Home Die Prinzipien von Hegels Geschichtsphilosophie

 

Von Erich Brock

 

Erschienen in der „Neuen Zürcher Zeitung“ am 23.8.1970, S. 52

als Beitrag zu einer insgesamt fünf ganze Seiten umfassenden Würdigung:

Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Zum 200. Geburtstag des Philosophen

 

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung

 

 

I.

 

Hegels Geschichtsphilosophie ist in bestimmtem Maße das Kernstück seiner Lehre - indem hier ein konkreter und doch schon geistdurchdrungener Stoff verarbeitet wird, in welchem dialektisches Denken deutlich anpacken kann. Mit dieser Vereinigung tritt sie in einen gewissen Gegensatz sowohl zu der Logik wie zu der Naturphilosophie. Der Geschichtsphilosophie geht eine Darstellung der allgemeineren Grundsätze voraus, nach denen jene Stoffdurchdringung vorgetrieben werden solle. Diese Grundsätze zu betrachten kann also einen mittelsten Bereich des Hegelschen Denkens erschließen.

 

 

Die Philosophie zehrt aus sich selbst. Sie hat keine andere Absicht, als das Zufällige zu entfernen. In der Geschichte muß sie den Endzweck der Welt aufsuchen. Dieser gibt Zeugnis von sich selbst: er ist das an und für sich Seiende, durch welches alles seinen Wert hat. Es ist die göttliche, allgemeine Vernunft, die Selbstzweck ist, sich selbst hervorbringt und sich selbst ausführt. Sie wird nicht intuitiv, sondern durch den Gedanken erfaßt.

Voraussetzung ist, daß an sie geglaubt werde, geglaubt also, daß es in der Geschichte vernünftig zugegangen ist. Wer mit der Vernunft an die Welt herantritt, den schaut sie auch vernünftig an. Alles andere sind rein subjektive, falsche Ansichten.

 

 

Was ist demgegenüber als das Richtige zu bezeichnen? Das bestimmt der Verstand, der das Bedeutende und Wesentliche aus dem Stoff der Geschichte heraushebt. Obwohl der Verstand an sich auf das Abstrakte, Allgemeine hingeht, so ist doch das Allgemeine gerade das unendlich Konkrete, welches alles in sich faßt. Dieses Konkrete bedeutet näher, daß Gott gegenwärtig ist und in seinem Wesen wie in seinen Plänen restlos erkannt werden. kann, ja muß.

Das geschieht, mittels der Geschichte, welche die Entfaltung des göttlichen Wesens bildet. Hätte sich Gott nur dem Gefühl offenbart, so würde er den Menschen dem Tier gleich achten, welchem nur diese schlechteste Form des Geistigen zugänglich ist. Gefühl ist eines geistigen Inhalts unfähig und bloß subjektiv. Wahrheit ist nur für den Gedanken.

 

 

Glaube und Wissen sind dasselbe. Der christliche Glaube ist in die göttlichen Mysterien eingeweiht, und so besitzt er den Schlüssel zur Weltgeschichte. Das Böse in ihr ist teils gar nicht so schlimm, teils kränkt es nur die Individuen, und das ist unwesentlich. Dies gilt nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch. Die Individuen verschwinden vor dem Allgemeinen, dem Volksgeist.

Die Trauer über ihren Untergang, das Verharren in der leeren Erhabenheit des Negativen (dies wohl gegen Schiller?) ist Selbstgefälligkeit. Der Volksgeist ist teils mehr objektiv, teils lebt er als Bewußtsein davon in den Individuen. Er macht des Volkes Zwecke, Interessen, Rechte, Sitten und Religion aus. Er ist auch die besondere Form des Weltgeistes.

Den Volksgeist und die eigene Deckung durch ihn zu wissen, ist Freiheit. Sie bewirkt, daß das Besondere zugunsten des Allgemeinen aufgegeben wird. Der Volksgeist ist übermächtig. Keine Macht kann ihn zerstören, wenn er nicht in sich selbst abstirbt. Das geschieht aber über kurz oder lang. Wie ein natürliches Einzelwesen blüht er auf und verwelkt auch wieder.

 

 

Diesen Ablauf zu erkennen, ist Sache der großen Führernaturen, der weltgeschichtlichen Individuen. Sie wissen, was die Stunde geschlagen hat. Sie trennen sich von dem ersterbenden Gestrigen, der eben vorübergehenden Weise der Wirklichkeit, und stellen das Morgige hin, welchem der Volksgeist zustrebte. Was sie tun, ist das Rechte.

