HomeZwischen Lust und Verlust: Das Spiel

 

Inhalt

Menschen im Spielsalon

Geschichte des Spiels: Kontraste

Psychologie des Spiels

Ökonomische Betrachtung des Spiels

Philosophie des Spiels

 

 

Der Bogen dessen, was unter Spiel verstanden wird, reicht vom Schnelllauf, Skisprung, Geländeritt, Radrennen, Schiessen und Gewichtheben - alles "olympische" Spiele - über die "Spiele der Erwachsenen" des Dr. med. Eric Bene, über Schach, Halma und Kegeln bis zum Roulett und Flippern und umfasst auch das Würfeln und Wetten, Lotto und Toto sowie Ringelreihen und die Klötzchen-, Puppen-, Indianer- und "Doktorspiele" von Kindern.

 

Einzig Autorennen und Orientierungsläufe, Bergsteigen und Tanzen, Basteln, Sammeln und Kreuzworträtsellösen scheinen nicht dazu zu gehören. Und was ist mit dem Klavierspiel, dem Mienenspiel, den Passionsspielen, den Fest-, Schau-, Fernseh-, Hör- und "Lichtspielen"?

 

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Betrachten wir im folgenden einiges Grundsätzliche zum Wesen des Spiels.

 

 

Menschen im Spielsalon

 

Musik ist es nicht, was aus einem Spielsalon dringt, doch manchem klingt es wie solche in den Ohren, das Rattern und Klappern, das Schaben und Klicken, das unterdrückte Gemurmel und die plötzlichen Ausbrüche vor Freude oder Verzweiflung.

Eigentlich komisch: Da stehen in einem schmucklosen und oft düsteren Lokal auf leicht schrägen Beinen zahlreiche grellbunte Kästen wie Kühe im Stall an der Wand (den Strick ersetzt das Stromkabel), da sind einige Apparate an der Wand aufgehängt, irgendwo dazwischen ein Tischfussball und beim Eingang vielleicht gar ein Billardtisch - "damit es etwas gediegener aussieht", rechtfertigt sich der Salonbesitzer -, und um diese Geräte scharen sich vom späten Vormittag bis Mitternacht, auch wenn draussen die Sonne strahlt, Lehrlinge und Studenten, Kellner, Coiffeure und Kaufleute, Zuhälter auch und, seit die Geldspielapparate aufgekommen sind, Hausfrauen und ältere Herren bis hin zum AHV-Rentner.

 

Sie spielen! Sie rütteln und hebeln an diesen surrenden Maschinen, verfolgen gespannt wie sich Zahlenreihen drehen, die glänzende Kugel läuft und Lämpchen aufblitzen. Das ist ihr Vergnügen. Ihre Geschicklichkeit soll ihnen Freispiele oder gar Geldgewinn bringen.

 

Doch manchen ist dies nicht genug. Entweder versuchen sie den Geldspielautomaten auf professionelle Art den gesamten Inhalt zu entlocken oder, eng gedrängt um einen "Flipper"-kasten oder das "Tischfussball", welche kein Geld ausspucken, wetten sie um Geld - auch  wenn unübersehbar eine Tafel mahnt: "Spielen und Wetten um Geld ist verboten".

 

Ist es eben dieses "Verbotene" was jung und alt an diese Geräte lockt, der Nervenkitzel, einen Apparat oder den Gesetzeber zu überlisten? Der Salonbesitzer sieht es nüchterner: Langeweile scheint ihm das wichtigste Motiv. Bei den zahlreichen Gastarbeitern ist der Salon ein beliebter Treffpunkt, Ersatz für den Kinobesuch, Réduit für isolierte Grüppchen, die nicht wissen, wie sie die Freizeit totschlagen sollen. "Ich habe irgendwo gelesen, dass vierzig Prozent der Flipper-Spieler Versager sein sollen", meint er. Frage: Ist Spielen die einzige Möglichkeit der Selbstbetätigung?

 

 

Geschichte des Spiels: Kontraste

 

Die alten Römer verboten das Glücksspiel

 

Ob Spiel eine Leidenschaft, ein Laster und deshalb verwerflich sei, haben schon die Römer gerätselt.

 

An der Frage des Masses entzünden sich heute noch die meisten Diskussionen über die "Verworfenheit" des Spiels. Nicht umsonst war es die "Ausartung", welche das Eingreifen der römischen Gesetzgebung veranlasste. "Nach römischer Anschauung an sich nicht unerlaubt oder verwerflich, und vor alters selbst von würdig ernsten Männern mit Vorliebe, doch mässig betrieben, war das Spiel allmählich in Hasardspiel mit hohen, häufig sogar ungeheuerlichen Einsätzen ausgeartet und zur verderblichen Sucht geworden, die sittlich und wirtschaftlich, im hohen und niederen Kreisen, viele Opfer forderte", berichtet vor bald hundert Jahren ein deutscher Staatsanwalt in seiner Dissertation.

 

Das veranlasste das Einschreiten der Gesetzgebung. "Die Glücksspiele entarteten mehr und mehr zu blossen Mitteln der Befriedigung einer leidenschaftlichen und gemeinen Spielsucht. Den sittlich und ökonomisch verderblichen Folgen dieser hohen Gewinnspiele zu begegnen, war eine Aufgabe, der sich die Gesetzgebung nicht entziehen konnte, und sie gelangte hierbei, in Folge der Schwierigkeit, die richtige Grenze zu treffen, zu dem nur durch Zweckmässigkeitsgründe gerechtfertigten Auskunftsmittel eines Verbots aller und jeder Glücksspiele überhaupt", das schrieb vor bald hundert Jahren ein deutscher Staatsanwalt in seiner Dissertation.

 

Der Erfolg dieses Verbots - das einzig für die Saturnalien ausser Kraft gesetzt wurde - war natürlich kein durchschlagender. Immer wieder kam es zu Prozessen. Und da sogar die Kaiser (z. B. Claudius und Nero), wie unser Gewährsmann berichtet, "zum Teil selbst gewaltige Aleatoren" (Spieler) waren, dauerte die Unsitte des Hasardspiels, bald laxer, bald strenger, aber immer erfolglos bekämpft, ungeschwächt fort, bis Justinian, "diese Ausartung und deren verderbliche Folgen pathetisch beklagend, mit Emphase den gesetzgeberischen Weg einer auf den Boden des reinen Zivilrechts sich beschränkenden Remedur" betrat.

 

Kaiser Augustus verlor einst an einem einzigen Tag 20 000 Sesterzen beim Würfeln. Freilich würfelten nicht nur Kaiser. "Auch in den niederen Kreisen und unter den Sklaven tobte das Übel. Namentlich die Popinae waren auch in dieser Richtung die Schlupfwinkel der Sittenlosigkeit, ebenso verrufen als gesucht von vornehm und gering ...

