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Interview von Peter Knechtli mit Max Thürkauf

In der „Bilanz“, 4/1984, Seiten 128-130.

 

 

Dem unerbittlichen Kritiker eines materialistischen Zeitgeistes, Professor Max Thürkauf, wurde 1967 der Lehrstuhl für physikalische Chemie an der Universität Basel entzogen. Heute lehrt er ein winziges, aber um so wichtigeres Häufchen Studenten, wie mit der weltweiten Atom- und Zellkern-Manipulation umzugehen ist; Thürkauf rät eindringlich:

 

Augenblicklich aufhören

 

bilanz: Herr Thürkauf, wohin treibt unsere Gesellschaft in den nächsten 25 oder 50 Jahren, wenn Wirtschaftswachstum und technologische Entwicklung weiterhin rasant voranschreiten?

 

Thürkauf: Heute erkennt fast jeder, dass es so nicht weitergehen kann. Die Erde ertrüge die Belastung nicht mehr. Die Frage stellt sich bald nicht mehr, wieviel Erdöl oder wieviel Kohle in 25 Jahren noch. vorhanden sei, sondern: Wieviel Luft haben wir noch?

Denn Öl und Kohle sind nur Energieträger, wenn wir sie verbrennen - und dazu braucht es Luft. Um im Automotor einen Liter Benzin in Energie umzusetzen, braucht es 10 000 Liter Luft - etwa soviel, wie ein Mensch pro Tag benötigt. Nach der Verbrennung im Automotor ist die Luft aber nicht nur nicht mehr da, sondern als giftiges Auspuffgas in der Atmosphäre. Das Resultat: Die Wälder sterben. Und wenn die Wälder an der vergifteten Luft sterben, dann kommen wir Menschen bald auch dran.

 

bilanz: Gegen das Waldsterben sind in der Schweiz bisher ein paar Rechts-Professoren aufgestanden, indem sie Aktionsmöglichkeiten des Notrechts darlegten. Wo aber blieben bisher die Chemikerheere, die die Ursachen der Umweltverseuchung aufgrund ihrer Fachkenntnisse zuerst erkennen und Alarm schlagen müssten?

 

Thürkauf: Es ist bombensicher, dass jeder Chemiker, der gegen die Umweltzerstörung aufsteht, die Stelle verliert, sofern er nicht gerade Gymnasiallehrer oder Kantonschemiker ist. Ich verstehe jeden der vielen tausend Schweizer Chemiker, der schweigt und weder seine schöne Stelle noch seine Pensionskasse riskieren will. Aber es braucht künftig mehr Zivilcourage.

 

bilanz: Halten Sie die an den ökologischen Kreisläufen angerichteten Zivilisationsschäden für irreversibel?

 

Thürkauf: Wenn wir einzig den Technokraten vertrauten, wäre der Schaden irreversibel. Die haben die Kontrolle verloren. Sie behaupten, man müsse die Schäden der Technik durch noch mehr Technik beheben. Das geht nicht. Es ist aber meine Überzeugung, dass wir nicht untergehen. Ich bin sogar davon überzeugt, dass wir einer Hochkultur entgegengehen.

 

bilanz: Und worin besteht die von Ihnen vorgespürte Hochkultur?

 

Thürkauf: Wir müssen eine Technik entwickeln, die auf den Gesetzen des Lebens aufbaut und dabei Physik und Chemie verwendet. Das heisst, wir müssen in allen Lebensbereichen Kreisprozesse herstellen, die im Gegensatz zu den heutigen offenen Prozessen stehen: Rohstoff - Maschine - Müllhalde. Eine Technik, die auf dem Gesetz des Lebens beruht, mit Physik und Chemie als Hilfsmittel, widerspricht keinem Naturgesetz - aber sie widerspricht den Börsengesetzen unserer Raubbauwirtschaft auf Kosten der kommenden Generationen. Die Börsengesetze haben noch eine so grosse Macht, dass sich das schlechte Gewissen der Technokraten noch nicht in einem Umdenkprozess ausdrückt.

