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                    Von Herbert Fuchs

 

In: Erwin Grochla (Hrsg.): Handwörterbuch der Organisation. 1969, Sp. 1618-1630;

stark verändert auch in

Handwörterbuch der Organisation, 4. Aufl. 1976, Bd. 3, Sp. 3820-3832.

 

[s. a.: Integration; Kybernetik; Organisationskybernetik; Organisationsspielraum; Organisationstheorie; Organismus; Regelungstechnik; Soziale Systeme; Systemanalyse; Technik und Organisation.]

 

I. Aufgaben und Ziele; II. Begriffliche Grundlagen; III. Klassifikation und Typisierung von Systemen; IV. Systemzustände und -verhaltensweisen.

 

I. Aufgaben und Ziele

 

Die Systemtheorie geht von der Annahme aus, dass unterschiedliche Phänomensysteme formal gesehen vielfach isomorphe oder homomorphe Strukturen aufweisen, für welche allgemeine homologe Systemgesetze gelten (v. Bertalanffy).

Entsprechend sieht sie ihre Aufgabe darin, formale Übereinstimmungen von Strukturen und Verhaltensweisen von Systemen zu beschreiben, zu untersuchen und modellmässig darzustellen. Dabei sollen als verbindlich anerkannte Systemgesetze durch allgemeine mathematische Modelle abgebildet werden.

 

Bei mathematischen Ansätzen im Rahmen der Systemtheorie werden vorwiegend dynamische Modelle betrachtet, die nach dem analogen Prinzip konzipiert sind (Ashby, v. Bertalanffy, Hall-Fagen) und in Form von gewöhnlichen Differentialgleichungen und Differentialgleichungssystemen vorliegen.

 

Mit der Forderung der Systemtheorie nach Allgemeingültigkeit ist - ähnlich wie bei der Kybernetik - eine auf interdisziplinäre Integration gerichtete Konzeption verbunden, durch die die fortschreitende Trennung und Spezialisierung der einzelnen Disziplinen überwunden werden soll (Ackoff, Boulding, Kosiol-Szyperski-Chmielewicz). Die Entwicklung eines allgemeingültigen, also für alle Wissensbereiche verbindlichen Begriffsgebäudes zur Beschreibung der Eigenschaften und Verhaltensweisen realer Systeme ist in diesem Zusammenhang angebracht.

 

Das Konzept der Systemtheorie ist eng mit der Ganzheitsidee verbunden, deren Ursprung sich bis in die Antike zurückverfolgen lässt. Die Idee des "holon", des Ganzen, bestimmte in der Philosophie Platons und Aristoteles deren metaphysisches Denken und wurde schon damals mit der mechanistischen Anschauung des Demokrit konfrontiert.

Im Laufe der Zeit verlor das ganzheitliche Denken an Bedeutung, und erst am Ende des 19. Jahrhunderts, nach der zeitweilig absoluten Vorherrschaft des Mechanismus, lässt sich wieder ein Übergang vom mechanistischen zum holistischen Denken feststellen.

 

Der entscheidende Anstoss zur erneuten ganzheitlich orientierten Betrachtungsweise ging von der Psychologie und von der Biologie aus. Bedeutsam an dieser Neuorientierung der wissenschaftlichen Denkweise ist, dass die Ganzheitsidee in vielen Bereichen der Wissenschaft in zunehmendem Masse Beachtung findet (Dilthey, Driesch, v. Ehrenfels, v. Hartmann, Krueger, Spann, v. Uexküll). Die hierdurch induzierte Entwicklung hat sich besonders in der Ganzheitspsychologie, der Gestaltpsychologie und im Neovitalismus niedergeschlagen.

 

Aus der ganzheitlichen Betrachtungsweise und aus der hierdurch beeinflussten organismischen Auffassung der Biologie sind Entstehung, Inhalt und Anliegen der Systemtheorie zu verstehen.

Die organismische Auffassung in der Biologie stellt die Reaktion auf die mechanistische und vitalistische Erklärung der Erscheinungsformen und Vorgänge im Organischen dar. Sie geht über den das Wesen von Gebilden lediglich qualitativ beschreibenden Ganzheitsbegriff hinaus, indem sie die Elemente organismischer Systeme sowie die Gesetze, die dem Zusammenwirken der Elemente zugrunde liegen, mit Hilfe des Modells des "offenen Systems" nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ naturwissenschaftlich exakt bestimmt.

 

Das Problem, Fragen der Ganzheit, der Organisation, der Ordnung und der dynamischen Interaktion zwischen Elementen zu behandeln sowie hierzu geeignete Modelle zu entwickeln, stellt sich generell für alle Wissenschaften.

Es liegt daher nahe, die zunächst spezifisch biologische Systemauffassung sowie das Modell des offenen Systems zu verallgemeinern und auf weitere Phänomene des realen und des idealen Seins anzuwenden. Diese Verallgemeinerung wurde von L. von Bertalanffy vorgenommen und von ihm als Allgemeine Systemtheorie, Allgemeine Systemlehre oder auch als General Theory of Organization bezeichnet.

Ähnliche Gedankengänge, die in Richtung einer Allgemeinen Systemtheorie zielen, finden sich bei Bogdanow, Köhler und Lotka.

In jüngerer Zeit haben sich neben v. Bertalanffy im angloamerikanischen Sprachraum hauptsächlich die Autoren Ackoff, Ashby, Beer, Boulding, Eckman, Fagen, Hall, Mesarović und Miller mit dem Gedankengut der Allgemeinen Systemtheorie, zum Teil im Zusammenhang mit der Kybernetik, auseinandergesetzt.

 

Inzwischen orientieren sich immer mehr spezielle Fachrichtungen am Konzept der Allgemeinen Systemtheorie, so dass im angloamerikanischen Sprachraum heute von einer "Systems-Era" gesprochen wird (Ellis-Ludwig). Innerhalb dieser Systemströmung hat sich neben der theoretisch orientierten "Systems Theory" oder "General Systems Theory" die verfahrenstechnische, praxeologische Richtung der "Systems Science" oder "Systems Philosophy" entwickelt.

 

Obwohl der Systems Science Fachrichtungen wie "Industrial Engineering", "Systems Engineering", "Systems Design", "Systems Research", "Systems Development" und "Systems Analysis" (Systemanalyse) zugeordnet werden, scheint es verfrüht, schon jetzt eine endgültige Bestimmung des wissenschaftlichen Standortes der genannten Gebiete vorzunehmen.

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