Bemerkenswert gegenüber von den römischen Verhältnissen ist schliesslich das Urteil eines Römers über die Germanen. Wenn Tacitus auch bei diesen die Leidenschaft des Würfelspiels vorfand, so verwundert er sich nicht sowohl hierüber, als über den Ernst, die Rechtlichkeit und Gewissenhaftigkeit und den Heroismus, den sie damit verbanden."

 

In diesen paar Zitaten ist alles drin.

 

Das Glücksspiel als Anstoss der Wahrscheinlichkeitslehre

 

Bevor wir die Psychologen befragen, warum und wozu der Mensch spielt, sei noch auf ein weiteres, durchaus positiv zu wertendes Ereignis der Geistesgeschichte eingegangen, nämlich die Ausbildung der mathematischen Wahrscheinlichkeitslehre.

 

Glücksspiele haben etwas mit der Ungewissheit und damit der mathematischen Wahrscheinlichkeit zu tun. Deshalb verwundert es nicht, dass die ganze Wahrscheinlichkeitslehre am Spiel überhaupt erst entwickelt wurde.

 

Historisch gesehen ging das so vor sich: In der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts gingen Anfragen von adeligen Müssiggängern, deren vornehmliche Unterhaltung das Glücksspiel war, an die führenden Mathematiker ihrer Zeit, ob man wohl gewisse Gesetze für den Ausgang solcher Spiele, d. h. für die "Chancen", die sie dabei zu erwarten hätten, aufstellen könnte.

Die Mathematiker, zuerst Blaise Pascal und Pierre de Fermat griffen das ihnen gestellte Problem auf und erkannten darin bald einen ganzen Zweig der Mathematik, den sie aus theoretischem Interesse auszuarbeiten begannen.

Berühmt ist unter den Versuchen einer allgemeinen Wahrscheinlichkeitslehre, die sich in ihrer Anwendung aber am Würfelspiel orientiert, die Schrift des Physikers und Astronomen Christian Huygens "Tractatus de Ratiociniis in Aleae Ludo" von 1657. Er bespricht darin Spiele mit verschiedener Zahl von Entscheidungsmöglichkeiten und verschiedener Anzahl von Mitspielern; so kommt er dazu, Tabellen über die verschiedenen Wahrscheinlichkeitsgrade in Glücksspielen aufzustellen, die aber in ihrer mathematischen Exaktheit durchaus verallgemeinert werden können.

Dies tat der Basler Jacob Bernoulli in seiner "Ars coniectandi" (1713), die sich mit der Anwendung der Kombinatorik auf das Glücksspiel beschäftigt und vom Huygensschen Werk ausgeht. Darüber hinaus gibt es von Bernoulli auch eine Berechnung der Wahrscheinlichkeit des Ausganges von "Geschicklichkeitsspielen", und zwar in dem "Brief an einen Freund über das Ballspiel".

 

Man sieht, dass also Zahlentabellen über Gewinnchancen eine alte Sache sind und der Mensch sich stets um eine möglichste Gewissheit über den Spielausgang bemühte - heute macht man das mit dem Computer.

 

Ebenso erstaunlich früh ist die Unterscheidung von Glücks- und Geschicklichkeitsspielen anzutreffen, und dass ausgerechnet der Mathematiker Bernoulli bereits das Ballspiel, also eine sportliche Betätigung - "Leibesübung" zur "körperlichen Ertüchtigung" - zu den Spielen zählt und einer Berechnung für würdig hielt, mag erfreulich zu werten sein.

 

Damit nicht genug. Die ganze moderne "Spieltheorie" (theory of games), welche in den Wirtschaftswissenschaften von grosser Bedeutung ist, erwuchs aus dem Studium der Struktur von Gesellschaftsspielen wie Schach und Poker.

Diese Theorie wurde vor allem von John von Neumann - einem Mitbegründer der Computerwissenschaft und späteren Berater der US-Atomenergie-Kommission - entwickelt und erfreut sich sowohl in der militärischen Strategie wie in den Sozialwissenschaften immer grösserer Beliebtheit.

Ziel dieser Theorie ist die Ermittlung der besten Strategie, die dem Teilnehmer grösstmögliche Gewinnchancen sicherstellt. Ein breitgestreutes Spektrum von Differenzierungen ist hier möglich, wovon die Begriffe "Optimum",  "Risiko", "Entscheidung", "Vorzug" und "Verteilung" zeugen.

 

Friedrich Schiller: Das Spiel macht den Menschen vollständig

 

Bekannt ist geworden, dass der Dramatiker Friedrich Schiller im 14, und 15. Brief "Über die ästhetische Erziehung des Menschen" (1795) das Spiel dem schönen Schein zuordnet und auf den Spieltrieb zurückführt.

Dieser Spieltrieb vermittelt zwischen dem Stoff- und dem Formtrieb. Er ist dahin gerichtet, "die Zeit in der Zeit aufzuheben, Werden mit absolutem Sein, Veränderung mit Identität zu vereinbaren". Sein Gegenstand ist die "lebende Gestalt", "ein Begriff, der allen ästhetischen Beschaffenheiten der Erscheinungen und mit einem Worte dem, was man in weitester Bedeutung Schönheit nennt, zur Bezeichnung dient".

 

Unter allen Zuständen des Menschen ist es allein das Spiel, "was ihn vollständig macht und seine doppelte Natur auf einmal entfaltet ... Freilich dürfen wir uns hier nicht an die Spiele erinnern, die in dem wirklichen Leben im Gange sind ..., aber durch das Ideal der Schönheit, welches die Vernunft aufstellt, ist auch ein Ideal des Spieltriebes aufgegeben, das der Mensch in allen seinen Spielen vor Augen haben soll."

Daher der programmatische Satz: "Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt".

 

Diese hehre Auffassung von der Schönheit im Spiel haben wir heute weitgehend aus dem Auge verloren. Dabei sieht sie Schiller durchaus im menschheitsgeschichtlichen Rahmen: "Was ist es für ein Phänomen, durch welches sich bei dem Wilden der Eintritt in die Menschheit verkündigt? Soweit wir auch die Geschichte befragen, es ist dasselbe bei allen Völkerstämmen, welche der Sklaverei des tierischen Standes entsprungen sind: die Freude am Schein, die Neigung zum Putz und zum Spiele" (26. Brief).

 

Diese Formulierungen sollten uns mahnen, nicht allzu vorschnell mit dem Wort Spiel "Sittenverderbnis" zu assoziieren.

