HomeSozialtechnologie in der Vorzeit und im Altertum

 

Inhalt

Seit einer Million Jahre

Seit 12 000 Jahren sesshaft

Seit 5000 Jahren Hochkulturen

800-200 v. Chr.: Die Achsenzeit

Sozialtechnologie: Taten - reale Verhältnisse - Empfehlungen

  1. Religiöse Sozialtechnologie
  2. Moralische Sozialtechnologie
  3. Juristische, politische, wirtschaftliche Sozialtechnologie
  4. Pädagogische Sozialtechnologie

 

 

Zusammengestellt 1984

 

Es liegt ein Schleier des Geheimnisses über Wort und Sache. Die Stichwörter "Sozialtechnologie", "soziale Technik" finden sich kaum in Wörterbüchern, und was es ist, scheint niemand zu wissen.

 

Dabei wissen wir immer mehr, und daher wird alles immer älter. Das Weltall beispielsweise ist in den letzten 50 Jahren in der "Erkenntnis" der Astronomen und Astrophysiker um 16 Milliarden Jahre älter geworden.

Veit Valentin sah in seiner "Weltgeschichte" das Auftreten des Menschen vor 600'000 Jahren; heute ist eine Auseinandersetzung darüber in Gang, ob das Mädchen "Lucy" vor dreieinhalb Millionen Jahren schon aufrecht ging. Ebenso umstritten ist, ab wann man von der Gattung "Homo" sprechen kann.

 

Seit einer Million Jahre

 

Jedenfalls soll der "Homo erectus" vor einer Million Jahren die Bühne betreten haben. Vor 800'000 Jahren bekam er das Feuer in den Griff und vor 500'000 Jahren organisierte er Jagdgemeinschaften für Grosswildjagden. Er gilt als Werkzeugmacher und Hüttenbauer. Bei Nizza (Terra Amata) gefundene Überreste von 8 bis 15 m langen Hütten werden auf 380'000 v. Chr. datiert.

 

Dem vor 100'000 Jahren auftretenden Neandertaler verleiht man heute das Prädikat "Homo sapiens".

Es gibt Hinweise darauf, dass er seine Toten bestattete und die Beisetzung rituell vollzog. Neben solcher Pietät - man fand auch Blumen, die aufs Grab gestreut wurden - zeigte er aber auch Gewalttätigkeit gegenüber seinen Mitmenschen, ja Kannibalismus. Er verschwand vor etwa 40'000 Jahren von der Bildfläche und wurde von einem Geschöpf abgelöst, dem wir heute noch gleichen. Daher musste man sein Prädikat quadrieren: Er wird "Homo sapiens sapiens" genannt, ein Typ ist der "Cro-Magnon-Mensch".

 

Man nimmt an, dass er wieder vermehrt in Siedlungen (bekannt ist Dolni Vestonice ca. 24'000 v. Chr.) lebte. Zahlreiche Werkzeuge, Schmuckstücke, Grabbeigaben, "Ritualgegenstände", aber auch Felsgravierungen und Höhlenmalereien zeugen von seinem Wirken.

 

Seit 12 000 Jahren sesshaft

 

Vor etwa 12'000 Jahren ging dieser "vernunftbegabte" Jäger und Sammler allmählich zu einer sesshafteren Lebensweise über; er fing an Wildpflanzen zu kultivieren und anzubauen sowie Tiere zu halten.

Der Handel mit Feuersteinen, Obsidian und wohl auch Geräten und Schmuck erfolgte bereits über weite Strecken.

Anderseits fand man in der spanischen Levante Felszeichnungen, die tanzende und jagende Menschen darstellen. Bogenschützen, die aufeinander anlegen, lassen auf kriegerische Verwicklungen schliessen. Die Frauen trugen meist einen weiten, langen Rock, die Männer einen Lendenschurz oder kurze Hosen.

