HomeWirtschaftspsychologie: 4400, 400 oder 40 Jahre?

                    Stichworte und Namen

 

Da die meisten wirtschaftlichen Vorgänge von Menschen inszeniert werden, die sich - egal ob rational oder irrational - einiges dabei denken oder vorgaukeln und sich - gewohnheitsmässig oder triebhaft, getreu Brauch oder eigener Überlegungen - verhalten, hat Ökonomie seit alters mit Psychologie zu tun.

 

 

Die ersten Hochkulturen

 

Über die seelischen und moralischen Vorstellungen der alten Ägypter, Sumerer und Babylonier, Inder und Chinesen sind wir recht gut im Bild. Das wirtschaftliche Leben können wir aus unzähligen winzigen Dokumenten erschliessen.

 

Die Alten Griechen und Römer

 

Seit den alten Griechen haben qrosse Denker häufig über psychologische wie ökonomische Fragen geschrieben, beispielsweise:

im 4. Jh. v. Chr.: Xenophon, Platon, Aristoteles

im 2./1. Jh. v. Chr.: Cato, Cicero, Varro, Vergil.

 

Theologen

 

Manch psychologisch Bedeutsames findet sich auch in den auf die Wirtschaft bezogenen Predigten, Briefen und Werken der

·        jüngeren Kirchenväter (um 400 n. Chr.), z.B. Ambrosius und Augustin

·        Scholastiker (1250-1400), z. B. in den Aristoteles-Kommentaren von Albertus Magnus und Thomas von Aquin, ferner bei Scotus, Ockham, Buridan und Oresme

·        Enzyklopädisten des 13. Jahrhunderts (Vinzenz von Beauvais, Brunetto Latini)

·        Bussprediger des 15. Jahrhunderts, z. B. Bernhardin und Antonin

·        Reformatoren, Humanisten und Jesuiten (bis etwa 1650).

 

Alle haben vor allem zur Psychologie, aber auch zur Ökonomie beigetragen.

 

Praktiker

 

Aufzeichnungen von Praktikern sind seit 1100 erhalten.

 

Wirtschaftstheoretiker waren gute Psychologen

 

Es ist uns heute nicht mehr bewusst, dass die meisten neuzeitlichen Reichtums- und Geldtheoretiker bis etwa 1800 gute "Psychologen" waren. Man denke etwa an John Hales (1549/81) Jean Bodin (1568/76), Gasparo Scaruffi (1582) und Bernardo Davanzati (1588), an die Essais von Montaigne und Bacon, an die Kameralisten J. J. Becher und F. v. Schröder oder an die Engländer Petty, Barbon und North.

 

In der Aufklärungszeit finden sich allenthalben psychologische Erörterungen in ökonomischen Abhandlungen, stammen sie nun von Kaufleuten und anderen Praktikern oder von Professoren und Philosophen wie Locke, Leibniz, Wolff, Hume und Bentham.

 

 

Die Bienenfabel: Private Laster sind öffentliche Vorteile

 

Ein permanentes Ärgernis für brave Bürger und Gelehrte bedeutete die 1705 erstmals alsSixpenny-Broschüre erschienene "Bienenfabel" des in London tätigen Arztes Bernard de Mandeville. Der Untertitel der erweiterten Fassung von 1714 (kommentiert bei Suhrkamp 1980) lautete: "Private Vices Publick Benefits". De Mandeville behauptete:

 

"Stolz, Luxus und Betrügerei
Muss sein, damit ein Volk gedeih!"

"Nicht minder dient der Neid sowie
Die Eitelkeit der Industrie.
Die Sucht, sich als modern in Speisen,
In Kleid und Möbel zu erweisen,
Stets ein Objekt des Spottes zwar,
Des Handels wahre Triebkraft war."

 

Zwei Jahrhunderte lang bot die "Bienenfabel" Anlass zu Diskussionen, an denen sich z. B. Berkeley und Hutcheson, Hume und Smith, Malthus, Bentham und Marx beteiligten.

 

De Mandevilles Einsicht:

"Da man auf Luxus jetzt verzichtet,

So ist der Handel bald vernichtet",

wurde von Physiker und Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg (vor 1800) folgendermassen ausgedrückt:

Wenn die Menschen plötzlich tugendhaft

Würden, so müssten viele tausende verhungern."

