Home Heute: Ein atemberaubender Wandel

                     Ein kurzer Blick 12 Jahre zurück, 12 Jahre voraus

 

Von den piepsenden Modems zur elektronischen Versklavung

 

Eine kurze Betrachtung, geschrieben im Juli 2008, leicht ergänzt im September 2008

 

 

Noch nie hat es eine Zeit in der Weltgeschichte gegeben, in der sich alles so rasant änderte!

 

Vieles, was vor zwölf Jahren als neu oder aktuell galt, ist heute schon veraltet oder vergessen.

 

Vieles, was heute den neusten Stand der Technik repräsentiert, wird in zwölf Jahren hoffnungslos veraltet sein. Manchen, worüber wir uns heute aufregen, wird uns in zwölf Jahren nur noch ein müdes Lächeln entlocken.

Aber vieles, was uns heute plagt, wird uns auch in zwölf Jahren noch plagen.

 

Blick 12 Jahre zurück: Gratisanzeiger …

 

Eine der ersten Schweizer Zeitungen, die mit einer Online-Ausgabe Furore machte, was das Boulevardblatt „Blick“. 1996 hatte es einen elektronischen Auftritt in leuchtendem Gelb. Die „Neue Zürcher Zeitung“ im Internet – „NZZ online“ – gab es erst im Sommer 1997. Sie bot, wie es in einem Rückblick 10 Jahre später hiess, „lesenswerten Inhalt ohne Schnickschnack“.

 

Erstaunlicherweise hat die Zeitung im neuen Medium, dem Internet, die gedruckte Zeitung nicht kannibalisiert. Im Gegenteil: Die Auflagezahlen stiegen an, jedenfalls für manche Publikationsorgane bis zum Jahre 2002. Dann fingen sie an zu sinken.

Was war passiert? Genau im Januar 2000 wurden die ersten Gratiszeitungen auf den Schweizer Markt geworfen. Es waren das in „Zürich Express“ umgetaufte „Tagblatt der Stadt Zürich“, die Pendlerzeitung „20 Minuten“ und die Zeitung „Metropol“. Letztere überlebte nur zwei Jahre. Der „Zürich Express“ kehrte (2003) wieder zu seinem alten Namen zurück.

Dafür tauchten neue Gratisblätter auf:

2006 „heute“ (im Juni 2008 abgelöst durch „Blick am Abend“) und

„Cash daily“ (im März 2009 eingestellt),

2007 „.ch“ (im Mai 2009 eingestellt) und

„“News“ (im Dezember 2009 eingestellt).

 

Heute (2008) sind es fünf täglich erscheinende Gratiszeitungen in der Deutschschweiz [2010: nur noch zwei: „20 Minuten“ am frühen Morgen, „Blick am Abend“ ab 16 Uhr]. Beobachtungen ergeben, dass die meisten Leser nicht mehr als fünf Minuten im Tram oder im Zug darin blättern und dann das Papier auf den Boden werfen, auf dem Sitz liegen lassen oder in der Kleiderablage deponieren. Und in den Zeitungsständern und andernorts liegen jeden Tag ganze Haufen ungelesener Exemplare herum. Eine Verschwendung ohnegleichen.

 

… und Elektronik

 

Vor 10 Jahren hatte ein Personal Computer einen Festplattenspeicher von 4 Gigabites, heute sind es 1000, genannt ein Terabite. Die Übertragungsrate der Modems betrug 14 400 bps (Bits pro Sekunde), und das Gerät machte piepsende und kreischende Geräusche. Heute bietet cablecom „hispeed“ Internet-Zugänge an, welche Raten haben von 25 000 Kilobits/ sec für Downloads und 2500 Kilobits/ sec für Uploads. Allerdings sind, wie es im Kleingedruckten heisst, diese Geschwindigkeiten nur „best efforts“ – also nur, wenn das Internet nicht verstopft ist.

 

Vor 10 Jahren gab noch keine USB-Stick. Es gab aber auch noch keine Viren, die unsere Computer und E-Mails ernsthaft bedrohten (Melissa erschien erste Ende März 1999). Von Spamming und Phishing, von Trojanern und Spyware sprach noch niemand. Heute wird geschätzt, dass über 90% aller E-Mails SPAM sind.

