Home Zu einer Aphorismensammlung von Erich Brock

 

Von Robert Mächler

 

Erschienen in der „Neuen Zürcher Zeitung“ am 23.9.1970

 

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung

 

 

 

Der Denker Erich Brock ist nicht nur Aphoristiker, doch offenbar dem Bau kunstreicher Sätze mehr hingegeben als dem von Systemen. Ein Satz in- seinem neuen Aphorismenbändchen «Sätze und Gegensätze» beginnt mit den Worten «Man denkt manchmal» - was folgt, ist aber nichts, das «man» denkt, es ist als Idee, Gleichnis und Sprachgestalt das Eigentum Erich Brocks*:

 

Erich Brock: Sätze und Gegensätze. Werner Classen-Verlag, Zürich 1970.

 

«Man denkt manchmal, der Tod müßte sein, wie wenn eine Biene, ihr einzig sinnvolles Lebensfeld immer vor Augen und immer von ihm geschieden, an einer Glaswand unablässig hinauf- und hinunterarbeitet - dann aber durch das plötzlich geöffnete Fenster gewaltsam und wider ihr Sträuben hinausgetrieben wird. Zuerst begreift sie gar nicht, daß sie draußen ist, und der ewige Druck, mit dem sie durch das Hemmnis hindurchzubrechen hoffte, ohne je ihn in wirkende Kraft umzusetzen, läßt sie nun wie trunken und toll in die eröffnete Weite hinschießen.»

 

Auf dies und ähnliches hin möchte man rühmen, wie Hans Urs von Balthasar von der Theologie Karl Barths gerühmt hat: die Philosophie Erich Brocks sei schön. Beachten wir jedoch das zweite Hauptwort des Buchtitels und nehmen es in möglichst weitem Sinn, so finden wir zu den angeführten schönen, zuinnerst freudigen Sätzen den bildlosen, bitteren Gegen-Satz:

«Eigentlich müßte nach dem Tode eine Stunde frei sein für den Genuß, alles Nein ehrlich und frank herauszusagen, zu dem man sich im Leben nur zu schwach, zu verletzlich und zu feige fühlte. »

 

Brock sagt schon hienieden einiges Nein heraus, wenn auch stets unter Aufsicht seiner Maxime, womöglich niemanden zu demütigen. Und wer, der überhaupt Brocksche Aphorismen zu lesen unternimmt, wollte sich persönlich betroffen und gedemütigt fühlen durch des Verfassers Blick auf alte Männer, die ihre Zeitung lesen:

«Jede Faser an ihnen sagt, daß sie jetzt die von Gott ihnen geschuldete Sensation genießen, für welche er das gesamte Weltgeschehen angezettelt, hat, und daß füglich niemand sich unterfangen möge, sie zu stören.»

Derartige Wahrnehmungen - neben den satirischen, verneinenden auch positiv wertende - erinnern fast auf jeder Seite an den Titel des früheren Aphorismenbändchens von Erich Brock: «Blick in den Menschen».

 

Das meiste in der vorliegenden Sammlung lässt sich auf jene Grundlinien der Ethik zurückführen, die der Verfasser in seinem vor zwölf Jahren erschienenen Hauptwerk, «Befreiung und Erfüllung», dargelegt hat. Der dort maßgebende Begriff der zu rechter Sittlichkeit notwendigen Kraft, der Kraft zum gültigen Selbstsein, kehrt leitmotivartig in den Aphorismen wieder.

Von der schlechthin allgemeinen Nächstenliebe heißt es in solchem Zusammenhang, sie sei «praktisch nur möglich als die Mattheit derer, die sich nie ganz versagen, nie ganz geben können».

Anderseits wird das christliche Moralverständnis aufgewertet durch die Forderung: «Genau und gerade das, was Schwäche war, muß Kraft werden, was Qual, Freude, was Fesselung, Freiheit - und nicht etwas seitlich daran vorbei sich Herstellendes.»

Bei so entschiedener Dialektik versteht man, daß Brock an eine einheitliche und allverbindliche Vernunft nicht glauben mag. Indessen ist er Psychohygieniker genug, um weder in Luthers noch in Nietzsches Stil ein Vernunftfeind zu sein.

 

Das vom Buchtitel gemeinte Widerspiel entfaltet sich besonders eindrucksvoll in den Aphorismen religionskritischen und religiösen Inhalts. Da lesen wir etwa:

«Es gibt keinen geistigen Gegenstand, mit dem die systematisierte oder gar gewerbsmäßige Befassung einen solchen Ozean lästigen, widrigen, verwüstenden, ja lästerlichen Geschwätzes in Bewegung gesetzt hat wie die Religion - sowohl innerhalb wie außerhalb des Christentums.»

Anderseits redet Erich Brock gläubiger (und darum vielleicht freier), als man es von freien Geistern sonst gewohnt ist:

«Kein noch so scharfsinniger, unwiderleglicher Beweis gegen das Dasein Gottes hält letztlich Stich gegen das elementare Bedürfnis auf dem Grunde der Menschenseele nach dem Ewigen, Unendlichen, gegen das alles andere Bedürfen nur bedingt ist.»

 

Allein der Grund der Menschenseele und der in die Welt verstrickte Mensch sind zweierlei, woraus sich ein weiterer Gegen-Satz ergibt:

«Wie viele Menschen könnten vor Untergang in Verzweiflung oder in Verkommenheit gerettet werden, wenn ihnen nur der Blitz eines Wissens um das Ewige, der im Herzen aufleuchtet, gegönnt würde »

 

So im Befund die Forderung andeutend oder umgekehrt, leben die Aphorismen Erich Brocks aus der Spannung zwischen illusionsfreier Welt- und Menschenkenntnis und metaphysisch verankertem Ethos.

 

 


Return to Top

Home

E-Mail



Logo Dr. phil. Roland Müller, Switzerland / Copyright © by Mueller Science 2001-2016 / All rights reserved

Webmaster by best4web.ch