 

Der Utilitarismus

 

Als echte Wirtschaftspsychologie kann man den Utilitarismus betrachten, der von Jeremy Bentham (1789/1834) systematisiert und von John Stuart Mill popularisiert wurde. Bentham formulierte das Prinzip der Nützlichkeit (siehe Otfried Höffe 1975):

·        "Die Natur hat die Menschheit unter die Herrschaft zweier souveräner Gebieter - Leid und Freude - gestellt. Es ist an ihnen allein aufzuzeigen, was wir tun sollen, wie auch zu bestimmen, was wir tun werden. Sowohl der Massstab für Richtig und Falsch, als auch die Kette der Ursachen und Wirkungen sind an ihrem Thron festgemacht."

·        "Unter dem Prinzip der Nützlichkeit ist jenes Prinzip zu verstehen, das schlechthin jede Handlung in dem Mass billigt oder missbilligt, wie ihr die Tendenz innezuwohnen scheint, das Glück der Gruppe, deren Interesse in Frage steht, zu vermehren oder zu vermindern."

·        "Unter Nützlichkeit ist jene Eigenschaft an einem Objekt zu verstehen, durch die es dazu neigt, Gewinn, Vorteil, Freude, Gutes oder Glück hervorzubringen oder die Gruppe, deren Interesse erwogen wird, vor Unheil, Leid, Bösem oder Unglück zu bewahren."

·        "'Das Interesse der Gemeinschaft' ist einer der allgemeinsten Ausdrücke, die in den Redeweisen der Moral vorkommen können; kein Wunder, dass sein Sinn oft verloren geht."

·        "Es hat keinen Sinn von Interesse der Gemeinschaft zu sprechen, ohne zu wissen, was das Interesse des Individuums ist."

 

Dieses Interesse des Individuums hat dann J. St. Mill (1848) auf das platte hedonistische Prinzip reduziert:

"Jeder Mensch strebt, mit einem Minimum an Arbeit und Opfern, ein Maximum von Gütern, von Glück und Reichtum zu erreichen."

 

Es ist heute völlig vergessen gegangen, dass von 1860-1930 immer wieder die Diskussion darüber aufflammte, wie das Verhältnis von Ökonomie und Psychologie zu sehen sei.

 

Von der Psychologie her

 

Von der Psychologie aus gesehen lassen sich seit der Jahrhundertwende mehrere wirtschaftspsychologische Richtungen unterscheiden:

 

1. Arbeits- und Betriebspsychologie samt Berufsberatung und Unfallverhütung seit Emil Kraepelin und Hugo Münsterberg. Der letztere begründete die "Psychotechnik". Sein Buch "Psychologie und Wirtschaftsleben" (1912) erreichte in 10 Jahren fünf Auflagen.

 

2. Werbe- und Verkaufspsychologie seit Harlow Gale (1900). Walter Dill Scotts "Psychology of Advertising" von 1908 erlebte bis 1932 zahlreiche Auflagen. Ein Longseller in verschiedenen Bearbeitungen bis 1965 wurde von Paul D. Converse: "Marketing" (1921).

 

3. Psychoanalytische Theorien über Geld und Kapitalismus, Besitz und Moden, z. B. von Sigmund Freud und Sándor Ferenczi, Karl Abraham und dem Zürcher Pfarrer Oskar Pfister.

 

4. Psychologie der Erfindungen sowie von Imagination, Kreativität und Spiel seit Ribot, Souriau und Paulhan, Royce und Groos.

 

Daraus und aus den soziologischen und sozialpsychologischen Theorien von Max Weber, Werner Sombart, Vilfredo Pareto und Max Scheler entwickelten sich Macht-, Führungs- und Managementlehren.

 

John Maynard Keynes hat seine simple Sozialpsychologie William McDougalls legendärer "Introduction to Social Psychology" (1908) entnommen, die mehr als 20 Auflagen erlebte.

Bald entstanden auch vielfältige Theorien über Erwartung und Entscheidung, Risiko und Nutzen. Frank H. Knights "Risk, Uncertainty and Profit" (1921) erreichte noch 1957 die achte Auflage.

 

Erneute Begründung der Wirtschaftspsychologie

 

Erstaunlicherweise hat die erneute Begründung der Wirtschaftspsychologie nach dem Zweiten Weltkrieg durch Georg Katona in den USA, Pierre-Louis Reynaud in Frankreich und Günther Schmölders in Deutschland keine Rückgriffe auf die eigene lange Vergangenheit gemacht.

Genau so wenig hat die Neue Politische Ökonomie in den 70er Jahren ihre Vorläufer zur Kenntnis genommen.

 




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