Home Ein Lehrstuhl für Methodologie an der ETH Zürich

 

Eingabe an die Schulleitung der Eidgenössischen Technischen Hochschule, Zürich, Ende Juli 1975;

keine Antwort

 

(alle Namen von Professoren wurden weggelassen)

 

 

Mit sicherem Gespür die Problematik und ihre Bedeutung erkennend, hat der Schweizerische Wissenschaftsrat in seinem zweibändigen „Forschungsbericht" (erschienen im November 1973, abgeschlossen 1972) einen besonderen Bereich "Wissenschaftsforschung/ allgemeine Systemwissenschaften" aus dem etwa drei Dutzend Wissensgebiete umfassenden Fächer der akademischen Disziplinen ausgesondert.

Damit erhält dieses Gebiet neben anderen neuen Bereichen wie Informatik, Bau-, Bildungs- und Massenkommunikationsforschung, Dokumentation, Soziale Arbeit und Zukunftsforschung dasselbe Gewicht wie die "klassischen" umfassenden Disziplinen Physik, Chemie, Medizin, Rechts-, Literatur- und Geschichtswissenschaft, usw.

 

So erfreulich diese Heraushebung ist, so erstaunlich ist doch die Tatsache, dass gerade für die Wissenschaftsforschung als einzigen Bereich kein "Sektorieller Expertenbericht" vorgelegt werden konnte. Dies, obwohl der Wissenschaftsrat in Erkenntnis der "offensichtlichen Diskrepanz zwischen der Relevanz der Wissenschaftsforschung und ihrem Stand" aus eigenem Antrieb eine Expertengruppe eingesetzt hatte. Anderseits ist es verständlich, dass diene Expertengruppe "innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit noch nicht zu einem Konsens über konkrete Empfehlungen gelangen" konnte, ist doch die Wissenschaftsforschung ein bislang recht ungenau definiertes und ungemein vielschichtiges Gebiet.

 

Die Entstehung der „Wissenschaft von der Wissenschaft“

 

Wie einem zusammenfassenden Bericht über „Bedeutung und Probleme der Wissenschaftsforschung" in den Schweizer Monatsheften (Februar 1975) zu entnehmen ist, handelt es sich hierbei um ein aus der Philosophie, namentlich aus der im 17. Jahrhundert einsetzenden Methodenbetrachtung und Erkenntniskritik herausgewachsenes wissenschaftliches Bemühen, die allgemeinsten Grundlagen der wissenschaftlichen Tätigkeit des Menschen zu erforschen.

 

Nach wie vor erfüllt die Philosophie in ihren Disziplinen der "Wissenschaftstheorie" resp. "Philosophy of Science" hier eine grosse Aufgabe, vor allem was die Erkenntnismöglichkeiten überhaupt ("Epistemologie", Wahrheitslehre), die Begriffs- und Theoriebildung (Sprachanalyse, Logik) sowie die Mittel und Verfahren der Erkenntnisgewinnung und -begründung ("Methodologie") betrifft.

Daneben hat sich als eigenständige Disziplin seit dem Ersten Weltkrieg die Wissenssoziologie oder Wissenschaftssoziologie etabliert, der sich einerseits die Wissenschaftskunde (Klassifikation und Gruppierung der einzelnen Gebiete), anderseits die Erhellung der Geschichte der Wissenschaften (wie auch der Technik) zur Seite gesellten.

 

Noch sehr in den Anfängen steht dagegen die Wissenschaftsforschung im strengen Sinne, die freilich auch die grössten Probleme stellt, handelt es sich doch dabei um die Erforschung des vielfältigen Fragenkomplexes "Wissenschaft" durch die zahlreichen empirischen Einzelwissenschaften wie Biologie, Physiologie und Neurologie, Psychologie, Ökonomie, Politologie und Jurisprudenz, Ethologie, Linguistik, Kommunikationsforschung und Kulturgeographie.

