Home    Was gehört zur Kultur?

                        Zwei Auszüge aus Nachschlagewerken

 

Siehe auch:    Universalien

Ganzheit  - thematische Annäherungen; Kap. 1c. kulturelle und natürliche Ganzheiten

 

Alfred Kroeber und Clyde Kluckhohn haben eine Liste von über 200 unterschiedlichen Definitionen zusammengetragen:

Culture: A Critical Review of Concepts and Definitions. Cambridge, Mass: Peabody  Museum of American Archaeology and Ethnology, Harvard University 1952; New York: Random House/ Vintage Books 1963; Nachdrucke Millwood, N. Y.: Kraus Reprints 1978; Westport, Conn.: Greenwood Press 1985.

 

 

Von Lutz Geldsetzer: Kulturphilosophie.

In Alwin Diemer, Ivo Frenzel (Hrsg.): Philosophie. Das Fischer Lexikon. Frankfurt am Main: Fischer Bücherei; Neuausgabe 1967, 123-127.

 

… Eine der frühesten Definitionen von „Kultur“ findet sich in der dritten Auflage des Philosophischen Lexikons von Walch (1775):

Kultur „zeigt eine Verfeinerung einer Sache an, so durch hilfreiches Zutun und Bemühen erreicht wird. Man kultiviert den Ackerbau, die Pflanzen, Blumen, Menschen usw.“ …

 

Seitdem ist der Terminus jedenfalls in der wissenschaftlichen Fachsprache etabliert. Er wird mit den Begriffsinhalten verschiedener anderer Termini befrachtet und trägt diese weiter …

… Seit den grossen Systemen des deutschen Idealismus wird dieses Begriffsfeld von einem neuen Terminus mit bestimmter metaphysischer Aussagerichtung aufgesogen: dem Begriff des ‚Geistes’ in seinen mannigfaltigen Spielarten … Zugleich wird auch das Moment der Bildung im Kulturbegriff wieder stärker betont.

Krug versteht in seinem Encyklopädisch-philosophischen Lexikon von 1832 unter „Cultur“ Bildung in dreierlei Hinsichten:

  • Bildung des Verstandes („intellectuale Cultur“),
  • Bildung des Herzens („moralische Cultur“) und
  • Bildung des Geschmacks („ästhetische Cultur“).

Er unterscheidet daneben Bildungsstufen („Grade der Cultur“) und Bildungskreise („Arten der Cultur“) und kennt auch schon das Phänomen der „Halbcultur“, die nach ihm „nur in äusserer Verfeinerung der Sitten, in einem gewissen Raffinement des geselligen Umgangs und des Lebensgenusses besteht“.

Später ist die Geschichte des Kulturbegriffes durch Verschiebungen innerhalb ihres Wort- und Begriffsfeldes gekennzeichnet. Kultur rückt an den vornehmsten Platz, Zivilisation wird im deutschen Sprachraum zum pejorativen Gegenbegriff (Kant, W. v. Humboldt, Eucken, Spengler, Jaspers), im französischen und angelsächsischen Raum tritt ‚civilisation’ an die Stelle von ‚culture’.

 

Die inner Gliederung der Kultur wird je nach den Voraussetzungen bestimmter Kulturphilosophien und -theorien verschieden ausfallen. Eine Betrachtung kann die relevanten Phänomene jedoch in einiger Vollständigkeit folgendermassen unterscheiden:

1. die Sozialsphäre, d. h. das demographische Substrat einer Kultur in seinen mannigfaltigen gruppenhaften Verbandsformen;

2. die Geschichte als organisierte Form traditionellen Selbstverständnisses einer Kultur;

3. Die Sprache als gewachsene Kommunikationsform in der Kultur;

4. Die Religion und die Kultformen;

5. die Kunst;

6. Recht (Staat und Politik) als äussere Organisationsformen der Sozialsphäre und der kulturellen Prozesse;

7. Erziehung und Bildung als Regenerations- und Gestaltungsformen des Kulturniveaus;

8. Wissenschaft (und Philosophie selbst) als Organisationsapparat kulturelle Zielsetzungen;

9. Medizin;

10. Technik und

11. Wirtschaft als Instrumente der Daseinsvor- und -fürsorge (Diemer [Alwin Diemer: Kulturphilosophie. In: Grundriss der Philosophie, Bd. 2, 4. Teil, 1964]).

