Home Methoden, wie man zur wahren Erkenntnis gelangen kann

 

Eine Kurzübersicht von Platon bis Hugo Dingler

 

siehe auch:    Neuzeitliche Wissenschaft

 

Im Laufe der Jahrhunderte haben verschiedene Denker immer wieder andere Methoden angeboten, wie man zur wahren Erkenntnis gelangen kann:

 

Altertum

 

Platon: die Dialektik von

a) Zurückführung der Vielheit gleichnamiger Erscheinungen auf die Einheit der Idee

b) begriffliche Einteilung der allgemeinsten Ideen und obersten Gattungsbegriffe in ihre (synagoge) und Arten und Unterarten (dihairesis)

 

Aristoteles:

a) die Syllogistik als Lehre vom Beweisen durch Schlüsse (Apodeiktik)

b) die Begriffsbestimmung (horismos)

c) in minderem Masse die Induktion (epagoge), die nur zu Zusammenfassungen führt

d) die Dialektik dagegen ist ihm eher eine Diskussionskunst

 

die Stoiker schlossen sich eher Aristoteles an, die Epikuräer lehnten ihn eher ab.

 

Plotin erneuerte die Dialektik Platons.

 

Boethius erneuerte die Syllogistik von Aristoteles.

 

Mittelalter

 

Johannes Damascenus (um 750) griff erneut auf Aristoteles zurück. In einer Übersetzung, die Robert Grosseteste um 1240 von dessen "Dialectica" anfertigte, werden die vier im Mittelalter gebräuchlichen logischen Methoden angeführt:

  • divisive (Teilung der Gattung in Arten)
  • definitive (entspricht der platonischen d dihairesis und der aristotelischen Definition)
  • analytische (resolutiva) mit drei Arten
    - natürliche Analyse (gedankliche Auflösung eines Ganzen in Elemente), entspricht der reflexiven Erkenntnisanalyse bei Thomas von Aquin
    - logische Analyse (rationalis resolutio) in Zusammenhang mit einem Syllogismos
    - mathematische Analyse, bereits von Pappus (300 n. Chr.) definiert
  • demonstrative: der Beweis eines probablen (einleuchtenden) Satzes als wahr durch einen Syllogismus

 

Thomas von Aquin (um 1270) führte einen doppelten Weg der Wahrheitserkenntnis ein:

1. den analytischen, der vom Zusammengesetzten zum Einfachen bzw. vom Ganzen zum Teil führt (via resolutionis) und

2. den gegenläufigen synthetischen, durch den die Erkenntnis der Wahrheit erst vollendet wird, indem sie vom Teil zum Ganzen gelangt (via compositionis).

 

Die Schule von Padua (seit 2. Hälfte 15. Jh.) griff vor allem die Unterscheidung analytisch/ synthetisch von Galen (2. Jh. n. Chr.) auf.

  • Die "demonstratio propter quid" (kompositive Methode) ist das Verfahren der Mathematik und Naturlehre;
  • die "demonstratio quia" (resolutive Methode) ist weniger bedeutsam.

 

16. Jahrhundert

 

Petrus Ramus (1543) war ein Gegner von Aristoteles und wollte die Logik durch Einführung einer einzigen Methode reformieren: die collocatio (Anordnung) als Vorgehen vom generellen und bekannteren Ganzen zum speziellen und weniger bekannten Teil.

 

Zabarella (1594) unterscheidet zwei Arten von Wissenschaften:

a) kontemplative, die synthetisch (demonstrativ) verfahren und in denen das Wissen um seiner selbst willen erworben wird,

b) analytisch (resolutiv) verfahrende, in denen das Wissen erworben wird, um etwas zu bewirken oder zu erreichen:

- in der Mathematik schreitet die analytische Methode von bekannten Prinzipien zu bekannten Folgerungen fort,

- in den Naturwissenschaften führt sie zu den verborgenen Ursachen zurück, um durch sie die natürlichen Wirkungen zu erklären.

 

17. Jahrhundert

 

Galilei löste (in Anlehnung an Zabarella) als erster Synthese und Analyse aus dem Bann des aristotelischen Syllogismos:

a) Der "methodo compositiva" betrifft das Experiment als Vermittlung zwischen einer allgemeinen quantitativ bestimmten Aussage und beobachtbaren Einzelfällen, insofern letztere im Experiment auf Grund der in der allgemeinen Aussage gegebenen Bedingungen selbst herstellbar und reproduzierbar sind.

b) Die Analyse in Form der messenden Zergliederung des Einzelfalles (methodo risolutivo) dient hierbei zur Bestätigung der allgemeinen Gesetzesaussage und der gesetzmässigen Erklärung des Einzelfalles.

 

Francis Bacon (1620) gab differenzierte Regeln zur Gewinnung allgemeiner Aussagen auf Grund von Beobachtung und Experiment, insbesondere Regeln zur Vergleichung und Klassifikation von Phänomenen.

 

Descartes (16 /37) orientierte sich formal an der Lösung algebraischer Gleichungen und inhaltlich an geometrischen Beweisen und schlug Deduktion auf der Basis einer richtig benutzten, evidenten Intuition vor.

Die wissenschaftliche Darstellung des Erkannten erfolgt auf dem doppelten Weg der Demonstration: Analyse und Synthese.

