Home Platon zur seelischen Gesudheit

 

 

Timaios, 86-88

ca. 360 v. Chr.

 

 

So treten denn also die Krankheiten des Körpers ein; seine Beschaffenheit erzeugt aber auch deren in der Seele, und zwar in folgender Weise: Man kann nämlich nicht leugnen, dass Vernunftlosigkeit Krankheit der Seele ist, und dass es von ihr zwei Arten gibt, Wahnsinn und Unwissenheit. Folglich muss aber auch jedes Vorkommnis, welches den Menschen in einen von :beiderlei Zuständen versetzt, als Krankheit bezeichnet werden, und zwar sind übermässige Lust und übermässiger Schmerz als die grössten dieser Seelenkrankheiten anzusehen.

Denn der Mensch, welcher übermässig froh oder aber im Gegenteil in den äussersten Zustand des Schmerzes versetzt ist, sucht immer zur Unzeit das eine zu erjagen und dem anderen zu entfliehen und vermag weder etwas Richtiges zu sehen noch zu hören, sondern rast und ist in diesem Zustande nicht im mindesten einer vernünftigen Überlegung fähig.

 

… Und so wird fast alles, was man Unenthaltsamkeit in den Genüssen nennt, insoweit denen, die sie ausüben, mit Unrecht als Schlechtigkeit vorgeworfen, als man dabei urteilt, dass sie freiwillig diese Schlechtigkeit an sich tragen. Denn niemand ist freiwillig böse; sondern wer es ist, der ist es durch fehlerhafte Beschaffenheit seines Körpers und durch falsche Erziehung geworden; einem jeden aber ist dies verhasst, und es wird ihm (wie gesagt) wider seinen Willen zuteil.

Ferner können daher auch die Schmerzen des Körpers ebenso in der Seele allerlei Übel erzeugen: Denn wo nur immer die Säfte der sauren und salzigen Schleime und alle bitteren und gallichten Säfte in ihrem Umherirren durch den Körper sich nicht nach aussen hin Luft machen können, sondern, im Innern zusammengedrängt, ihren Dunst der Bewegung der Seele beimengen, da erzeugen sie auch allerlei Seelenkrankheiten, stärkere oder schwächere, zahlreichere oder wenigere. Und zwar je nach den drei Spitzen der Seele rufen sie da, wohin sie jedesmal dringen, verschiedenerlei Arten bald von Trübsinn und Missmut, bald von Verwegenheit und Feigheit, bald endlich von Vergesslichkeit und zugleich Ungelehrigkeit hervor.

 

… Von den Verhältnissen des Ebenmasses nun pflegen wir die geringeren zwar wahrzunehmen und in Erwägung zu ziehen,  die einflussreichsten und grössten aber unbeachtet zu lassen.

Den von grösserem Einfluss auf Gesundheit und Krankheit und auf Tugend und Laster ist kein Ebenmass und kein Missverhältnis, als das zwischen der Seele und dem Körper selbst. Hiervon bemerken wir jedoch nichts und bedenken nicht, wenn eine durchaus starke und grosse Seele von einem schwächeren und kleineren Fahrzeug getragen wird, und desgleichen, wenn Seele und Körper nach dem umgekehrten Massstabe zusammengefügt sind, das ganze lebendige Wesen nicht schön ist; denn es fehlt ihm gerade das höchste von allem Ebenmass.

 

… So ist denn dies das alleinige Heil für beide Teile, wenn man weder die Seele ohne den Körper noch den Körper ohne die Seele übt, damit beide so ihrer gegenseitig sich erwehren können und dadurch ins Gleichgewicht kommen und gesund werden.

Es muss also der, welcher die Wissenschaften oder sonst eine Geistesübung mit Anstrengung betreibt, zugleich auch dem Körper die nötige Bewegung gewähren, indem er dem Turnen obliegt, und wiederum, wer den Körper sorgfältig bildet, muss zugleich auf die Regsamkeit der Seele bedacht sein, indem er auch der Musik und jeglicher wissenschaftlicher Bildung sich hingibt, wenn er mit Recht ein harmonisch durchgebildeter und ein guter und tüchtiger Mann heissen will.

Und in gleicher Weise muss man auch die einzelnen Teile behandeln, indem man sich da, bei die Verhältnisse im Weltganzen zum Vorbilde nimmt.

 

Denn da der Körper von dem, was in ihn eingeht, inwendig erhitzt und abgekühlt, und wiederum von dem, was sich ausserhalb befindet, ausgetrocknet und angefeuchtet wird und mit diesen beiden Erregungen auch alle anderen erleidet, welche wieder die Folge von ihnen sind, so wird er, wenn man ihn in untätiger Ruhe diesen überlässt, von ihnen überwältigt und geht zugrunde; wenn man aber dem Beispiele der von uns so genannten Ernährerin und Amme des Alls folgt und den Körper am liebsten niemals in untätiger Ruhe belässt, sondern in steter Bewegung erhält und durch gewisse angemessene Erschütterungen, die man in ihm seinem ganzen Umfange nach hervorruft, sich jener äusseren und inneren Erregungen auf eine naturgemässe Weise erwehrt und dadurch die durch den Köre per umherirrenden Bestandteile und Eindrücke, dergestalt dass sich Verwandtes zu Verwandtem fügt, in die gehörige Ordnung unter einander bringt, so wird man nach unserer vorauf, gehenden Auseinandersetzung über die Natur des Alls es hierdurch verhindern, dass sich Feindliches zu Feindlichem geselle und dadurch im Körper Kämpfe und Krankheiten erzeuge, und vielmehr bewirken, dass Befreundetes sich mit dem Befreundeten verbinde und dadurch Gesundheit verleihe.

 


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