 

Im einzelnen wird man die verschiedensten Meinungen über die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit einzelner dieser Bereiche zur Kultur antreffen. So setzt bekanntlich J. Burckhardt in seiner Lehre von den drei Potenzen Staat, Religion und Kultur einander gegenüber.

Ähnlich verfährt A. Weber [1951], wenn er „Gesellschaftsstruktur“, „Zivilisationskosmos“ und „Kultur“ unterscheidet und gegeneinandersetzt.

In anderen Abstraktionsrichtungen kann man natürlich auch die verschiedensten Bereiche unter gemeinsame Oberbegriffe fassen. So unterscheidet etwa H. Freyer fünf Hauptformen des objektiven Geistes, der für ihn Kultur ausmacht:

  • Gebilde,
  • Geräte,
  • Zeichen,
  • Sozialformen und
  • „Bildungen“, unter denen sich die Inhalte der im vorigen genannten Kulturbereiche leicht subsumieren lassen.

Wieder andere führen alle Kultur auf die Kulturinstitutionen zurück (Th. Veblen) oder stellen alle Kulturphänomene unter die Betrachtungsweise der »Kulturwerte« (Rickert [1899]).

 

Hier könnte auch genannt werden Georges Gurvitch, der in seiner ‚Tiefensoziologie’ das „soziale Totalphänomen“ - eben die Kultur - unter zehn verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und zu beleuchten sucht, indem er unterscheidet:

1. die morphologische und ökologische Basis,

2. die organisierten Apparate (kollektiver Verhaltensweisen),

3. die sozialen Modelle, Signale, Zeichen und Regelungsformen,

4. die ausserhalb der organisierten Apparate ablaufenden regulären Verhaltensweisen,

5. das Geflecht der sozialen Rollen,

6. die kollektiven Einstellungen,

7. die sozialen Symbole,

8. die schöpferischen Bewegungen und Haltungen,

9. die kollektiven Werte und Ideen und

10. die kollektiven mentalen Zustände und Akte (in denen sich freilich immer individuelle und kollektive Bewusstseine durchdringen).

 

Wieder andere binden nach uraltem Vorbild (Platon, Aristoteles) die Kultur an ihren leistenden Schöpfer und Träger und deduzieren sie von seinen Bedürfnissen und Vermögen her. So unterscheidet Kroner vier Schichten der Kultur, nämlich

  • die vitale (Wirtschaft und Technik),
  • die rationale (Wissenschaft und Politik),
  • die intuitive (Kunst und Religion) und
  • die reflexive (Historie und Philosophie).

 

Oder Rothacker [1948] unterscheidet in diesem Sinne

  • Ordnungen des Lebens (Staat, Gesellschaft, Recht, Sitte, Erziehung, Wirtschaft und Technik),
  • Deutungen der Welt (Sprache, Mythos, Kunst, Religion, Philosophie und Wissenschaft) und
  • Weisen der Wirklichkeitsbearbeitung.

 

Für Landmann[1961] ist die Kultur schlechthin „Anthropinon“ ein Wesenszug des Menschlichen.

Es ist klar, dass hierin schwerwiegende Qualifizierungen der einzelnen Kulturbereiche wie der Kultur ausgesprochen werden, die durch eine weniger hierarchische Betrachtungsweise umgangen werden sollten. Am ehesten scheint sich demgegenüber die Gliederung der Kulturbereiche und -phänomene im Anschluss an die Wissenschaften, die sich ihnen gegenüber gebildet haben, zu empfehlen. Dies versucht das erstgenannte Schema (Diemer).