 

Es sind erst gerade 10 Jahre, dass es „Google“ gibt. Das Wort „blog“ existierte damals noch gar nicht, heute gibt es weit über 100 Millionen Blogs. „Flickr“ als Fotoplattform gibt es noch nicht einmal 5 Jahre, und sie enthält bereits über zwei Milliarden Fotos. „YouTube“ bietet seine Dienste noch nicht einmal 4 Jahre an und beherbergt heute bereits 10 oder 20 Millionen Videos.

 

Vor 10 Jahren waren die Handys noch keine Fotokameras, sondern schlichte Telefone. Vor 10 Jahren waren eben erst der DVD-Player und der MP3Player auf den Markt gekommen. Manche andere elektronischen Geräte, gab es überhaupt noch nicht: DVD-Recorder und Videorecorder mit Festplatten, Webpads und Smartphones, GPS Navigatoren usw.

Ein winziger Flachbildschirm von 25-Zoll kostete damals über 20 000 Franken (Hitachi). Video-Beamer gab es nur im industriellen und gewerblichen Bereich.

 

Blick 12 Jahre zurück: Management-Theorien und „Frauenliteratur“

 

Wie enorm schnell die Zeit vergeht, zeigt auch ein Rückblick auf die Management-Moden und -Theorien, die vor 12 oder ein bisschen mehr Jahren „in“ waren.

In der Schweiz waren das etwa das Lola-Prinzip (1994) und die „Emotionale Intelligenz“, Coaching und Selbstmanagement, Change Management und Wissens-Management, Branding, Customer Relationship Management und Power-Marketing.

 

Dazu gab es Business Reengineering und Agile Manufacturing, Total Quality Management, Balanced Scorecard und schliesslich Integrierte Managementsysteme.

 

Die Frauen lasen derweil „Die Prophezeiungen von Celestine“ (1994), „Der Alchemist“ und „Der Strand“.

 

Wie weit scheint uns dies alles zurückzuliegen! Und dabei ist es erst gut 12 Jahre her. Es sieht wirklich so aus, als ob sich das Rad der Zeit immer schneller dreht. Der Wandel ist rasant geworden.

 

Blick 12 Jahre voraus: spielend und drahtlos …

 

Können wir zwölf Jahre vorausblicken?

 

Wie wird die Welt im Jahre 2020 aussehen? Wachsen schon Palmen in Zürich, liegt Lugano wie Venedig unter Wasser, fährt der Glacier-Express nur noch an Geröllhalden statt an Gletschern vorbei, werden wir auch im Winter in kurzärmligen Hemden oder Blusen zur Arbeit gehen? So schnell wird sich das Klima wohl nicht ändern, aber früher oder später wird es dazu kommen.

 

Etwas nahe liegender scheinen mir folgende Szenarien. Ich fange im Kindergarten an. Die Diskussion wird nicht mehr um Hochdeutsch oder Mundart gehen, sondern um Mandarin und Kantonesisch, Wu oder Min.

Statt am Familientisch „Eile mit Weile“ zu spielen, haben Eltern und Kinder alle eine Spielkonsole vor sich und versuchen einander mit Tötungsraten zu übertrumpfen.

Das Mittag- und Abendessen kommt aus einem Automaten mit Steamer, der in der Mitte des Tisches plaziert ist.

In die Schule gehen die Kinder nur noch halbtags. In der andern Tageshälfte liegen sie auf dem Bett und kommunizieren drahtlos via Laptop mit ihrem Lehrer, der allein in seiner Klause, nein, in einer Schaltzentrale vor diversen Bildschirmen sitzt. Individuelles Lehr- und Lerntempo ist Trumpf.

Sogar die Senioren kommen auf diese Weise noch zum Zug. Sie dürfen den Lehrern mit Ihrer Lebenserfahrung zur Seite stehen und den Schülern elektronisch etwas von ihrer Altersweisheit vermitteln.

 

Schwierigkeiten bereiten freilich immer noch die handwerklichen Berufe. Ein künftiger Schreiner oder Gärtner, Hauswart oder Metzger muss immer noch viel praktisches Wissen haben und seine Hände geschickt einzusetzen wissen. Und wir brauchen immer noch starke Männer als Zügelmannen und Transportarbeiter, als Bauleute und Monteure. Da hilft die Elektronik nicht viel.

