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Zu einem Buch von Erich Brock

 

Von Max Schoch

 

Erschienen in der „Neuen Zürcher Zeitung“ am 4.7.1972, S.23

 

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung

 

 

 

Erich Brock hat als Philosoph seine Aufmerksamkeit dem Christentum zugewendet. Sein Werk über «Die Grundlagen des Christentums» ist eine Auseinandersetzung mit dem grundlegenden Dokument des christlichen Glaubens, mit der Bibel*. Was sagt sie von Gott? Was berichtet sie von Jesus Christus? Das sind die zentralen Fragen, die er zu beantworten sucht.

 

* Erich Brock: Die Grundlagen des Christentums. Francke-Verlag, Bern.

 

Brock gibt keine Theologie des Alten oder des Neuen Testamentes. Er schreibt nicht als Lehrer der Kirche, der die Bibel als Zeugnis einer Offenbarung liest und deutet. Er hat auch keine Geschichte der Bibel als Literaturwerk verfaßt. Er hat sich den Zugang zur Bibel durch einige grundsätzliche Werke anerkannter älterer Forscher erleichtert. Auf die neusten Untersuchungen über die Quellen der Bibel und auch auf die neue exegetische und systematische theologische Literatur greift er fast nie zurück. Er hat das Recht dazu, weil er die Grundlage des Christentums in. der Bibel sehen darf, die als geschlossenes Buch mit ihren Geschichten, Liedern und Einzelworten die Christenheit über Gott und Jesus Christus unterrichtet hat.

 

 

Der erste Hauptteil erhebt aus dem Alten Testament das Gottesbild. Brock bezeichnet es als scotistisch. Damit meint er die fundamentale Freiheit des alttestamentlichen Gottes. Der Mensch gründet sein Gottvertrauen nicht auf ein ideales Wesen Gottes, das sich mit Wert- oder Seinsbegriffen definieren läßt, sei es das Gute, die Wahrheit oder die Liebe. Gottes Handeln ist nicht durch sein Wesen bestimmbar. Der alttestamentliche Mensch rechnet mit einer freien und freiwilligen Zuneigung. «Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig.» Das muß dem Menschen genügen. Daher hat das Gottesverhältnis den Charakter einer Erwählung und eines Bundes. Gott und Mensch sind Kontrahenten.

 

 

Gott legt sich fest durch Verheißungen. Ihnen entsprechen Bedingungen. Im Prinzip gehört zu Gott eine absolute Souveränität. Ihre Darstellung bildet in Brocks Werk ein eindrückliches und in seiner Art bedeutsames Kapitel. Besondere Aufmerksamkeit wendet der Philosoph dem Buch Hiob zu, denn darin verlangt der Fromme nach einer Vernünftigkeit des göttlichen Handelns. Es soll dem menschlichen Anspruch nach Würde entsprechen. Die Willkür Gottes wird angegriffen. Der Mensch kann das Gewissen nicht der göttlichen Willkür preisgeben.

 

Der größere Teil des Buches ist Jesus gewidmet. Der Leser stößt auf beträchtliche Schwierigkeiten, weil er, gleichgültig ob als Theologe auf quellenkritische, form- und redaktionsgeschichtliche Überlegungen gefaßt oder als Gemeindeglied an einen erbaulichen Umgang mit dem Neuen Testament gewöhnt, bei Brock ganz unerwartete Ansichten vorfindet. In der exegetischen Literatur der Theologen spielt es eine Rolle, ob ein Bericht oder ein Wort der urchristlichen Gemeinde oder Jesus selbst zuzurechnen sei. Die Untersuchungen, die Bultmann oder Herbert Braun angestellt haben, um ein Bild des historischen Jesus zu zeichnen, suchen immer wieder jene Frage zu beantworten, was auf Jesus selbst und was auf ihm zugeschobene, tatsächlich aber spätere Eintragungen zurückgehe.

Alle diese Bemühungen schiebt Brock beiseite. Dennoch wendet er sich nicht etwa dem Jesusbild zu, wie es von der Kirche gesehen wurde; dieses Bild ist zu sehr, wie er meint, vom Johannes-Evangelium geprägt. Er liest die drei älteren Evangelien mit der Frage nach der Religion Jesu: Was darf der Mensch von Gott erwarten? Was ergibt sich daraus für das Menschsein?

 

 

Dabei unterstellt er Jesus sehr viel Gegensätzliches. «Es schwingt immer viel unausgesprochenes Gegenläufiges in den Worten Jesu mit.». Jesus ist daher keineswegs einfach. Sein Bild ist schwierig zu fassen; und zwar kommt diese Schwierigkeit nicht von der Quellenlage her. Nicht die Überlieferung verwirrt das Bild, sondern das schwer zu Fassende liegt an ihm selbst. Was damit gemeint ist, sei an einem einzelnen Beispiel aus Erich Brocks Darstellung illustriert.

