Massilia
600 v. Chr. bis 400 n. Chr.
Theater verboten, Selbstmord erlaubt
Links zu Massilia
http://www.ifrance.com/bilinguis/9Marseille.htm http://marseille.pytheas.free.fr/navig/massalia/massalia.htm http://www.nefert.net/mars/archeo04.htm http://membres.lycos.fr/torugo/Cesar./cesar..html http://www.interlog.com/~gilgames/massilia.htm
Links zur Geschichte des Selbstmords
http://de.wikipedia.org/wiki/Suizid http://socio.ch/health/suizid02.htm http://www.nur-ruhe.de/portal.php?anz=Links&kat=Portal
Publikationen zur Geschichte des Selbstmords
Karl August Geiger: Der Selbstmord im klassischen Altertum. Historisch-kritische Abhandlung. Augsburg: Huttler 1888. Jerry Dell Ehrlich: Suicide in the Roman Empire. A Historica, philosophical and Theological Study. Diss. Columbia University 1983.
Donald McCornick: The Unseen Killer. A Study of Suicide, iits History, Causes and Curses. London: Muller 1964.
Alfred Alvarez:
The sagavge god. A study of suicide. London: Weidenfeld and Nicolson 1971;
Harmondsworth: Penguin Books 1974; zahrleiche Aufl. bis London: Bloomsbury 2002; Henry Romilly Fedden: Suicide. A Social and Historical Study. New York: Benjamin Blom 1972. Thomas Haenel: Die Bewertung des Suizides im Laufe der Geschichte. Eine Übersicht. Medizinhistorisches Journal, Bd. 18, 1983, 213-226.
Georges Minois:
Histoire du suicide. Paris: Fayard 1995; Gerd Mischler: Von der Freiheit, das leben zu lassen. Kulturgeschichte des Suizids. Hamburg: Eruopa-Verlag 2000. Gerald Grote, Michael Völkel Karsten Weyershausen: Das Lexikon der prominenten Selbstmörder. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf/ Lexikon Imprint-Verlag 2000. Hans-Balz Peter (Hrsg.): Suizid ...? Aus dem Schatten eines Tabus. Zürich: TVZ Theologischer Verlag 2003. Reinhard Bobach: Der Selbstmord als Gegenstand historischer Forschung. Regensburg: Roderer 2004.
Gierige Schiffsleute
Im 10. Jahrhundert vor Christus, so berichtet die Überlieferung, gründeten die jonischen Griechen von Athen aus auf Kleinasien eine griechische Kolonie, die Stadt von Phokaea. Die Einwohner derselben waren mutige und gewandte Schiffsleute. Sie waren begierig nach Gewinn und Reichtum. Durch das ganze Mittelmeer kreuzten sie mit ihren Flotten. An allen Küsten bis nach Spanien hinunter gründeten sie Handelsniederlassungen (beispielsweise um 750 v. Chr. Cuma).
Die Phokäer gründen eine Kolonie für den Handel
Um das Jahr 600 v. Chr. wurde eine dieser phokäischen Flotten in das Gebiet der Provenceküste verschlagen. In einer Biegung der Küste fanden sie den verstecktesten und bestgeschützten Hafen des ganzen westlichen Mittelmeerbeckens. Die einzigartige Gelegenheit, hier eine sichere und zentrale Niederlassung zu gründen, wurde erkannt, und mit dem Regenten der dort lebenden Bevölkerung wurden Verhandlungen aufgenommen. Dieser König gab seine Zusicherung für die Gründung einer neuen Kolonie im Gebiet dieses verborgenen Schutzhafens, und die Phokäer hatten nur noch ihre Orakel, nämlich das in Delphi und das in Ephesus, um Zustimmung zu fragen, die dann von den Götter auch gegeben wurde.
So wurde dann die Gründung dieser phokäischen Niederlassung im Jahre 594 v. Chr. vollzogen. Die Phokäer errichteten ihre Behausungen, ihre Magazine und umgaben den ganzen Flecken mit einer Mauer. Die Bestimmung der Stadt war von Anbeginn an auf den Handel ausgerichtet, was ihr Schicksal auf Jahrhunderte hinaus entscheidend bestimmte. Das vorerst gute Verständnis und Auskommen mit den Einwohnern der umliegenden Gegend wurde aber bald durch eine Verschwörung und ein Massaker getrübt und machte fortan einem grossen gegenseitigen Misstrauen Platz.