 

… „digitale Nomaden“ und Info-Worker

 

In Zukunft werden immer mehr Erwachsene, so werden wir in jüngster Zeit belehrt, zu „digitalen Nomaden“. Ausgestaltet mit elektronischen Gerätschaften – fast hätte ich gesagt: Spielzeugen -, verbringen sie ihre Zeit im Café statt an einem Arbeitsplatz. Sie bezeichnen sich als „Information Worker“ und ernähren sich von Fast food oder functional food.

Eine knappe Beschreibung dieser Gelegenheitsarbeiter lautet:

„Sein nächstes Ziel ist immer nur einen Klick entfernt. Das auf dem Gerät installierte Programm sichert ihm jederzeit Zugriff auf firmeninterne und externe Informationen. Wie sehen die aktuellen Verkaufszahlen aus? Klick. Wie hoch sind gegenwärtig die Gebote meiner laufenden Ebay-Auktion? Klick.“

 

Der Info-Worker „checkt während der Arbeitszeit alle zwei Stunden seine Mails, um der elektronischen Versklavung vorzubeugen. Und mindestens einen Tag in der Woche hält er sich von seinen Geräten fern“. Frage: Was macht er dann? Im Regen wandern? An einem Drahtseil über eine Geröllhalde balancieren? Mit den Kindern ins Disneyland fahren?

 

Wie steht es mit dem persönlichen Gespräch? Da ist die einst verfemte Videokonferenz wieder zum Leben erweckt worden. Über diese heisst es:

„Systeme der neuesten Generation schaffen inzwischen eine Atmosphäre, die fast einem physischen Treffen gleichkommt: Räume und Besprechungstische wachsen optisch zusammen; in Lebensgrösse sitzen sich die Teilnehmer zwischen New York und Tokio gegenüber.“

Dabei sind sie so gut elektronisch ausgestattet, dass sie aus verschiedenen Orten Pläne in Echtzeit verändern können - und zwar nicht nur etwa Architekten und Bauherren, sondern auch Konstrukteure und Designer. Sogar Businesspläne und Projektvorgaben können laufend angepasst, Doppelarbeiten vermieden, Wartezeiten verringert werden.

 

Trotz all dieser schönen Zukunftsaussichten: Unzählige Problem, die uns heute schon bedrängen, werden auch auf diese Weise weiterhin nicht gelöst.

 

Blick 12 Jahre voraus: Information

 

Wie steht es mit der Zukunft der Medienwelt. Hier geht es sowohl um Technik als auch um Inhalte.

 

Eine Vision für das Jahr 2020 sieht etwa folgendermassen aus:

Im Unterschied zu den „digitalen Nomaden“, die nur winzige PDA’s und xPods und dergleichen benützen, führt mein Mittelklassebürger einen zusammengefalteten Bildschirm im Tabloidformat mit sich, den er bei Bedarf im Büro, im Zug oder zu Hause entfalten kann, und auf dem er sich farbig reich bebilderte Nachrichten zu Gemüte führen kann. Selbstverständlich hat er einen Filter eingerichtet, der ihm nur diejenigen Themen präsentiert, für die er sich interessiert.

 

Als inhaltliche Neuerung besteht die sogenannte „vergleichende Analyse“. Das heisst, die Redaktion stellt zu einem bestimmten Thema oder Ereignis ein Konzentrat der vielen unterschiedlichen Informationen zusammen,: Es werden nicht nur Nachrichtenagenturen berücksichtig, sonder auch andere Informationsmöglichkeiten ausgewertet wie Diskussionsforen, Blogs, Communities, Netzwerke, usw. Dass das eine ganz neue Auffassung von redaktioneller Arbeit bedeutet, ist klar.

 

Doch diese „vergleichende Analyse“ verbreitert nur die Information in ausgewählten Bereichen. Es fehlt noch die Vertiefung. Es fehlen die Hintergrundberichte, die Kommentierung die Einordnung in die grösseren Zusammenhänge.

 

Beide Entwicklungen, die Verbreiterung der Information und deren Vertiefung, scheinen dem gegenwärtigen Trend entgegenzulaufen. Gratiszeitungen verbreiten Kürzestfutter, das Fernsehen zeigt Videoclips, das Radio strahlt ein Stakkato von Sätzen aus. Wir werden bald sehen, was wirtschaftlich Bestand haben wird.

 


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