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Von Erich Brock

 

Erschienen in der „Neuen Zürcher Zeitung“ am 16.1.1972

 

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung

 

 

 

Der Sklave hat Anlage zum Sklavenhalter und umgekehrt.

 

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Aller Sinn schwimmt scheint's unbefestigt in einem Ozean von Unsinn und Widersinn. Trotzdem (oder grade darum) muß der Mensch unaufhörlich an seinem Floß des relativen Sinnes herumbasteln.

 

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«Kürzlich erging ich mich in der Wüste, als plötzlich ein Löwe mit Gebrüll auf mich losstürzte. Ich konnte mich grade noch auf einen Baum retten.» - «Aber erlauben Sie, in der Wüste gibt es doch keinen Baum.» - «Darauf konnte ich in diesem Augenblick natürlich keinerlei Rücksicht nehmen.» - Genau dasselbe ist das Verhältnis der ernstlich angefochtenen Menschen zu Gott - oder fast genau. Nur daß damit das Verhältnis nicht abschließt, sondern erst beginnt. Man baut auf ungesichertem Grund und sichert ihn dann vom Gebäude her.

 

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Was von selbst geht, kommt, wenn das Naturstadium vorbei ist, nur durch Selbstaufhebung der höchsten Bemühung zustande.

 

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Wer sich viel mit dem Pack abgeben muß, wird hochmütig; und das ist nicht gut. Denn gelingt die Entfernung, so bleibt vielleicht etwas von dieser Folge zurück.

 

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Bestimmte Dinge von innen heraus nicht denken zu müssen, ist das Schlechteste und das Beste.

 

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Unbedingt leben müssen schließt ein, nicht mehr frei zu sein, nicht mehr seine Menschenwürde unter allen Umständen wahren zu können. Frei ist nur, wer schlimmstenfalls gehen kann.

 

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Duldsamkeit allein hat noch nie eine fruchtbare Gemeinschaft erbaut; Unduldsamkeit allein auch nie.

 

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Wer gerne danken möchte, dem wird ehrbare Gelegenheit dazu gegeben werden.

 

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Wenn dem Menschen das Höhere eines Tages ohne ununterstützte Anstrengung daraufzu einfach eingeflößt würde, so wäre die Wartefrist bis dahin unerträglich.

 

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Es gibt wohl keine absolute Beziehung zu einem Menschen. Je mehr man die Vorbedingung für eine solche verwirklicht, nämlich im letzten auf sich selbst zu stehen, desto weniger braucht man die Probe darauf zu machen.

 

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In diesem Dasein, wo man immer wieder auf das Letzte zurückgreifen muß und so froh ist, es einmal nicht zu müssen, sondern das Leben frei ablaufen lassen zu können - ist anderseits die Notwendigkeit einer unablässigen Aufmerksamkeit und Anspannung vorhanden, seinen Schirm nicht stehen zu lassen; widrigenfalls man sich schnell unerträglich wird.

 

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Wenn einer Böses ohne Gegenwehr sich zufügen läßt und dann, wenn die äußerste Toleranzmarge überschritten ist, den andern das Verhältnis vor die Füße wirft, so pflegen sie wegen Rechtsverweigerung ehrlich entrüstet davor zu stehen.

 

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Höflichkeit, welche an die Stelle früherer Liebe getreten ist, nimmt leicht eine Absichtlichkeit an, die sie schlimmer macht als gar keine.

 

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Daß die Frauen das schwächere Geschlecht sind, treibt sie oft dazu an, den und das Moment gründlich auszunützen, wo der Mann das schwächere wird vor einem gewissen übermächtigen Element - um mit ihm zu spielen oder auch ihn zu peinigen. Aber wenn sie diese unter Umständen reizvolle Kunst übertreiben, bleiben sie zuletzt doch mit berufungsloser Endgültigkeit in der Rolle des Schwächeren.

 

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Menschen, die viel leiden müssen, werden meist entweder sehr selbstlos oder sehr selbstisch. Aus beiden Gründen ist Leiden nicht gut.

 

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Verzagen, Bedrücktheit, Gottferne ist zugleich Schuld und Strafe.

 

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Wenige Dinge verderben den Menschen so, wie wenn er sich in eine Rolle gedrängt hat oder hat drängen lassen, die er niemals ausfüllen kann und doch durchhalten will oder muß. Er kommt aus Lüge und Ressentiment nicht mehr heraus.

 

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Man kann nur ein gutes Verhältnis zu den Menschen haben, wenn man sie nicht zu sehr und nicht zu wenig braucht.

 

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Ein Mensch, der viele Demütigungen hat hinunterschlucken müssen und nie beim Namen nennen durfte, um seiner selbst wie um der andern willen - ein solcher bekommt ein giftig nachträgerisches Wesen.

 

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Umgang mit Zeitungen: Um nicht, wie Goethe sagt, zu viel Zeit mit diesen Papieren zu verderben, gibt es nur ein Mittel: sie zu lesen, wie man sie lesen würde, wenn sie eine Woche alt wären.

 

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Wer eingesehen hat, daß in der Wirklichkeit und im Geist alle Dinge mit allen andern durch tausend Fäden zusammenhängen, für den ist das größte Problem im Aufbau eines Gedankenganges, die Dinge einbahnig aufzureihen. Und dieses Problem ist höchstens noch symbolisch zu lösen.

 

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Es ist noch eher anzunehmen, daß Gott im Schrecklichen, im Grausamen, im Unglück anwesend ist als in der ahnungslosen Plattheit, in der langweiligen Trivialität, in der schlaffen Mittelmäßigkeit. Und doch wird man auch dies irgendwie annehmen müssen.

 

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Menschen, die aus reinem Eigensinn einem vernünftigen Ansinnen nicht Raum geben, sind dieselben, welche, wenn der Druck genügend, verstärkt und verlängert wird, ebenso vernunftlos einem unvernünftigen Ansinnen nachgeben.

 

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Es gehört zum Schlimmen des Alters, sehen zu müssen, wie eine Jugend, die alle Chancen, alle Kapitalien für ein glückliches, fruchtbares Leben in der Hand hat, die Einsichten des Alters, welche es mit blutigen Lebensverlusten erkauft hat, in den Wind schlägt und ins Verderben stürmt.

 

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Man kann einer Freundschaft nur dann Bestand und Gehalt bewahren, wenn man vom Freunde nicht Dinge erwartet, die man nur sich selbst leisten und geben kann.

 

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Wenn Gott gegenwärtig wäre, würde die Zeit stillstehen. Daß sie es nicht tut und gottlos bleibt, ist nur durch Bemühung und Arbeit auszuhalten.

 

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Auf allen Gebieten muß man zweien Herren dienen, und darum kann man es - vielleicht auch darum, weil sie in irgendeinem Hintergrund einer sind.

 

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Vollendeter Glaube wäre absolute Unabhängigkeit und damit absoluter Atheismus. Darum bleibt der Mensch im unvollkommenen Glauben und in der Qual des Kampfes.

 


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