Lärmarten, insbesondere Strassenverkehrslärm, ergänzt - vgl. A. Gilgen, 1970).
  • einen detaillierten Untersuchungsplan für die drei Flughäfen samt entsprechendem Kostenvoranschlag. (Ein erster Untersuchungsplan war bereits am 10. 12. 1968 vorgelegt worden.)

 

Am 8. Dezember 1969 erteilte der Bundesrat der Arbeitsgemeinschaft den Auftrag, die Untersuchung gemäss den Vorschlägen vom 31. Juli durchzuführen und bewilligte für die sozio-psychologische Studie einen Rahmenkredit von 700 000.-- Fr., wobei der Bund die Hälfte übernahm.

Im März resp. Juni 1973 schliesslich war der gut 400seitige Bericht über die "Sozio-psychologische Fluglärmuntersuchung im Gebiet der drei Schweizer Flughäfen, Zürich, Genf, Basel" (fortan mit SPF abgekürzt) abgeschlossen. Aus technischen Gründen konnte er erst im Mai 1974 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden (Arbeitsgemeinschaft für sozio-psychologische Fluglärmuntersuchungen, 1974). Einen ersten Rapport legten E. Grandjean et al. (1973) an einem Internationalen Kongress in Dubrovnik vor.

 

¨ Die Koordination und Überwachung der akustischen und soziologischen Arbeiten besorgte ein Arbeitsausschuss unter der Leitung von Prof. Dr. E. Grandjean (gleichzeitig Präsident der Arbeitsgemeinschaft).

¨ Die Messung des Lärms und die Berechnung der Lärmzonen unternahm die Abteilung für Akustik und Lärmbekämpfung der EMPA, Dübendorf (Vorsteher: Prof. Dipl. Ing. A. Lauber). Ausgeführt wurden sie von El. Ing. HTL Peter Graf. Die Messungen erfolgten 1971 und 1972. Die Berechnungen anhand von Daten über Flugbewegungszahl, Flugzeugtypen, usw. an 5 ausgewählten Tagen des Sommers 1969 wurden für das Jahr 1970 ausgeführt.

¨ Mit den soziologischen Untersuchungen befasste sich das Soziologische Institut der Universität Zürich (Direktor: Prof. Dr. Peter Heinz). Die Befragungen wurden von einem privaten Marktforschungsinstitut durchgeführt, das bereits am 25. 2.1969 einen zweibändigen "Schlussbericht an die Expertenkommission über die Voruntersuchung" vorgelegt hatte. Nach zwei Vortests wurden in den Jahren 1971 (Genf und Zürich) und 1972 (Basel) insgesamt knapp 4000 Personen erfasst. Die Auswertung erfolgte durch lic. phil. I Richard Müller und lic. phil. I Hans-Peter Meier vom Soziologischen Institut der Universität Zürich.

 



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