 

Etwa ein Dutzend Siedlungen, die zwischen 8000 und 4000 v. Chr. im nahen Osten ausgegraben wurden, bezeichnet James Mellaart als Städte ("cities"). Jedenfalls zählten Jericho (ab 8350 v. Chr.) und Çatal Hüjük (ab 6250 v. Chr.) bereits mehrere tausend Einwohner. Wie eine solche Gemeinschaft verwaltet wurde, bleibt Gegenstand von Spekulationen, beispielsweise auch, ob es sich um eine mutterrechtliche "Herrschaft" handelte.

 

Seit 5000 Jahren Hochkulturen

 

Kultstätten oder Heiligtümer (Schreine) entwickelten sich mit dem Aufblühen der ersten Hochkulturen um 3000 v. Chr. zu ansehnlichen Tempeln. In Mesopotamien waren diese als Wohnstätten der Götter auf Erden gedacht. Die ägyptischen Mastabas und Pyramiden dagegen waren Grabstätten für die Pharaonen.

 

Im 3. Jahrtausend v. Chr. entstanden im Zweistromland etwa zwei Dutzend Städte mit Palästen, Häuserzeilen und Marktplätzen, Strassen und Stadtmauern. Leider lagen diese "Stadtstaaten" dauernd miteinander im Krieg. Gilgamesch (2700 v. Chr.) bleibt als einer der ersten sumerischen Herrscher weitgehend legendär, während in Ägypten Imhotep (2650 v. Chr.) nicht nur als Architekt und Baumeister, sondern auch als Arzt, Priester, Staatsmann und Manager fassbar wird.

 

Je näher wir die Leistungen dieser ersten Hochkulturen in Mesopotamien und Ägypten, sei es in organisatorischer und technischer, sei es in künstlerischer oder moralischer Hinsicht betrachten, desto mehr nötigen sie uns Hochachtung ab. Manchmal fragt man sich, wie gross der geistige Fortschritt der Menschheit seit dieser

Zeit tatsächlich sei.

 

Ein Vertreter der jüngsten Wissenschaft, der Praxeologie - "the science of efficient action" - hat 1983 in einer "Outline of the prehistory of praxiology" erneut auf die alten Hochkulturen zurückgegriffen. Über Arbeitsorganisation und soziale Differenzierung in Europa zur Kupfer- und Bronzezeit (2700-900 v. Chr.) hat Renato Peroni ausführlich berichtet.

 

Einige Unruhe brachten schon bald die durch das Vordringen indogermanischer Stämme seit 2000 v. Chr. erfolgten Völkerverschiebungen in die Geschichte. Diese Stämme waren in vaterrechtlichen Grossfamilien organisiert und benützten oft Pferde und Streitwagen. Sie griffen Babylon (seit 1800 v. Chr.) und Ägypten (1650) an, besiedeln Mitteleuropa (ab 2000 v. Chr.: Schnurkeramik-, Streitaxtkultur), Griechenland (1850-1600: Joner und Achaier), Iran (ab 1500) und Indien (ab 1500: Arya). Eine zweite Welle fand um 1200 statt.

Ein wichtiges Ereignis aus dieser Zeit ist die Ablösung der Bilder- und Keilschriften durch Silben- und Buchstabenschriften.

 

800-200 v. Chr.: Die Achsenzeit

 

"Füllet die Erde und machet sie euch untertan", heisst es in 1. Mose 28. Dass sich der Mensch auch den Menschen untertan machen sollte, wurde nicht verlangt.

Aber seit dies aufgeschrieben wurde - in der von Karl Jaspers als "Achsenzeit" bezeichneten Epoche von etwa 600 - 300 v. Chr. - hat sich der Mensch mit vermehrtem Eifer daran gemacht, "Sozialtechnologie" zu betreiben.

Für die griechische Polis stehen die Namen Solon (594 v. Chr.), Kleisthenes (507 v. Chr.: Demokratie) und Perikles (443-429), für die römische Res publica Servian (um 500), das Zwölftafelgesetz (450) und die Licinisch-sextischen Gesetze (366 v. Chr.).

Die Perser dagegen verfügten noch über ein mächtiges Königtum (Kyros II., Dareios I., Xerxes I.).