Diese zum Teil ebenfalls selbst erst in neuerer Zeit ausgebauten Disziplinen untersuchen mit ihrem je spezifischen Rüstzeug und der ihnen eigenen Erfahrung die Tätigkeit der Wissenschafter und Institutionen in einem doppelten Sinne: einerseits in ihrer Entstehung und in ihrem Funktionieren, anderseits in ihren Auswirkungen und in ihrer Rolle in der menschlichen Gemeinschaft und im Leben des einzelnen, in der Kultur wie in der Natur. Dabei handelt es sich stets sohl um „die" Wissenschaft als ganzes als auch um die einzelnen Wissenschaften selbst.

 

Alle diese Bemühungen zusammengenommen machten erst das aus, was man „Wissenschaft von der Wissenschaft" - englisch „Science of Science“ - oder Wissenschaftsforschung im umfassenden Sinne nennen kann. Dass eine solche Universal- oder umfassende Grundlagenwissenschaft noch nicht in reifer Form existiert, ergibt sich unter anderem aus den schwierigen Problemen der Institutionalisierung einer zumeist grosse Anforderungen an das Selbstverständnis stellenden Forschung und Lehre.

Naheliegenderweise hätten diese hauptsächlich in den Seminarien und Forschungsstätten der 'Mutterdisziplinen' (von der Philosophie über die Gesellschafts- und historischen bis zu den Naturwissenschaften) zu erfolgen, womit die Koordination der einzelnen Forschungsgruppen, Projekte und Lehrinhalte sowie die Synthese der Ergebnisse zu zentralen Aufgaben werden. Die Errichtung einer hiefür verantwortlichen "übergeordneten Stelle“, die solchermassen Führungs- wie Vermittlungsfunktionen zu erfüllen hätte, erfordert derart zahlreiche Abklärungen, dass damit in absehbarer Zeit kaum zu rechnen ist.

 

Was sich jedoch wegen der Tragweite des Themas aufdrängt und im gegenwärtig verhältnismässig engen forschungspolitischen und -ökonomischen Spielraum der Schweizerischen Hochschulen vertretbar scheint, ist die Errichtung eines Lehrstuhls (als Ausgangspunkt für ein später zu gründendes Institut) für bestimmte Bereiche aus dem weiten Feld der Wissenschaftsforschung.

 

Im Falle der Eidgenössischen Technischen Hochschule wäre dabei darauf zu achten, dass die Einrichtung einer solchen Institution den besonderen Verhältnissen und Bedürfnissen Rechnung trägt, was insbesondere in einer Ausrichtung auf die Praxis zum Ausdruck kommen muss.

 

Die Bereiche der Wissenschaftsforschung

 

Anhand der oben erwähnten verschiedenen Gebiete liesse sich etwa das folgende Bild der Wissenschaftsforschung an der ETH entwerfen:

 

1. Angesichts des übergreifenden Charakters der Wissenschaftsforschung empfiehlt sich die Errichtung des Lehrstuhls in der Abteilung XII. Damit wird auch dokumentiert, dass sich das Thema an die Studierenden aller Fachabteilungen richtet, was seinerseits die Ausgestaltung des Lehrangebots bestimmt.

 

2. Wünschenswert wäre es, wenn der Bereich Wissenschaftstheorie vom Lehrstuhl für Philosophie und Pädagogik wahrgenommen würde, eventuell in Zusammenarbeit mit Dozenten der Universität Zürich.
Darüberhinaus wäre eine Verbindung mit Vorlesungen des Instituts für Verhaltenswissenschaft angezeigt, beispielsweise über "Kognition und Verhalten" oder Verhaltensbiologie, -organisation und -konditionierung. Für bestimmte Übungen könnte dabei das Psychologische Laboratorium verwendet werden.

 

3. Für die Behandlung von Fragen der Wissenschaftssoziologie empfiehlt sich ebenfalls der Beizug von Dozenten der Universität, sofern dieses Gebiet ausdrücklich Berücksichtigung finden sollte.