 

 

Von Gerhard Heilfurth: Volkskunde.

In René König (Hrsg.): Handbuch der empirischen Sozialforschung. Band I, 3. Teil, Stuttgart: Enke 1962; in der Taschenbuchausgabe: Bd. 4: Komplexe Forschungsansätze. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1974, 190-192.

 

… Die Volkskunde sieht sich heute, was ihren Gegenstand anlangt, vor einem „Geflecht der Interdependenzen", zu dessen Aufhellung das einfache Denkmodell der kausalen Beziehungen nicht mehr ausreicht.

 

... Zahlreiche übergreifende Arbeitsverbindungen sind vor allem durch die internationale volkskundliche Bibliographie gegeben, die im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde herausgegeben wird.

An diesem Nachschlagewerk mit dreisprachigen Überschriften (deutsch englisch, französisch) wird einsichtig, welche Stoffmassen das Fach zu bewältigen sucht, wenn man den letzterschienenen Band daraufhin durchmustert …

 

Der einleitende Teil der Bibliographie umschliesst den Themenkreis I. „Gesamtvolkskunde" und befasst sich im einzelnen mit Teilbibliographien, mit Geschichte und Arbeitsleistung des Faches, mit den vielfältigen interdisziplinären Berührungen und Überschneidungen und mit theoretischen und methodischen Problemen wie zusammenfassenden Abhandlungen und Miszellen (nach Sprachgebieten geordnet) über regionale, soziale und kulturelle Einheiten.

Dann folgen in grossen Kapiteln, breit aufgefächert, die Einzelgegenstände.

 

Zunächst gilt die Registrierung Objektivationen und Objekten der materiellen Kultur, jeweils systematisiert in grössere Rubriken:

II. „Siedlung";

III. „Bauten" (Wohn-, Wirtschafts-, Sakralgebäude);

IV. „Sachen" (wie Möbel, Geräte, Denkmäler);

V. „Zeichen" (Wappen, Hausmarken usw.).

Daran schliesst sich ein umfangreiches Sammelkapitel VI. „Technik, Berufe, Volkskunst und Volksindustrie" an, zunächst mit einer Unterteilung der Volkskunst und ihren verschiedenen Techniken und Formgebungen (Plastik, Zeichnungen, Malerei usw.), vorwiegend nach dem Gesichtspunkt des verwendeten Materials. Es folgen die Abschnitte über die Arbeitswelten in beruflicher Gliederung, an der Spitze die Handwerke mit ihren Verzweigungen, dann Land- und Viehwirtschaft, Waldbau, Gartenbau, Bienenzucht, Sammelwirtschaft, Jagd, Fischerei, Bergbau; dann werden Verkehr, Verkehrswege, Transport, Auswanderung, Märkte und Messen aufgeführt und im Anhang - man sieht das Dilemma einer sinnvollen Rubrizierung! - Kalender, Zeitrechnung, Masse, Geld.

Merkwürdigerweise ist an dieser Stelle, den Gang des bibliographischen Ablaufes unterbrechend, ein Abschnitt über VII. „Charakteristik des Volkes, Volkstypen" eingeschoben.

Nun wird der Faden wieder aufgenommen mit Rubriken über

VIII. „Tracht, Schmuck" und

IX. „Nahrung".

Das nächste umfangreiche Kapitel befasst sich mit X. „Sitte, Brauch, Fest und Spiel". Es enthält einen allgemeinen Teil, nach Sprachgebieten aufgefächert, und gliedert sich dann in folgende Abschnitte: Geburt, Taufe, Kindererziehung; Reifebräuche (Initiation); Liebe, Verlobung, Hochzeit; Tod und Begräbnis; Hausbräuche; Schulbräuche; Dorf- und Stadtleben; Landwirtschaftsbräuche; Bräuche der anderen Stände und Berufe; Vereine, Genossenschaften, Bünde, Zünfte; Kirchliche Bräuche und Feste; Kalenderbräuche; Spiel, Spielzeug und Unterhaltung; Varia.

