Home Weltgetreidemarkt 1984

 

siehe auch:

Grafik Weltgetreide: Produktion, Handel, Vorräte

 

Inhalt

Welternten

Weltgetreideernte: 1777 Mio. t oder 1593 Mio. t?

Erhöhung der Weltgetreidevorräte um 10 %

Weizen: Vorratssteigerung trotz Ernterückgang in Kanada und Australien

Futtergetreide: Rückschlag des Vorjahres aufgefangen

Welthandel und weltweite Verschuldung

Weltgetreidehandel: knapp 2% des Welthandels

Weltfuttergetreidehandel: so hoch wie der Weltweizenhandel

Weltweizenhandel: Anteilsverluste der USA

EG: Aufstieg zum Grossexporteur ...

... Rekord bei Ernte und exportfähigen Mengen ...

... Aber wo sind die Abnehmer?

Kampf um Weltmarktanteile

Weizenimport auch von klassischen Agrarländern

Die UdSSR und das Getreide: Ein wirkungsloses Embargo …

… 1984: Verfehlung des Plansolls um einen Drittel …

... Ursache ist nicht nur das Wetter

Afrika: Vernachlässigung der Landwirtschaft ...

… Hilfe als "langfristiges Gift"

FAO: Konflikt mit dem WFP (World Food Programme) ...

... WFC (World Food Council) ignoriert

Hilfe an Lesotho: Rückgang der Weizenernte um drei Viertel

EG: verspätete Hilfe oder gar keine

 

Anhang:

Briefwechsel mit einer renommierten Tageszeitung

 

 

 

Welternten

 

WEIZEN

nach Jahren

(anfangs ohne China)

 

1963:              260 Mio. t

1965:              280 Mio. t

1967:              300 Mio. t

 

1971:              371 Mio. t

1976:              411 Mio. t

1978:              433 Mio. t

1979/80:         426 Mio. t

 

1980/81:         444 Mio. t

1981/82:         453 Mio. t

1982/83:         485 Mio. t

1983/84:         497 Mio. t

1984/85:         516 Mio. t

 

nach Ländern

1984

 

China:             85 Mio. t

UdSSR:          85 Mio. t

USA:               70 Mio. t

EG:                 69 Mio. t

Indien:             45 Mio. t

Kanada:         21 Mio. t

Ausralien:       17 Mio. t

Argentinien:   12 Mio. t

 

 

FUTTERGETREIDE                         REIS

 

                                                            1981/82:         411 Mio. t

1982: 793 Mio. t                               1982:              424 Mio. t

1983: 691 Mio. t                               1983:              436 Mio. t (450 Mio. t)

1984: 802 Mio. t                               1984:              459 Mio. t

 

 

 

 

Die auffälligsten Ereignisse des Jahres 1984 im Bereich der Landwirtschaft waren

·        eine enorme Steigerung der Getreideproduktion weltweit (+ 8%), insbesondere in der Europäischen Gemeinschaft (EG) (+ 21%) und besonders von Futtergetreide (+ 16%) mit entsprechender Ausweitung der Exporte

·        ein Rückgang der Weizenernte in Kanada und Australien (um je über 20%)

·        ein weiterer Rückgang des Anteils der USA am Weltweizenhandel

·        eine markante Erhöhung der weltweiten Getreidevorräte (um über 10%)

·        der Zusammenbruch der Kooperation zwischen FAO und WFP (World Food Programme)

·        erneute Hungersnöte in Afrika, etwa in Äthiopien und in den Sahel-Staaten.

 

Für die Schweiz brachte das Jahr 1984

·        die ersten Erfahrungen mit der neuen Getreideart Triticale

·        einen ausserordentlich hohen Überschuss an Brotgetreide durch höhere Flächenerträge

·        einen lebhaften, in der zweiten Jahreshälfte gar turbulenten Wechsel der EG-Exporterstattungen für Weichweizen

·        einen starken Rückgang der Einfuhr von Futtergetreide, vor allem bei Futtergerste und -hafer.

 

Weltgetreideernte: 1777 Mio. t oder 1593 Mio. t?

 

Was die Zahlen für den globalen Bereich anbelangt, sind freilich einige Diskrepanzen nicht zu übersehen. Sie rühren einmal davon her, dass mindestens drei Institutionen in regelmässigen Abständen mit Übersichten aufwarten, nämlich

·        die UNO-Sonderorganisation für Ernähung und Landwirtschaft (World Food and Agriculture Organization, FAO) in Rom,

·        der Internationale Weizenrat (International Wheat Council, IWC) in London,

·        das amerikanische Landwirtschaftsministerium (U.S. Department of Agriculture, USDA) in Washington.

 

Hinzu kommen Übermittlungsfehler der Nachrichtenagenturen und Zeitungskorrespondenten. Nochmals andere Angaben finden sich in Nachschlagewerken. Und schliesslich ist zu beachten, dass sich das Kalenderjahr nicht mit dem Ernte- oder Vermarktungsjahr (auch Kampagne genannt) deckt, das von Anfang Juli bis Ende Juni dauert.

 

Was kommt dabei heraus? In einer renommierten Tageszeitung hiess es anfangs September 1984, die diesjährige Getreideernte dürfte weltweit die Rekordmenge von 1756 Mio. t erreichen, 119 Mio. t mehr als im Vorjahr. Ein Monat später wurde mit 1763 Mio. t gerechnet, "-8% gegenüber 1983", ein Monat darauf war von der Rekordmarke von 1761 Mio. t die Rede, im Dezember schliesslich von 1777 Mio. t.

 

Im selben Zeitraum gaben andere Publikationen Schätzungen des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums bekannt: Die Weltgetreideernte werde 1984/85 1593 Mio. t erreichen, gut 7% mehr als im Vorjahr und rund 3% mehr als im bisherigen Rekordjahr 1982/83. (Für dieses Jahr hatte allerdings die erwähnte Tageszeitung früher einen Betrag desselben Ministeriums von 1676 Mio. t angegeben.)

 

Diese Angaben deuten auf einen Rückgang im Jahr 1983/84 hin. Die Zahlen der FAO lauten jedoch für 1982 1553 Mio. t und für 1983 1637 Mio. t. In einem Weltalmanach finden sich 1705 Mio. t für 1982 und 1633 oder 1619 Mio. t für 1983. Weitere Angaben des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums für 1983/84 lauten je nach Quelle auf 1483 Mio. t und 1585 Mio. t.