 

4. Wünschenswert wäre ein Ausbau des Kurses "Wissenschaftshistorik“ an der IX. Abteilung unter Beizug von Dozenten der Universität.
Abzuklären bliebe, wieweit in den anderen Abteilungen spezifisch auf die Geschichte des jeweiligen Faches bezogene Vorlesungen eingeführt werden könnten (analog etwa zur "Geschichte der Leibesübungen"). Insbesondere wäre zu prüfen, wie ein Kurs über die Geschichte der Technik in ihrem Verhältnis einerseits zur Wissenschaft, anderseits zur Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur sowie drittens zur Natur zu institutionalisieren wäre. Unter Umständen könnte hiefür an der Abteilung XII, im Bereich Geschichte, ein weiterer Lehrstuhl eingerichtet werden.

 

Ein Lehrstuhl für Methodologie

 

5. Wie aus diesen Bemerkungen zu entnehmen ist, wäre es sinnvoll, den Bereich des hier zu beschreibenden Lehrstuhls von den obengenannten Gebieten zu trennen. Das ermöglichte die Ausrichtung des Forschungs- und Lehrinhalts einerseits auf die allgemeinen Grundlagen der Erkenntnisgewinnung und -sicherung, anderseits auf die Anwendung in der Praxis.
Als Themen wären hiefür zu nennen:

 

a) Wissenschaftskunde im Sinne eines Überblicks über die vielfältigen wissenschaftlichen Bemühungen des Menschen um möglichst genaue und sichere Erkenntnis von Natur und Kultur, Mensch und Gesellschaft, um die Erklärung und Voraussage von Ereignissen sowie um die Ausarbeitung von realitätsbezogenen Handlungsanweisungen,

 

b) Vergleichende Methodologie im Sinne einer Übersicht über die verschiedenen Weisen des Forschens, Lehrens und Lernens, von Planung, Organisation, Führung und Kontrolle, Herstellung und Behandlung, Gestaltung und Anpassung, usw. Das Schwergericht liegt dabei auf der Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Fächern.
Dies hätte zu geschehen in Berücksichtigung einerseits der mathematischen Methoden, anderseits der Kurse etwa in "persönlicher Arbeitstechnik“ und "Didaktik", über Lehrmethodik und Lehrmittel (an der Abteilung XI) sowie in Arbeitspsychologie und -physiologie.
Abzuklären wäre ferner, wieweit etwa die Kurse über landwirtschaftliche Betriebslehre und über wissenschaftliche Arbeitsmethoden in den Militärwissenschaften auszuweiten oder weiteren Kreisen zugänglich zu machen wären. Auch der Kurs über Bibliographie resp. Bibliotheksarbeit des Chefs der Militärbibliothek in Bern könnte als spezifisches Beispiel beigezogen werden.
Wie wichtig gerade diese Fragen der Mittel, Wege und Ziele wissenschaftlicher Betätigung zu bewerten sind, ergibt sich einerseits aus den mehrfachen Bemerkungen des Wissenschaftsrates, dass sowohl die "Bewusstwerdung der einschlägigen methodischen Verfahren" (126) als auch die Klarlegung der "methodologischen Voraussetzungen jeglicher Wissenschaftsarbeit“ und eines „Mindestmasses an theoretischem Verständnis der Arbeitsweisen in verschiedenen Wissenschaftsbereichen" (129) zu fördern seien, anderseits beispielsweise aus dem Wunsch der Psychologen nach einem gesamtschweizerischen „sozialwissenschaftlichen Methodenzentrum" (106; II, 202f, 204) und der Soziologen nach einem „Seminar für Methodologie oder Epistemologie“ (II, 188).
Darüberhinaus halten etwa die Historiker die "Einführung neuer Methoden“, insbesondere der empirischen Sozialforschung auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialgeschichte (II, 324), und die Betriebswirtschafter gar die neue Überprüfung der "mehrheitlich akzeptierten erkenntnistheoretischen Basis der Betriebswirtschaftslehre“ für wünschenswert, „da die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie als Grundwissenschaften selbst in Bewegung geraten sind“ (II, 260 et passim). Schliesslich bedauern auch die medizinischen Experten etwa, dass die klinische Forschung noch kaum von den enormen Fortschritten der Biologie profitiert hat, vor allem was Konzepte und Terminologie sowie Techniken und Methoden anbelangt (65; II, 75).

