Home Komödie und Satire im polnischen Film

 

1955-1962

 

Zur Illustration:

von Andrzej Munk:

The Man On The Railroad Track (Czlowiek Na Torze), VHS

Eroica, VHS

Bad Luck (Cockeyed Happiness) (1960), VHS

The Passenger (1963), VHS

 

von Tadeusz Chmielewski:

Ewa Wants to Sleep (Ewa Chce Spac), VHS

 

von Roman Polanski:

Knife in the Water – Criterion Collection; auf der zweiten DVD 8 Kurzfilme, darunter „Zwei Männer und ein Schrank“

 

 

 

Waren kurz nach dem Zweiten Weltkrieg einige wenige Ansätze zu humoristischer oder gar ironischer Behandlung des Kampfes um die Freiheit und Bewältigung des Kriegsgeschehens in grösstenteils oberflächlichen Komödien versucht worden, so trugen sie doch neben den zahlreichen ernsthaften und teilweise drastischen Schilderungen der KZ, des Warschauer Ghettos und der Résistance nichts zu einem neuen polnischen Filmschaffen bei.

Vielmehr zerfielen sie, kaum dass sie richtig begonnen hatten, einen eigenen Weg zu finden, in der Zeit des "sozialistischen Realismus", welches selbe Schicksal auch die ganze übrige Filmkunst erleiden musste.

 

Scharfe Zensur und bureaukratische Steuerung sorgten für eine Vernachlässigung der Gegenwartsauseinandersetzung und eine blutlose Schematisierung des Filminhalts. In tendenziöser Verfärbung der Wahrheit, lebensfremd und ohne Rücksicht auf Realität wurden der "ideologische Kampf" und der "positive Held" propagiert.

 

Bis in der Mitte der fünfziger Jahre diese von der Partei gesteuerten Machwerke dank einem aufgeschlossenen Publikum und jungen, geschulten Filmenthusiasten durch eine machtvolle neue Strömung verdrängt wurden. Nach dem Vorbild der alten russischen Meister und der italienischen Schule durften sich Andrzej Wajdas "barocküberhöhte Romantik" (in seiner Kriegstrilogie, 1955-1958), Wojciech Has' Psychologismus, Andrzej Munks Rationalismus und der "Film d'auteur" eines Tadeusz Konwicki entfalten und breiten Widerhall finden.

Auf dem Experimentierfeld des Kurzfilms entstanden unter geschickten Händen ideensprühende, geistreiche und mehrfach ironisch-verspielte Werke. Man denke nur an Roman Polanskis vieldeutige und tiefgründige, an Surrealismus anklingende Symbolspiele, von denen das bekannteste, "Zwei Männer und ein Schrank", aus dem Jahre 1958 datiert.

 

Um die Spielfilmkomödie stand es weiterhin schlimm. Neben den recht einfallslosen Kintoppreminiszenzen in der "Herr Anatol"-Serie [1957-1959] eines Vertreters der älteren Garde, Jan Rybkowski, erfreute einzig Tadeusz Chmielewski neben einer kriminalistischen Parodie mit der ironischen, unbeschwerten Komödie "Eva will schlafen" [1958], worin echte Probleme in eine imaginäre Umwelt versetzt werden.

 

Andrzej Munk: „Das schielende Gück“

 

Nur in diesem grossen Zusammenhang kann man die bisher noch nie versuchte Problemdarlegung in Form einer Satire von Andrzej Munk würdigen, die wir hier als einziges Beispiel dieser Linie ein gehender untersuchen wollen.

Der 1961 knapp vierzigjährig bei einem Autounfall getötete Dokumentar- und Kurz-, später Spielfilmschöpfer, der mit seinem "Mann auf dem Geleise" [1956] und "Eroica" [1957] einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, hat den der polnischen Wesensart recht ferne stehende Zug der Satire, der beispielsweise auch in der Literatur ein unerhebliches Dasein fristet, aufgegriffen. Entgegen der Tendenz der ausgehenden Jahre des letzten Dezenniums, die Probleme der Jugend in den Verflechtungen von Erinnerung und meist unheilvoller Vergangenheit darzulegen, hat er sich einer Interpretation des Lebens aus rationaler Sicht von objektiver Warte aus verschrieben.

 

Die verzweifelte, entschuldigende Lebensbeichte eines Polen zeichnet er in "Zezowate Szczescie" (Das schielende Glück, 1959) auf, eines durchschnittlichen Bürgers, der dem im westlichen Sinn "Getriebenen" verwandt ist. Er ist ein vom Schicksal hilflos Gestossener, in düstere Machenschaften willenlos Verwickelter, anfänglich überall als fünftes Rad am Wagen hintanstehend, dann aber, eher sich's versieht, emporgehoben, immer weiter, um dann jedesmal nur um so tiefer zu fallen.