 

 

Psychologie des Spiels

 

Schönheit und optimales Verhalten in bestimmten Situationen oder faire Verteilung von "Profit" - zwischen diesen Extremauffassungen bewegt sich also das Spiel. Was meinen nun die Psychologen?

 

Verschiedene Antriebskräfte

 

Das Bedürfnis nach "Spielen" scheint also tief im Menschen - und wie vermutet wird, auch in höheren Tieren - verwurzelt zu sein. Gemäss dem Bonmot, dass es so viele psychologische Theorien wie Psychologen gebe, werden auch die unterschiedlichsten Antriebskräfte als Ursachen des menschlichen Spielens angesehen, sei das nun:

  • Spieltrieb
  • Bewegungsdrang
  • Funktionslust oder Betätigungsdrang (= die Freude an der Übung und Steigerung geistiger oder körperlicher Fähigkeiten)
  • das emotionale "Es"
  • Drang nach persönlicher Freiheit
  • Phantasie, Vorstellungsvermögen (Spiel mit seelischen Gehalten, Rollen, Illusionen)
  • Symbolisierungsvermögen
  • Neugierde, Sensationsdrang
  • Freude am Rhythmus und an Wiederholung (Dynamik des Spiels)
  • spontaner Ausdruck und Darstellung (Stil)
  • "unernste" Nachahmung, von Ernst-Tätigkeiten
  • Bedürfnis nach Entlastung im weitesten Sinne.

 

Viel Befriedigendes ist jedoch hierüber nicht auszumachen, zumal der selbe Trieb verschiedenes Verhalten fundieren kann oder umgekehrt einer bestimmten Handlung mehrere Triebe zugrunde liegen können.

 

Definitionsversuche

 

Auch die Definitionsversuche geben nicht allzuviel Aufschluss darüber, was das Spiel eigentlich sei, Immerhin ist bedeutsam:

  1. dass diese Tätigkeit aus Freude an ihr selbst geschieht, also um ihrer selbst willen ausgeführt wird
  2. dass es nicht - wie Arbeit oder blosse Instinkthandlungen - von praktischen Zielsetzungen bestimmt ist, sondern seinen Sinn in sich selber hat und nicht auf ausserhalb liegende Ziele gerichtet ist resp. keinem von aussen erkennbaren, mithin fremden Zweck dient
  3. dass es eine freiwillige Betätigung des menschlichen Körper und Geistes und wohl auch der Seele ist
  4. dass es stets mit Lustempfindungen verbunden ist und viel zur Entwicklung und Erhaltung des Selbstgefühls des Menschen beiträgt
  5. dass es von einem Gefühl der Spannung ("Drama", "Sensation") und einem Bewusstsein des "Anderssein" als das "gewöhnliche Leben" begleitet ist (dass Spannung entspannt, kennen wir auch vom Krimi oder Western).

 

Leider hat die Psychologie ihr Augenmerk vorwiegend auf das Spiel beim Kleinkind, Kind und Jugendlichen gerichtet und die "Spiele der Erwachsenen" - um den Titel des Buches von Dr. med. Eric Berne zu zitieren - vorwiegend den Psychiatern und vor allem Philosophen überlassen.

 

Das Spiel beim Kind

 

Die erste ausgebaute Spieltheorie des Kindesalters ist diejenige des Begründers des Kindergartens, Friedrich Fröbel (1782-1852). Er meinte, das Spiel entstehe als "reinstes geistiges Erzeugnis des Menschen auf der Stufe der Kindheit".

 

Bis heute am bekanntesten sind die Ansichten von Karl Groos, die freilich aus der Zeit kurz vor 1900 stammen. Ihnen zufolge ist das Spiel eine unbeabsichtigte Selbstausbildung (Funktionsübung) der Lebewesen - also auch von Tieren -, die besonders für den Menschen notwendig ist. Es dient letzterem weniger der Erholung oder Abreaktion als der Vorübung der Anlagen für die Ernstaufgaben des Lebens. Damit hat das Spiel einen immanent biologischen Wert.

 

Das Spiel des Kindes macht verschiedene typische Stufen durch, deren Erforschung der Kinderpsychologie wichtige Aufschlüsse über das kindliche Seelenleben gegeben hat. Als ein Beispiel hierfür seien nur die ausgedehnten Forschungen des Genfer Psychologieprofessors Jean Piaget erwähnt.

Ferner lässt sich das Spiel des Kindes auch als diagnostisches Hilfsmittel benützen, z. B. Sandbaukasten, Puppenspiel, Sceno-, Welt- und Dorf-Test.

 

Das Spiel als Therapie und Diagnoseinstrument beim Erwachsenen

 

Das Spiel ist aber weit mehr als das "Kind im Menschen" (Erich Rothacker) ein viel zu "ernsthaftes" Phänomen, als dass man es sogleich in den Topf der "Laster" wirft und verurteilt.

 

Ähnlich wie die Spiel-Tests dient das Spiel beim Erwachsenen ebenfalls der Diagnose, also der Persönlichkeitserfassung - wobei besonders Identifikationsmechanismen deutlich werden.

Man denke auch an die segensreiche Wirkung, welche die Spiel-Therapie - Spiele einzeln oder in Gruppen (z. B. Psychodrama) in Gegenwart des behandelnden Psychologen - auszuüben imstande ist. Es wird hier als heilendes, kathartisches, also lösendes und. entspannendes Element der Psychotherapie gesehen. Besonders wichtig ist der Abbau von Anpassungs- und Verhaltensstörungen. Das kann bis zum Austoben gehen.

 

Nun ist in der Psychologie das Seltsame passiert, dass man einerseits die Überbetonung der "Übung" zurückgewiesen hat und, besonders natürlich für den erwachsenen Menschen, die Momente

  • des Vergnügens, genauer der Erholung, Zerstreuung und Anregung sowie
  • der Abreaktion, d.h. den spielerischen Abbaus von im "ernsten" Leben aufgestauter Nervosität oder durch übermässige Angstentwicklung aufgestauten Affektspannungen

herausstellt

(womit das Spiel allerdings nicht mehr ganz "freiwillig" wäre).

 

Spielerisches Lernen

 

"Spielerisches Lernen und Schaffen" ist wieder in den Mittelpunkt pädagogischen Bemühens getreten. Hierunter fällt nun nicht nur die Übung und Steigerung körperlicher und geistiger Fähigkeiten, sondern auch des sozialen Verhaltens - die "Einübung von Mitmenschlichkeit".

"In der That ist ein vollentwickeltes Spiel ohne gleichzeitige Übung der motorischen oder theoretischen Aufmerksamkeit kaum denkbar. Von den ersten sensorischen oder motorischen Spielen des Säuglings an bis hinauf zu dem ästhetischen Genuss und der künstlerischen Produktion ist ihre Spannung fast überall anzutreffen", meinte Karl Groos schon 1896.