Denn der Volksgeist steht, an sich der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht, auch wiederum niemals still. Er geht weiter, wirft seine eben noch berufenen Deuter fort, die vielleicht das bereits gottverlassene Recht verteidigen, und läßt sie als leere Hülsen liegen. Er ist nur sich selber treu.

 

 

Leidtragend ist dabei besonders wieder das Individuum. Ihm geschieht unrecht, aber das geht die Weltgeschichte nichts an, der ja alles einzelne nur zum Mittel dient. Jenen namenlosen Jammer kann man zum furchtbarsten Gemälde zusammenfassen und zur ratlosesten tiefsten Trauer steigern. Das um so mehr, als die Individuen das unendliche Recht auf Befriedigung haben - auf Glück allerdings nicht. Denn sie sollen mitarbeiten, und zwar vermittelst der Leidenschaft, welche an sich tierisch ist, nur das Partikuläre will, aber unbewußt doch als Beweger für das Ganze dient, indem die Besonderheiten sich dadurch abreiben und aufreiben.

Bei den Führergestalten ist schon der bewußtlose Instinkt auf das Allgemeine, die neue Form des ewig Gleichen gerichtet, das sich in ihrem Inneren offenbart hat und sie befriedigt; denn sie handeln nicht für andere. Das Neue und die situationsgerechte Entscheidung dafür erlauben keine Einordnung in vorhandenes Allgemeines, denn aus der Geschichte lernt man nichts.

 

 

Die Menge dagegen braucht nichts, als sich an die Staatsgesetze zu halten, die Sitten, die Verpflichtungen des Standes, besonders in der Familie. Diese sind weitgehend selbstverständlich. Zumal in der Familie wird der Einzelne erst sittliches Subjekt, was er als Person noch nicht ist. Eine Grübelei über besondere Moralität des Einzelmenschen ist nicht nur überflüssig, sondern barer Vorwitz, ja Böswilligkeit: der Versuch, sich der allgemeinen Verpflichtung zu entziehen. (Ernst Jünger wird sagen: Das alles ist verboten, es ist Hochverrat, todeswürdig.) Diese Subjektivität macht den Menschen wesenlos. Sie schwebt wie eine Staubwolke über dem fruchtbaren Acker des Volksgeistes im Leeren.

 

 

Aber das Individuum hat noch einen vorbehaltenen Bereich, worin es nicht unwesentlich, sondern Selbstzweck, ewig und göttlich ist: Sittlichkeit und Religiosität. Das bedeutet aber nicht, daß der Einzelne einen Platz ausgespart erhielte, worin er seinem Belieben nachgeben kann. Der Mensch verdankt sein Wesen nur dem Staate. Nur in Recht und Sittlichkeit und Staat ist Freiheit möglich; nämlich indem sich der Mensch ihnen bewußt und bedingungslos beugt, ist er frei.

Der Staat ist der Selbstzweck, und die Bürger sind seine Werkzeuge. Oder vielmehr ist im staatlichen Verhältnis wie im Organismus nichts nur Zweck, nichts nur Mittel. Der Staat lebt in allen seinen Angelegenheiten, Besonderheiten, Haltungen und Einrichtungen, in seiner Verfassung, Politik und Wissenschaft, Kunst, Religion und Philosophie gleicherweise unverwechselbar sein Wesen aus.

 

 

Die Sittlichkeit des Staates ist nicht die selbständig durchdachte, autonome Moralität, sondern besteht darin, daß jedermann in seiner Pflicht steht, gleichsam aus Instinkt. Die Prinzipien des Staates sind das Allgemeine, Allwirksame und vor allem Berechtigte, weil sie Bestimmung der Natur Gottes selbst sind. Sie gelten an und für sich. Allerdings müssen die Bestimmungen des Staates auf dem «allgemeinen Willen» beruhen. Die Zustimmung der einzelnen Bürger zu diesem ist überflüssig - schon darum, weil das Allgemeine, Vernünftige wissenschaftlich festgestellt werden kann.

Dies alles aber können nur Gebildete begreifen, die als solche allein allseitig sind.

 

 

II.