 

Extrem vielfältig ist die grosse Anzahl der Probleme, die Munk angeschnitten hat. Nach dem jugendlichen Vorspiel der Pfadfinderei beginnt der "Ernst des Lebens": Studentenwirren, Antisemitismus und Fascismus, der Versuch, sich im Krieg zu bewähren, da es nur die Alternative gibt: Kirche oder Militär; Gefangenschaft, Spionage, schwarzer Markt während der Besetzung und schliesslich der Aufbau einer neuen Existenz auf Kosten der andern als Winkeladvokat und hierauf als Bureaukrat in einem Grossbetrieb.

 

Äusserlich ist er gewiss ein Glückspilz, der gleichsam die Stufenleiter des Erfolges hinaufgetragen wird. Doch welche Fährnisse begegnen ihm; das Verhängnis naht jedesmal, er wird entdeckt und scheitert; als Sündenbock muss er herhalten, ein armer Hängemann. Sein einziger Schutz vor der schrecklichen Gesellschaft, deren Spielregeln er unterliegt, glaubt er im Gefängnis zu finden, aber man zerrt den Pechvogel mit Gewalt an die Freiheit, und niemand ist sich mehr im klaren, auf welcher Seite der Mauer sie jetzt wirklich ist. Tiefste Verzweiflung kennzeichnet diesen Schluss.

 

Man hat Munk schon als "Demystifikator einer Epoche der Fehler, Schwächen und Irrtümer" genannt, der in seiner kritischen, aber keineswegs negativen Haltung Illusionen zerstört. Er deckt die Widersprüche der Wirklichkeit auf und klagt in seiner bitteren Analyse ein Regime, eine Gesellschaft an, unter der sich Opportunisten und Karriereschinder verstecken oder emporkommen, das sie auf alle Fälle ungeschoren lässt, während man diejenigen packt, die eigentlich etwas ganz anderes möchten, als sie dann auszuführen gezwungen sind. Denn Munks "Held" ist keineswegs ein Günstling, sondern ein in tragikomischer Weise Verstickter, zu einem Leben in dieser Gesellschaft unfähig.

 

Dies versteckte, an Deutlichkeit aber nichts zu wünschen übrig lassende, ideenreiche "fröhliche Drama" in grosser Realistik, wird nun mit vielerlei Effekten und stellenweisem Klamauk in einem turbulenten ersten und einem dagegen abfallenden zweiten Teil vorgebracht.

Slapstickhumor und Absurditäten feiern Wiederauferstehung: schnarrrende Laute aus des Pfadfinderführers Mund, Trompetenspiel auf der Toilette, Davonspulen in überdrehtem Tempo und was der Dinge mehr sind, die neben Verkleidungs- und recht einseitig karikierender Charakterkomik zu einer närrischen Überspitztheit führen. Die breite Ausmalung, die fatalistisch flüssige Entwicklung, die Geschlossenheit und die Konzentration auf die Hauptfigur lassen über die unausgeglichenen und teilweise nicht in voller Klarheit erscheinenden Stellen, sowie über die fehlende Feinheit der Gestaltung und Witz hinwegsehen.

Allerdings darf man nicht in den Fehler verfallen, dem Film eine starke Verhaftung im polnischen Kolorit zuzuschreiben (auf Grund des Regisseurs Ausspruch: Ich bin überzeugt, dass man nur dann zu einem Ergebnis kommt, wenn man den Menschen in seinem Kontext zeigt!), sind doch die Probleme und Verwicklungen von meist recht grosser Allgemeingültigkeit und verdienen es, mit tiefem Ernst auch einmal unter einer Maske der Harmlosigkeit und Distanzierung um so eindrücklicher hervorzutreten.

 

Verschiedene andere Regisseure haben nun ihre Absicht kundgetan, es auch mit einer Komödie versuchen zu wollen, makabrer Art oder mit burlesken Situationen ausgeschmückt. Ob sie aber die dazugehörende Freiheit noch geniessen werden, da doch alle Anzeichen für eine verschärfte Kontrolle durch einen neuen, härteren Kurs Moskaus vorhanden sind?

 

(erschienen in der Neue Zürcher Zeitung, 30.8.1963, Nr. 3411, Blatt 5;

ferner in der Zeitschrift „Film + Radio“, 12.10.1963)

 



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