Bald war es mit der Demokratie aber auch in Griechenland (Alexander der Grosse) und in Italien (Scipio später Caesar) vorbei. Demokratie ist eine anspruchsvolle Lebensform.

 

Grosswildjagd und Demokratie haben manches gemeinsam: Zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels müssen die Aufgaben genau definiert und zugeteilt werden. Unterschiedliche Fähigkeiten sind gefragt; Grundlage ist das gegenseitige Vertrauen. Misslingt das Vorhaben, tritt Not ein.

 

Sozialtechnologie: Taten - reale Verhältnisse - Empfehlungen

 

Was ist denn eigentlich Sozialtechnologie?

Man muss da unterscheiden zwischen Taten, realen Verhältnissen und Empfehlungen.

 

Die erstmalige Einrichtung von Bordellen durch Nebukadnezar II. und Solon um 600 v. Chr. oder der Sklaverei in Israel, Griechenland (vom 6. Jh. an) und in Italien (seit dem 3. Jh. v. Chr.) ist gewiss praktizierte Sozialtechnologie. Entgegen der landläufigen Meinung waren die ägyptischen Pyramidenbauer nicht Sklaven, sondern Saisonarbeiter gewesen, und die Tempelprostitution galt als "heilig".

 

Was die tatsächlichen Verhältnisse betrifft, so wissen wir meist viel zu wenig. So gehen die Schätzungen der modernen Gelehrten über die Zahl der Sklaven im klassischen Athen weit auseinander; sie reichen von 20'000 bis 400'000 (Moses I. Finley, 77).

Und wenn wir über die ägyptischen Pyramiden staunen, an denen während hundert Jahren etwa 70'000 Mann bauten, dürfen wir nicht die Arbeit selber unterschätzen: "Wenn er (der Steinmetz) sie vollendet hat, so versagen ihm seine Arme, und er ist müde; wenn er bei seinem täglichen Brot sitzt, so sind seine Knie und sein Rücken vor Müdigkeit gekrümmt" (Arne Eggebrecht, 72).

 

Anderseits klärt uns der "Sonntags Blick" (4.11.1984, 92f) auf, dass auch der Reformator Zwingli " mit einer Dirne sündigte".

 

Wenn man ein bisschen System in die Sache zu bringen versucht, kann man mehrere Bereiche von Sozialtechnologie unterscheiden.

 

1. Religiöse Sozialtechnologie

 

Ritual und Magie werden schon dem Neandertaler zugeschrieben. Manche Funde interpretiert man als rituelle Bestattungen und Kultpraktiken. Viel zu deuten haben auch die Darstellungen von "Zauberern" (z. B. in den Höhlen von Trois-Frères und Les Combarelles) des doppelten "sapiens" gegeben: Schamanismus wird vermutet. Fussabdrücke und Überreste von Fackeln weisen auf Zeremonien hin.

 

Über die Funktionen und Rituale der Priester in den ersten Hochkulturen sind wir gut informiert, ebenso über die vielen religiösen Volksfeste, z. B. das zur Flutzeit zu Ehren des Gottes Amon gefeierte in Karnak und Luxor, die Pilgerfahrten nach Abydos, wo das Haupt des Osiris bestattet sein sollte, oder das im Frühling im Zweistromland gefeierte 11tägige Neujahrsfest, das in der "Heiligen Hochzeit" des Königs - in der Rolle des Damuzi - mit einer Hohepriesterin - in der Rolle der Göttin Inanna - seinen Höhepunkt fand. (Einer der Monate des hebräischen Kalenders trägt noch heute Dumuzis semitischen Namen Tammuz.)

Auch das alte Israel kannte zahlreiche Feste und Kultfeiern.

 

Im Leben der Israeliten war auch die Magie nicht unbekannt (1. Mose 30; Jer. 27,9; Ez. 13, 18ff; Mich. 5,12); im Gesetz wird Zauberei jedoch ausdrücklich verboten (5. Mose 18, 9ff).