 

Hobbes (1655) und Gassendi (1669) schlugen die Verbindung zweier Verfahren vor:

resolutio und compositio.

 

Pascal (um 1650) ordnet die Analyse der Synthese (demonstrative Herleitung wahrer Aussagen) unter.

Seine Beweistheorie wurde von der "Logik von Port-Royal" (1662) übernommen. Hier betrifft Analyse den Entdeckungszusammenhang, Synthese den Rechtfertigungszusammenhang. Wichtig ist dabei die negative Probe: das kontradiktorische Prädikat muss zum aufweisbaren Widerspruch führen.

 

Robert Boyle (1666) entwickelte die empirische Naturwissenschaft zu einer systematischen mechanistischen Theorie mit einer entwickelten Induktionsmethodik.

 

Malebranche richtet seine "Suche nach der Wahrheit" (1675) auf die psychologischen Bedingungen der Wahrheitsfindung und die Aufdeckung der möglichen Irrtumsquellen aus.

 

Spinozas "mos geometricus" (1677) benützt die Synthese sowohl für Erkenntnisgewinnung (indagatio) als auch für die demonstrative Darstellung und die Rechtfertigung (expositio).

 

Bei Newton (1687) führt die empirische Induktion von messbaren Beobachtungsdaten zur mathematischen Gesetzesaussage (analytisch).

Die synthetische Methode zieht die entdeckten Ursachen und Prinzipien heran, um Phänomene zu erklären und Erklärungen zu beweisen.

 

Locke (1690) und Hume (1748) trennen scharf zwischen notwendigen und bloss wahrscheinlichen Aussagen. Erstere beruhen auf Intuition und Demonstration, letztere auf umsichtiger Induktion. Diese Induktion vermittelt allerdings unserer auf Erfahrung basierenden Naturerkenntnis nur hypothetische Geltung.

 

Leibniz verwendet ebenfalls Analyse und Synthese. Seine "ars inveniendi" orientiert sich am logischen Modell einer Begriffskombinatorik (synthetisch), die sich einer Zeichensprache (characteristica) bedient, so dass neue Erkenntnis kalkülmässig herleitbar ist (calculus ratiocinator). Die "ars iudicandi" bedient sich der Beweisverfahren in natürlicher Sprache.

 

18. Jahrhundert

 

Für Christian Wolff (um 1730) bildet die "methodus scientifica" eine Einheit von mathematischen und philosophischen Methoden, die ihre gemeinsame Wurzel in der Logik haben. Das Schwergewicht liegt auf einer Definitionslehre und der Syllogistik.

 

Chr. A. Crusius (1747) unterscheidet demgegenüber wieder deutlich zwischen mathematischer und philosophischer Methodik und sieht für verschiedene Gebiete unterschiedliche Methoden vor:

a) im Bereich der theoretischen Philosophie die zergliedernde und beweisende Analyse

b) in Mathematik, Physik und Moraltheologie die explizierende Synthese.

 

Kant (1781) untergliederte seine szientifischen (oder systematische) Methode in einen dreifachen Vernunftgebrauch:

a) den dogmatischen (z. B. das an der Mathematik orientierte deduktive Verfahren der Metaphysik von Wolff)

b) den kritischen (die transzendentalphilosophisch aufgeklärte Rechtfertigung)

c) den skeptischen (skeptisch verfährt die "transzendentale Dialektik" mit den widersprüchlichen Lösungen von Scheinproblemen).

 

Fichte führte die "Methode des vollständigen transzendentalen Idealismus" ein. Ihr schliesst sich die synthetische Methode der philosophischen Konstruktion an.

 

19. Jahrhundert

 

Nach Hegel (1845) garantiert die "Arbeit des Begriffs", dass wir unser blosses Meinen überwinden. Das hieraus resultierende Begreifen vollzieht sich in den dialektischen Dreischritten von Thesis, Antithesis und Synthesis.

 

John Stuart Mill (1843) hat die Induktion als einzigen Weg (auch für die Sozialwissenschaften) propagiert, ein über die unmittelbare Sinneserfahrung hinausgehendes Wissen zu erwerben.

 

Demgegenüber unterschied J. G. Droysen (1868) drei wissenschaftliche Methoden:

a) die erkennende, spekulative der Philosophie und Theologie

b) die erklärende, physikalische

c) die verstehende, historische.

 

20. Jahrhundert

 

Um 1900 führte Edmund Husserl die "phänomenologische Reduktion" als "apodiktisch einsichtige" Methode ein.

 

Der Wiener Kreis (z. B. Carnap 1929) sieht die Aufgabe einer Methode (der einzigen) in zweierlei:

a) Verifikation von Aussagen durch empirische Überprüfung

b) logische Analyse der Wissenschaftssprache

 

K. R. Popper (1935) sah umgekehrt das Fortschreiten der Wissenschaft in der systematischen Kritik theoretischer Entwürfe. Seine "Methode des tentativen Lösungsversuchs" hat in den Sozialwissenschaften Fuss gefasst.

 

Hugo Dingler (1936) schlug die Methode der schrittweise vorgehenden Handlungen vor. Die Abfolge ergibt sich aus einer "pragmatischen Ordnung".

 



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