Home Bangladesh: Versagen der Politiker

 

Peter Hess : Bangladesh. Tragödie einer Staatsgründung. Verlag Huber, Frauenfeld, 1972.

 

 

Die Tragödie der Spaltung Pakistans nach kaum 25 Jahren beginnt nicht primär mit wirtschaftlichen oder religiösen Schwierigkeiten, sondern mit der uralten menschlichen Krankheit: Machtstreben und Korruption, oder wie man auch sagen kann: politisches Versagen.

"Die nach dem frühen Tod des Staatsgründers Mohammed Ali Jinnah (1948) und des ihm als Regierungschef nachfolgenden Liquat Ali Khan (1951) die Macht übernehmenden Politiker stritten sich vorwiegend um Ämter und Pfründe, leisteten sich 9 Jahre langwierige Diskussionen, bis sie 1956 die erste Verfassung verabschiedeten, und verursachten durch Intrigen und mit meist nur aus persönlicher Machtgier unternommenen Staatsstreichen häufige Regierungswechsel."

 

Auch General Ayub Khan (1958-1969) war, obwohl er eine zentralistische Machtstruktur errichtete,

"zu sehr den Interessen und Vorstellungen der westpakistanischen Oberschicht verhaftet, als dass er überzeugend eine gesamtnationale Politik hätte betreiben können".

 

General Yahya Khan, der ihn 1969 ablöste, "erwies sich als politisch und militärisch unfähig für diese im Verlauf der Jahre noch schwieriger als früher gewordene Aufgabe". Seine echten Demokratisierungsbestrebungen - "ein Mann, eine Stimme" - wurden zum Bumerang: Sheikh Mujibur Rahmans "Awami League" erhielt bei den Wahlen im Dezember 1970 die absolute Mehrheit im neuen nationalen Parlament.

"Die weitere Entwicklung wurde nun vom Zusammenprall dreier Machtgruppen bestimmt, sichtbar in der Auseinandersetzung dreier Persönlichkeiten, deren divergierende Interessen, ebenso aber auch deren zunehmend emotional-demagogischer Kampfstil, Pakistan Ende März 1971 in den Bürgerkrieg stürzte."

 

Yahya Khan wollte als Exponent der Armee die Auflösung der staatlichen Einheit nicht zulassen, Mujibur Rahman sah dagegen - "getragen und gestossen von irrationaler Begeisterung seiner Anhänger" - die Stunde gekommen, die seit 1965/66 ernsthaft angestrebte Autonomie Ostpakistans durchzusetzen, und Zulfikar Ali Bhutto schliesslich ging es in erster Linie um die Macht - auch wenn Pakistan in zwei Landesteile zerfallen oder gar gespalten werden sollte.

Hätten sich Mujib - als designierter Premierminister - und Bhutto - als Führer der in Westpakistan die Mehrheit besitzenden "People's Party" - über die Grundzüge einer neuen Verfassung einigen können, d. h. hätte Mujib nicht die berechtigten Anliegen Westpakistans beiseitegeschoben und Bhutto nicht eine, wie zu erwarten war, einseitig ostpakistanisch gefärbte Verfassung zu boykottieren gedroht, dann hätte die Konfrontation zwischen Militär und Ostbegalen, aber auch zwischen Bengalen und der nicht-bengalischen Minderheit der Biharis nicht stattfinden müssen.

 

Muss man einmal mehr resigniert feststellen, dass der Charakter einiger weniger Politiker entscheidet, ob Hunderttausende umgebracht werden? Und das heisst dann: "fast unvermeidbar" wurde Ostpakistan dem Bürgerkrieg zugetrieben - nur weil alle, die direkt und die indirekt Beteiligten, eine unrühmliche Rolle spielten.

 

Am 25. März 1971 griff die Armee an und ein, Bis Ende Dezember desselben Jahres wurden mehrere hunderttausend Bengalen ermordet, 100 000 Biharis durch die Bengalen hingemetzelt, 70 000 Bengalinnen vergewaltigt; 10 Millionen flüchteten nach Indien.