Diese Übung besteht nun im Hinblick auf den Möglichkeits-Blick, der spielend "geschärft" wird im Sinne einer immer genaueren Besetzung der Erwartungshorizonte mit Erfüllungsphantasien. Man kann da auch vom Entwurf von Alternativen sowie der Strategien, die zu ihrer Erreichung dienen, sprechen.

 

Die "Unschuld" des Spiels

 

Das würden aber die strengen Philosophen nicht mehr als Spiel bezeichnen, da sie die Betonung auf die "Unschuld" des Spiels legen:

"Wenn dem Spiel der bestimmte Zweck der Übung, Kräftigung, des Wettstreits und des Kampfes um des Sieges willen gesetzt wird, hat es seinen eigentlichen Sinn verloren, da dieser gerade in einer Tätigkeit besteht, die durch die Ungebundenheit, die freie Beweglichkeit und das Sichbewegen in einer nicht den Bedingungen des wirklichen Lebens, sondern nur den Spielregeln genügenden Welt gekennzeichnet ist und daher wohl einer inneren Zweckmässigkeit, aber keinem ausserhalb des Spiels selbst liegendem Zwecke folgt" moniert ein philosophisches Wörterbuch.

 

Ganz ähnlich schreibt ein Wörterbuch der Psychologie:

"Das eigentliche Spielalter ist das Vorschulalter und das frühe Schulalter. Gestaltungsspiele (Bauen, Malen, Legen) bleiben aber auch weiterhin Grundlage des Werkschaffens, und das Regelspiel (vor allem die sog. Gesellschaftsspiele) leitet durch die gesamte Jugendzeit hindurch zu den Spielen der Erwachsenen über, wobei das Spiel gelegentlich den Charakter ernsthaften geistigen, künstlerischen und werklichen Schaffens gewinnt. Aus dem Spiel wird durch die Absicht planmässiger Leistungssteigerung der Sport."

 

Demzufolge müsste man also anstelle von "spielerischem Lernen" von "sportlichem Lernen" sprechen, was heute, wo das Wort "Fitness" grassiert und man damit nicht nur das Absolvieren von Vita-Parcours, sondern auch das Training geistiger Frische anzielt, vielleicht gar nicht so abwegig wäre.

Wer beispielsweise Spielautomaten mit grosser Geschicklichkeit zu leeren versteht - in vier Minuten 40 Franken, wie ein Gewährsmann berichtet -, wird sein Tun auch wohl eher als Sport, denn als Spiel auffassen ...

 

Vier bedeutsame Merkmale

 

Vier bedeutsame Merkmale des Spielens sind

1.)   die Wiederholung

2.)   die Spielregeln

3.)   der Einsatz von Spiel-Zeug sowie

4.)   das eigentümliche Verhältnis von Spieler und Zuschauer.

 

Wiederholungszwang

 

Für das Phänomen der Wiederholung gibt es zahlreiche Erklärungsversuche. Sigmund Freud ("Jenseits des Lustprinzips", 1920) hielt einen "Wiederholungszwang" für den Ursprung der Wiederholungen im Spiel oder von Spielen. Sie dienen der spielerischen Bemeisterung einer im Ernst-Leben vorher nicht bemeisterten Situation oder der Neutralisierung der mit einer Frustration verbundenen unangenehmen Erlebnisse. Das unterzog u. a. Erik H. Erikson ("Kindheit und Gesellschaft",1957) einer Kritik.

 

F. J. J. Buytendijk setzt einen "Wiederholungstrieb" und Karl Bühler die "Funktionslust" an. Andere sprechen von "unernster" Nachahmung von Ernst-Tätigkeiten. Das überzeugt wenig. Viel wichtiger ist doch, dass aufgrund der Ungewissheit, die dem Spiel eignet, die Erwartung ständig genährt wird, ob es nämlich wieder gleich verlaufen werde wie das letzte Mal oder ob es anders ausgehen werde. Das haben wir oben schon erwähnt: Das entscheidende Ereignis darf nicht völlig unvorhergesehen sein. Die Konstitution des Möglichkeitshorizonts wie der Schein-Sphäre kann nur von etwas einigermassen Bekanntem aus erfolgen, das auf seine verschiedenen Aspekte erprobt wird.

 

Spielregeln

 

Die Spielregeln als Vereinbarungen haben keineswegs die Aufgabe, etwa die "unbändige Aktivität" der Spieler zu bändigen. Sie sind nicht die "sittlichen Normen" im Spiel, mögen auch gewisse Regeln der Fairness gegeben sein, die ein Umschlagen des Spiels in den gefährlichen Kampf verhindern.

Im wesentlichen aber dienen sie dazu, den Möglichkeitshorizont abzustecken. Sie geben den Spielvorgängen den Sinn und die Richtung auf das Ziel, auch wieder, damit nicht etwas völlig aus dem Themenkreis des Spiels Fallendes eintritt.

Dafür sorgen auf andere Weise auch das Spielfeld und die Markierungen.

 

Das Spielzeug

 

Wie schon bei der Wiederholung und den Spielregeln zeigt sich auch beim Spielzeug eine gewisse Vorbekanntheit mit der Zukunft.

Mit allen drei Faktoren werden im vornhinein alle fiktiven Bedeutungen, alle spielweltlichen Sinncharaktere und ebenso alles Handeln, also der Umgang mit den Spielgegenständen und Mitspielern, innerhalb der Spiel-Welt gehalten. Auch das Spielzeug hat die Funktion, die Fülle der künftigen Konstellationen einzuschränken, indem es ganz bestimmte Bewegungen oder Veränderungen durchmachen muss. Die "Eigenschaften" des Dings fungieren als "Regeln" für die Zukunftseröffnung, ohne den Möglichkeitshorizont allzu stark einzuengen.

 

Buytendijk hat z. B. auf die spezifische Eigenschaftlichkeit des Balles hingewiesen, auf die seine Häufige Verwendung als Spielzeug sich abstützt: "Der Ball hat eine ausgesprochene Labilität, welche schon in der Wahrnehmung der geringen Berührungsfläche mit der Unterlage gegeben ist. Schon der geringste Stoss bringt diesen Gegenstand in Bewegung, und diese ist 'unerwartet', 'überraschend'."

 

Ähnlich dem Spielzeug ist auch der Mitspieler mit seinen Eigenschaften eine Quelle umgrenzbarer Ungewissheiten. Er kann aber durch "Einfühlung" noch mehr als das Spielzeug mit Erfüllungsphantasien besetzt werden.