Zur Zeitwende waren allerdings jüdische Zauberer über die ganze griechisch-römische Welt verbreitet. In Ephesus wurden nach einer Predigt von Paulus Bücher über die "vorwitzigen Künste" verbrannt (Apg. 19,19).

 

Magie bildet seit dieser Zeit nach Friedrich Wagner (35) auch "die Vorform einer Naturwissenschaft, deren Geist - der Wille zur Macht und der Glaube an wunderbare 'Ergebnisse' der Versuche - auch nach ihrer Trennung von diesem Ursprung der magischen Denkform verbunden blieb".

 

Sozialtechnologie hat also etwas mit Magie zu tun: mit dem Wunsch nach "Macht" über Dinge, Ereignisse oder Menschen - wie auch immer h die Rechtfertigung für solches Tun lauten mag.

Das wird deutlich in den ältesten Aufzeichnungen aus Indien, in den Veden (1500-500 v. Chr.). Es sind nicht nur Handbücher für Priester, sondern Anweisungen, wie und welche Hymnen und Lobpreisungen der Götter zu singen sind, wie man betet, beschwört und opfert. Für Einsiedler gab es "Waldtexte" (Aranykas), für Eingeweihte die Geheimlehren der "Upanischaden".

Die Herleitung solcher Texte und Empfehlungen - für die es auch zahlreiche Parallelen in Mesopotamien und Ägypten gibt - aus göttlicher Offenbarung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier Menschen andere Menschen zu etwas "bringen" wollten.

 

2. Moralische Sozialtechnologie

 

Der Drang, auf das Verhalten anderer Einfluss zu nehmen, findet seinen schönsten Ausdruck in dem, was wir heute unter "Weisheitslehren" (Admonitions) zusammenfassen. Dabei sind zwei Adressaten zu unterscheiden: Söhne und Könige.

 

Zu den berühmten Texten gehören (nach verschiedenen Quellen):

  • Die Unterweisungen des Wesirs Ptahhotep an seinen Sohn (um 2500 v. Chr.)
  • Die Instruktion des Königs Usirkare -Ati für seinen Sohn Merire-Pepi I. (um 2300 v .Chr.)
  • Die Weissagungen des Ipuwer (Mahnworte eines Propheten; um 2200 v. Chr.)
  • Die Sprüche des Wesirs Amenohotep, Sohn des Hapu (um 1500 v. Chr.)
  • Die Lehre des Amenemopet (mit verblüffenden Parallelen zu den "Sprüchen" des Alten Testaments)
  • Die Weisungen eines Bauern an seinen Sohn ("Bauernalmanach" aus Mesopotamien, 1700 v. Chr.; mit Parallelen zu Hesiods "Werke und Tage")

 

Bereits die vielkopierte Unterweisung des Ptahhotep enthält neben Betrachtungen über den Lauf der Welt auch Ratschläge, z. B. für das Benehmen bei Tisch.

Das ist also eine Literaturgattung, die dann ab etwa 1100 n. Chr. wieder mächtig anschwoll. Die ebenfalls um diese Zeit in rascher Folge entstandenen "Fürstenspiegel" gehen gleichermassen auf die "Königslehren" des alten Ägyptens zurück.

 

Ipuwer, der den Zusammenbruch des Alten Reiches (um 2200 v. Chr.) beklagte, machte den Pharao persönlich für den Verfall verantwortlich:

"Der Pharao ist der Hirte aller Menschen ... Autorität, Gesetz und Ordnung sind bei Dir, aber es ist die Unordnung, die Du im Land begründet hast" (Lionel Cassen, 142f).

Daher enthält die im Mittleren Reich (um 1800 v. Chr.) verfasste "Lehre für König Merikare" Gedanken von der Verantwortlichkeit des Herrschers und der Pflicht, einen Menschen um seiner Verdienste und Fähigkeiten willen zu ehren und nicht wegen seiner Abkunft. Eine Stelle heisst:

Gott (in Einzahl) hat den Menschen "Herrscher schon im Muterleib geschaffen als Gebieter, um den Rücken des Schwachen zu stützen".