 

Der Unterschied in der globalen Getreideproduktion um 10% müsste zu denken geben. Er zeigt jedenfalls, dass die Berechnungsgrundlagen sehr unterschiedlich sind. Es kann nicht daran liegen, dass etwa Reis von den Amerikanern nicht zum Getreide gezählt wird, denn ohne Reis wird die Welt-Getreideernte vom amerikanischen Landwirtschaftsministerium auf 1285 Mio. t (1984/85) geschätzt. Das ergibt eine Reisernte von 308 Mio. t.

 

Nach andern Angaben betrug freilich die Reisernte schon in der Saison 1981/82 411 Mio. t und 1983 436 Mio. t, woran China 164 Mio. t beisteuerte. Für 1984 rechnet die FAO mit einer Produktionssteigerung bei ungeschältem Reis (Paddy) um 2% auf 459 Mio. t.

 

Weit auseinander gehen die Zahlen über die chinesische Getreideproduktion. Ein Weltalmanach gibt für 1983 eine Ernte von 331 Mio. t an, ein Bankbericht für dasselbe Jahr 387 Mio. t und für 1984 404 Mio. t.

 

Für 1984 rechnet das amerikanische Landwirtschaftsministerium mit einer rekordhohen Getreideproduktion der EG von 148,6 Mio. t gegenüber 123,3 Mio. t im Vorjahr, was eine Steigerung von über 20% bedeutet.

 

Grob gefasst, können die Anteile an der Weltgetreideernte wie folgt bestimmt werden:

30% Weizen

50% Futtergetreide (Grob- oder Raugetreide)

20% Reis.

 

Der Internationale Weizenrat in London stellt nur die Zahlen für Weizen und Futtergetreide zusammen. Für 1984 rechnet er mit einer weltweiten Weizenernte von 512 Mio. t (+ 3,2% gegenüber dem Vorjahr) und eine Futtergetreideproduktion von 792 Mio. t (+ 14,6% gegenüber dem Vorjahr). Die entsprechenden Zahlen der FAO lauten auf 516 Mio. t Weizen und 802 Mio. t andere Getreidearten. Das US-Landwirtschaftsministerium sagte eine Weltweizenernte von 506,7 Mio. t und bei den andern Getreidearten eine weltweite Ernte von 788,2 Mio. t voraus.

 

Erhöhung der Weltgetreidevorräte um 10 %

 

Die weltweiten Getreidevorräte am Ende des Erntejahres weisen stets

steigende Tendenz auf:

1974/75:135 Mio. t

1983/84:188 Mio. t

1984/84:200 Mio. t

 

Im Zehnjahresvergleich entspricht dies einer Erhöhung vom über 48%. Dem steht im selben Zeitraum eine Produktionssteigerung von gut 30% gegenüber. Dies nach Angaben des amerikanischen Landwirtschaftsdepartements. Die FAO beziffert dagegen die Weltvorräte an Getreide 1984 auf 285 Mio. t (27 Mio. t mehr als im Vorjahr). Das entspricht etwa 17% des Weltverbrauchs, was nach Ansicht der FAO gerade das für ein Überleben der Erdbevölkerung erforderliche Minimum darstellt.

 

Weizen: Vorratssteigerung trotz Ernterückgang in Kanada und Australien

 

War das Jahr 1983 vor allem für die Vereinigten Staaten ein schlechtes Erntejahr gewesen mit einem Rückgang der Menge von 76,4 Mio. t (1982) auf 65,9 Mio. t, also um rund 14%, so hatten im Sommer 1984 in Kanada Dürre und Heuschreckenplage ein Absinken der Weizenernte von 27 Mio. t auf 21 Mio. t zur Folge, also um über 20%.

 

Ebenfalls eine empfindliche Einbusse musste Australien mit einem Ernterückgang von 22 Mio. t (1983) Weizen auf 17,5 Mio. t hinnehmen. In den vorherigen Jahren waren allerdings noch weit drastischere Schwankungen zu verzeichnen gewesen, lauten doch die Einbringungsergebnisse für 1981 auf 16,4 Mio. t und für 1982 auf 8,7 Mio. t.

 

Demgegenüber stieg in der EG das Ernteergebnis bei Weichweizen von 55,4 Mio. t um nicht weniger als ein Viertel auf 69,2 Mio. t 1984.

 

Allein auf weiter Flur steht die Behauptung der renommierten Tageszeitung vom September 1984, es würden "laut den Vorausberechnungen der FAO-Experten in diesem Jahr 107 (i. V. 97) Mio. t Weizen geerntet". Ein Monat zuvor war von derselben Zeitung eine FAO-Schätzung von 510 Mio. t gemeldet worden; im Dezember stand sie mit 516 Mio. t zu Buche.

 

Für die fünf grössten Weizenexporteure wird eine Zunahme der Übertragsvorräte an Weizen um 8,6% von 66 Mio. t auf 71,7 Mio. t (1984/85) erwartet. Die weltweit zusammengefassten Vorräte aller Länder werden für Ende 1984/85 auf 132 Mio. t berechnet oder 12 Mio. t mehr als vor Jahresfrist. Das macht auf die weltweite Weizenernte gesehen 26% aus. (Das sind die Angaben des IWC. Das amerikanische Landwirtschaftsministerium schätzt dagegen die Weltüberhangvorräte an Weizen Ende 1984/85 auf bloss 105 Mio. t.)

 

Futtergetreide: Rückschlag des Vorjahres aufgefangen

 

Der Einbruch des Vorjahres wurde beim Futtergetreide 1984 vollständig aufgefangen. Da Mais mehr als die Hälfte davon ausmacht, war es vor allem die Maisernte in den Vereinigten Staaten, welche das Konto ausglich. Diese Maisernte soll nach den Schätzungen Washingtons mit 192 Mio. t nicht weniger als 81% höher gelegen haben als 1983. (Am selben Ort in derselben Tageszeitung wurde allerdings eine Woche vorher gemeldet, die amerikanische Maisernte dürfte um 2% zurückgehen. Dabei stieg auch die kanadische Maisernte von 6 auf 7 Mio. t.)