Ausbreitung von Handel und Geld
Die Ausbreitung der Handelsbeziehungen liess sich aber gut an. Rhone aufwärts beförderten die Massilier ihre Ware ins Festland hinein (Marseille galt als „Pforte nach dem Norden“), auf dem Meer kämpften sie in scharfer Rivalität mit den Flotten von Karthago. In ständigen Gefechten erlangten bald die Karthager, bald die Phokäer die Oberhand. Kolonien in Spanien wurden zerstört, Städte wurden unter andere Herrschaft gezwungen und auch neue Niederlassungen gegründet ( beispielsweise um 550 v. Chr. Alalia auf Korsika und Mainake an der südiberischen Küste).
Im 4. Jahrhundert v. Chr. wurde das geprägte Geld als Zahlmittel eingeführt, und die massilianischen Münzen mit ihren feinen Drucken wurden beinahe als kleine Kunstwerke angesehen. Auch auf dem Gebiet der Forschungsexpeditionen wurden Erfolge erzielt; man erzählt, dass kleine Gruppen bis nach Senegal in Afrika und hoch in den Norden hinauf bis nach Norwegen gekommen seien.
Punische Kriege: Massilia auf der Seite Roms
Es kam die Zeit der punischen Kriege. Massilia hatte sich auf die Seite Roms gestellt. Nach dem siegreich beendigten 1. Krieg musste in Spanien Ordnung geschafft werden, und im 2. punischen Krieg erforderte es die Lage, dass Publius Scipio Marseille als Ausgangspunkt für die Defensive gegen die Karthager benützte. Nach der Niederlage der Karthager 216 v. Chr. erhielt Marseille die karthagischen Besitzungen in Spanien, da es sich massgeblich am römischen Sieg beteiligt hatte.
Die politische Organisation: Herrschaft der Reichen
Über die politische Organisation von Massilia, während der Zeit vom 4. Jahrhundert v. Chr. bis zum 1. Jahrhundert n. Chr., ist folgendes bekannt: Da die Stadt recht berühmt war und infolge ihrer grossen Ausdehnung eine beachtliche Einwohnerzahl aufwies, war es notwendig, mit einer richtigen Verfassung die Sicherheit des Bürgers und der ganzen Stadt zu garantieren. So beschloss man gleich von Anbeginn an, nur das scheinbar Beste zu wählen und geriet auf die politischen Werke von Aristoteles. Es sind zwar heute nur noch zwei Abschnitte davon erhalten, ein kurzer Auszug aus der "Geographie“ von Strabon und mehrere detaillierte Kapitel aus dem Buch "De dictis factisque mirabilibus“. Aus diesen Quellen lassen sich der Charakter und einige besondere Einrichtungen der massilianischen Verfassung ableiten.
Die ursprüngliche, äusserst strenge Oligarchie dehnte sich mit der Zeit in eine aristokratische Herrschaft aus. Die Legislative wurde von einer 600 Mitglieder umfassenden Versammlung, der Timouqes, ausgeübt. Sie bestand vorwiegend aus den Häuptern der führenden Handelsunternehmen und -familien der Stadt. Diese Versammlung übte die gerichtlichen Funktionen aus, und zwar als Vollversammlung oder dann als besonders geschaffene Kommissionen von Ratsmitgliedern. Ausser den Timouque gab es keine Richter. 15 Mitglieder des Rates, davon drei im besonderen, von denen einer an der Spitze des massilianischen Staates stand, übten die exekutive Gewalt aus.
Zum Teil befremdliche Verordnungen: Theater verboten, Selbstmord erlaubt
Theateraufführungen und Zirkusvorstellungen waren in Massilia verboten, so sehr sorgte man sich um die Reinheit und Würde der Sitten. Die religiöse Bettelei, in der man eine Art von Faulheit sah, wurde innerhalb der Stadtmauern nicht zugelassen. Verbrechen durften mit dem Tode bestraft werden, doch war die Gerichtsbarkeit mit der Zeit sehr nachsichtig geworden. Man konnte die Stadt nicht mit Waffen betreten. Am Stadttor wurden sie einem abgenommen und erst beim Weggang wieder zurückerstattet.
