Home Postlogische Intuition als Oberbewusstsein

 

Zum Buch

Joachim Caspari: Das Oberbewusstsein. Essays zu einem aus der Biologie entwickelten existentiellen Humanismus. Verlag Carmel, Haifa, 1969.

 

 

"Mein Zugang ist persönlich, und meine Ziele und Bedürfnisse sind persönlich". So leitet der jüdische Kinderarzt Joachim Caspari (1891-1966) - im Nord-Brandenburgischen geboren und 1924 nach Palästina eingewandert - seine Gedankensammlung ein, die aus einem Tagebuch, das er über dreissig Jahre führte, entstand. Der ursprüngliche Titel lautete deshalb "Persönliche Philosophie".

 

Wir finden darin eine etwas ungeordnete Mischung von Zitaten, Beispielen, eigenen und fremden Gedanken aus den Bereichen Philosophie und Wissenschaft, die von grossem Ernst und Problembewusstsein zeugen. Caspari bekennt sich zu Einsteins Satz: "Die ungeheuren Atomkräfte haben alles verändert, ausser dem Denken des Menschen. Ein neues Denken ist aber unbedingt notwendig, wenn die Menschheit am Leben bleiben will."

Die menschliche Seele hat bisher am technisch-wissenschaftlichen Fortschritt keinen Anteil gehabt, Könnte eine neue "Achsenzeit" (Jaspers) heraufkommen und Rettung bringen?

 

Caspari beginnt mit dem Organismus, der, dadurch dass er der Umwelt in seinem Stoffwechsel Ektropie entzieht, sich auf gleicher Entropiestufe hält. Der Organismus lebt in Selbstregulierung zwischen Ordnung und Unordnung. Das Bewusstsein dann ist die "Schaffung einer neuen Gestalt ... ist unser Schicksal, unsere Chance, unsere Gefahr".

 

Es gibt drei Grade von Bewusstsein: die primitiv-prälogische, die logische Stufe und drittens " 'postlogische' offenbarte Wahrheit, unbewusst fühlend erfasst. Das dienende Bewusstsein ... Die Intuition. Diese drei Stufen sind im bewussten Ich untrennbar verbunden und integriert."

 

Was der Mensch nun anstreben muss, ist das irrationale Denken in den Dienst des Gefühls zu stellen. Der Intellekt muss gehorchen, er darf nicht befehlen. Klarheit des Gedankens muss sich mit Tiefe des Gefühls vereinen. Eine harmonische Integrierung ist die Aufgabe. Subjekt und Objekt müssen wieder eins werden. Und das geschieht in der Intuition, in der Offenbarung, im Oberbewusstsein.

 

Casparis Ausführungen gelten also dem alten philosophischen Problem - seit Heraklit - der Vereinigung und Einheit der Gegensätze, Spannung und Komplementarität. Der Mensch lebt im Spannungsfeld verschiedenster Pole, seien es Recht-Unrecht, Freiheit-Knechtschaft, Relatives-Absolutes (Heiliges), Geist und Materie, Ich und All. "Das Leben besteht aus lauter relativen Lösungen."

 

"Vor dem logischen Denken liegt das prälogische Fühlen des Primitiven oder Säuglings; nach ihm das postlogisch-intuitive des Gläubigen oder Künstlers ... Nur auf der oberbewussten Ebene existentiellen Gleichgewichts werden die Gegensätze schwebend fruchtbar, werden das Tier und der Gott und die Welt eine organische Einheit, geht unser Wille auf im göttlichen Logos."

 

Das ist der Ausgangspunkt für einen neuen Humanismus, der bei der "zentralisierenden Instanz" Mensch einsetzt, "der nicht nur alle Dinge an sich misst, sondern auch sich an allen Dingen. Der die Welt in sich wiederfindet, und sich in der Welt."

 

Belesen und nach allen Seiten hin offen, nirgendwo verklemmt oder sektiererisch, führt uns Caspari sein Ringen um die Selbstwerdung des Menschen vor, kritisch eingedenk der Tatsache: "Das Suchen ist das Ziel, und die Unerreichbarkeit ist das Leben." Er bekennt: "Der Titel einer solchen Arbeit müsste eigentlich immer lauten: 'Unterwegs' ".

 

Dass darum seine Aufzeichnungen - Jaspers schätzte sie als "document humain" - etwas Fragmentarisches und Sprunghaftes haben und einige Angaben ungenau sind, ist nicht schlimm. Bedauerlich sind aber die unsorgfältige Redigierung des Manuskripts und die grosse Anzahl Druckfehler.

 

(erschienen in den „Basler Nachrichten“, 19. November 1969)

 




Return to Top

Home

E-Mail



Logo Dr. phil. Roland Müller, Switzerland / Copyright © by Mueller Science 2001-2016 / All rights reserved

Webmaster by best4web.ch