 

Mit einer Steigerung der Gerstenernte um 20% von 36,3 Mio. t (1983) auf 43,5 Mio. t (1984) hat auch die EG einen nicht unbedeutenden Beitrag zur Vergrösserung des Futtergetreidevolumens geleistet. Kanada steuert unverändert 10 Mio. t Gerste und 2,7 Mio. t Hafer bei. Die chinesische Futtergetreideernte erhöhte sich nur unwesentlich um 2,6 Mio. t auf 95 Mio. t; Körnermais macht davon etwa 62 Mio. t (1983) aus.

 

Mit dem Aufholen des Rückschlages äufneten sich auch die weltweiten Futtergetreide-Vorräte wieder auf etwa 100 Mio. t. Sie waren am Ende des Erntejahres 1983/84 auf 81 Mio. t geschrumpft, gegenüber 153 Mio. t im Vorjahr.

 

Welthandel und weltweite Verschuldung

 

Der gesamte Welthandel hat sich von 61 Mia. Dollar (1950) über 311 Mia. Dollar (1970) und knapp 1000 Mia. Dollar (1976) auf eine Rekordhöhe von 2000 Mia. Dollar im Jahre 1980 ausgeweitet. Seither ist er stets leicht gesunken, wobei jedoch die Änderungen des Dollarkurses in Rechnung zu stellen sind.

 

Die Verschuldung der Entwicklungsländer stieg noch steiler von 21,6 Mia. Dollar (1961) über 66,7 Mia. Dollar (1970) auf 465 Mia. Dollar (1980). Ende 1983 betrug sie 810 Mia. Dollar. Dem kann allerdings eine gleichzeitige Auslandverschuldung der USA von 1600 Mia. Dollar gegenübergestellt werden.

 

Weltgetreidehandel: knapp 2% des Welthandels

 

Der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten macht wertmässig etwa 15% des gesamten Welthandels aus (1979: 243 Mia. Dollar). Der Getreidehandel macht davon wiederum 12% aus (1979: 30 Mia. Dollar). Daraus ergibt sich einen Anteil des Getreidehandels am Welthandel von nicht einmal 2%.

 

Bemerkenswert ist, dass etwa ein Drittel des gesamten internationalen Getreidehandels über die Schweiz abgewickelt wird.

 

Kaum ins Gewicht fällt der Handel mit Reis, werden doch rund 97% der Weltproduktion im Ursprungsland verbraucht. So blieben von der Welternte 1982 von 424 Mio. t Reis nur 13 Mio. t zur Ausfuhr bestimmt. Hauptexporteure waren Thailand (2,8 Mio. t), Indien (1 Mio. t) sowie Pakistan, China und Italien mit 0,7 bis 0,8 Mio. t. Wichtige Einfuhrländer waren Nigeria (1 Mio. t), die UdSSR (0,86 Mio. t), Iran und Saudi Arabien, aber auch etwa Malaysia und Indonesien, letztere mit 0,4 resp. 0,3 Mio. t.

 

Weltfuttergetreidehandel: so hoch wie der Weltweizenhandel

 

Ganz anders als der Weltweizenhandel ist der Handel mit Futtergetreide kein Thema für die Gazetten, dabei bewegt er sich in derselben Grössenordnung. Schon 1979/80 machte der weltweite Futtergetreideexport 101 Mio. t aus (Weizen demgegenüber je nach Quelle 77 oder 86 Mio. t). Dazu trugen die USA 71 Mio. t (vorwiegend Mais), Argentinien 10 Mio. t, die EG 6 Mio. t und Kanada 4 Mio. t bei. 1981/82 und 1982/83 sank das Welthandelsvolumen von Futtergetreide und im folgenden Jahr verharrte es auf dem gleichen Niveau. Die Rekordernten der USA und der EG dürften nun aber ein beachtliches Ansteigen der Exporte zur Folge haben.

 

Der IWC veranschlagt das weltweite Handelsvolumen von Futtergetreide in der Kampagne 1984/85 denn auch auf 97 Mio. t, womit das Transaktionsvolumen des Vorjahres (89,5 Mio. t) um mehr als 8% übertroffen würde.

 

Weltweizenhandel: Anteilsverluste der USA

 

Vom weltweit geernteten Weizen geht etwa ein Fünftel in den Export. 97% der Weizenimporte werden von nur fünf Exportländern geliefert. Mehr als die Hälfte ihrer Produktion führen aus: die USA (58%), Kanada (76%), Australien (55%) und Argentinien (83%). Die EG exportiert etwa einen Viertel ihrer Ernte.

 

Den grössten Anteil am Welthandel mit Weizen wiesen stets die Vereinigten Staaten auf. In der Kampagne 1973/74 machte er über 63% aus, fiel dann aber in den nächsten drei Jahren auf 50% und pendelte bis 1981/82 (53%) um diese Marke herum. Die folgenden Jahre brachten einen drastischen Verlust auf 45% (1982/83) und 41% (1983/84). Für 1984/85 wird sogar nur mit einem Anteil von 39% gerechnet.

 

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Welthandelsvolumen an Weizen in den 70er Jahren lange Zeit zwischen 63 Mio. t (1973/74) und 72 Mio. t (1978/79) lag. Erst die nächsten Kampagnen brachten Sprünge auf 86 Mio. t (1979/80), 94 Mio. t (1980/81) und 101 Mio. t (1981/82). Für 1984/85 wird mit etwa 106 Mio. t gerechnet.

 

EG: Aufstieg zum Grossexporteur ...

 

Mitte der 70er Jahre war der Anteil der EG am Weizenhandel weitgehend unbedeutend. Erst 1978/79 und 1979/80 machte ihr Anteil mit einem Nettoexport von 4 resp. 5 Mio. t etwa 7% des Weltweizenhandels aus. 1980/81 brachte eine Verdoppelung des Nettoexports auf 10 Mio. t und damit eine Vergrösserung des Anteils auf 12%.

 

Es konnte nicht ausbleiben, dass dies zu handelspolitischen Spannungen mit den USA führte. Insbesondere Fragen des Wettbewerbs standen im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Die EG verbilligte ihr Preise mittels Exporterstattungen (Subsidien), während die Amerikaner mittels Mischkrediten und andern Erleichterungen ihren Ausfuhranteil zu behaupten suchen.

