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Gordon Rattray Taylor: Im Garten der Lüste - Herrschaft und Wandlungen der Sexualität. G. B. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 1970.

 

Ursprünglich: Sex in History. London: Thames and Hudson 1953; New York: Vanguard 1954; als Harper torchbook 1973;
erste dt. Übersetzung u. d. T.: Wandlung der Sexualität. Düsseldorf: Diederichs 1957; überarbeitete Fassung u. d. T.: Kulturgeschichte der Sexualität. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag 1977.

 

 

erschienen in den Basler Nachrichten, 15./16. August 1970

 

 

 

Alexander Mitscherlich behauptet einleitend, der Engländer G. R. Taylor ("Die Biologische Zeitbombe") habe schwer zugängliches Quellenmaterial gesammelt und historisch-kausal analysiert, d. h. die sozialen Bedingungs- und Entstehungszusammenhänge erforscht.

 

Taylor ergänzt, dass "das Stadium der Wandlungen im sexuellen Verhalten eine notwendige Voraussetzung allen geschichtlichen Forschen" sei. Bisher wurde das gemieden. Dabei sind Grausamkeit und Sexualität eng verbunden; hingegen besteht eine grosse Kluft zwischen tatsächlichem Verhalten und sittlichem Ideal, das die Kirche unermüdlich durchzusetzen versucht und das bis heute nachwirkt.

 

Taylor bringt eine ungeordnete, trockene Aneinanderreihung von kurzen Zitaten und Fakten. Hintergrunde werden ein bisschen nach Freud erläutert. Der unbarmherzige Sittenkodex der Kirche beispielsweise entsprang "dem Fanatismus verzweifelten Schuldgefühls", aus irrationaler Furcht vor Vergnügen und aus Aberglauben, was zusammen zu sexueller Besessenheit wurde. "Ein von Terror gestütztes System psychologischer Unterdrückung" musste den Gesetzen - vorab Enthaltsamkeit - Nachachtung verschaffen.

 

Die individuelle Motivation fuhrt der Autor auf die Orientierung entweder nach dem Vater - autoritärer und wissenschaftsfeindlicher Typ des "Vateridentifizierers" - oder der Mutter zurück. "Der Grund, weshalb Paternisten für Homosexualität und Maternisten für Blutschande prädestiniert sind, liegt im Ödipuskomplex". Zwischen diesen Haltungen schwankt der abendländische Gang der von Eros und Thanatos getriebenen Gesellschaft.

 

Heute stehen wir im Maternismus (wie die vorchristlichen Kelten und die Troubadours seit dem 12. Jahrhundert), der duldsam, fortschrittlich, froh und auf Wohlergehen gerichtet ist. Allerdings drohen "neurotische Schreckreaktionen der Paternisten". Taylor gibt zu, dass dies keiner "Erklärung" gleichkommt, "sondern nur eine bequeme Art der Analyse" ist.

 

Ausführlich werden die Katharer- und Hexenverfolgungen, die Skrupellosigkeit der Renaissance, der nachfolgende Maternismus in England, sowie der patriarchalische Calvinismus und Puritanismus und die Gewalttätigkeit des 18. Jahrhunderts behandelt. Die Ehe im heutigen Sinn ist ein Produkt der Romantik. Die Viktorianische Zeit betrachtete die Sexualität nicht als Sünde, sondern als bestialisch; Tabus und Verbote traten auf wie nie zuvor. Nun erst kommen die vorchristlichen Muttergottheits- und Dionysoskulte zum Zug. Dann werden Judentum, Mithraskult und frohes Christentum, Nebenströmungen wie Phalluskult, Narrenfeste und karitative Sekten gestreift.

 

Weder historisch-politisch, interkulturell-vergleichend, beziehungsanalytisch noch soziologisch oder behavioristisch, sondern ausschliesslich psychoanalytisch ist dieses brave Panoptikum geführt, ohne strengen Aufbau und weder wissenschaftlich ergiebig noch sonst aufregend. Ob es daran liegt, dass es bereits 1953 als "Sex in History" erschien? Statt Illustrationen gibt es (Zensur oder Zufall?) acht leere Seiten, und überdies ist entweder der Autor oder der (anonyme) Übersetzer ungenau.

 

Da lobe ich mir Norbert Elias' sorgfältigen "Prozess der Zivilisation" oder Morus' amüsante "Weltgeschichte der Sexualität".

 

 


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