Home Erich Brock

 

Zum Tod des Zürcher Philosophen

 

Von Robert Schneebeli

 

Erschienen in der „Neuen Zürcher Zeitung“ am 31.1./1.2.1976

 

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung

 

 

 

Noch letzte Woche schrieb und lehrte der Sechsundachtzigjährige. Am Samstag packte ihn eine Erkältung. Mittwoch, den 28. Januar, ist Erich Brock gestorben.

 

Der Mann mit dem zerfurchten Gesicht sass während der ersten Kriegsjahre unter jungen Studenten in Seminarien der Philosophischen Fakultät. Er sprach langsam, leise, oft in langen Sätzen, aber behutsam und bestimmt. Er machte mit seiner Kenntnis und Erfahrung die Jüngeren verlegen, weshalb ihn einer einen seltsamen Heiligen nannte.

1943 promovierte Erich Brock mit einer Arbeit über das Weltbild Ernst Jüngers. Acht Jahre später erhielt er die «venia legendi» für Geschichte der Philosophie. Neben seinen Vorlesungen und Übungen an der Universität unterrichtete Erich Brock Philosophie an der Töchterschule und an der Volkshochschule und veröffentlichte zahlreiche Aufsätze und Berichte in Zürcher Tageszeitungen und in Zeitschriften.

Er schrieb unter dem Titel «Götter und Titanen» zwei Dramen aus griechischen Bereichen (1954) und, einen Roman «Paul, ein Märchen» (1926-1928), den er aber erst 1973 veröffentlichte.

 

Formerkenntnis

 

Im Zentrum von Brocks Interesse standen Ethik und Ästhetik. Er war ein unablässiger und unbestechlicher Prüfer von Gestalt, Erscheinung und Handeln. Form geben, Form finden, Form erkennen und denken, das war für ihn menschliche Möglichkeit und Mission. Daher rührte seine unablässige Beschäftigung mit den Erscheinungen der Natur und der Kunst. Er ging an nichts achtlos vorüber, und er wich keiner Frage aus. Er konnte verachten, aus tiefstem Innern heraus, aber zu missachten erlaubte er sich nicht. Mit allen Belangen der Philosophie befasste er sich; seine Belesenheit war immens, und sein Gedächtnis wie seine Kraft zur Formulierung blieben ihm bis zuletzt erhalten

Er wusste, dass der menschliche Geist nach dem Eindringen in die Metaphysik drängte, aber er wandte sich der Natur zu, er stand stets in ihr und zu ihr, er bekannte sich zur Physis, zur Naturhaftigkeit der Welt und des Menschen. Alles Verblasene, alles Unsolide verwarf er, um das Feste, Gegenständliche und Widerspenstige um so härter auf sich zurücken zu lassen und anzupacken.

 

Er suchte nicht aufzulösen, auch nicht zu konstruieren, sondern standzuhalten, hindurchzukommen, aus der Wirrnis Klarheit zu gewinnen, wohl wissend, dass diese nicht endgültig sein werde; sich aus der Verschüttung zu befreien, aus der Erstarrung zu lösen, wieder und. wieder.

«Befreiung und Erfüllung» ist der Titel seiner Grundlinien der Ethik. «Stichhalten», liest man hier, «das heisst Wirklichkeit durch Wirklichkeit beantworten.» Selbst Wirklichkeit zu sein, in Antwort auf die erfahrene Wirklichkeit, darum ging es ihm. Das kann nicht erkünstelt noch erschlichen werden. Brock verschmähte alle Versuche, mit einer geschickten Wendung sich aus der Schlinge zu ziehen. Er wollte den Knoten lösen. «Es ist besser, den Lebensrhythmus womöglich schlicht zwischen Freude und Trauer zu spannen und nicht als Gottes Gnade und Zorn, Erlösung und Verdammnis metaphysisch zu instrumentieren.»

 

Haltung

 

Er machte sich mit nichts gemein, auch nicht mit der Natur, auch nicht mit Gott. Seine Frömmigkeit, so darf man das nennen, ist nicht eine einfache Hingabe, sondern eine gerade Haltung vor dem Anruf Gottes. «Nur eines ist schrecklicher, als in Gottes Hand zu sein: es nicht zu sein», sagt er in einem Aphorismus. In dem Werk «Die Grundlagen des Christentums» stellt sich Brock den biblischen Texten mit gleichsam unbewaffneten Händen. Er nimmt in der Auseinandersetzung keine Theologie zu Hilfe. Das hat ihm geholfen und geschadet zugleich.

 

Das Leiden war ihm stets gegenwärtig. Er hat es nie mit falscher Freudigkeit erhoben oder gepriesen. Er ist ihm nicht furchtlos gegenübergestanden, aber er wich ihm auch nicht aus. Die einzige Antwort, die der Mensch darauf wie auf alle Not hat, ist die Kraft. Genug Kraft zu finden, in sich, eben der eigenen Wirklichkeit, konnte sein fast ängstliches Anliegen werden, das zuweilen in Ausbrüchen gegen Schwäche sich lauter machte als nötig und angemessen. Er wusste das. Es war wie eine Immunisierung seiner selbst, wenn er über Schwäche schmähte.

 

Brocks Philosophieren zeichnet sich aus durch sorgfältige Wahrnehmung und Registrierung der Voraussetzungen und der Absichten, durch beharrliche Wägung von Werten und Argumenten, immer auch der eigenen. Er pflegte den Aphorismus, die kurze Fassung eines Gedankens, der eine Vielfalt von Bezügen erkennen lässt, ohne sie auszusprechen. Er liebte es, solche Gedanken anderer aufzunehmen und dann den Bezügen nachzuspüren. Den grossen französischen Moralisten war er stets nahe.

In seinen Vorträgen sprach er. sehr ruhig und ebenso geordnet, wie er schrieb, und er konnte ein diskursiv werdendes Gespräch jederzeit auf seinen Gegenstand zurückholen. Wenn der Mensch sich im Handeln nicht verirren soll, so darf er sich im Denken nicht verlieren. Dieser Verlust droht, das sah Brock, in der Einbahnigkeit wie in der Skepsis. Beides ist Gleichgültigkeit vor den Gegensätzen. Dass diese in sich zusammenfallen können, wusste er wohl. Was er lehrte und lebte, war, sie auszudenken und auszuhalten.

 


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