 

Um mögliche Konflikte zu entschärfen, hat die EG ihre kommerziellen Weichweizen- und Mehlexporte durch freiwillige Selbstbegrenzung auf 14% des Welthandelsvolumens eingeschränkt. Nicht unter diese Begrenzung fallen Ausfuhren für die Nahrungsmittelhilfe und von Verarbeitungsprodukten sowie von Hartweizen (Durum).

 

... Rekord bei Ernte und exportfähigen Mengen ...

 

Durch die Rekordernte 1984 geriet diese Selbstbegrenzung ernsthaft in Gefahr. Ende Jahr rechnete das amerikanische Landwirtschaftsministerium mit Nettoausfuhren der EG in der Saison 1984/85 von 15,8 Mio. t (Export 18,5 Mio. t; Import: 2,7 Mio. t), was einem Anteil am gesamten Weltweizenexportvolumen von 15% entsprechen würde. Das bedeutet eine Exporterhöhung der EG um 22%. Hinzu kommt, dass als Folge des hohen Dollars, der die Exporte der amerikanischen Konkurrenz verteuert, der EG-Weizenpreis nur noch wenig über dem Weltmarktniveau liegt.

 

Ferner bemühte sich die EG, möglichst ohne Exporterstattungen auszukommen. Das zeigt sich besonders deutlich auch bei den Subsidien für den Weichweizenexport nach der Schweiz: Betrugen diese im Januar bis April 1984 zwischen 20 - 39 Ecu pro Tonne resp. Fr. 3.45 - 6.90 pro 100 kg, so bewegten sie sich in der zweiten Jahreshälfte (mit Ausnahme des 1. August) zwischen 0 - 7 Ecu resp. Fr. 0 bis 1.30.

 

Eine etwas andere Betrachtungsweise lautet folgendermassen: Das Ernteergebnis 1984 wird für die EG beim Weichweizen mit 69,2 Mio. t auf einen Viertel mehr als im Vorjahr veranschlagt. Die Ablieferungen in der Kampagne 1984/85 dürften sich auf 60,4 Mio. t belaufen, was zusammen mit einem Anfangsbestand von 7,1 Mio. t und Einfuhren von 2 Mio. t eine verfügbare Menge von 69,5 Mio. t erwarten lässt. Wenn für den EG-Binnenverbrauch wie im Vorjahr für die menschliche Ernährung 24,5 Mio. t, für die Tierfütterung 12,8 Mio. t (- 0,8 Mio. t) und für Nahrungsmittelhilfe 1,4 Mio. t (+ 0,1 Mio. t) vorgesehen werden, verbleiben für Endbestand und kommerziellen Export 30,8 Mio. t. Das ist über die Hälfte mehr als in der Vorkampagne (20,1 Mio. t). Selbst wenn für die Tierverfütterung mehr Weizen als die Rekordmenge der Vorsaison verwendet werden sollte, dürfte der exportfähige Weizenüberschuss der EG immer noch 7 bis 10 Mio. t über der Rekordausfuhr des Vorjahres liegen.

 

Nun stehen jedoch infolge der ebenfalls ausserordentlich hohen Gerstenerträge für Endbestand und Export auch 11,6 Mio. t Gerste, gegenüber 6,8 Mio. t im Vorjahr, zur Verfügung. Das setzt der Verfütterung von Weizen Grenzen. Denn der umfangreiche Einsatz von Weizen im Tierfutter lag in der Verwertungsperiode 1983/84 nur auf der damals gegenüber früher geringeren Gerstenernte. Damit war die Verwendung von Weizen statt Gerste preislich attraktiv. Mit einer ausreichenden Gerstenversorgung fällt dies Ausweichmöglichkeit wieder dahin.

 

... Aber wo sind die Abnehmer?

 

Als Ergebnis dieser Betrachtungen dürften in der Saison 1984/85 sowohl die Weizen- als auch die Gerstenexporte der EG die gegenwärtigen Prognosen noch übertreffen. Vor allem da die Preisdifferenz zwischen Weizen der EG und des Weltmarktes immer kleiner wird und sich damit der Anreiz und Druck erhöht, durch Ausfuhren den EG-Binnenmarkt zu entlasten befürchtet das amerikanische Landwirtschaftsministerium, dass der EG-Weizenexport in der Kampagne 1984/85 auf 23 bis 26 Mio. t steigen könnte - sofern dafür Abnehmer zu finden sind.

 

Solche Abnehmer sind diejenigen, die keinen harten und hochproteinhaltigen Mahlweizen brauchen oder die hauptsächlich Futterweizen verwenden.

 

In den vergangenen Jahren verkaufte die EG den Grossteil ihres Weizens an die Sowjetunion und Osteuropa sowie an den Mittleren Osten und Afrika. Die Exporte nach Bangladesh haben sich ausgedehnt. China, Brasilien und Indonesien waren nur zeitweilig bedeutende Kunden. Verschiedene der finanziell stark verschuldeten Länder wie Brasilien machen es der EG allerdings schwer zu konkurrieren, sofern dabei keine Kredite zur Finanzierung erteilt werden können.

 

Der Verkauf von Futterweizen dürfte ebenfalls schwierig sein, da seine Wettbewerbsfähigkeit mit anderem Futtergetreide noch nicht besteht. Zudem liegen ja auch die Preise für EG-Gerste unter demjenigen für EG-Weizen, und dies bei einer reichlichen Gerstenversorgung.

 

Da Kanada als zweitgrösster Weizen- und Gerstenexporteur der Welt nicht nur eine schlechte Weizenernte, sondern wie schon 1983 auch eine enttäuschende Gerstenernte verzeichnet, befürchten die kanadischen Ämter wohl den Verlust einiger ausländischer Kunden an die EG.

 

Kampf um Weltmarktanteile

 

Im November 1984 gerieten die Agrarmärkte in Chicago stark in Bewegung. Zusammen mit einer festeren Tendenz des amerikanischen Dollars erlitten Mais und der "Soja-Komplex" beachtliche Schwächeanfälle. Herrschte Ende des Monats noch die Meinung, dass es sich "nicht um den Beginn einer grösseren Baisse" handeln könne, so hiess es schon Mitte Dezember, die Baissiers hätten an den Agrarmärkten die Zügel nun offenbar fest in der Hand. Anlass für diese pessimistische Einschätzung bildete ein Einbruch beim Weizen. Es fiel sogar die Formulierung: "Hier sieht es gegenwärtig so aus, als seien alle Dämme gebrochen."