 

Indien, das den Ostbengalen Sympathie entgegenbrachte, bildete dicht an der Grenze - trotz offiziellen Dementis - 100 000 junge Ostbengalen zu Guerillakämpfern aus (Mukti Bahini) und schloss am 9. August einen Beistandspakt mit der UdSSR, um sich gegen einen Zweifrontenkrieg mit Pakistan und China zu schützen. Dass unter den Ostbengalen im Exil sowie unter Splitterparteien im besetzten Ostbengalen Streitereien ausbrachen, in Westpakistan die Lage verkannt und beschönigt und schliesslich das Kaschmir-Problem wieder aktiviert wurde, verwundert wenig.

 

Gaben indische Truppen den Mukti Bahini zuerst nur Feuerschutz für Zerstörungsaktionen hinter der Grenze, so brachen sie selbst im Oktober und November öfters über die Grenze vor. Die militärische Auseinandersetzung eröffnete jedoch am 3. Dezember Pakistan, und zwar mit Überfällen auf Flugplätze im Westen Indiens. Einen Tag später stiess dafür Indien nach Ostpakistan vor. Am 16. Dezember 1971 kapitulierte der pakistanische Oberkommandant in Dacca (voreilig - er hätte sich noch ein paar Monate halten können). 90 000 pakistanische Soldaten, Polizisten und Beamte wurden gefangengenommen und nach Indien transportiert. Zudem hatte Indien im Westen, an der Grenze zu Westpakistan 13 000 km2 erobert und zusätzlich 1200 km2 pakistanisch verwaltetes Gebiet von Kaschmir.

"Die Versuche der UNO, den Krieg zu verhindern, blieben nicht zuletzt wegen des Interessenkonflikts der Grossmächte erfolglos."

 

Dem Freudentaumel der Ostbengalen folgte rasch die Ernüchterung. Ein halbes Jahr später klagte man schon, man wolle lieber Reis und Arbeit als die Unabhängigkeit. Sheikh Mujib, nach neunmonatiger Gefangenschaft aus Westpakistan zurückgekehrt, war nicht der starke Mann, die wenig disziplinierten Ostbengalen in ihrem schwergeprüften Land zusammenzuhalten. Selbständig gebliebene Mukti Bahini und zahlreiche Linksgruppen bedrohten die öffentliche Ordnung; das Verhältnis zu Indien verschlechterte sich, die Feindschaft zwischen Bengalen und Biharis - von letzteren 735 000 in Gettos gepfercht - hielt an.

 

Am 18. November 1972 trug der Leitartikel der "Neuen Zürcher Zeitung", verfasst vom Korrespondenten Peter Hess, der auch die vorliegende Chronik der Ereignisse zusammenstellte, den resignierten Titel: "Verhärtete Fronten auf dem Subkontinent". Immerhin haben Mitte Dezember Indien und Pakistan ihre Truppen von der indischen Westgrenze und in Kaschmir abgezogen. Die Regelung der Kriegsgefangenenfrage, der Umsiedlungen und vor allem die gegenseitige Anerkennung von Restpakistan und Bangladesh werden wohl noch lange auf sich warten lassen.

 

Hess schildert die Art, wie Politik und Krieg gemacht werden, anschaulich und leidenschaftslos. Er beleuchtet auch die Vorgeschichte und innenpolitische Schwierigkeiten, den Einfluss und die Präsenz der Grossmächte, die Problematik der Entwicklungshilfe sowie militärische und wirtschaftliche Fragen breit und scharf.

Einige kleine Unsorgfältigkeiten und Wiederholungen hätten vermieden, besseres Kartenmaterial beigezogen und ein Begriffs- und Namenregister angefügt werden können.

 

Am Ende dieser "grossen Tragödie" (Bhutto) der jüngsten Gegenwart drängt sich jedoch, trotz der umfassenden, vorsichtigen und abgewogenen Schilderung der Gesamtlage und ihrer Hintergründe, unabwendbar die Frage auf: Musste das sein?

 

Erschienen unter dem Titel „Tragödie einer Staatsgründung“ in der Zürichsee-Zeitung, 19. Januar 1973

 

 


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