 

Die etwa gleichzeitig entstandene "Lehre des Königs Amenemhet" ist insofern eine Kuriosität, als sie erst nach seiner Ermordung von seinem Sohn Sesostris zum Schreiben in Auftrag gegeben wurde. (Jan Ostrowski hat die Namen Amensmhet und Senusret I.)

 

Wie ernst es den frühen Herrschern mit einer guten Regierung war, geht aus einem Dokument hervor, das vom Fürsten Urukagina, der im 24. Jh. v. Chr. in Lagasch den Thron bestiegen hatte, stammt.

Samuel Noah Kramer (1975, 37) bezeichnet es als "einen bewegenden Bericht über Sozialreformen zum Schutze des Bürger von Lagasch vor bürokratischem Unrecht. Hierin fand der Gedanke der persönlichen Freiheit zum ersten Male Ausdruck in der geschriebenen Geschichte der Menschheit." Und an anderer Stelle (1959, 86) meint er: "Die Könige und Herrscher prahlten ständig damit, dass sie Gesetz und Ordnung im Lande aufrechterhielten, die Schwachen vor den Starken, die Armen vor den Reichen schützten, Unrecht und Zwang ausrotteten."

 

Auf die Folgen von Kriegen verweisen die Witwen und Waisen, die Urukagina beschützte.

Auch Ur-Nammu, der vier Jahrhunderte später die dritte Dynastie von Ur begründete, zählt in der Einleitung zu seiner Gesetzessammlung seine lobenswerten Leistungen auf: "Er hat bürokratische Missbräuche abgeschafft, die Masse und Gewichte geregelt, damit es auf dem Marktplatz ehrlich zugehe, und dafür gesorgt, dass die Witwen, die Waisen und die Armen vor schlechter Behandlung und Ausbeutung geschützt seien."

 

Ähnlich heisst es in der "Lehre für Merikare": "Beruhige die Weinenden, quäle keine Witwe."

 

Die Aufgaben der Herrschenden wurden demnach vor vielen tausend Jahren schon sehr genau beschrieben. Ob die Realität damit Schritt hielt, bleibt offen.

 

3. Juristische, politische, wirtschaftliche Sozialtechnologie

 

So erstaunlich die Leistungen der Hochkulturen bezüglich Organisation und Verwaltung, Regierung und Diplomatie, Gesetzgebung und Rechtsprechung waren - Handbücher dafür haben sich keine erhalten. Aus Inschriften und Bruchstücken von Tontäfelchen lässt sich freilich manches erschliessen.

 

Etwa um 2500 v. Chr. begannen die Mesopotamier, den Gang ihrer Geschäfte - Verträge, Verkaufsurkunden über Häuser, Äcker und Sklaven - auf Tontafeln zu verzeichnen. Sie dienten, da man immer wieder auf sie zurückgreifen konnte, als Unterlagen für späteres Verhalten. Daraus entwickelte sich das erste System geschriebenen Rechts.

Fragmentarisch erhalten ist der Kodex von Ur-Nammu (2100 v. Chr.), berühmt geworden ist die Gesetzesstele von Hammurabi (1750 v. Chr.) mit fast 300 kurz und bündig verfassten Gesetzen. Auch über die Klassenstruktur der damaligen Zeit lässt sich daraus manches entnehmen (Aristokratie, Bürger, Sklaven).

Sigvard Strandh (169)bezeichnet anderseits Hammurabis Kodex als "Grundlagenwerk für die Organisation und Verwaltung des Bewässerungssystems." Jeder Bürger war verpflichtet, einen Beitrag zum Unterhalt, zum Betrieb und zur Erweiterung des Systems zu leisten. "Der geringste Ungehorsam, die kleinste Nachlässigkeit in dieser Beziehung wurde als Verbrechen angesehen."