 

Als Ursache für die ausgeprägte Schwächeneigung machte man den Ausbruch der "Schlacht der Anbieter um Anteile am Weltmarkt" namhaft. Besonders ins Auge stach das "aggressive" Verhalten Argentiniens. Es versuchte, seine neue, gerade hereinkommende Weizenernte so früh wie möglich unterzubringen. Dabei spielte der Umstand eine nicht zu unterschätzende Rolle, dass die argentinische Ernte mit 11 Mio. t rund 1,5 Mio. t höher als die ursprünglichen Erwartungen auszufallen versprach. Dieser Mehrertrag wurde vor allem in den Vereinigten Staaten als Bedrohung empfunden.

 

Auch Ende Jahr war die Stimmung nicht viel freundlicher, da die Erwartungen auf auch 1985 weltweit wachsende Überschüsse zu Agrarpreisprognosen führten, welche den Baissiers weiter in die Hände spielten.

 

Weizenimport auch von klassischen Agrarländern

 

Die Aufteilung der weltweiten Weizenimporte ergibt folgendes Bild:

ca. 50% Entwicklungsländer

ca. 40% staatswirtschaftliche Länder

ca. 10% entwickelte Länder.

 

Im Unterschied zu den Weizenexporten, die weitgehend von den "5 Grossen" bestritten werden, sind die Importe auf mehr Länder verteilt. Die grössten Importeure sind die Sowjetunion (1983/84: 19,4 Mio. t) und die Volksrepublik China (9,5 Mio. t), Japan (5,7 Mio. t) sowie Brasilien, Ägypten und Polen mit je rund 4 Mio. t (1982). Für Ägypten wird neuerdings ein Import von 7 Mio. t erwartet; die Eigenproduktion beträgt 2 Mio. t.

 

Viele Länder exportieren und importieren gleichzeitig. Das kann in manchen Fällen zu einem recht ausgeglichenen Verhältnis führen. So exportierte beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland 1982 924 800 t Weizen und 579 900 t Weizenmehl, führte aber auch 1 611 000 t Weizen ein. Das ergibt einen kleinen Einfuhrüberschuss von gut 100 000 t.

 

Für die Schweiz dagegen verzeichnete die Oberzolldirektion im selben Jahr einen Import von Getreide im Wert von 425 Mio. Fr. und keinerlei Ausfuhr.

 

Die UdSSR und das Getreide: Ein wirkungsloses Embargo …

 

Die sowjetische Ernte

(Getreide insgesamt)

1978/79:         226,1

1979/80:         171,3

1980/81:         178,7

1981/82:         152,0

1982/83:         172,0

1983/84:         195,0

1984/85:         150-160

 

(Fünfjahrplan seit 1981: Durchschnitt von 238 bis 243 Mio. t gefordert)

 

Die sowjetische Einfuhr weltweit

1978/79:         22,5

1979/80:         30,5

1980/81:         34,0

1981/82:         45,0

1982/83:         32,0

1983/84:         33,0

1984/85:         50

 

Die amerikanische Ausfuhr in die UdSSR

1978/79:         11,2

1979/80:         15,2

1980/81:           8,0

1981/82:         15,4

1982/83:           6,2

1983/84:         12,0

1984/85:         9-22

 

(Amerikanische Statistiken, Moskau)

 

 

Ein grosser Teil der Statistiken in den verschiedenen Institutionen besteht in der Vornahme von Schätzungen über die erwarteten Erntemengen und den mutmasslichen Importbedarf. Diese Schätzungen variieren von Institution zu Institution und von Monat zu Monat. Das klassische Beispiel dafür sind Ernten und Einfuhrbedarf der Sowjetunion.

 

Seit der Saison 1978/79, welche eine Rekordernte an Getreide von 226,1 Mio. t brachte, erreichten die Einbringungen die geforderten Planziele nie mehr auch nur annähernd. Das hatte seither stets eine Einfuhr weltweit von mindestens 30 Mio. t - mit einem Höhepunkt von 45 Mio. t 1981/82 - zur Folge.

 

Aber schon 1972 hatten die UdSSR 26 Mio. t Getreide importieren müssen. Auf Grund dieser und anderer Erfahrungen wurde 1975 zwischen der UdSSR und den USA ein Lieferabkommen für 5 Jahre geschlossen. Kurz bevor es auslief, kürzte Präsident Carter im Januar 1980 die Getreidelieferungen wegen des russischen Einmarsches in Afghanistan. Einer der Profiteure dieses Embargos war Argentinien. Seine Jahreslieferungen erreichten mit etwa 4 Mio. t dasselbe Ausmass wie diejenigen von Australien und Kanada. Schon Ende April 1981 wurden die USA-Restriktionen wieder gelockert, und im Sommer 1983 wurde erneut ein fünfjähriger Vertrag geschlossen, der jeweils vom 1. Oktober bis 30. September läuft, was allerdings nicht mit dem sowjetischen Kaufjahr korrespondiert. Der Vertrag verpflichtet die UdSSR über fünf Jahre bis 1888 jährlich mindestens 9 Mio. t Getreide zu kaufen, davon je die Hälfte Weizen und Mais. Eine Erhöhung der Bezüge bis 12 Mio. t ist möglich; für Mengen darüber sind zusätzlich Konsultationen erforderlich.

 

… 1984: Verfehlung des Plansolls um einen Drittel …

 

Der Vertrag von 1975 hatte auf einer Abnahmepflicht von 8 Mio. t beruht, die auch durch das Embargo 1980 nicht in Frage gestellt wurde. Ein danach ausgehandelter neuer Vertrag hatte auf 6 Mio. t Weizen und Mais mit einer zusätzlichen Option auf 2 Mio. t gelautet. Interessant ist das Bild, das sich aus der graphischen Darstellung der amerikanischen Getreidelieferungen an die UdSSR ergibt: Der Verlauf seit 1973 ergibt eine fast perfekte Sägezahnkurve.

 

In der zweiten Hälfte des Jahres 1984 revidierte das amerikanische Landwirtschaftsministerium die Schätzungen für die russische Getreideernte schrittweise scharf nach unten von 190 Mio. t (Mai-Juli) über 180 Mio. t (September) und 169 Mio. t (November, FAO) bis auf 150 - 160 Mio. t im Dezember. Die letzteren Ziffern bedeuteten eine Mindererfüllung des Plansolls von - 35%.