 

Wiederum eingeschoben ist nunmehr ein Abschnitt unter dem Titel XI. „Soziale und rechtliche Volkskunde", ehe das nächste grosse Kapitel XII. „Volksglauben" folgt, worin alle Arbeiten zum religiösen Fragenkreis untergebracht sind, mit den Untertiteln: Bibliographie; Allgemeines über Religion, Magie, Aberglauben und Mythologie; Zusammenfassendes und Vermischtes; Mythos und Kultus (mit den Teilgebieten: Volksfrömmigkeit und Heiligenkult; Wallfahrt; Gegenstände der Volksfrömmigkeit [Kreuze, Krippen, Votive usw.]; Gebete); Vorzeichen und Orakel; Zauber und Gegenzauber (mit den Teilgebieten: Allgemeines und Zauberhandlungen; Hexen und Zauberer; Amulett, Talisman und Verwandtes; Zauber- und Segensformeln, Zauberliteratur) und mit einem Abschluss über „Einzelnes".

 

Dann folgen Rubriken über

XIII. „Volksmedizin" und

XIV. „Volkswissen" (mit den Unterteilungen: Volkswissen im allgemeinen, Volksbotanik, Volkszoologie, Wetter- und Sternkunde, Astrologie, Wahrsagerei, Mantik, Traumdeutung, Alchemie).

 

Anschliessend sind Arbeiten zu dem grossen Komplex, der im engeren Sinn vielfach unter Folklore verstanden wird, registriert. Zunächst findet sich hier ein allgemeiner Teil XV. „Literarische Volkskunde", dann ein nach Sprachgebieten untergliedertes grosses Kapitel zu dem stoffreichen Gegenstand

XVI. Volkspoesie" (insbesondere Volkslied), dem ein Abschnitt über

XVII. „Musik und Tanz, Jodler, Juchzer und ähnliches" folgt.

Zu diesem übergreifenden Komplex zählen des weiteren die Kapitel

XVIII. „Märchen, Erzählungen, Schwank, Sage, Legende", ferner

XIX. „Volksschauspiel' und ein Anhang

XX. „Sonstige Volksliteratur" (der noch nicht Erfasstes wie Triviallesestoff, Fliegende Blätter, Erbauungsschrifttum u. a. registriert).

 

Der nächste Abschnitt ist mit XXI. „Rede des Volkes" überschrieben und weist folgende Gliederung auf: Allgemeines und Vermischtes; Rätsel; Sprichwort und Redensart; Witz und Spott, Übernamen, Ortsneckerei; Ruf und Formel; Stimmendeutung; Volkstümlicher Wortschatz (im allgemeinen und Sondersprachen).

Ein abschliessendes Kapitel XXII. „Namen" verzeichnet, eingeleitet durch einen Vorspann „Allgemeines und Vermischtes", die Arbeiten zu Orts-, Flur-, Strassen-, Haus-, Vor- und Familiennamen.

 

Alles in allem spiegelt diese Inhaltsübersicht ein Konglomerat an Details in einer Reihenfolge, der man die Mühsal der Gewinnung eines Registrierungsschemas und der Einarbeitung immer neuen Titelmaterials ansieht.

 

In der Tat hat es die Volkskunde überall mit der Erfassung, Ordnung und Aufbereitung komplexer Massen von Einzeldaten aus dem menschlichen Alltags- und Freizeitleben und seinen soziokulturellen Manifestationen zu tun. Deshalb bleibt der Aufbau von Ordnungssystemen in allen Sektoren der fachlichen Dokumentation, in erster Linie natürlich auch in der Fachbibliographie, eine vordringliche Aufgabe, die der gründlichen Lösung bedarf …

 



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