 

Das Protokoll eines Mordprozesses aus dieser Zeit wurde 1950 ausgegraben und nach seiner Entzifferung einem ehemaligen Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten zur Begutachtung vorgelegt. Ergebnis: Auch heute würde man dasselbe Urteil fällen (Samuel Noah Kramer, 1959, 55).

 

Im weiteren nehmen die Historiker an, dass auch das Pfandrecht "auf den alten Nahen Osten zurückgeht" (Samuel Noah Kramer, 1975, 160).

 

Bemerkenswert ist schliesslich, dass die Fragmente der "Geierstele" des Königs Eannatum von Lagasch (2450 v. Chr.) den ersten völkerrechtlichten Vertrag der Geschichte erhalten. Nach dem Sieg über den Nachbarstaat Umma liess Eannatum die Friedensbedingungen einmeisseln, unter denen der Krieg beendet worden war.

Etwa 100 Jahre später liess Naram-Sin eine analoge "Siegesstele" in Auftrag geben.

 

Über Hammurabis Verwaltung geben zahlreiche Briefe an Babylonier Auskunft, die er in eroberten Provinzen als Beamte eingesetzt hatte. Sie zeigen, wie Kramer (1975, 53) berichtet, "dass er so geringfügigen Sachen wie der Bezahlung von Pachtzinsen und Bagatellprozessen ebensoviel Aufmerksamkeit schenkte wie der Eintreibung von Steuern und der Instandhaltung des für Babylonien und seine Bewohner lebenswichtigen Bewässerungssystems".

 

Diplomatische Post aus Assyrien des 14. Jh. v. Chr. fand man in einem Archiv in Ägypten.

Über die ägyptische Verwaltung ist ebenfalls einiges bekannt, insbesondere über die Aufgaben und Pflichten des Wesirs, des höchsten Beamten (L. Casson, 94). Gesetzessammlungen aber sind nicht erhalten.

 

Dem Sammeleifer von Konfuzius (um 500 v. Chr.) ist es zu verdanken, dass wir aus dem alten China über Gesetze und Erlasse aus der Frühzeit bis zu seiner Zeit verfügen. Erläuterungen und Zwischentexte machen dieses "Schu King" (Buch der Urkunden) zu einem einzigartigen Dokument. Das "Li KI" (Buch der Riten) ist erst nach Konfuzius entstanden und behandelt Vorschriften der Etikette, Sitten und Bräuche, beispielsweise für den Ahnenkult und für das Benehmen bei Hofe.

 

Konfuze ist auch der erste, dem wir eine eigentliche Staats- und Gesellschaftslehre zuschreiben können. Allerdings ist sie nur den von seinen Schülern aufgezeichneten "Unterredungen" (Lun Yü) zu entnehmen, ferner der "Grossen Wissenschaft" (Ta Hsüeh) und der "Lehre von Mass und Mitte" (Tschung Yung).

 

Die grundsätzliche Problematik aller Sozialtechnologie, nämlich die Frage, ob sich Gesellschaft und Staat von selbst entwickeln und wandeln oder ob behutsam oder drastisch eingegriffen werden soll, wird beim etwas älteren Zeitgenossen Latose plastisch:

"Je mehr Verbote es gibt im Reiche, desto ärmer wird das Volk. Je mehr Mittel zum Gewinn das Volk hat, desto mehr geraten Staaten und Familien in Verwirrung. Je erfinderischer und schlauer die Menschen sind, desto mehr listige Dinge kommen auf. Je mehr Gesetze und Erlasse verkündet werden, um so mehr Räuber und Diebe gibt es. Darum sagt der vollkommene Mensch: Ich wirke nicht, und das Volk wandelt sich von selbst; ich liebe die Stille, und das Volk wird von selber recht; ich habe keine Geschäfte, und das Volk wird von selber reich; ich habe keine Wünsche, und das Volk wird von selber ursprünglich einfach... " (H. J. Störig, 89).

 

In Athen erhielt um 620 v. Chr. Drakon mit ausserordentlichen Vollmachten die Aufgabe, die bereits seit langem geltenden Satzungen (thesmoi), also das Gewohnheitsrecht, zu veröffentlichen.