 

Die Anteilnahme des Zuschauers

 

Dass der Zuschauer das Spiel, trotz seines Abseitsstehens, miterlebt, ist klar. Der Grad der Anteilnahme kann verschieden sein, reicht er doch von der blossen Wahrnehmung über die Zuwendung der Gunst oder des Wohlwollens bis zur Mit-Konstitution der Spielwelt, z. B. bei einem Länderspiel.

 

 

Ökonomische Betrachtung des Spiels

 

Motive zur Beteiligung am Glücksspiel

 

Ein Volkswirtschafter zählt auf

  • Der Spass, die Freude, das Vergnügen am Spiel
  • Das Bedürfnis nach Unterhaltung, geistiger Ablenkung und nach "Sich-Entlasten von einem Überschuss an Lebenskraft" (Johan Huizinga; bereits Herbert Spencer und Karl Groos)
  • Die Hoffnung auf einen Gewinn, "sein Glück zu machen"
  • Der Wunsch gemeinnützige Institutionen zu fördern, z. B. bei lokalen Lotterien, Tombolas, Lotto, Toto (Der Gewinn beispielsweise der schweizerischen Kursäle kommt dem Fremdenverkehr zugute, und 25 Prozent fliessen in den eidgenössischen "Fonds für unversicherte Elementarschäden")
  • Die Neigung zur Imitation der Gewohnheiten anderer. Weil "alle" im Lotto spielen, fühlen sie sich veranlasst, das gleiche zu tun, usw.
  • Der Wunsch, Einkünfte, deren Herkunft oder Existenz andern Menschen und vor allem den Behörden gegenüber verborgen bleiben soll, zu "legalisieren".(In Deutschland sind Spielgewinne steuerfrei.)

 

Glücksspiel ökonomisch: Luxus und Arbeitsbeschaffung

 

Am Schluss einer über 400seitigen Dissertation über "Finanzielle Aspekte des Glücksspiels in der Bundesrepublik Deutschland" (1967) kommt der Volkswirtschafter Hans Georg Schmitz zum Ergebnis:

"Eine Volkswirtschaft, in der öffentlich gespielt wird, leistet sich den Luxus, einen Teil ihrer öffentlichen Kapazität in einem Bereich zu verwenden, der nicht als lebensnotwendig anzusprechen ist.

Diese Tatsache allein stellt freilich kein ernstzunehmendes Argument gegen das kollektive Glücksspiel dar, denn abgesehen davon, dass es noch eine Vielzahl anderer Formen der Unterhaltung gibt, für die ebenfalls Geld ausgegeben wird, und die auch nicht die Voraussetzung der 'Lebensnotwendigkeit' aufweisen, ist es zweifelhaft, ob man diese Bedingung als Kriterium heranziehen darf, um eine Erscheinung wie das Glücksspiel ökonomisch zu werten. Schliesslich kommt das Spiel einem Bedürfnis der Wirtschaftssubjekte entgegen, die bereit sind, sich die Möglichkeit, daran teilzunehmen, etwas kosten zu lassen ...

 

Zu berücksichtigen ist dabei noch, dass durch das Glücksspiel in Deutschland in ansehnlichem Umfang Arbeitskräfte beschäftigt werden, die zu einem grossen Teil gar nicht arbeiten würden, wenn es kein Glücksspiel gäbe.

Dies gilt besonders für die zahlreichen Teilbeschäftigten bei den Lotto- und Totogesellschaften, die nur an einem oder zwei Tagen in der Woche tätig sind und die sich überwiegend aus Hausfrauen und Studenten zusammensetzen. Auch die Inhaber der 18 000 Annahmestellen des Lottos und des Totos dürften kaum für andere Tätigkeiten frei. werden, falls die Glücksspiele eingestellt würden, da es sich hierbei fast ausschliesslich um Personen handelt, die mit dem Betrieb ihres Ladens ohnehin voll ausgefüllt sind."

 

Gewinnausschüttungsquoten

 

Gewinnausschüttungsquoten bei den einzelnen Glücksspielen in Prozenten des Bruttoumsatzes, d.h. wie viel des Einsatzes wird durchschnittlich als Gewinn zurückgegeben:

(Zahlen für die BR Deutschland, um 1970)

 

Zahlenlotto                                                     47 %

sonstige Lotterien                                         25-55 %

Pferdewetten             a) Totalisator             81 %

b) Buchmacher          70 %

Fussballtoto                                                   47 %

Spielautomaten                                             75 % (in Spielbanken über 80 %)

Spielbanken (Roulett)                                   97-98 %

 

Verluste beim Glücksspiel

 

Die Bruttoausgaben deutscher Spieler in allen Glücksspielsparten (Roulett, Lotto, Automaten usw.) betrugen 1965 ca. 7 Milliarden DM. Vier Fünftel davon fallen ihnen allerdings als Gewinn wieder zu.

Belief sich der Nettoumsatz der Veranstalter von öffentlichen Glücksspielen - und das bedeutet gleichzeitig die Nettoausgaben der Spieler - in der BR Deutschland im Jahre 1950 erst auf 300 Mio. DM, so 1965 also auf 1,5 Milliarden DM. In fünfzehn Jahren haben sich also diese Nettoausgaben der Spieler verfünffacht.

 

Drastischer ausgedrückt: Im Jahre 1965 haben die deutschen Spieler 1,5 Milliarden DM verloren, davon knapp eine Milliarde an Lotterien - vor allem Zahlenlotto -, 150 Millionen an Spielbanken und 110 Millionen an Fussballwetten (Toto).

Die rund 100 000 aufgestellten Spielautomaten schlagen mit 160 Millionen zu Buch. (Davon liefert der Aufsteller ca. 8 % als Umsatzsteuer und 11 % als Vergnügungssteuer ab; der Rest wird als Einkommen des Aufstellers besteuert.)

 

Rechnet man diese Verluste der Spieler auf die Wohnbevölkerung um, dann ergibt sich, dass jeder Einwohner über 18 Jahren 34 DM jährlich "verspielt". 1950 waren es erst 8 DM gewesen. Die Briten verloren damals jedoch bereits dreimal mehr.

Noch anders dargestellt, bedeutet dies, dann gut ein halbes Prozent des einem privaten Haushalt verfügbaren Einkommens für Glücksspiele ausgegeben wird.

 

Repräsentative Umfragen ergaben ferner, dass von den über 18jährigen Einwohnern der BR Deutschland etwa 60 % regelmässig oder ab und zu im Lotto oder Toto (davon ein Viertel) mitmachen. Etwa 8 Millionen Bundesbürger betätigen mindestens einmal im Jahr einen Spielautomaten und 500 000 besuchen Spielbanken (davon allerdings etwa ein Viertel nur als Zuschauer).