 

 

Er schildert zunächst das Heilen und die ihm entsprechende Forderung, das Glauben. Er macht anschaulich, wie anders, in einem gewissen Sinn primitiver und naiver das Glauben bei Jesus da ist als etwa im intellektuellen oder erbaulichen Glaubensbegriff der späteren Kirche. Der Glaube hat, wo er gewaltig auftritt, etwas Kühnes und Gewagtes an sich. Er will Gott und die Wirklichkeit zwingen. Gott selbst ist nicht einfach der Zuverlässige. Zwar erscheint er manchmal so, beispielsweise wenn Jesus das Sorgen verbietet und die Menschen einlädt, es mit den Vögeln zu halten, die nicht säen oder ernten und doch ernährt werden. Aber unter dem Bilde des ungerechten Richters, den man unablässig bedrängen muß, erscheint Gott ganz anders. Gott ist kein richtiger Freund.

 

 

Brock meint, daß Jesus darum das Glauben in radikalster Weise als ein Wagen verstanden habe. Man muß sich getrauen, Gott zu vertrauen. Da ist keine Sicherheit. Darum habe der Mensch, der gewagt und verloren hat, Jesus näher gestanden als der Vorsichtige, der mit Absicherungen vorbaut.

Brock erinnert an die Gleichnisse, an denen sich Moralisten immer gestoßen haben, weil darin nicht Treu und Redlichkeit als Vorbild der Glaubenden beschworen werden, sondern geradezu ein unredlicher Diener gelobt wird oder zum Beispiel ein Wucherer, der das anvertraute Gut verzehnfacht, groß dasteht, ja sogar ein Prasser, der in die Welt zog, dem Vater lieber ist als ein Rechtschaffener, der zu Hause blieb, und eine verschwenderisch liebende Verehrerin vor dem sozialen Eifern seiner Jünger in Schutz genommen wird. Brock erinnert an ein Gleichnis, das nicht in der Bibel steht, von dem aber Euseb berichtet: «Ein Herr hatte drei Knechte, einen, der das Vermögen seines Herrn mit Huren und Flötenbläserinnen durchbrachte, einen, der den Gewinn vervielfältigte, und einen, der das Pfund verbarg. Darauf sei der eine mit Freuden aufgenommen, der andere nur getadelt, der dritte ins Gefängnis gesperrt worden.»

 

 

Man muß es an Brocks Darstellung zwar rügen, daß er diese wie andere Stellen meistens nicht wörtlich anführt und Herkunft und Wortlaut nicht genauer erwägt, sondern sich mit kurzen Hinweisen begnügt. Auf diese Weise kann sich ein Schriftsteller doch leicht an einen Gedanken verlieren, der ihn fasziniert.

 

 

Auf viele andere Merkwürdigkeiten macht er aufmerksam, so auf die schlechte Position, die den treuen Arbeitern eingeräumt wird, die nur den gleichen und damit eigentlich den geringeren Lohn erhalten als die letzten, spät berufenen. Die Ersten werden die Letzten sein. Das verlorene Schaf genießt die leidenschaftliche Liebe des Hirten. Die arbeitsame Martha wird der lauschenden Maria hintangestellt, möchte man den Beispielen hinzufügen, die der Verfasser anführt.

Brock meint, der gegenüber Gott Bescheidene sei Jesus unsympathisch. Er neige zu einem anderen Temperament, das stürmisch fordert, das nicht warten mag, sondern bald, ja heute das Reich Gottes will. Jesus selbst provoziert die Entscheidung, indem er nach Jerusalem eilt, die Händler aus dem Tempel jagt, die Pharisäer beschimpft. Er will die Vorgänge beschleunigen. Jesus ist ein Temperaments- und Stimmungsmensch.

 

 

Daneben weiß Erich Brock freilich auch viel Vertrautes von Jesus zu berichten. Es ist aber bezeichnend, wie unsystematisch Jesus alles sagt. Den Mißdeutungen und Fehleinschätzungen ist daher, wie der Darsteller meint, Tür und Tor geöffnet, so daß Jesus mitverantwortlich zu machen ist für das, was in späterer Zeit in der Kirche getan oder versäumt worden ist.

Im Unterschied zu anderen Darstellungen der Lehre Jesu, die Hauptzüge und eindeutige Stellungnahmen als ein zusammengehöriges Ganzes begreiflich zu machen suchen, will Brock die Vielfalt der Farben zeigen. Wie im Kaleidoskop die bunten Scheiben willkürlich durcheinanderfallen und doch im Prisma betrachtet ein Ganzes bilden, so stellt sich Jesus dem Betrachter dar: verwirrend und vielgestaltig im Einzelnen, nur ein Ganzes durch das einzigartige, dynamische Glaubenstemperament.