 

c) Damit in Zusammenhang stehen also die Fragen nach der Terminologie und Theoriebildung der einzelnen Wissenschaften auf der einen Seite, der Kommunikation und Verständigung unter ihnen auf der andern Seite.

 

d) Auf dieser Grundlage lassen sich die Probleme der interdisziplinären Zusammenarbeit erhellen, wozu neben Fragen der gemeinsamen Sprache und der aufeinander abzustimmenden Verfahren diejenigen der Ziele und Verantwortlichkeiten für solche projektorientierten, fachübergreifenden Unternehmungen zu untersuchen sind.
Nicht umsonst empfiehlt etwa der Wissenschaftsrat die "Förderung von Forschungsprojekten, die sich umfassend mit den gruppendynamischen, psychologischen, wissenschaftstheoretischen, linguistischen (usw.) Problemen der Team- und interdisziplinären Forschung beschäftigen" (180).

 

e) Demzufolge könnte der Lehrstuhlinhaber auch als Berater von Forschungskommissionen und Schulleitung wirken, und zwar möglicherweise in dem oben erwähnten Sinne der Koordinierung von Projekten, welche die erfahrungswissenschaftliche Erforschung der wissenschaftlichen und technischen Tätigkeit betreffen.

 

f) Da heute in zunehmendem Masse die Systembetrachtung (Systems Approach) nicht nur im Bereich der Wissenschaftsforschung, sondern auch in den meisten Einzelwissenschaften zur Anwendung gelangt, ist ihr ganz besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

 

Die Bedeutung der Systemwissenschaft

 

Die Bedeutung der "Systemwissenschaft" erhellt einerseits aus einem gleichnamigen Aufsatz in den Schweizer Monatsheften (Juli 1975), anderseits wiederum aus dem Forschungsbericht des Wissenschaftsrates, wo auf folgendes hingewiesen wird:

¨ "Der Anwendungsbereich der kybernetischen Denkweise vergrössert sich stetig; sie dient immer mehr auch rein wissenschaftlichen Zwecken. Dieser Wissensbereich baut auf die Erkenntnisse der allgemeinen Systemtheorie auf und macht sich auch die Fortschritte der Elektronik zunutze" (90).
"Mit komplexen mathematischen Modellen kann das dynamische Verhalten von Systemen und der Einfluss zufälliger Störungen erfasst werden ... Gleiche Methoden können auf anderen Gebieten mit wissenschaftlicher Fragestellung angewendet werden, wie z. B. für wirtschaftliche, biologische, ökologische Systeme sowie für physikalische Systeme ganz allgemein“ (91; vgl. auch 72, 93; II, 143).
Der Wissenschaftsrat empfiehlt den Ausbau der Infrastruktur in diesem Bereich an den beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen (vgl. II, 144), und er doppelt auf den nächsten Seiten mit der Forderung nach Priorität für Systemanalyse resp. Systems Engineering nach (94).

¨ Sonderförderung ist angezeigt für die wissenschaftliche Dokumentation, "in der die Anwendung der Informatik sowie der Methoden der System- und Inhaltsanalyse, der modernen Linguistik und angewandten Mathematik unumgänglich geworden ist" (42; vgl. auch 122).

¨ Mit verschiedenen Aspekten der Kommunikation befassen sich „insbesondere auch Informationstheorie, Systemtheorie, Kybernetik" (118, II, 252).

¨ Die Grundausbildung in Soziologie impliziert „die Teilnahme des Studenten an einer Reihe von Vorlesungen und Seminarien, die den verschiedenen Sozialwissenschaften zum Teil oder ganz gemeinsam sind (allgemeine Epistemologie, formale Logik, Mathematik, ... allgemeine Systemtheorie, Kybernetik etc)“ (II, 188).