Nochmals anders formuliert: Etwa ein Drittel aller Männer über 18 Jahren und 13 % aller Frauen spielen "häufig oder manchmal" an Geldspielautomaten.

 

 

Philosophie des Spiels

 

Die "Verständnishelle"

 

"Das Verständnis der grundsätzlichen menschlichen Möglichkeit des Spielens ist kein Resultat der Empirie, sondern gehört zu einer ursprünglichen Verständnishelle, in welcher das menschliche Dasein für sich selber offen ist", meint der Philosoph Eugen Fink ("Spiel als Weltsymbol", 1960).

Ob Aussenstehende auch über diese "Verständnishelle" verfügen, wenn sie jemanden sehen, wie er sich ebenso rasch, unauffällig und verschämt in einen Spielsalon verdrückt? Wenn er dann am Apparat hebelt und rüttelt, ist dann dieses Spielen für ihn "immer ein sinnhaft aufgehelltes Geschehen", wie uns das derselbe Philosoph in der "Oase des Glücks" (1957) weismachen will?

Dass er jedoch im "Genuss der Spielhandlung" lebt und damit irgendwie die spezifische Spielfreude des Menschen - die weit mehr ist als die ohne Ernstaffekte auftretende Funktionslust der Tiere - nachvollzieht, ist schon eher einsichtig.

 

Zufall, Geschicklichkeit und Anstrengung

 

Zufall und Geschicklichkeitsind die wesentlichsten Einflussfaktoren auf den Ausgang eines jeden Spiels.

Es gibt aber kaum Spiele, bei denen diese Faktoren ganz rein auftreten, vielmehr bestehen sie meist in einer Mischung von beiden. Auch der grösste Könner kann aus unerklärlichen Gründen vom Pech verfolgt sein, umgekehrt "findet auch ein blindes Huhn einmal eine Perle". Bei fast reinen Könnens-Spielen wie Skat oder Fussball müssen die Spielparteien nicht nur gleichstark sein, sondern sich auch gleich sehr anstrengen, sonst verliert das Spiel seinen Reiz, der hier in grösserem Masse in einer Wettkampf-Stimmung besteht als bei fast reinen Zufalls- oder eben Glücksspielen.

Kampfspiel und Glücksspiel überlagern sich stets, mag einmal mehr der eine Aspekt, ein andermal der andere überwiegen.

 

Ungewissheit

 

Aber auch ein Kräftevergleich ebenbürtiger Spieler kann durch unvorhergesehene Faktoren - Verteilung der Karten, nasser Rasen, Klimawechsel, Zusehauer - beeinflusst werden. "Ungewissheit" ist also ein weiteres Hauptkennzeichen aller Spiele.

 

Dass die "spielerische Ungewissheit" in keiner Weise eine Unsicherheit des Spielers über sein Tun besagt oder aus Unentschlossenheit im Handeln und Verschwommenheit des Spielverlaufs resultiert, bedarf keiner langen Erörterung.

Die Ungewissheit ist vielmehr die eines zukünftigen Faktums, einer Entscheidung aus einem 'Feld' von Möglichkeiten heraus. Ein bestimmtes, abgegrenztes Ereignis wird in Frage gestellt; es kann verschieden ausfallen. Diese Ungewissheit ist aber kein Mangel, den es möglichst schnell zu beseitigen gälte, vielmehr hat das Spiel gerade in der Unentschiedenheit sein wesentlichstes Medium. Andernfalls, nämlich wenn Profis gewissermassen mechanisch Spielautomaten leeren, wird das Spiel zum reinen Gelderwerb und - auf die Dauer wenigstens - langweilig.

 

Belohnung und Strafe

 

Weiter von Bedeutung sind Belohnung und Strafe. Das sind keine mit dem Spielausgang zufällig verknüpfte Äusserlichkeiten. Wenn sie auch vielleicht am ehesten jedes Spiel "verderben" können, so dienen sie in ihrer eigentlichen Funktion der Entfaltung des Spiels doch wesentlich, insofern sie überhaupt erst eine Ungewissheit hervorheben.

 

Sie richten nämlich den Blick auf eine besonders ausgezeichnete Ungewissheit. Diese Auszeichnung besteht in der Verknüpfung eines gewissen "Wertes" mit dem Ergebnis, und zwar für den Spieler, zu dessen Gunsten die Entscheidung fällt. Dabei darf die Belohnung weder zu klein noch allzu hoch sein, sonst fällt die Spielspannung dahin. Tatsächlich sind ja alle "echten" Spiel-Ehrungen und -Trophäen weder "brauchbar" noch eintauschbar. Umgekehrt sind auch die Strafen niemals ernsthaft und schwerwiegend, obwohl sie vom Abstieg in eine untere Liga bis zur Summierung einer Grosszahl von Wetteinsätzen gehen können. Eben: Ein Übermass an Belohnung oder Strafe zerstört den Spielcharakter.

 

Daher: Sowohl der Automatenmelker als auch derjenige der sein ganzes Vermögen "verspielt" ist kein rechter Spieler, trotz Schiller: "Und setzet ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen sein."

 

Identifikation

 

Was die Ungewissheit noch mehr akzentuiert, ist die Identifikation des Spielers mit dem Spielgegenstand oder einem grösseren Ganzen, was von der Schachfigur bis zur Nation (beim Fussball) gehen kann. Wer mit der "Dame" in der Hand den andern mattsetzt, sagt: "Ich gewinne"; wenn eine Mannschaft ein Tor im Rückstand ist, heisst es: "Der FCZ - oder Brasilien - hat einen Vorsprung." Der Blick wird damit noch mehr auf die Entscheidung zentriert.

 

"Lust an der Ungewissheit"

 

Kurz und gut: Das Spielvergnügen besteht in einer "Lust an der Ungewissheit". Das sah schon der erste Psychologe, der "die Spiele der Menschen" (1899) erforschte, Karl Groos: "Ein Hauptvergnügen liegt in der Spannung der Erwartung und dem plötzlichen Hervorbrechen der Entscheidung .... In der Tat gehen Erwartungen und Überraschungen Hand in Hand, so entgegengesetzt sie auch erscheinen: denn die völlig unerwartete Überraschung ist natürlich kein Objekt des Spiels. Ein spielerisches Experimentieren mit dem Choc ist immer dann vorhanden, wenn wir ihn erwarten, aber doch nicht ganz bestimmt wissen, wann oder in welcher Form er eintreten wird".