 

 

Das Buch zeichnet ein Bild von Jesus, das interessant ist, das ihn aber nicht als verehrungswürdig zeigt. Anziehendes und Abstoßendes, Gültiges und Fragwürdiges gehen durcheinander. Absolute Gültigkeit kommt weder seinem Charakter noch seiner Lehre zu. Es mischen sich Milde und Güte mit Erbitterung und Haß. Er lädt ein, und er droht. Er ist, nach Erich Brocks Urteil, ein einseitiger Gewaltgeist, der die gesamte Welt aufspaltet in Ja und Nein, absolut Wertvolles und absolut Wertwidriges, in Gut und Böse.

 

 

Die Darstellung der Grundlagen des Christentums wird mit einer kurzen Skizzierung des Apostels Paulus abgeschlossen, dessen Lehre der Verfasser noch größere Gewaltsamkeit vorwirft. Seine Bekehrung ist ein plötzlicher Bruch mit seiner Vergangenheit. Seine Missionstätigkeit steht auf dem Vorurteil, daß er allein stets recht hat. «Den andern bleibt nur eine Rolle: zu gehorchen, mit Furcht und Zittern.» Paulus steigert den scotistischen Gottesbegriff; der Glaube ist dementsprechend vorwiegend Gehorsam. Gehorsam  ist die eigentliche religiöse Tugend. Er entbrennt feindselig gegen Weisheit, Klugheit, Verstand und Vernunft.

Wenn er demgegenüber die kindliche Einfalt preist, hat er aber Mühe, sich selbst als Beispiel dafür hinzustellen. Das naturhaft Gelöste, das Kindliche ist seiner Art fremd. Der Liebe und Güte ist er nur da fähig, wo man sich ihm bedingungslos fügt.

Erich Brock meint, daß der gesetzliche, auf Ordnung bedachte Tenor der Pastoralbriefe so genau dem Charakter des Apostels entspreche, daß kein Grund dafür vorliege, ihn nicht als deren Verfasser zu sehen. Die Autoritäten, die er ausgeräumt hat, jüdisches Gesetz, Weisheit und Vernunft der Natur, muß er ersetzen durch die Maßgeblichkeit seiner eigenen apostolischen Führung. Alles sieht er auf der Grundlage von Herrschen und Dienen. Entsprechend verherrlicht er die Staatsmacht. Dem entspricht auch das Bild der Ehe als Herrschaftsverhältnis.

 

 

Das Buch von Erich Brock ist trotz den negativen Aussagen, die es sowohl über das Alte wie das Neue Testament enthält und die wir im Unterschied zu den positiven Feststellungen mehr herausgestellt haben, nicht als eine «Abrechnung» mit den Grundlagen des Christentums gemeint. Sein Verfasser weiß sich und sein Philosophieren im Zusammenhang einer Kultur, für die das Christentum den mächtigsten Beitrag geleistet hat. Aber er möchte einen freien Umgang mit jenen maßgeblichen Menschen, die er in den biblischen Schriften findet, als wichtig einschätzen.

Ob Erich Brock Wesentliches für ein Verständnis Jesu leistet, das müßte in einer ausführlichen Untersuchung seiner Belege abgeklärt werden. Sein Hinweis auf den Glaubensbegriff und seine Darstellung des drängenden Temperaments regen zu einer lebendigen Erfassung der Persönlichkeit Christi an. Was Brock darüber sagt, wie Jesus die Wagemutigen, Kühnen, ihr Leben verschwendenden Menschen den abgesicherten moralischen und religiösen Existenzen gegenüber vorzieht, das füllt den heute zur abgegriffenen Münze gewordenen Begriff des Glaubenswagnisses mit einem unerwarteten vitalen Inhalt.

Aber die kurzen Ausführungen über den Apostel Paulus bewegen sich zu sehr in einem psychologischen Rahmen. Die berühmten Gegensätze von Weisheit und Torheit, Fleisch und Geist sind wie sein ganzes Wirken einer subtileren Würdigung bedürftig, als sie Erich Brock bietet. Die Paulus-Feindschaft ist ja auch nichts Originelles.

Echte Originalität muß aber, so scheint mir, der Darstellung Jesu zugebilligt werden. Hier lohnt es sich, den keineswegs leichtfertigen Beobachtungen im besonderen nachzusinnen. An keiner andern Beschreibung Jesu habe ich so deutlich erlebt, wie neben dem Anziehenden auch etwas Stoßendes und Bedenkliches an ihm ist, so daß die Todfeindschaft seiner Zeitgenossen verständlich wird. Erich Brock hat Eindrückliches herausgearbeitet.

 

 


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