 

Parallel zu diesen sinkenden Ertragsschätzungen stieg der veranschlagte Einfuhrbedarf der UdSSR von 43 Mio. t (August) auf 50 Mio. t. Der rein rechnerische Bedarf müsste freilich noch höher liegen, doch nahm man an, die völlige Auslastung der Umschlagskapazitäten in den sowjetischen Häfen setze bei etwa 50 Mio. t eine obere Grenze.

 

Rechneten die Amerikaner im Sommer 1984 noch mit russischen Käufen in der Höhe von mindestens 15, ja sogar von 20 Mio. t für das Kaufjahr von Juli 1984 - Juni 1985, so ging man im Dezember 1984 davon aus, dass die Sowjets für die Lieferung 1984/85 (Oktober bis September) nicht mehr als die vereinbarte Menge von je 4 Mio. t Weizen und Mais erwerben würden. (1983/84 waren es 14,3 Mio. t gewesen.) Demgegenüber wies Argentinien ebenfalls im Dezember 1984 darauf hin, "die Sowjetunion habe - ungeachtet der politischen Spannungen zwischen den beiden Ländern - erst kürzlich zu günstigen Finanzierungsbedingungen mit den USA Getreidekäufe von 22 Mio. t vereinbart". Tatsächlich hatte Präsident Reagan im September in einer Erklärung verlautbaren lassen, das amerikanische Landwirtschaftsministerium werde der UdSSR für das am 1. Oktober 1984 beginnende Finanzjahr zusätzlich 10 Mio. t Getreide zum Kauf anbieten.

 

... Ursache ist nicht nur das Wetter

 

An Gründen für die russischen Missernten machten amerikanische Agrarexperten einen ganzen Katalog namhaft. Einmal waren die Wetterbedingungen im Frühjahr und Sommer 1984 ungünstig: Während es im Wolga-Delta, in der südlichen Ukraine und im westlichen Kasachstan zu trocken und zu heiss war, litten Weissrussland, die westliche Ukraine und Zentralrussland unter Nässe.

 

Das Wetter war aber nur ein Faktor. Zu den bekannten Problemen der sowjetischen Landwirtschaft - schlechte Planung und Koordinierung, ungenügende Mechanisierung trotz hohen Investitionen, sorglose Feldbearbeitung und Ernteeinbringung, immense Transport- und Lagerverluste - wird von amerikanischer Seite die ungenügende Düngung der Felder als Hauptfaktor für die schlechten Erträge angesehen. Laut sowjetischen Angaben werden lediglich 40 Prozent der Getreideanbaufläche mit Mineraldünger bearbeitet. Die Felder sind zudem durch die von zentralen Planern geforderten Anbauflächenpläne überarbeitet.

 

Remedur wird ins Auge gefasst. So sollen bereits 1984 20 Mio. Hektar Felder brach liegen gelassen worden sein. Ferner wird ein industrielles Programm zur Verbesserung der Infrastruktur und Transportstruktur auf dem Lande sowie zur Lagerhaltung und zum Ausbau der Düngemittelindustrie eingeführt.

 

Afrika: Vernachlässigung der Landwirtschaft ...

 

Von Missernten und Misswirtschaft ist seit langem die Rede, wenn über Afrika gesprochen und geschrieben wird. Im Sommer 1984 brachte der "Spiegel" eine vierteilige Serie über den "Hunger in Afrika". In einer Dokumentation zur Frage, warum sich der Agrarriese Afrika nicht mehr ernähren könne, wurden neben vielen andern Ursachen vor allem vier Punkte herausgestellt:

 

•  Die meisten afrikanischen Länder haben von ihren Kolonialherren eine auf den Export ausgerichtete Landwirtschaft geerbt. Kaffee, Kakao, Erdnüsse und Baumwolle werden auch aus Ländern exportiert, die sich selbst nicht mehr versorgen können.

•  Nach Erlangung der Unabhängigkeit Anfang der 60er Jahre vernachlässigten die Afrikaner ihre heimische Landwirtschaft. Industrialisierung nach westlichem Vorbild war gefragt. Anfangs kaum bemerkt, hat die Nahrungsmittelproduktion pro Kopf um 10 bis 20 Prozent abgenommen.

•  Die derzeitige Dürre im Sahel und im südlichen Afrika hat schlechtere Ernten gebracht und damit Misswirtschaft und Versorgungsschwierigkeiten noch verschärft. Sie wurde aber ihrerseits auch durch den von Menschen betriebenen langsamen Zusammenbruch des Ökosystems verursacht, etwa im Sahel: Der Mensch schafft die Wüste durch Überweidung, Abholzung und Überbeanspruchung der Böden selbst.

•  Auf jeden Afrikaner kamen 1983 etwa 19 Dollar Entwicklungshilfe. Doch viele prestigeträchtige Grossprojekte wie Staudämme, Strassen und Häfen waren an der Bevölkerung vorbeigeplant.

 

… Hilfe als "langfristiges Gift"

 

Was die Nahrungsmittelhilfe betrifft, so ist sie in Katastrophenzeiten für die Hungernden notwendig, aber "langfristig Gift". Sie macht Afrika von den Spendern wirtschaftlich und politisch abhängig und hat das Preisgefüge der einheimischen Landwirtschaft durcheinandergebracht. "Die Bauern können mit dem geschenkten Weizen nicht konkurrieren."

 

1983 erhielt Afrika 4,3 Mio. t Getreide geschenkt, knapp die Hälfte aller weltweiten Nahrungsmittellieferungen (1983/84: 9 – 9, 5 Mio. t). Für 1984 rechnete FAO-Generaldirektor Edouard Souma für die 24 am meisten von Getreideknappheit bedrohten afrikanischen Länder mit Lebensmittelhilfe in der Höhe von mindestens 5,3 Mio. t.

 

Das war im Sommer 1984. Die nächste Katastrophe hatte sich inzwischen bereits angemeldet.

