Home Wunschtraum eines Verhaltenspsychologen

 

Zum Buch

B. F. Skinner: Futurum Zwei. Die Vision einer aggressionsfreien Gesellschaft. Wegner Verlag, Hamburg, 1970; Reinbek: Rowohlt 1972; zahlreiche Aufl. bis 1988;
neue Übersetzung u. d. T.: Walden Two. Die Vision einer besseren Gesellschaftsform. München: FiFa-Verlag (Fiction & Fantasy) 2002..

 

Neuere Literatur dazu:

Hilke Kulhlmann: The Reception of Walden Two in Intentional Communities in North America. Diss. Univ. Freiburg i. Br. 2000;
u. d. T.: Living Walden Two. B. F. Skinner’s Behaviorist Utopia and Experimental Communities. Urbana, Ill.: University of Illinois Press 2005.

 

Zu Werk, Theorien und Leben von B. F: Skinner:

Siehe:        Literatur: Behaviorismus

 

 

Der bekannte Behaviorist und Harvardprofessor Burrhus Frederic Skinner [1904-1990] studierte Lernvorgänge bei Ratten und Tauben und übertrug die Ergebnisse - wie vor ihm Thorndike, Guthrie, Hull und Tolman - auf das menschliche Lernen ("Science and Human Behavior",1953 [dt.: Wissenschaft und menschliches Verhalten. München: Kindler 1973]). Seine 'instrumentale oder operationale Konditionierung' bedeutete den Beginn des programmierten Unterrichts und der Lehrmaschinen.

 

In Anlehnung an H. D. Thoreaus Waldrobinsonade "Walden" (1854) schrieb er 1948 eine utopische Novelle, "Walden Two", die, nachdem sie in über einer Million Exemplaren verbreitet wurde, nun auch in einer (unsorgfältigen) deutschen Übersetzung vorliegt.

 

Der Vorkämpfer für pädagogische Verhaltenspsychologie und programmiertes Lernen in Deutschland, Prof. W. Correll, weist im Vorwort darauf hin, dass Skinner erkannte, dass es nicht mehr auf das Pawlowsche reaktive Reflexmodell ankommt, "sondern auf ein bestimmtes System der unterbrochenen, sogenannten variierenden Zeitintervallsreaktionsquotenverstärkung".

 

Die Zukunft: Verhaltenstechnik und arbeitssparende Praktiken

 

In "Futurum Zwei" entwirft Skinner eine zukünftige Gesellschaftsordnung, wo - vorderhand - tausend "Menschen guten Willens" Selbstversorgung betreiben. Sie lösen "die psychologischen Probleme des Zusammenlebens ... mit geeigneten Prinzipien der Verhaltenstechnik" und arbeitssparenden Praktiken in einer Mischung von Zurück-zur-Natur, Do-it-yourself, Freizeitcenter, Heimatwerk und Modern Design, das heisst Zweckform - zum Beispiel Lehmhäuser, eckige Glasteller, Vierstundenarbeitstag, grobes Linnen, blökende Schafe als "Rasenmäher" -, alles unter der Devise: gesund, sauber und farbig, froh und freundlich, liebevoll und hygienisch.

 

Das "ethische Training" ist mit dem sechsten Lebensjahr beendet; der Abbau kleinlicher, „niedriger" Emotionen, wie Eifersucht, Hass und Dankbarkeit sowie Besitzen- und Machthabenwollen, wird ausprobiert: Tapfere Menschen sollen dressiert werden.

Das erste Kind mit sechzehn Jahren, Gleichberechtigung von Mann und Frau, getrennte Zimmer für Ehepaare, Zuchtwahl, Gruppenunterricht durch ausgeruhte und ausgeglichene Menschen, viele psychologische Experimente über die Lenkung und Planung des Verhaltens sowie der Kultur stehen auf dem Programm.

 

So überflüssige und schädliche Dinge wie Religion, Trinken und Rauchen, Kriminalromane und Boxkämpfe, Polizei und Militär, Propaganda und persönliche Verdienste fallen weg.

 

Kein Kurort, keine Hippie-Kommune, jedoch ...

 

So enorm vernünftig all dies verläuft, so enorm langweilig ist die papierene Beschreibung zu lesen. Es ist der sehr gut gemeinte, wissenschafts- und verstandesgläubige Versuch, all die tausend Kleinigkeiten, die uns täglich behindern und ärgern, abzubauen - aus der schrecklichen Hilflosigkeit heraus, den Traditionen und Konventionen, der sozioökonomisohen und politischen Maschinerie nicht Einhalt gebieten zu können, ihnen vielmehr schutzlos ausgeliefert zu sein.

 

Ralf Dahrendorf

(„Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen“, 1961):

 

„Denn in Utopia wohnt nicht die Freiheit, der stets vollkommenen Entwurf in das Unbestimmte, sondern die Perfektion entweder des Terrors oder der absoluten Langeweile.“

 

 

Das Resultat: Blutlose Schemen schweben marionettengleich durch ein "Gemeinwesen", das isoliert von Geschichte und Umwelt dahinträumt und an Sparta, Epikurs "Garten" und die Stoa oder auch ein bisschen an Pfadilager, Pestalozzidorf und Club Méditerranée (bargeldloser Verkehr) erinnert. Unbeantwortet bleibt die Frage: Wer macht das alles, stellt Geräte her, verdient Geld, beschafft Rohstoffe und Maschinen, bildet die Fachleute aus, hält den wirtschaftlichen und fiskalischen Austausch mit der Aussenwelt - wie und womit? - aufrecht, usw.?

 

Es ist natürlich ein weit verbreitetes Bedürfnis, "die Menschen" (radikal?) ändern zu wollen, Friede, perfekte Demokratie, Vertrauen - auf Mitmenschen wie Technik -, Entspannung und Musse, Arbeitsfreude, Befreiung von Zwängen, Ängsten und Entfremdungen anzustreben, doch die Hindernisse sind gross.

 

Wenn auch Skinner auf mancherlei Einwände eingeht, zu überzeugen vermag er nicht. Er glaubt aber noch heute an die Verwirklichung solch utilitaristisch-glückhaften menschlichen Zusammenlebens: Der Traum ist "noch immer wert, geträumt zu werden".

 

(erschienen in den „Basler Nachrichten“, 24. Juni 1970)

 



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