Home Bekämpfungsmöglichkeiten des Hasses

 

 

Alfred A.Häsler (Herausgeber): Leben mit dem Hass - 21 Gespräche. Rowohlt Verlag, Reinbek, 1969

 

 

Ein breites Spektrum von Ansichten über den politischen Hass bietet diese Sammlung von 21 Interviews. Sie sind, bis auf zwei, von Alfred A. Häsler ("Das Boot ist voll") durchgeführt und 1967/68 in der "Tat" publiziert worden.

 

Wie meistens ist die Bezeichnung Gespräch zu hoch gegriffen. Es sind vielmehr Äusserungen bekannter Persönlichkeiten zu einem der brennendsten Probleme dieses Jahrhunderts.

"Wir leben mit der Angst. Wir leben mit der Gewalt. Wir leben mit dem Hass", schreibt Häsler. Man erinnert sich auch, dass Che Guevara vom Menschen als "kalter Tötungsmaschine" sprach. Am häufigsten werden der nationalsozialistische Antisemitismus, das Negerproblem in den USA und der Antikommunismus erwähnt, sodann die Ära Stalin, der Nahe Osten, Biafra und Südafrika, Vietnam und China.

 

Zu unterscheiden ist der Hass der Geknechteten, Verachteten, Gedemütigten und Enttäuschten, der Entrechteten, Armen, Hungernden und Arbeitslosen von dem der Privilegierten, alt oder neu Etablierten, der Rechten.

Weiter: persönlicher von öffentlichem, kollektivem (organisiertem, propagiertem) Hass, sowie Klassen-, Rassen-, Glaubens- und Fremdenhass, Hass gegen Andersdenkende.

 

Gibt es neben dem Hass aus Angst oder Minderwertigkeitsgefühlen auch berechtigten und konstruktiven, "hellsichtigen" Hass als eine produktive Kraft, als gewissermassen rationalen oder intellektuellen Hass gegenüber irrationalem? Wie differenzieren sich Egoismus, Neid, Vorurteil, Abneigung, Aggressivität, Fanatismus, Dogmatismus, Feindschaft, Zorn, Gewalt und Terror vom Hass?

 

Selbstverständlich tragen die kurzen Interviews mehr zur Information denn zur Klärung dieser Fragen bei. Was das eine präzisiert, wird vom andern verwischt. Denn: Hass ist ein vielschichtiges und enorm komplexes Problem, ein schillernd-beunruhigendes Phänomen.

Freimütig gibt der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich zu: "Wir wissen zuwenig - und ich glaube, wir bemühen uns auch zuwenig, es zu wissen." Der einzige, der den Hass nicht so zentral sieht, sondern die Gleichgültigkeit und Ignoranz beklagt, ist der ehemalige Generalsekretär des Weltkirchenrates W. A. Visser't Hooft. Mit zu den besten und weitgreifendsten Antworten gehören auch diejenigen des Wieners Friedrich Heer, des Dominikanerpaters Pire, der von "Wolfssitten" spricht, und von Herbert Lüthy, welcher zusammenfasst: "Hass ist ein Opium für das Volk. Man kann nicht das Opium bekämpfen, aber man kann die Opiumhändler, den Opiumhandel bekämpfen. Das ist das einzige, was wir tun können."

Das trifft sich mit der Bemerkung des österreichischen Kommunisten Ernst Fischer: "Der Denkende muss das Schlimmste für möglich halten. Der Tätige muss sein Bestes tun." Darum hoffen wir auf die Überwindung des Hasses als "Motor politischer Entwicklungen".

 

An Bekämpfungsmöglichkeiten des Hasses in der Welt - ausser wiederum Hass, Gewalt, Extremismus und Revolution (Wolfgang Lefèvre, Herbert Marcuse) - kristallisieren sich in dieser Sammlung sechs heraus (die Zuordnung der Vertreter ist nur ungefähr):

 

1. der "zivile Ungehorsam“, Streik, "die gewaltlose Aktion, der gewaltlose Kampf gegen Lüge, Unrecht, Unterdrückung, Ausbeutung", Elend und Not, Grausamkeit und Missbrauch der Macht (Alfred A. Häsler, Helmut Gollwitzer);

2. die Anlässe, Ursachen und Motive des Hasses abbauen, ihn "austrocknen" (Ernst Bloch) oder wenigstens: Reformen;

3. Gesetzgebung, Einsatz von Gremien und zusammenfassenden Organisationen (Benjamin R. Epstein), internationale Institutionen und Bündnisse, "Entente cordiale" (David Ben-Gurion, Paul Ruegger), Anstalten für Konflikt-, Kriegs- und Friedensforschung (die Rolle des IKRK, der UNO und ihrer Sonderorganisationen, der Kirchen, der Entwicklungshilfe und auch der Schweiz wird verschieden eingeschätzt);

4. weltweite Diskussion (Paul Guggenheim, Léopold Sédar Senghor), Gespräche, "brüderlicher Dialog" (Pater Dominique Pire), Völkerverständigung, Schaffung mitmenschlicher Beziehungen (W. A. Visser't Hooft);

5. globale Demokratisierung der Macht (Max Frisch) echter Sozialismus, Koexistenz, internationale Zusammenarbeit (Anouar Hatem);

6. Einsatz der kritischen Vernunft, Toleranz, Nächsten- und Feindesliebe (Franz Kardinal König), Selbsterkenntnis, "Entneurotisierung", Übernahme von Verantwortung, "Erziehung des Bewusstseins" (Ernst Fischer, Herbert Lüthy, Friedrich Heer, Alexander Mitscherlich, John Morsell), "Erziehung zur Menschlichkeit" (Friedrich Traugott Wahlen, Carlo Schmid), also Bildung, Aufklärung, Information, Differenzierung, oder auch: im Beispiel vorleben.

 

Ein recht umfassender Katalog also. Doch: Wer kennt das Ausmass der Bereitschaft zum Hass und ihre Manipulierungs-, respektive Kontrollmöglichkeiten?

 

Das ungute Gefühl bleibt: Ist der Hass unausrottbar, unausweichliche Tragik? Das Verwirrendste an der ganzen Situation ist ja, dass all diese Lösungsvorschläge und Postulate auch ganz - unabhängig vom Hass ihrer Verwirklichung harren.

 

(erschienen in den „Basler Nachrichten“, 8. Oktober 1969)

 




Return to Top

Home

E-Mail



Logo Dr. phil. Roland Müller, Switzerland / Copyright © by Mueller Science 2001-2016 / All rights reserved

Webmaster by best4web.ch