 

Es wird dem Leser aufgefallen sein, wie zahlreich und stark die Widersprüche in diesem Gedankengang sind. Trotzdem ist es wohl nicht überflüssig, wenn einige der ausdrücklichsten nochmals kurz zusammengefaßt werden.

 

 

Das Vollkommene ist jeden Augenblick da. Das Vollkommene ist erst am Ende, während die Natur nur ein langweiliger Kreislauf ist. - Die Vernunft ist das Seiende. Die Vernunft bewegt sich und bringt, ihre vorherige Gestalt hinter sich werfend, unaufhörliche Veränderung hervor. - Sie ist das schlechthin Allgemeine, zerstört alles Konkrete. Sie ist selber durch und durch konkret. - Sie kann nur durch den Gedanken erfaßt werden. Der Gedanke ist nicht diskursiv, sondern sieht vom Unterschiede ab. Denn alles Besondere ist unwesentlich, Zufall. Der Verstand setzt das Wesentliche, Wirkliche fest. Die gewöhnliche Wirklichkeit ist nicht das Wirkliche. - An der Verwirklichung liegt alles. Was nur hätte sein können, ist nichts. Die durchgesetzte, verwirklichte Einheit ist langweilig. Nur der gespannte Gegensatz bietet Interesse. So ist der Geist doch diskursiv. Zugleich ist er unmittelbar erschaute Voraussetzung von allem.

 

Der Geist kann nur den Geist zum Gegenstand haben, ist daher immer bei sich selbst. Je treuer sich der Geist an die einzelnen Gegenstände der Erkenntnis hält, desto wahrer ist er. Der Geist soll die Welt sich gemäß machen. Es kann dem Geist dabei alles mißlingen, dann muß er sich rein in seiner Tätigkeit als solcher befriedigen. - Wahrheit und Wesentlichkeit sind einfach mit der richtigen und vernünftigen Verstandeseinstellung gegeben. Diese Richtigkeit des Verstandes ist, das Wesentliche und Vernünftige herauszuerkennen. Der Mensch erkennt auch das Wesen Gottes und die Pläne der Vorsehung bis auf den Grund. Demut wird dies genannt.

 

 

Hierzu bemerken wir in Parenthese folgendes: Vorsehung hätte doch nur einen mit der Freiheit vereinbaren Sinn als dynamisch-aktuelle, das heißt als solche, die nicht einfach aus festliegenden Prinzipien folgt, sondern eine tätige Könnerschaft, ja Künstlerschaft Gottes voraussetzt - eine auch augenblicksbestimmte Fügung, in welche die jeweilige Kenntnisnahme von der Reaktion des Menschen mit eintreten muß. Wozu sonst noch ein Gott? Aber allerdings müßte er dafür mindestens auch überweltlich sein. Und jedenfalls könnte eine solche Vorsehung nicht bis auf den Grund erkannt werden.

 

 

Das Negative ist untergeordnet vor der bestimmt ergriffenen Vernunft. Der Weltlauf ist absolut vernünftig. Er ist schlechthin entsetzlich. Das Individuum ist der Weltgeschichte und ihrer Moral gegenüber belanglos. Das Individuum als sittlich-religiöses Subjekt wird absolut gesetzt. - Das Besondere ist im Volksgeist in die höchste Gültigkeit eingegangen. Der Volksgeist, ist allgegenwärtig und allgenugsam. Dem Individuum bleibt, dies bewußt mitzuvollziehen. Die Großen sind davon ausgenommen, denn ihnen wendet der Volksgeist ein absolut revolutionäres Gesicht zu. Wie sie den bestehenden Zustand, der früher auch vom Volksgeist getragen war, verlassen haben, so verlässt sie der Volksgeist auch, wenn ihnen der Atem zu immer neuer Revolution ausgeht. Sie tun instinktiv das Rechte und Richtige. Plötzlich geraten sie auf die Seite des Unrechts und werden beiseite geworfen.

 

 

Wer kann und muß sich diese Rolle des Führers beilegen? Es gibt nur das nachtwandlerische, rein gegenwärtige Berufungsgefühl. Alle großen Situationen sind einzigartig. Eine faule Erinnerung hat keine Gewalt im Sturm der Gegenwart, keine Kraft gegen die Lebendigkeit und Freiheit der Gegenwart. Man lernt nichts aus der Geschichte. - Die Philosophie hat es überhaupt nicht mit Sollen zu tun, sondern mit der Wirklichkeit. Die wahrhafte Idee ist nur als Sollen gegenwärtig. Den Nichtberufenen ist jedes freiere Nachdenken über Weltverbesserungen, besonders auch Reformen des Staates, versagt, ja verboten, wenn sie nicht als nichtige Besserwisser in der Luft zerstäuben wollen. Das Recht des Denkens ist zwar göttlich, doch kann es nur bestätigen. Das Denken kommt erst nach dem Leben, dann, wenn das Leben vorbei ist - heißt es in der «Rechtsphilosophie».

