HomeKreative Polaritäten

 

Das Prinzip von Ausdehnung und Konzentration ist ebenso alt wie fundamental. Die alten Ägypter schrieben dem Menschen zwei Seelen zu: Ka und Ba. Ka "war die schöpferische Kraft im Menschen: die sexuelle Potenz wie die Intelligenz" (Friedrich Doucet). Ihre Schwester war Maat als Ordnung, als Verantwortungsgefühl. Ba entsprach dem eigenen "Selbst", der unbewussten, aber bewusst zu machenden Individualität.

 

Im alten Indien kannte man die beiden Erscheinungsformen der Seele als Asu und Manas oder Atman (persönliche Seele, Selbst) und Brahman (Weltseele, schöpferisches Prinzip). China kannte das Gegensatzpaar hun und po.

 

Bei den Ägyptern wurzelte die Dynamik des Lebendigen (Ka) im Bewusstwerden der Persönlichkeit (Ba). Die Inder setzten Brahman und Atman ineins: "Das Weltall ist Brahman, Brahman aber ist der Atman in uns."

Die Chinesen verbanden den Urgegensatz von Yang (das Helle, Bewegte, Lebendige) und Yin (das Dunkle, Ruhende, Materielle) im Taigitu.

Was den Ägyptern Maat, war den Sumerern me, den Indern Rita und den Chinesen Tao: der Sinn, das Gesetz aller Gesetze, das Mass aller Masse (H. J. Störig).

 

Das Atman lebt im Atmen (die beiden Wörter sind miteinander verwandt): Ausatmen - Einatmen, Durchatmen - Hochatmen, Hin- und heratmen. Auch die Griechen haben das Wort für Hauch, Atem (= psyche) für die Seele verwendet.

Die Vorsokratiker sahen das Gegeneinanderwirken von Kräften als Verdichtung und Verdünnung, oft in Zusammenhang mit Kalt und Warm, was dann vor allem in der Medizin eine grosse Rolle spielte.

Meister der "gegenwendigen Zusammengefügtheit" sind Heraklit und Empedokles. Von ersterem stammen zahlreiche einprägsame Formulierungen wie

 

• "Einträchtiges, Zwieträchtiges"

• "aus dem auseinander Gehenden die schönste Fügung"

• "Aus Allem Eins und aus Einem Alles"

• "Der Weg hinauf und hinab ein und derselbe".

 

Empedokles sah als Grundkräfte die Liebe, welche alles zu Einem zusammenwachsen lässt, und des Streites Hass, der ein jedes wieder auseinander trägt. Daraus ergibt sich ein ewiger Kreislauf von Auseinander- und Zusammenstreben. Es herrscht, wie die merkwürdige Übersetzung lautet, "ein ständiger Tauschwechsel".

 

Das ist viel klarer als das mechanistische Bild vom "Kampf der Gegensätze". Es ist ein Wechselspiel, ein Hin und Her, Auf- und Absteigen, wie es dann Platon in seiner Dialektik darstellte.

 

Der "Tauschwechsel" wurde systematisiert im chinesischen "I Ging", dem "Buch der Wandlungen": Mit 6 Ja- oder Nein-Strichen sind 64 Kombinationen möglich. Es ist ein Versuch, "die Totalität der Welt ... in ihrer atmenden Bewegung zu erfassen" (Wolfgang Bauer).

Es beginnt mit den sechs ungeteilten, also positiven Strichen, dem Schöpferischen: "Das Schöpferische wirkt erhabenes Gelingen fördernd durch Beharrlichkeit." Das zweite Zeichen, aus lauter geteilten Linien bestehend, ist das Gegenstück, die Ergänzung dazu: das Empfangende. Die beiden letzten Zeichen sind aus drei positiven und drei negativen Linien gemischt; sie heissen "Nach der Vollendung" und "Vor der Vollendung".

 

Literatur zu "Kreative Polaritäten"

 

Sieh auch:     Literatur: Psychologie im Fernen Osten

 

Friedrich Doucet: Forschungsobjekt Seele. München: Kindler 1971;
Nachdruck unter dem Titel: Geschichte der Psychologie. Bindlach: Gondrom 1986. Andere Angaben zu Ka und Ba in: Lexikon der Ägyptologie. Wiesbaden: Harrassowitz 1972ff.

Hans Joachim Störig: Kleine Weltgeschichte der Philosophie. Stuttgart: Kohlhammer 1950, 13. Aufl. 1985; als Knaur Taschenbuch 1963,17. Aufl. 1985.

Richard Wilhelm: I Ging. Mit einem Vorwort von Wolfgang Bauer. Düsseldorf: Diederichs Gelbe Reihe, 1973, 11. Aufl. 1985 (Erstausgabe 1923).

Sukie Colegrave: The Spirit of the Valley. 1979, 1982;
dt.: Yin und Yang. Bern, München: Scherz/ O. W. Barth 1980; als Fischer Taschenbuch 4. Aufl. 1985.

H. Schleichert: Klassische chinesische Philosophie. Frankfurt am Main: Klostermann 1980.

Gellért Béky: Die Welt des Tao. Freiburg, München 1972.

Alan Watts: Der Lauf des Wassers. Eine Einführung in den Taoismus. München 1976.

Joseph Needham: Wissenschaftlicher Universalismus. Über Bedeutung und Besonderheit der chinesischen Wissenschaft. Frankfurt am Main 1977.

 




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