 

Auch F. J. J. Buytendijk ("Wesen und Sinn des Spiels", 1933) weist auf die allgemeine Bedeutung der Ungewissheit hin: "So liegt in der Dynamik des Spielens grundsätzlich das Element der 'Überraschung', des 'Abenteuers' und des 'Einfalls'". Der "Urreiz" des Antriebs zum Spiel ist also im Grunde nichts anderes als der Reiz der Ungewissheit, das ist die "Spannung" des Spiels, die mehr bedeutet als nur Anspannung aller geistigen oder leiblichen Kräfte, die ja auch oft die "ernsten" Betätigungen wie "Kampf ", "Arbeit" oder "Ertüchtigung" kennzeichnet. Mit dieser höheren Spannung wird das Spiel zum "Drama" (vgl. F .J. J. Buytendijk, "Das Fussballspiel", 1953).

 

Der Zeitbezug

 

Dass hierbei der Zeitbezug als weiterer Faktor "ins Spiel kommt", ist leicht ersichtlich. Auch er geht weit über die "Spielzeit" - 20 Sekunden oder zweimal 45 Minuten hinaus. Der "Zeitverbrauch" spielt eine grosse Rolle, man denke nur an den "Zugzwang" beim Schach oder das "rettende Tor in der letzten Spielminute".

Darüber hinaus ist aber die Zukunft überhaupt eine Dimension der Zeit, und mit der Ungewissheit der irgendwann einmal eintretenden Entscheidung wird das Erleben dieser Zeit bedeutsamer als die Entscheidung selbst. Der Spieler lebt im Spiel.

 

Was er erlebt, nämlich die "Lust der Ungewissheit", ist wichtiger als das abschliessende Ergebnis. Das gilt sehr oft für Spieler und Zuschauer eines Fussballspiels, die zwar das Ergebnis als angemessen betrachten, doch über den Spielverlauf - die fehlende Spannung oder Dramatik - enttäuscht sind: Es "lief" nicht, es "spielte" nicht.

 

Die Gegenwart wird ausgekostet

 

Also: Zwischen Ausgangssituation und Entscheidungskonfiguration erstreckt sich die Gegenwart des Spiels. Die "Gegenwart" des Spiels ist die "Offenhaltung des Ungewissheitshorizonts" und zugleich im Modus einer ständigen Bewegung. Das Spiel ist damit der Verlauf der Ungewissheit auf ihre Auflösung zu. Das Wort "Zeitvertreib" lotet hier recht tief: Die Zeit bis zur Entscheidung wird ausgekostet; in der Spielzeit findet das "Treiben" der Spieler statt. Je intensiver dieses abläuft, desto grösser ist die "Kurzweil"; die Zeit wird im Erleben verkürzt.

 

Aufbau einer fiktiven Welt

 

Nebst der Unsicherheit ist die "Unwirklichkeit" für manche Spiele ein bestimmendes Element. Dabei handelt es sich nicht um die Scheinhaftigkeit im Sinne eines Un-Ernstes oder einer Selbsttäuschung noch um den "ästhetischen Schein", der in Darstellungs- oder Nachahmungsspielen erzeugt werden kann - Schauspiel, Spielfilm -, sondern es ist die Produktion von Schein, der Aufbau einer fiktiven "Spiel-Welt", in der sich die Spieler bewegen. Diese Konstitution einer Schein-Welt nennen wir "Darstellung" im weitesten Sinne.

 

Kennzeichen dieser Darstellung ist Verwandlung. Nicht nur die Gegenstände werden verwandelt, indem beispielsweise ein Knopf einen Mühlestein "darstellen" kann, ein Jeton einen Geldbetrag repräsentieren oder umgekehrt der "Bauer" eine um jeweils ein Feld bewegliche Schachfigur, zentimeterklein oder metergross, ist, sondern auch der Darsteller verwandelt sich in ein spielweltliches Subjekt.

 

Dies letzteres ist mehr als die Übernahme einer Rolle oder das Sich-Hineinversetzen in eine bestimmte Phantasiefigur oder Person, es ist eine Hineinverwandlung, womit zwar nicht die Realität aufgehoben ist - Mensch und Kreidestrich bleiben -, aber die Grenze zwischen Realität und Schein verwischt wird: Eine Spielwelt als Gesamtes, als Sinnraum entsteht, eine neue Umwelt mit andern Bedeutsamkeiten und Verweisungszusammenhängen (Martin Heidegger).

 

Und in ihr tut der Spieler nicht "als ob" (Hans Vaihinger) vielmehr lebt und erlebt er in ihr, und zwar als ihr "Zentrum".

 

Der Zugang zu dieser Scheinwelt eröffnet sich vorwiegend in der Nachahmung. Ein Mädchen, das für ein Stück Holz (Puppen-) Mutter ist, ein Monopolyspieler, der Grundstückmanager, ein Schauspieler, der Caesar ist oder ein Weitspringer, der über einen fiktiven Graben setzt, sie alle orientieren sich im Rückgriff auf eine bekannte Lebensumwelt.

 

Ungewissheit ernsthaft aufbauen

 

Fassen wir zusammen: Spiel ist nur möglich aufgrund einer Herstellung von spielerischer Ungewissheit - dem Zeitmoment - und spielerischem Schein - dem Raummoment. Spielenkönnen verlangt damit ein Sich-Einlassen auf Ungewissheit und Unwirklichkeit.

 

Diese Konstitution des Möglichkeitshorizonts und des imaginären Bereichs der Spielwelt bedarf einer ständigen Produktivität, die mit "allem Ernst" geleistet wird, wenngleich dieser Ernst ein anderer als derjenige des Alltagslebens ist. Nur der Ernst im Spiel macht es spannend und lustvoll. Das blosse Obenhin erzeugt Langeweile, die sich in Unaufmerksamkeit, Missachtung der Spielregeln usw. äussert. Nicht umsonst ist "Versunkenheit" schon sprachlich das Gegenteil von Obenhin.

 

Eine noch nicht festgelegte Offenheit

 

Selbstverständlich schwanken die verschiedenen Spiele zwischen den beiden Polen Ungewissheit und Unwirklichkeit; beim einen überwiegt mehr diese, beim andern mehr jene; oft verschmelzen beide. Im weiteren heben diese beiden bestimmten Elemente das Spiel von allen andern menschlichen Betätigungen ab, zeigen sie doch, wie der Mensch sich zu Zeit und Raum stellt.

Im Ernst-Leben kommt es darauf an, das Ungewisse zu "bannen", ihm seine quälende Gefährlichkeit zu nehmen und es möglichst rasch in die sichere Einseitigkeit der fixen Vergangenheit zu bringen. Im Spiel dagegen hat das Noch-nicht-entschieden-sein eine positive Bewertung. Die ganze Freude des Spiels kommt aus dem Verhältnis zu einer noch nicht festgelegten Offenheit. Genauso wird die Alltagswelt durch eine Scheinwelt überlagert, andere Räume sind erreichbar, der Umgang mit Nicht-Gegebenem, im Modus des Scheins repräsentiert) wird möglich.