 

 

Es erübrigt sich also, mit dem Denken die Wirklichkeit zu ändern. Die Vielen haben an den etablierten Formen der Gemeinschaft genug, um sich zu leiten. Das heißt dann antikisch. Sie sollen ihre Privatinteressen völlig abtun, da Religion und Staat Selbstentäußerung sind. Sie sollen ihre Privatinteressen betreiben, da durch den Kampf derselben das Allgemeine frei wird. Sie sollen sich den revolutionären Durchbrüchen des Volksgeists anschließen.

 

 

Wie gewinnen sie die neue Einsicht dafür, für den Absprung von ihrer vorherigen Einstellung? Müssen sie an die großen Individuen unmittelbar glauben, da sie den Wandel des Volksgeistes nicht unmittelbar wahrnehmen können und beantworten dürfen? - Die Zustimmung der Untertanen zu den Staatseinrichtungen ist belanglos. Sie ist wichtig, denn es sollen im Staat die allgemeinen und die besonderen Interessen zur allgemeinen Befriedigung vereinbart werden. Wie ist der «allgemeine Wille», der Wille zum Allgemeinen aus den individuellen Willenskundgebungen herauszuholen (ein Problem, das schon Rousseau ungelöst ließ, wodurch er der jakobinischen Despotie Tür und Tor öffnete)? Und wie kann dieses Allgemeine, der Volksgeist, der dem Staate mit allen seinen Lebensäußerungen, nämlich der Sitte, der Sittlichkeit, der Kunst, der Wissenschaft, zur Substanz dient, seine Identität in allen diesen Gebieten nachweisen - und wenn ja, diese Gebiete noch auseinanderhalten?

 

 

Auch die Religion sogar reiht sich diesen Gebieten vollständig an, denn sie ist ja auch nur Bewußtsein des Volkes von sich und seiner Artung. Ist dann nicht alle Wahrheit im Spenglerschen Sinne eine Frage der Arttreue, der Gattungsgerechtheit, des Stils und Ausdrucksgesetzes, ja der - Rasse? Transzendenz ist Verstandeseinseitigkeit!

 

 

III.

 

Wozu wir diese Beckmesser-Tafel der Verstöße gegen die Logik für Hegel eröffneten? Die gewöhnliche Logik steht ihm nicht besonders hoch im Kurs. So enthält diese Tafel kein Sündenregister, sondern ein Programm. Für den nachdrücklich und gutwillig sich Versenkenden liegt in ungefähr allen diesen einander ausschließenden Sätzen Hegels ein positiver unentbehrlicher Wahrheitskern. Und er selbst sagte uns ja, daß alle Tatbestände nur durch die Gegensätze darin interessant seien. Dies bedeutet, daß weder das geistschwache oder gewissenlose oder bloß instinktive Nichtbeachten der Gegensätze noch ihr seichtes Bagatellisieren zur Erkenntnis führt, sondern allein das rücksichtslose Aufreißen der Gegensatzstruktur an der Wirklichkeit.

So sicher das richtig ist, so gewiß ist es auch unmöglich, dabei stehenzubleiben. Es zerreißt den Menschen theoretisch wie praktisch.

 

 

Wie verhält sich Hegel demgegenüber? Hier jedenfalls oft so: Er wirft die Einzelpositionen blockhaft und mit einer deutlichen hochmütigen Freude an Schockwirkungen dem Leser hin und geht dann seines Weges fort - derart unbekümmert, daß man oft den Eindruck nicht vermeiden kann, er, habe aus dieser Gemütseinstellung heraus für eine Weile überhaupt den Gegensatzcharakter seiner Behauptungen vergessen.