 

Schon im März 1984 richtete die äthiopische Hilfskommission RRC an die Vereinten Nationen einen Hilfe-Appell. Auf Grund von amerikanischen Satellitenaufnahmen konnten nämlich gravierende Ernteausfälle für Äthiopien vorausberechnet werden. Doch niemand reagierte. Auch die äthiopischen Militärs schlossen die Augen vor der drohenden Hungersnot. Erst nach der Feier zum 10. Jahrestag der Revolution am 12. September fand das grosse Erwachen statt: Nach offiziellen äthiopischen Schätzungen werden in den kommenden Monaten wahrscheinlich 7 Millionen Menschen verhungern.

 

FAO: Konflikt mit dem WFP (World Food Programme) ...

 

Zur selben Zeit drangen auch dramatische Entwicklungen in zahlreichen internationalen Organisationen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit.

Im April 1984 fand eine Sitzung des FAO-Ausschusses für Welternährungssicherheit (Committee on World Food Security, CFS), dem 99 Länder als Mitglieder angehören, statt. Schon am ersten Tag kam es zum Zusammenstoss des FAO-Generaldirketors Souma mit dem Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms (World Food Programme, WFP), James Ingram. Anlass waren die Bestrebungen von Souma, schrittweise immer stärker in den Zuständigkeitsbereich des WFP und seines intergouvernementalen Ausschusses (Committee on Food Aid Polices and Programmes, CFA) einzudringen. Das CFA setzt sich aus Vertretern von 30 Mitgliedstaaten der UNO und der FAO zusammen.

 

Mit einem Volumen der von den Regierungen der Beitragsländer freiwillig eingegangenen Verpflichtungen von 1,35 Mia. Dollar (für das Biennium 1984/85) steht das Welternährungsprogramm unter den multilateralen Hilfsprogrammen im Rahmen der Vereinten Nationen hinter der Weltbank an zweiter Stelle. Eine enge Zusammenarbeit besteht mit der UNESCO, vor allem bei Schulspeisungsprojekten, "Food for Work"-Projekten und Unterricht in Landwirtschaft.

 

Damit kam ein Konflikt an die Oberfläche, der im Herbst 1984 zu einem weitgehenden Zusammenbruch der Kooperation zwischen WFP und FAO führte.

 

... WFC (World Food Council) ignoriert

 

Wie schwer sich die FAO mit der Zusammenarbeit mit andern Organisationen tut, zeigte sich auch in dem wie stets "luxuriös aufgemachten" "World Food Report 1984", der im Sommer den Medien und nichtgouvernementalen Organisationen zugestellt wurde. Ein kritischer Beobachter der FAO in Rom bemängelte, dass darin der seit 1975 bestehende UNO-Welternährungsrat (World Food Council, WFC, mit 36 ständigen Mitgliedern im turnusmässigen Wechsel) als einzige der Organisationen, die sich weltweit mit dem Ernährungsproblem befassen, völlig ignoriert wurde. Dabei sei es nur den zähen Bemühungen des WFC zu verdanken, dass etwa das Konzept "nationaler Ernährungsstrategien" heute weltweit anerkannt und in einer zunehmenden Zahl von Ländern als Richtschnur akzeptiert werde.

 

Anderseits pflücke der FAO-Bericht zu viele Blumen im Garten des WFP, das eine völlig autonome Institution mit eigenem Budget darstelle.

 

Weitere Kritik liess nicht auf sich warten. So lag dem FAO-Rat Ende 1984 der Bericht eines externen Rechnungsprüfers (external auditor) über die Verwendung von Mitteln des UNO-Entwicklungsprogrammes (UNDP) durch die FAO vor. Dabei kam die Projektarbeit der FAO nicht gut weg. Insbesondere wurde beanstandet, dass von insgesamt 925 Projekten nur gerade 56 evaluiert wurden, wobei es sich erst noch bloss um interne Bewertungen gehandelt haben dürfte.

 

Hilfe an Lesotho: Rückgang der Weizenernte um drei Viertel

 

Kurz vorher hatte auch das UNO/FAO-Welternähungsprogramm (WFP) eine eigene Evaluierungsstudie über Lesotho "in voller Konsultation" mit dessen Regierung erarbeitet. Die Allgemeinbeurteilung sah in der stabilen Nahrungsmittelhilfe eine "positive Rolle für die Entwicklung und die Wohlfahrt der Bevölkerung". Doch wurde dies sofort relativiert, indem zum Beispiel die "Food for Work"-Projekte (FFW) als qualitativ wie quantitativ problematisch hingestellt wurden. Zahlreiche Erklärungen konnten dafür ins Feld geführt werden.

 

In dieser Studie wurde die Frage nach den "Disincentive"-Wirkungen der Nahrungsmittelhilfe eher ausweichend mit der Bemerkung beantwortet, eine umfassende Untersuchung habe eine "im wesentlichen negative" Beurteilung ergeben. Einige Daten im Anhang lassen deutliche Folgerungen zu. Lesotho erhält seit 19 Jahren Nahrungsmittelhilfe vom WFP, fast ebensolang vom Catholic Relief Service und seit Ende der 70er Jahre auch von der EG und einigen OECD-Ländern. Was geschah mit der Eigenerzeugung von Lesotho? Die Maisproduktion sank von 122 500 t im Landwirtschaftsjahr 1973/74 auf 76 200 t im Jahr 1982/83, die Weizenproduktion in derselben Zeitspanne gar von 57'000 t auf 14'800 t.

 

EG: verspätete Hilfe oder gar keine

 

Harsche Kritik musste auch die Brüsseler EG-Kommission vom EG-Rechnungshof in Luxemburg einstecken. In dessen Ende 1984 veröffentlichtem Jahresbericht für das Vorjahr rügte der Rechnungshof, die EG-Nahrungsmittellieferungen kämen oft mit grosser Verspätung an und seien nicht selten von schlechter Qualität. Länder wie Sri Lanka, Tansania, Ghana, Somalia und Madagaskar hätten die von Brüssel zugesagte Nahrungshilfe überhaupt nicht erhalten.

 

Der Bericht weist auf die Verschlechterung der Hilfe gegenüber 1982 hin: nur 42% der zugesagten Getreidelieferungen (gegenüber 67% 1982), 36% (61%) des versprochenen Milchpulvers und 26% (49%) der Flüssigbutter seien fristgerecht in den Bestimmungsländern angekommen. Die Zeitdauer zwischen Hilfsentscheid und Ablieferungstag im Hafen des Bestimmungslandes sei "anormal lang" geworden. Beim Getreide betrage sie durchschnittlich 419 Tage, beim Milchpulver 526 Tage und bei der Flüssigbutter 578 Tage.

