HomeDas Gespräch eines Lebensmüden mit seinem Ba

 

Notizen für eine Vorlesung 19. Februar 1990

 

 

Im Bild wird der Ba als Seelenvogel dargestellt: ein Sattelstorch mit einem Menschenkopf.

 

 

 

Alte Texte können so spannend sein wie eine Detektivgeschichte, aber man kann sie nicht so leicht lesen.

 

20 verschiedenen Übersetzungen

 

Der Text ist etwa 4000 Jahre alt; er gilt als einer der ersten psychologischen Texte.

Die erste Abbildung zeigt rechts das Original und links die Abschrift.

Die zweite Abbildung zeigt links die hieroglyphische Umschrift und rechts die deutsche Übersetzung.

 

In den letzten 100 Jahren haben rund 20 Gelehrte Übersetzungen und Deutungen vorgelegt. Sie gehen weit auseinander.

In Psychologenkreisen am bekanntesten ist wohl die Übersetzung von Helmuth Jacobsohn, die 1951 in einer Schrift aus dem C. G. Jung-Institut vorgelegt wurde. Sie gilt aus der Sicht der übrigen Fachleute als die schlechteste.

 

Was ist der Ka?

 

Ein wichtiger Begriff aus der ägyptischen Psychologie ist "Ka". Als was wurde der interpretiert?

 

Le Page Renouf und Maspero (1878):         Doppelgänger (double)

Steindorff (1910):                                            Schutzgeist

Erman (1909):                                                 besondere lebende Kraft

Von Bissing (1911):                                        Aufnahmefähigkeit für Speisen,

                                                                          Lebensprinzip, Lebenskraft

Loret (1904) und Moret (1913):                     Totem des Körpers

                                                                          Verkörperung des "Mana"

Gardiner (1950):                                             Persönlichkeit, Seele, Individualität

                                                                          Temperament

Mercer (1949):                                                göttliche Kraft in König und Mensch

Jacobsohn (1939):                                          göttliche Zeugungskraft

Stock (1950):                                                   Fetischnumen (etwa: Totem) eines Stammes, das einem Häuptling innewohnt

Spiegel (1953):                                               kommt aus vorgeschichtlichen Fruchtbarkeitskulten

usw.

 

Fast alles stimmt ein bisschen - und doch nicht ganz. Wie können wir zu fundiertem, begründetem Wissen kommen?

 

Die wichtigsten Hinweise entnehmen wir heute dem "Lexikon der Ägyptologie", das von 1972-86 erschienen ist und nun in 6 Bänden vorliegt. Daraus und aus zahlreichen Einzeluntersuchungen zu Ka, Ba, Schatten, Schicksal, etc. kann man eine Zusammenstellung der ägyptischen Psychologie versuchen.

 

Einige grundlegende Erkenntnisse

 

Einige grundlegende Erkenntnisse seine vorausgeschickt:

 

1. Die ägyptische Hochkultur dauerte etwa 2000 Jahre (3000-1000 v. Chr.). Dabei erlebte sie zahlreiche Wandlungen:
Altes Reich:              nur Könige und Götter

1. Zwischenzeit:        Anarchie, Demokratisierung, Emanzipation des Individuums: Ethik statt Magie

Mittleres Reich

2. Zwischenzeit

Neues Reich: Totenbuch, Jenseitsführer (Unterweltsbücher), Magie

 

2. Ägypten kennt keine Ekstase, Trance und keine Schamanen.

Magie taucht erst spät auf.

 

3. Es gibt keine Unsterblichkeit der Seele. Es gibt keine Seelenwanderung (einzig: Der Tote kann in Tieren erscheinen). Es gibt auch keine Seelenausfahrt im Traum (oder sonst), da es nicht so etwas wie "Seele" gibt.

 

4. Die meisten Seelenvorstellungen interessieren nur im Zusammenhang mit dem Tod.

Im diesseitigen Leben geht es nur um den rechten Lebenswandel: Richtig reden und handeln durch Selbstbeherrschung (Hören und Überlegung stehen über den Emotionen).

Die sogenannten "Weisheitslehren" sind Anweisungen zu richtigen Leben, zu Erfolg und Ansehen sowie zum Weiterleben nach dem Tod.

Grundüberzeugungen:         a) Der Mensch lebt als Ganzer im Grab weiter, in einem leicht veränderten (erneuerten) Leben

                                               b) Der Mensch will im Jenseits bewahren, was er im Diesseits erreicht hat.

 

5. Das ägyptische Denken ist ein Paradebeispiel für ganzheitliches Denken. Es geht von einem ganzheitlichen Welt- und Menschenbild aus:

                                               a) Der Mensch ist eingefügt in eine kosmische, göttliche Ordnung

                                               b) Es gibt keinen Dualismus Leib-Seele; der Mensch ist eine Ganzheit (nicht: die Seele als Ganzheit)

                                               c) Es ist der ganze Mensch, der fühlt und denkt, wahrnimmt, entscheidet und handelt

                                               d) der Mensch erfährt verschiedenartige und selbständige Kräfte in sich (Polypsychismus), insgesamt etwa 20 (Beispiel: Text einer Inschrift aus dem Grab des Amenemhet, Theben Nr. 82, um 2000 v. Chr.; Abb. 3)

 

6 Vorsichtig müssen wir sein mit den Bezeichnungen Seele, Geist, usw. Wenn wir von heutigen Vorstellungen ausgehen, also so wie ich mir vorstelle, dass sich die meisten Menschen hierzulande Seele und Geist vorstellen, würde ich

nicht sagen Ba = Seele, Ka = Geist,

sondern Herz = Seele, Ach = Geist.

 

7. Zentrum des Menschen  resp. Sitz aller psychischen Funktionen ist das Herz oder der Oberbauch. Im Herz ist Verstand und Gemüt vereint.

 

8. Es ist also nicht so, dass beim Tod die Seele (die freie, schweifende Seele) davonfliegt, sondern die physischen Gebilde wie Körper und Herz werden müde und schwach, ebenso der Ka. Im Gegenzug entsteht erst eigentlich der Ba, die Summe des gelebten Lebens.

In einer andern Formulierung: Der Ba ist das, was der Mensch im Laufe seines Lebens aus sich macht.

 

Eine mögliche Darstellung, welche Wandlungen die verschiedenen Teile der Seele und der menschlichen Persönlichkeit im Laufe des diesseitigen und jenseitigen Daseins durchmachen, bietet Abbildung 4.

 

 

Literatur

 

Luise Klebs: Der ägyptische Seelenvogel. Zeitschrift für Ägyptische Sprache 61, 1926, 104-108.

Ursula Schweitzer: Das Wesen des Ka im Diesseits und jenseits der Alten Ägypter. Habil.-Schrift Univ. Basel 1950, ÄF 19, 1956.

Helmuth Jacobsohn: Das Gespräch eines Lebensmüden mit seinem Ba. Zürich: Rascher 1951.

Emma Brunner-Traut: (Deutung des Gesprächs) Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 94, Leipzig, 1967, 6-15.

Elske Marie Wolf-Brinkmann: Versuch einer Deutung des Begriffes 'b3' anhand der Überlieferung der Frühzeit und des Alten Reiches. Diss. Basel 1966. Freiburg i. Br. 1968.

Winfried Barta: Das Gespräch eines Mannes mit seinem BA (Papyrus Berlin 3024). Berlin: Hesseling 1969.

 

Siehe auch:

            Literatur: Psychologie im alten Mesopotamien, Ägypten, Iran, Israel

 



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