In der allgemeinen Geschichtsphilosophie ist wenig an Versuchen zu dialektischer Verspinnung der Gegensätze wahrnehmbar - wie weit es anderwärts in seinem Werke geschieht und gelingt, dies zu untersuchen würde weit führen. Wo es hier Ansätze dazu gibt, halten sie sich meist im Rahmen einer grundsätzlich untragischen Gedankenmystik, welche der uferlosen Bewegung, alles in allem zu finden, alles aus allem herauszuholen, alles zu allem zu machen, und wieder zurück, allzu vertrauensvoll die Zügel überwirft.

Das führt zu der von Hegel selbst gerügten Nacht, in der alle Kühe schwarz sind. Tagsüber aber stehen ihre Komplementärfarben zu unserer Ratlosigkeit einfach nebeneinander.

 

 

Von hier aus gesehen ist Hegels Gedankengebäude kein System, sondern ein riesiger Steinbruch von unbehauenen widerspenstigen Baustoffen für ein System, wie er vorher nicht aufgegraben worden ist. Wollte man diese Stoffe abbauen und den Bau errichten, so müßte man sich zunächst über die ungeheuerliche, selber dialektische Fragwürdigkeit von «System» und «Dialektik» klarwerden und dafür mindestens eine fortschreitende Lösung finden.

Die ganze Aufgabe ist, dünkt uns, noch nicht richtig in Angriff genommen worden - bei aller Schätzbarkeit vieler seitheriger Leistungen. Und so ist Hegels Gedankenwerk nicht, wie er glaubte, das endgültige Ende der Philosophie in ihrer nun ermöglichten Vollendung, sondern könnte allererst ihr ernsthafter Anfang sein, dadurch, daß sie zur Idee ihres eigentlichsten Sinnes durchgedrungen wäre.

 

 

Eine Vorbedingung dazu würde die Gewinnung einer unerschöpflichen Energiequelle für den dialektischen Forttrieb und für die jeweiligen Lösungen bilden. Das könnte nur die Spannung zu einem nahezu gleichberechtigten positiven Widerpart des «Gedankens» sein, der niemals endgültig und ganz von diesem aus zu unterjochen, zu entwurzeln, einzuordnen und zu erledigen wäre (wie das bei Hegel immer wieder beansprucht wird) - und sich ihm niemals endgültig und ganz versagte.

 

 

Man könnte diesen Faktor im Gegensatz zu allem Allgemeinen, Ewigen als das durchaus Gegenwärtige und darin Unerweichliche, das Augenblickshafte, Einmalige (für den inspirierten «Führer» allerdings ist dies gelegentlich da) bezeichnen - oder als Existenz, Leben, am einfachsten als Natur. Die Natur ist für Hegel doch im wesentlichen etwas Dumpfes, Chaotisches, Abzuschüttelndes. Sie ist in der Geschichtsphilosophie zugleich Stand der Unschuld und Stand absoluten Unrechts. Beides solle nicht sein. Der Geist ist und hat demgegenüber schlechthin alles.

 

 

In Wirklichkeit aber ist Natur dem Menschen das absolut Positive, welches alle Inhalte liefert, und zugleich das absolut Negative, das ihn gerade dadurch unfrei macht - und so Transzendenz unentbehrlich macht.

Hier beginnen ungeheure dialektische Probleme. Schillers Denken war am weitesten in diese hinein vorgestoßen. Es sagt wohl auch einiges dafür, daß sein Leben schwer und sehnsüchtig und stolz war.

Auch Hegel war in seiner Jugend, obschon auf andere Weise, ein herrlich stolzer Mensch. Da gibt es Positionen in seiner Philosophie von erbarmungsloser Härte. Sie sehen dem Tod ins Auge, ehe daß sie weichen. Das Kräftespiel, das daraus aufbricht, ist wie ein Malstrom von durcheinanderschießenden Beziehungen. Das klärende Verhältnis dazwischen wird nicht ganz erschwungen.

Nachher beruhigt sich alles. Die Positionen fügen sich sprungbereit der Bewegung, fast ehe sie dafür angefordert werden. Was dann stehen bleibt, tut es manchmal wie aus Eigensinn.

 

 

Doch alles, was wir vom Geschlecht der Nachgeborenen (fast in jeder Beziehung Nachgeborenen) an Hegel beanstanden könnten, kommt daraus, daß wir ihn an der übermenschlichen Größe seines Entwurfes messen. Und niemand, der noch mit dem höchsten Anspruch, welchen die Sache aufnötigt, philosophieren will, wird mehr hinter diesen Entwurf zurück können.

 


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