 

 

 

Der Gesprächspartner

 

Max Thürkauf, 59, ist ausserordentlicher Professor für physikalische Chemie an der Universität Basel. Für seine Forschungsarbeit an einer industriereifen Anlage zur Herstellung von Schwerem Wasser sowie für den Bau einer Anlage zur Herstellung von Schwerem Sauerstoff wurde ihm 1963 der Ružička-Preis verliehen. Nach seinem Rückzug aus der Forschungstätigkeit nahm Thürkauf in mehreren Büchern zur materialistischen Naturwissenschaft kritisch Stellung

 

 

 

bilanz: Sie waren selbst, auf dem Zenit Ihrer wissenschaftlichen Forschungstätigkeit, ein knallharter Technokrat: Mit Ihren eigenen Händen haben Sie geholfen, Schweres Wasser herzustellen, wofür Sie 1963 noch mit dem Ružička-Preis ausgezeichnet wurden.

 

Thürkauf: Im Auftrag der Firma Sulzer ging ich im Jahre 1959 nach Frankreich, wo ich zusammen mit andern Forscherkollegen Schweres Wasser herstellte. An allen Plakatwänden prangte damals der von der Regierung Eisenhower und der Uno verbreitete Slogan «Atomes pour la paix». Ich selbst war von diesem Slogan überzeugt. Doch 1959 war das Jahr, in dem der französische Staatspräsident de Gaulle seine Atommacht begründete, indem er in der damals noch französischen Sahara die erste Atombombe zündete. Es war eine Plutoniumbombe, und das Plutonium stammte aus einem Schwerwasserreaktor, dessen Schweres Wasser ich herzustellen geholfen habe.

 

bilanz: Und Sie wussten nicht, was mit dem in Ihren Schwerwasserreaktoren anfallendem Plutonium geschah?

 

Thürkauf: Nein. Ich wusste ja nicht, dass de Gaulle eine Atombombe herstellen wollte, als ich nach Frankreich ging. Es war ein geheimgehaltenes Projekt. Erst als die Bombe explodiert war, sagte der Staatschef, dies sei jetzt die «Force de frappe».

 

bilanz: Wie erlebten Sie die Metamorphose der «Atomes pour la paix» in «Atomes pour la guerre»?

 

Thürkauf: Das war für mich das Damaskus-Erlebnis. Am Weihnachtsfest 1959 kehrte ich in die Schweiz zurück. Am Physikalisch-chemischen Institut hatten wir jeweils ein Weihnachtsfestchen, und der Santichlaus verteilte Jux-Geschenke. Ich erhielt einen grossen Hosenbandorden, bestehend aus einer konzentrischen Trikolore, in deren Mitte de Gaulles Kopf gezeichnet war. Und auf seiner grossen Nase stieg ein Atompilz auf. Von da an begann ich, kritisch zu diesem materialistischen Wissenschaftsbetrieb Stellung zu nehmen.

 

bilanz: In Ihrem neusten Buch*

 

*Max Thürkauf, «Christuswärts - Glaubenshilfe gegen den naturwissenschaftlichen Atheismus», Stein am Rhein (Christiana-Verlag), 1983.

 

und schon in früheren Werken bezeichnen Sie Atombomben und Atomkraftwerke als siamesische Zwillinge.

 

Thürkauf: In jedem Kernreaktor hat es Uran, das Energie liefert, wenn seine Atome gespalten werden. Bei der Atomspaltung entsteht auch eine Strahlung, die Neutronenstrahlung. Und diese Neutronen bestrahlen das Uranatom, bevor es gespalten ist. So entsteht zwischen dem Uran und den Neutronen eine Kernreaktion. Das Neutron wird vom Uranatomkern absorbiert, und dabei kann unter Umständen ein neues Element entstehen, das es in der Natur nicht gibt: Plutonium.

Mit diesem Plutonium kann man eine Atombombe herstellen. Ist nun ein Kernreaktor ein oder zwei Jahre in Betrieb, so kann man den verbrauchten Kernbrennstoff nehmen und in Salpetersäure auflösen und so reines Plutonium herstellen, das ein Kernbombenmaterial ist. Insofern muss man sagen: Wer einen Atomreaktor besitzt, kann grundsätzlich eine Atombombe herstellen, wenn er das Plutonium abtrennt.

 

bilanz: Die Herstellung von Schwerem Wasser und was daraus wurde hatte traumatische Auswirkungen auf Ihr wissenschaftliches Bewusstsein. Bereuen Sie heute, sich gutgläubigblind in den Dienst einer verhängnisvollen Entwicklung gestellt zu haben?