¨ Die Betriebswirtschaftslehre verwendet unter anderem auch die Instrumentarien und Theorien der Systemtheorie resp. Systemanalyse (120f), ja "im Gegensatz zur früheren normativen Richtung basieren die grundlegenden Annahmen nicht auf subjektiven Wertvorstellungen, sondern auf Erkenntnissen allgemeiner Wissenschaften, wie vor allem der Systemtheorie ..." (II, 260).
"Die systemtheoretischen und verhaltenswissenschaftlichen Ansätze der modernen Managementlehre ermöglichen ausserdem die Ausdehnung des Objektbereiches auf zweckorientierte soziale Systeme schlechthin" (II, 263).

¨ Im Rahmen der Zukunftsforschung spielt die Systemanalyse eine bedeutende Rolle. Bei dieser und vielen anderen Techniken "handelt es sich um Methoden, die - wie die Instrumente der Systemforschung .. unabhängig vom jeweiligen Inhalt, in Verbindung mit andern Disziplinen, auf die verschiedensten realen Systeme angewendet werden können" (124).
Im Sektoriellen Expertenbericht heisst es explizit: „Die Zukunftsforschung; ist angewandte Systemwissenschaft und  als solche interdisziplinär" (II, 283). Da die Experten aus einer Ansprache des ETH-Präsidenten den Satz "Wichtiger als das Sammeln von viel Detailwissen ist das Erlernen eines methodischen Arbeitens" zitieren können (II, 286), schlägt der Wissenschaftsrat vor, die Zukunftsforschung habe sich „als Methodenlehre für die Prognostik und Planung ..., unabhängig von den herkömmlichen Realwissenschaften, mit Kritik, Vergleich und Weiterentwicklung prognostischer und planerischer Methodologie sowie mit der Vermittlung der Methodologie (insbesondere auf der Nachdiplomstufe) zu befassen" (124).

¨ Im Problembereich "Umwelt“ fordert der Wissenschaftsrat die "Ausbildung von Forschern und Praktikern in den Planungs-, Prognose-, System- und Umweltwissenschaften" unter Hinweis auf eine Botschaft des Bundesrates (1972) über die angemessene Vergrösserung der Zahl der Absolventen in Raumplanung: „Die Notwendigkeit, über gut ausgebildete Planer zu verfügen, ergibt sich aus der Tatsache, dass Planungsaufgaben komplexer Natur sind und ein hohes Mass an Verantwortung erfordern“ (159).
So empfiehlt der Wissenschaftsrat nicht nur etwa im Bereich Bauforschung die sofortige Förderung von Forschungsprojekten „auf dem Gebiet der Systemanalyse und der mathematischen Modelle in der Raum- und Städteplanung als Grundlage für die Erarbeitung einer optimalen Raumnutzung" (96) und die "Förderung von systemanalytischen und ökologischen Forschungsansätzen in der Biologie, Medizin, Agrarwissenschaft, Waldkunde, Erdwissenschaften, Psychologie" (160; vgl. auch 41), sondern weist diesen Bestrebungen "höchste Priorität“ zu und empfiehlt generell eine "kräftige Nachwuchsförderung in den Umweltwissenschaften, wie den Natur- und Ingenieurwissenschaften einerseits sowie den entsprechenden Sozial- und Systemwissenschaften anderseits“; nur so könne "das in vier bis sechs Jahren benötigte schweizerische Forscherpotential erreicht werden“ (162).

¨ Bezüglich Problemen der Forschungsinfrastruktur kommt der Wissenschaftsrat zu den Empfehlungen: "Verbesserung und Aufbau einer systematischen Grundausbildung" sowie "Einführung von speziellen Nachdiplomkursen auf nationaler Ebene" u. a. in Planungs- und Prognosewissenschaften (175).
Weiter müssten ausländische Erfahrungen z. B, über "Kurse in Wissenschaftstheorie" sowie "Einführung in die Forschung und Weiterbildung von Forschern" zusammengestellt und ausgewertet werden (176).
Schliesslich weist der Wissenschaftsrat auf den von vielen Seiten geäusserten Bedarf nach „zentralen Hilfsdiensten“ hin, insbesondere "Methodologiezentren mit Dokumentations-, Beratungs- und Forschungsfunktionen (für Mathematik, Statistik, Wissenschaftstheorie, Systemanalyse)" (178).