 

Versäumtes nachholen

 

Man könnte also sagen: Das Spiel füllt eine breite Lücke zwischen dem zeitlich Gegenwärtigen und Nichtgegenwärtigen sowie zwischen dinglich Erreichbarem und den Fernen, dem räumlich Abwesenden aus. Und damit erlaubt es dem Menschen, das, was er sonst versäumt, nachzuholen, sonst brachliegende Kräfte zu entfalten.

 

Spielfreude ist damit die Freude über die menschliche Möglichkeit, den Bezug zu Raum und Zeit nicht einsinnig belassen zu müssen, sondern das eigene Tun aus der Begrenztheit und der Macht des Gegebenen grundsätzlich herauswinden zu können durch ein Verhältnis zum gerade - räumlich und zeitlich - nicht Gegebenen. In der Verwandlung dieses Bezugs zu Raum und Zeit werden wir unserer Freiheit inne. Aus diesem Grunde vielleicht ist das Spiel - trotz seiner "Unproduktivität" - als eine wesentliche Seinsart des Menschen lustvoll gestimmt, indem sich bei der Betonung derjenigen Momente an unserem Raum-Zeit-Bezug, die im Leben sonst notwendigerweise ausgespart werden müssen, unsere Ungebundenheit sich für uns selbst offenbart.

 

Das Aufgehen in anderen Horizonten

 

Der Philosoph Wilhelm Kalff (1961) hat sehr schön zusammengefasst: Die Freude am Spiel beruht auf einer "Lust am Ungewissen und an der Unwirklichkeit". Im Spiel gelten nämlich andere zeitliche und räumliche Bestimmungen als im "ernsten" Leben. Es geht im Spiel um "mögliche Zukünfte" in einer fiktiven, aber homogenen Schein-Welt. Und das Erleben einer Ungewissheit bis zur nachmaligen Entscheidung in der imaginären Scheinwelt, diese Versenkung, das Aufgehen in andern Horizonten und Dimensionen macht das Charakteristische des Spiels aus.

 

 

Literatur

 

1795-1899

 

Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795).
Bad Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt 1960; Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben 1961; München: Fink 1967; Stuttgart: Reclam 1975; München: Hanser 1981; Frankfurt: Suhrkamp 1984.

Friedrich Wilhelm August Fröbel: Die Menschenerziehung. Die Erziehungs-, Unterrichts- und Lehrkunst; angestrebt in der allgemeinen deutschen Erziehungsanstalt zu Keilhau. Keilhau: Verlag der allgemeinen deutschen Erziehungsanstalt 1826;
erneut Wien: Pichler 1883; Leipzig: Reclam 1920; Godesberg: Küpper 1951; Stuttgart: Klett-Cotta 1951.

Heinrich Maria Schuster: Das Spiel, seine Entwicklung und Bedeutung im deutschen Recht. Eine rechtswissenschaftliche Abhandlung auf sittengeschichtlicher Grundlage. Wien: Gerold 1878.

Karl Groos: Die Spiele der Tiere. Jena: G. Fischer 1896; 3. Aufl. 1930;
engl.: The play of animals.
New York 1898; Reprint New York Arno Press 1976.

Karl Groos: Die Spiele der Menschen. Jena: G. Fischer 1899, 3. Aufl. 1930; Nachdruck Hildesheim: Olms 1973;
engl.: The play of man. New York 1901, Reprint New York: Arno Press 1976.

 

1900-1949

 

Karl Bühler: Die geistige Entwicklung des Kindes. Jena: Fischer 1918; 6. Aufl. 1930.

Sigmund Freud: Jenseits des Lustprinzips. Leipzig: Internationaler Psychoanalytischer Verlag, 2. Aufl. 1921.

F. J. J. Buytendiik: Wesen und Sinn des Spiels : das Spielen des Menschen und der Tiere als Erscheinungsform der Lebenstriebe. (aus dem Holländischen) Berlin: Wolff 1933; Reprint New York: Arno Press 1976.

Johan Huizinga: Homo ludens. Haarlem: Tjeenk Willink 1938; Nachdruck 1974;
dt.: Homo ludens. Versuch einer Bestimmung der Spielelemente der Kultur. Basel: Akademische Verlags-Anstalt Pantheon 1938;
mit dem Untertitel: Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Hamburg: Rowohlt 1956; 20. Aufl. 2006;
engl.: Homo ludens. A Study of the play-element in Culture. London: Routledge & Kegan Paul 1944, erneut 1949; Boston, Mass.: Beacon Press 1955; reprint London: Routledge 2000.

Jean Piaget: La formation du symbole chez l'enfant. Jeu et rêve, image et représentation. Neuchâtel: Delachaux et Niestlé 1945;
dt.: Nachahmung, Spiel und Traum. Die Entwicklung der Symbolfunktion beim Kinde: Stuttgart: Klett-Cotta 1969.

Jean Piaget: Psychologie de l'intelligence. Paris: A. Colin 1947;
engl.: The psychology of intelligence. London: Routledge & Kegan 1950;
dt.: Psychologie der Intelligenz. Zürich: Rascher 1948.

 

1950-1967

 

Erik H. Erikson: Childhood and Society. New York: Norton 1950;
dt.: Kindheit und Gesellschaft. Zürich: Pan-Verlag 1957; Stuttgart: Klett 1961, 13. Aufl. 1999.

F. J. J. Buytendijk: Das Fussballspiel. Eine psychologische Studie. Würzburg : Werkbund-Verlag 1953.

Friedrich Georg Jünger: Die Spiele. Ein Schlüssel zu ihrer Bedeutung. Frankfurt am Main: Klostermann 1953; München: List 1959.

Eugen Fink: Oase des Glücks. Gedanken zu einer Ontologie des Spiels. Freiburg: Alber 1957.

Eugen Fink: Spiel als Weltsymbol. Stuttgart: Kohlhammer 1960.

Wilhelm Kalff: Vollzug und Verständnis des menschlichen Spiels. Diss. Univ. Freiburg i. Br. 1961.

Eric Berne: Games People Play. New York: Grove Press 1964;
dt.: Spiele der Erwachsenen. Psychologie der menschlichen Beziehungen. Reinbek: Rowohlt 1967.

Hans Georg Schmitz: Finanzielle Aspekte des Glücksspiels in der Bundesrepublik Deutschland. Diss. Univ. Frankfurt am Main 1966; Selbstverlag 1967.

 

Hintergrundmaterial für den Bericht "Erlaubte und verbotene Spiele", Die Woche, 27.9.1972

 

 

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