HomeIst ganzheitliches Denken überhaupt möglich?

 

Gelehrte, die das ganzheitliche Denken unter der Perspektive "System" angegangen haben, kamen zu einer negativen Antwort. Zwei Argumentationen seien herausgegriffen:

 

1.

Der Politologe Charles E. Lindblom hat in den 50er Jahren aus seinen Beobachtungen von Politikern und Wirtschaftsführern die "Wissenschaft vom Sich-Durchwursteln" ("The Science of Muddling-through" 1959) herausdestilliert. Denn: In der Praxis wird nicht annähernd so rational entschieden, wie das die (normativen) Entscheidungstheoretiker gerne sähen.

In den 70er Jahren wurde dies durch die Untersuchungen von Kahneman und Tversky (1974) bestätigt.

 

Was verlangt die rationale Problemlösung? Mindestens viererlei:

 

a)     die systematische Aufstellung aller Handlungsmöglichkeiten

b)     die Berücksichtigung aller Umweltbedingungen und -einflüsse, die auftreten können

c)      die systematische Analyse sämtlicher Folgen der möglichen Handlungen unter den verschiedenen Umweltbedingungen

d)     die Beurteilung jeder Handlung mit ihren Folgen unter den Gesichtspunkten dessen, was man erreichen und vermeiden  möchte.

 

Das ist das Grundschema der Entscheidungstheorie bis heute. Lindblom bezeichnete es als "synoptisches Vorgehen". Es liegt nahe beim "ganzheitlichen Denken" der Systemtheoretiker.

 

Nun fand Lindblom (1963) eine ganze Reihe von Gründen, weshalb eine solche "Synopsis" ein blosses Ideal ist:

1.      Es übersteigt die Problemlösungskapazitäten des Menschen.

2.      Es berücksichtigt nicht die Ungenauigkeit der Informationen, die vorhanden oder beschaffbar sind.

3.      Es berücksichtigt den Aufwand nicht, den Informationsbeschaffung und Analyse erfordern

4.      Es berücksichtigt die Schwierigkeiten der Bewertung und Beurteilung nicht.

5.      Es berücksichtigt nicht, dass sich Ergebnisse und Werte verändern und gegenseitig beeinflussen können.

6.      Es berücksichtigt nicht, dass wir gar nicht alle Handlungsmöglichkeiten und Umweltfaktoren einbeziehen können.

7.      Es berücksichtigt nicht, dass wir in der Praxis Anweisungen für schrittweises Vorgehen brauchen.

8.      Es berücksichtigt nicht, dass in der Realität ein dauernder Strom miteinander verknüpfter Probleme vorliegt.

 

Also bleibt tatsächlich nur das Weiterwursteln übrig. Vornehmer ausgedrückt kann man von Inkrementalismus sprechen, zu deutsch: Salamitaktik.

Karl Raimund Popper hatte schon 1944 ähnlich vom "piecemeal-engineering", von der Stückwerktechnik gesprochen.

 

2.

Auch Jay W. Forrester, der Erfinder des Systems Dynamics und der "Grenzen des Wachstums" kam zu ähnlichen Ergebnissen. Da er jedoch am MIT als Computerspezialist arbeitete, sah er eine andere Lösung.

siehe Pt. 7 vonZur Ethik von Gesamtsystemen“

 

Jay W. Forrester: Urban Dynamics. Cambridge, AM: MIT Press 1969, 109-110.

Jay W. Forrester: A Deeper Knowledge of Social Systems. Technology Review, Vol. 71, Nr. 6, April 1969, 21-23 (Alumni Association of the Massachusetts Institute of Technology).

Jay W. Forrester: Counterintuitive Behavior of Social Systems. Technology Review, Vol. 73, No. 3, Jan. 1971, 52-68;
Nachdruck in: Collected Papers. Portland, Oregon: Productivity Press 1975, 211-244.

http://sysdyn.clexchange.org/sdep/Roadmaps/RM1/D-4468-2.pdf

 

Jay W. Forrester: Alternatives to Catastrophe. Understanding the Counterintuitive Behavior of Social Systems. The Ecologist 1.14, 1971, 4-9; 1.15, 1971, 16-23.

Jay W. Forrester: Behavior of Social Systems. In Paul A. Weiss (Hrsg.): Hierarchically Organized Systems in Theory and Practice. New York: Hafner 1971, 81-122.

Jay W. Forrester: Counterintutive Behavior of Social Systems. Technological Forecasting and Social Change 3.1, 1971, 1-22.

Jay W. Forrester: Counterintutive Behavior of Social Systems. Theory and Decision 2, 1971/72, 109-140.

Jay W. Forrester: Das Verhalten Sozialer Systeme (Counterintuitive Behavior of Social System). GDI-topics 3.1, 1972, 5-16; 3.2, 1972, 5-19.

Jay W. Forrester: Counterintuitive Behavior of Social Systems. In: Middle- and Long-Term Energy Policies and Alternatives. Washington, DC: US Government Printing Office, Bd. 1, 1976, 139-154, (Notes on Complex Problems) 155-162.

 

Ferner:

 

Robert King Merton: Die unvorhergesehenen Folgen zielgerichteter sozialer Handlungen (engl. 1936). In Hans Peter Dreizel (Hrsg.): Sozialer Wandel. Neuwied: Luchterhand, 1967, 2. Aufl. 1972.

 

Bernd Halfar: Nicht-intendierte Handlungsfolgen. Zweckwidrige Effekte zielgerichteter Handlungen als Steuerungsproblem der Sozialplanung. Stuttgart: Enke 1987.

 



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