 

Thürkauf: Ja, das muss ich zugeben. Ich würde mich heute nie mehr auf so etwas einlassen. Ich zog mich dann auch aus der experimentellen Forschung zurück. 1960 habilitierte ich mich an der Universität Basel, und schon im zweiten Jahr hielt ich eine Vorlesung, die zum materialistischen Wissenschaftsbetrieb kritisch Stellung nahm.

 

bilanz: Was dozierten und dozieren Sie Ihren Studentinnen und Studenten?

 

Thürkauf: In der modernen Naturwissenschaft lernen die Studenten immer perfekter, wie Chemie und wie Physik ist. Sie wissen ganz genau, wie ein chemischer Vorgang abläuft. Daneben fehlt ihnen aber die Zeit zu fragen, was Chemie und was Physik ist. Die Substanz meiner Thesen ist: Nicht nur nach dem Wie zu fragen, sondern auch das Was zu erforschen und zu lernen, Verantwortung zu tragen.

 

 

 

bilanz: Wie vertrug sich Ihre Kritik am materialistischen Wissenschaftsbetrieb mit der Stellung Basels als Hochburg der Chemieindustrie?

 

Thürkauf: Im Jahre 1967 hat man mich aufs Erziehungsdepartement zitiert und mir etwa gesagt: «Was Sie hier erzählen, das geht nicht.» Als ich einwendete, ich sei Professor und auf Lebzeiten angestellt, bediente sich der betreffende Beamte plötzlich des Hochdeutschen mit den Worten: «Dann müsste man ein peinliches Amtsenthebungsverfahren einleiten.» Man legte mir die Kündigung nahe, so dass ich sozusagen auf der Strasse stand.

 

bilanz: Fortan verdienten Sie Ihren Lebensunterhalt in der Luft - als Fluglehrer.

 

Thürkauf: Es war eine Überlebensfrage. Ich hatte die nötigen Ausweise bis hin zum Berufspiloten-Brevet. Ich verdiente mein Geld als Instruktor mit Kunstflugunterricht für angehende Militärpiloten. Aber je länger ich in der Fliegerei tätig war, um so deutlicher spürte ich: Das geht so nicht. Seit 1973 bin ich nie mehr in der Luft gewesen.

 

bilanz: Zwei Jahre später, 1975, regte sich in Kaiseraugst öffentlich Widerstand gegen Atomkraftwerke. Sind Kernkraftwerke ein Ausweg aus der ökologischen Wachstumskrise?

 

Thürkauf: Natürlich nicht. Mit Atomkraftwerken können wir Elektrizität herstellen, aber wir gefährden die Umwelt mit Radioaktivität. Am harmlosesten wäre es noch, mit Atomenergie Räume und Warmwasser zu heizen. Aber mit der Elektrizität werden ja auch all jene Fabriken angetrieben, die nicht nur sinnlose, sondern auch schädliche Güter produzieren, wie zum Beispiel das Auto als Umweltschädiger oder das Fernsehen als Innenweltzerstörer.

Zwar könnten selbst Chemiebetriebe ohne Kamine und Abwässer produzieren, doch müssten sie dann alle Insektizide und Herbizide, alle Spraydosen und Autozubehöre und vieles mehr in den Fertigungshallen zurückbehalten, weil die Umweltbelastung ja auch durch diese Produkte entsteht.

 

bilanz: Was geschähe in einem solchen Fall, abgesehen von den zahllosen Fabrikarbeitern und Chemikern?

 

Thürkauf: Diese Chemiker werden ihre Stellen auf alle Fälle verlieren - entweder durch freiwilliges Aufstehen gegen die Umweltzerstörung oder dann beim Zusammenbruch unseres Wirtschaftssystems. Nach einem Referat vor höchsten Kaderangestellten in Winterthur kam ein ehemaliger Finanzchef von Sulzer, damals seit etwa zwei Jahren pensioniert, zu mir und sagte: «Es ist noch viel schlimmer, als Sie sagen. Wir können die Wirtschaft finanziell nicht mehr halten.»