 

Bereich „Wissenschaftsforschung“ – Beruf „Methodologe“

 

Nun hat also der Wissenschaftsrat, wohl angeregt

1. durch diese zahlreichen zitierten Bemerkungen und von ihm daraus abgeleiteten Empfehlungen,

2. durch die Feststellung der Experten des Fachs Philosophie: "La spécialisation toujours plus poussée exige en compensation un effort de synthèse. Une attention particulière devrait être accordée a l'épistémologie (Wissenschaftstheorie) dans la perspective de la collaboration interdisciplinaire" (II, 300), und

3. durch die selber schmerzlich erfahrene Rückständigkeit der Wissenschaftsforschung im umfassenden Sinne, z. B. was Verfahren der Evaluation (34) oder die "organisatorischen, psychologischen, soziologischen und ökonomischen Aspekte der Forschungsinfrastruktur" (174) anbelangt,

 

die Bildung eines eigenständigen Bereiches "Wissenschaftsforschung" (126-128) gewagt. Dabei geht er weit über den im Untertitel genannten Bereich "Philosophie der Wissenschaften" hinaus, indem er einerseits die Interdisziplinarität der Forschungen in diesem Bereich betont, anderseits neben ihrer gesellschaftlichen - und damit auch wissenschaftspolitischen - Relevanz vor allem die methodologische Bedeutung heraushebt, wobei sogar als neuer Forschertyp der Beruf des "Methodologen" entworfen wird.

 

In einem besonderen Abschnitt wird dann auf die „allgemeinen Systemwissenschaften“ eingegangen, deren Bedeutung "für die Entwicklung der übrigen Wissenschaften" zu untersuchen eine "besonders wichtige Aufgabe für die Wissenschaftsforschung'' ist, wird doch nicht nur festgestellt, sie lieferten "für alle Realwissenschaften ein formalanalytisches Arbeitsinstrument", sondern sogar behauptet, dass sie "eine ähnlich zentrale Rolle für die Entwicklung der Realwissenschaften spielen werden wie bisher die Mathematik", ja "sie bezeichnen gleichsam eine neue Bewusstseinsstufe" (Carl Friedrich von Weizsäcker).

 

Der Beitrag der Eidgenössischen Technischen Hochschule

 

Aus all diesen Gründen scheint es wünschenswert, dass sich die ETH Zürich im Rahmen ihrer Möglichkeiten am Aufbau einer schweizerischen Wissenschaftsforschung mit der Errichtung eines Lehrstuhls beteiligt.

Auf die spezifischen Bedürfnisse dieser Hochschule zugeschnitten und unter abwägender Betrachtung aller obenerwähnten Gesichtspunkte würde sich dabei die Spezifizierung auf "Systemwissenschaft, insbesondere vergleichende Methodologie" empfehlen.

 

Mit der Errichtung einer solchen Lehr- und Forschungsinstitution leistete die ETH nicht nur einen wesentlichen Beitrag zu den in Anbetracht der Relevanz, Aktualität und Dringlichkeit des Themas vom Wissenschaftsrat "auf nationaler Ebene" (127) als notwendig erachteten Schritten zur Förderung dieser neuen Disziplin, sondern auch zur Erfüllung der Aufgabe, methodenbewusste und -kritische Fachleute auszubilden, die ihr spezifisches Fachwissen. auf der Grundlage präziser Kenntnisse über Stellung, Funktion und Vorgehen wissenschaftlicher Bestrebungen auch in der späteren anspruchsvollen Arbeit interdisziplinären Bemühens um die Erforschung und Lösung der komplexen Probleme der Gegenwart einzusetzen und nutzbringend anzuwenden wissen.

 



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