Herren die einen Sklaven besassen, konnten ihm die Freiheit schenken oder ihm bei schlechtem Betragen und Undankbarkeit wieder wegnehmen. War der Sklave aber drei Mal freigelassen worden, so wurde er definitiv frei. Die mangelnde Urteilsfähigkeit und der Wankelmut des Herren wurden also dergestalt bestraft. Am Stadttor standen überdies immer zwei Särge bereit: der eine um die Sklaven, der andere, um die Herren ausserhalb die Mauern zu schaffen. Die Begräbnisse wurden nach Volksbrauch gefeiert, doch ohne Manifestationen des Leidens oder des Schmerzens.
Jeder Bürger der Stadt konnte den Timokraten ein Selbstmordgesuch stellen und dazu Gründe angeben. Wurden die Gründe und Ursachen gebilligt, so lieferte man den Todeskandidaten auf Staatskosten die hinreichende Menge Schierlingsgift.
Diese recht eigenartigen und zum Teil befremdenden Verordnungen und Bestimmungen bilden sicherlich ein Unikum in der Verfassung einer antiken Stadt, und das absichtliche vollständige Fehlen der Demokratie, der Volksversammlungen und der Meinungsäusserungen der gewöhnlichen Bürger tragen das Ihre dazu bei, dass die Verfassung der Stadt Marseille in ihrer Art nirgend anderswo angewendet wurde.
Unruhige Zeiten in Abhängigkeit von Rom
Um 200 v. Chr. nahm Massilia die Stellung, die früher Karthago innegehabt hatte, im Mittelmeer ein. Fortwährende Bedrohungen durch Seeräuber, die auf die Handelsschiffe Jagd machten, und immer wieder hervorbrechende Angriffe und Kämpfe im Hinterland von Marseille machte es notwendig, mehrere Male Rom um seine Hilfe anzugehen. Ums Jahr 100 v. Chr., als die Kimbern und Teutonen ihre Heimat im Norden verliessen und gegen den Süden zogen, entrann Marseille nur mit knapper Not der Besetzung durch diese Volksmassen. Die geographische Situation der Heerlager ist zwar umstritten, doch wäre Marseille ohne Zweifel in die Hände dieser Fremdlinge gefallen, hätte nicht Marius in letzter Minute als rettender römischer Heerführer eingegriffen und in der Schlacht bei Aquae Sextiae die Barbarenheere entscheidend geschlagen.
Im Jahr 49 v. Chr. erfolgte die Belagerung durch Caesar. Marseille gab sich zwar neutral, stand aber doch eher auf der Seite von Pompeius. Länger als 5 Monate dauerte die Belagerung, die auf beiden Seiten mit äusserster Entschlossenheit ausgehalten wurde. Sogar zur See wurde gekämpft. Schliesslich mussten aber die Belagerten aufgeben und die harten Bedingungen, die Caesar stellte, annehmen. Die Flotte, die Waffen, die Geldreserven, alles musste abgegeben werden, sodass es mit der Handelsstadt Massilia für längere Zeit aus war. Eine einst blühende und geschäftstüchtige Stadt war zur Bedeutungslosigkeit verurteilt worden.
Neu: Die Stadt der Gelehrten und Künstler
Doch die arbeitsamen Massilianer liessen sich nicht einfach unterkriegen. Sie begannen auf dem Gebiet der Rhetorik und Philosophie ihre Studien voranzutreiben. Es gelang ihnen in kurzer Zeit einen ausgezeichneten Ruf als eine Art Universitätsstadt zu erringen. Historiker, Dichter, Philosophen und Ärzte kamen von weit her, politische Flüchtlinge und verbannte Politiker suchten hier Asyl und konnten hier ihren Studien obliegen. Tacitus sagt: Sie wählten Massilia, weil hier eine glückliche Mischung von griechischer Kultur und harter provinzieller Ökonomie vereint war.
Doch vom Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. an begann der endgültige Niedergang von Massilia in der Antike. Andere Städte am Lauf der Rhone übernahmen ihre Handelsaufgabe .Der Universitätsgeist verschwand und dank einer ungeregelten Regierung, Anarchie, Kämpfen und Überfällen verlor Massilia im Laufe des 3. und 4. Jahrhunderts jegliche merkantilische und geistige Bedeutung.
(Latein-Vortrag, September 1961)
Return to Top
Dr. phil. Roland Müller, Switzerland / Copyright © by Mueller Science 2001-2016 / All rights reserved
Webmaster by best4web.ch
|