"Politike techné" umfasste bei den alten Griechen Theorie und Praxis. Schon Solon war Staatsdenker (siehe seine "Elegien") und Gesetzgeber, vermutlich auch Protagoras (nichts erhalten).

Die ersten erhaltenen Staatstheorien stammen von Platon und Aristoteles. Letzterer sammelte 158 Verfassungen und wertete sie aus.

 

4. Pädagogische Sozialtechnologie

 

Aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. sind Fibeln für den Schulunterricht erhalten. Darüber ist aus Mesopotamien einiges bekannt.

Die Schule (edubba) war das kulturelle Zentrum. "Der Unterricht war monoton, die Disziplin eisern", berichtet Kramer (1975, 23). Es gab Stockschläge zuhauf. Wer die Schule überstand wurde Experte "für Güterverwaltung, für die Schlichtung von Streitigkeiten, für Landvermessung, Klagverfolgung und manche andere Dienstleistung".

Das meiststudierte Fach waren die Sprachen. Auswendiglernen war Trumpf.

Es gab dabei auch naturkundliche Fibeln, geographische Schulbücher und technische Lehrbücher.

 

Rechenverfahren lernte man anhand von Beispielen. Auch Astronomie und Recht wurde gelernt. Für letzteres standen Sammlungen von Rechts- und Präzedenzfällen zur Verfügung, ferner Musterformulare der verschiedenen Typen rechtlicher Dokumente. Handbücher für medizinische Diagnosen und Prognosen, Drogen und Umschläge fehlten nicht.

Ein bevorzugtes Fach war die Weissagekunst. Vernachlässigt wurde die Geschichte, dafür stand Literatur hoch im Kurs.

 

Aus Ägypten ist etwas weniger bekannt. Immerhin kennen wir ihre ganz pragmatisch ausgerichtete Mathematik für die Landvermessung und die Berechnung der Ernteerträge (was auch die Steuern bestimmte), ihre Astronomie (Kalender) und Medizin (chirurgische und praktische Textbücher).

 

Literatur

 

Lionel Casson: Das alte Ägypten. Time-Life 1966, 1975 (engl. 1965).

Arne Eggebrecht: Die frühen Hochkulturen: Das Alte Ägypten. In Arne Eggebrecht et al.: Geschichte der Arbeit. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1980, S. 44ff. Taschenbuchausgabe hrsg. von Helmuth Schneider, Frankfurt: Ullstein Sachbuch Nr. 34140, 1983.

Moses I. Finley: Die antike Wirtschaft. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1977 (engl. 1973).

Samuel Noah Kramer: Die Wiege der Kultur. Time-Life 1969, 1975 (engl. 1967);

Samuel Noha Kramer: History Begins at Sumer. 1956;
dt.: Geschichte beginnt mit Sumer. München: List 1959.

Hans Joachim Störig: Kleine Weltgeschichte der Philosophie. Stuttgart: Kohlhammer 1950, als Knaur Taschenbuch 1963.

Sigvard Strandh: Die Maschine. Freiburg: Herder 1980 (schwed. 1979).

Friedrich Wagner: Weg und Abweg der Naturwissenschaft. München: C. H. Beck 1970 (kürzere Fassung von: Die Wissenschaft und die gefährdete Welt. Eine Wissenschaftssoziologie der Atomphysik. 1964, 1969.

 

Literaturhinweis

 

Friedrich von Gottl-Ottlilienfeld: Wirtschaft und Technik. In: Grundriss der Sozialökonomik. II. Abteilung: Die natürlichen und technischen Beziehungen der Wirtschaft. Tübingen: J. C. B. Mohr, Juni 1914, 207.

Karl Mannheim: Man and Society in an Age of Reconstruction. London: F. Routledge & Kegan 1940, 8. Aufl. 1951 (Repr. 1980), 294, 317;
dt.
Darmstadt: Hermann Gentner 1958, 2. Aufl. 1967.

 




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