Ich bin überzeugt, dass unser Wirtschaftssystem noch in diesem Jahrzehnt total zusammenbricht. Der Grund dafür: Währungszerfall, vollständige Verschuldung der dritten Welt, die Rohstoffe werden knapper, der immense Aufwand zur Verhinderung der totalen Luft- und Wasservergiftung. ,Und wenn diese Vergiftung nicht gestoppt wird, wird die Zahl der psychisch und physisch Kranken derart exponential zunehmen, dass keine Krankenversicherung mehr zahlen kann.

 

bilanz: Was Sie hier skizzieren, ist ein Teufelskreis der Ausweglosigkeit.

 

Thürkauf: Als knallharter Naturwissenschafter glaube ich, dass wir ohne die Barmherzigkeit Gottes verloren wären. Unsere Entwicklung befindet sich tatsächlich in einer Sackgasse. Ohne Umkehr sind wir verloren. Wir, die technokratisch hoch entwickelten Länder, sind heute noch die Ersten - doch beim Umkehren werden wir die Letzten sein.

Die Angst der Menschen entsteht deshalb, weil die Welt immer eklatanter zur Technokratie verkommt. Der einzelne Mensch kann immer weniger durchschauen und begreifen, was auf der Welt geschieht, er wird immer abhängiger vom Menschenwerk. Auch Aufrüstung ist Menschenwerk. Wir müssen ja Vertrauen haben in die Computer, die dafür sorgen, dass die Atomraketen nicht losgehen.

 

bilanz: Sie haben sich in den letzten Jahren stark dem Glauben zugewendet. Sie beten jeden Tag ausgiebig.

 

Thürkauf: Ich war eine Zeitlang naturwissenschaftlicher Atheist. Ich wurde auf eine Art katholisch erzogen, die einem die Lust auf die Religion austreibt. Im Alter von dreissig Jahren bin ich auch aus der Kirche ausgetreten, mit vierzig betete ich wieder, und vor drei Jahren trat ich wieder in die katholische Kirche ein.

 

bilanz: Nach dem Motto: Gott löst unsere Überlebensprobleme schon?

 

Thürkauf: Solches Denken wäre ganz fatal. Der Begründer des Benediktinerordens sagte: Ora et labora. Er meinte damit unmissverständlich, so zu beten, dass es Arbeit ist, und so zu arbeiten, dass es Gebet ist. Wir müssen beides tun. Wenn wir nur arbeiten, dann kommt das heraus, was wir heute haben.

 

bilanz: Glauben Sie, dass Gott den atomaren Holocaust verhindern kann?

 

Thürkauf: Wenn die Atomraketen jetzt losgelassen würden, dann würde Gott eingreifen - wie, weiss ich nicht. Aber ich meine, Gott könnte beispielsweise von einer Sekunde auf die andere die Gesetze der Kernphysik ändern, so dass die Atombomben nicht gefährlicher wären als die Mülleimer vor der Haustüre.

 

bilanz: In Ihrem neusten Buch empfiehlt Sie der Vorwort-Verfasser als «Führer einer neuen akademischen Jugend». Möchten Sie gerne «Führer» werden?

 

Thürkauf: «Führer» ist das falsche Wort. Ich möchte so leben, dass ich ein Vorbild für die Jugend sein kann.

 

bilanz: Noch während Sie den naturwissenschaftlichen Atheismus geisseln, feiern Forscher in Laboratorien die Fortschritte der Genmanipulation, legen Mediziner von selektionierten Idealspendern alimentierte Samenbanken an.

 

Thürkauf: Die Molekularbiologie ist die Vollendung der materialistischen Naturwissenschaft. Der amerikanische Biochemiker Erwin Chargaff sagt, dass die moderne Naturwissenschaft zwei Schranken überschritten habe, die sie hätte meiden müssen. In beiden Fällen handelt es sich um die Misshandlung eines Kerns: die Misshandlung des Atomkerns und - bei der Genmanipulation - die Misshandlung des Zellkerns. Da kann ich nur sagen: Hände weg, aufhören, augenblicklich!

 

bilanz: Wovon leben Sie überhaupt?

 

Thürkauf: Ich lebe bescheiden und mache jetzt - mit einem Minimalpensum von zwei Stunden pro Woche - das, woran Mangel herrscht: Ich doziere an der Universität Basel nicht über das Wie von Chemie und Physik, sondern über das Was, um dann aufzusteigen in die religiösen Dimensionen des Wer. Meine Vorlesungen werden meistens von fünfzig bis hundert Studierenden und Hörern besucht.

 

 

 


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