 

Die EG-Kommission reichte den Schwarzen Peter an den Ministerrat und das Strassburger Parlament weiter, denen sie Verzögerungen bei der Verabschiedung der Programme und der Durchführungsverordnungen ankreidete. Und dass man auch auf die lokalen Erntedaten Rücksicht nehmen müsse, damit die lokalen Märkte durch die Hilfslieferungen nicht völlig durcheinandergebracht würden, sei selbstverständlich.

 

Was die jüngsten Lieferungsversprechen der EG an Äthiopien und die ebenfalls von Hungersnot bedrohten Sahel-Staaten anbelangt, gibt es nach den Aussagen des zuständigen Direktors der EG-Kommission ebenfalls Verzögerungen. Von den Ende 1984 durch die einzelnen Länder zugesprochenen 400 000 t Nahrungslieferungen seien erst 250 000 t "fest zugesagt". Immerhin zeigte sich der Beamte überzeugt, dass die Zehnergemeinschaft die vereinbarten 1,2 Mio. t bis Herbst 1985 liefern könne.

 

(geschrieben im Januar 1985,

erschienen in Coop-Mühle Zürich CMZ, Jahresbericht 1984, 4-10.

ausser den roten Passagen)

 

 

Anhang:

Briefwechsel mit einer renommierten Tageszeitung

 

Brief vom 25.1.1985 an den Chefredaktor der „Abendzeitung“ (AZ)

 

Als Unterlagen für einen Bericht über den Weltgetreidemarkt habe ich mir einige Seiten aus dem Archiv der AZ kopieren lassen. Dabei sind mir einige Ungereimtheiten aufgefallen, die ich Ihnen kurz zusammenstellen möchte:

 

1)

13.11.82 (Reuter): "Auch die Weltgetreideernte dürfte mit 1,64 Mia. t rekordhoch sein."

1.3.83 (afp): "Die Weltgetreideproduktion hat 1982 ... einen Rekordstand von 1553 Mio. t erreicht."

2.3.83 (F+T, nxl): "Die Getreideproduktion der Welt beträgt zurzeit 1,2 Milliarden Tonnen; je ein Viertel davon entfällt auf Weizen, Reis bzw. Mais."

21.9.83 (gu): "... dass in der laufenden Saison 1983/84 weltweit ... mit einer Getreideernte von 1585 Mio. t gerechnet werden kann. Gegenüber dem Vorjahr (1676 Mio. t) wäre das ein Rückgang um fast 5,5 %."

6.9.84 (afp): "Die Getreideernte dürfte in diesem Jahr weltweit die Rekordmenge von 1756 Mio. t erreichen; das wären 119 Mio. t mehr als im Vorjahr."

14.9.84 (afp): "Die weltweite Getreideernte wird...in diesem Jahr mit voraussichtlich 1,593 Mia. t eine Rekordhöhe erreichen."

6.10.84 (dpa): "Weltweit wird 1984 mit einer Getreideerzeugung von 1763 Mio. t gerechnet (- 8 % gegenüber 1983)."

9.11.84 (Reuter): "Die Weltgetreideproduktion wird ... 1984 auf die Rekordmarke von 1761 Mio. t klettern."

14.12.84 (afp): "Die FAO hat  ... ein Rekordvolumen von 1,777 Mia. t für die diesjährige weltweite Getreideernte vorausgesagt; die Produktion läge damit um 8 % über der des Erntejahres 1983."

 

2)

24.10.80 (gn): "Die Vorräte an Getreide insgesamt werden ... auf 155 Mio. t abnehmen."

1.11.80 (ddp): "Die Getreidevorräte der Welt werden bis zum Ende der laufenden Saison auf 207 Mio. t sinken.“

 

3)

24.8.84 (gn): "Für 1984 schätzt die FAO die Weltweizenproduktion jetzt auf 510 Mio. t."

6.9.84 (afp): "Im einzelnen werden ... in diesem Jahr 107 (i. V. 97) Mio. t Weizen geerntet werden."

14.12.84 (afp): "Das US-Landwirtschaftsdepartement hat ... eine Weltweizenernte von 506,8 Mio. t vorausgesagt."

 

4)

4.1.85 (E. W.): "... konnte Kanada auch im Erntejahr 1983/84 einen Ausfuhrrekord für Getreide aufstellen, wobei erstmals eine Menge von 30 Mio. t überschritten wurde. Weizen stand an erster Stelle mit einer Exportmenge von 21,7 Mio. $."

 

5)

21.9.84 (E. W.): Kanadische Ernte:

Weizen                       20,35 Mio. t

Hafer                              2,7 Mio. t

Gerste                        10,0 Mio. t

Roggen                         0,66 Mio. t

Mischgetreide              1,34 Mio. t

Mais                               7,06 Mio. t

Total                            42,11 Mio. t

 

19.11.84 (E. W.):"Gesamthaft wurden in diesem Jahr 36 Mio. t Getreide eingebracht."

 

6)

24.8.84 (gn): "... dass die australische Ernte in diesem Jahr mit 16,6 Mio. t gut ausfällt ..."

15.12.84 (afp): "Dagegen wird die australische Ausfuhr zurückgehen, da die Ernte mit 17,5 Mio. t unter dem Vorjahresergebnis bleibt."

(Nach einer andern Quelle 1983, also im Vorjahr, 21,9 Mio. t)

 

7)

6.9.84 (afp): "... obwohl die amerikanische Maisernte um 2 % zurückgehen dürfte."

14.9.84 (afp): "Die Maisernte wird nach den Schätzungen Washingtons mit 192 Mio. t um 81 % höher liegen als im vergangenen Jahr."

 

8)

Die Meldungen vom 20.3.84 ("Rohwarenmärkte: Die Getreideernte der UdSSR"), vom 13.9.84 ("Washington offeriert Moskau mehr Getreide") und vom 14.12.84 ("Rohwarenmärkte: Neue Ernteschätzungen der FAO") fehlen in dem konsultierten AZ-Archiv-Dossier.

 

Gerade weil andere Publikationsorgane wie die "Schweizer Handels-Börse" sowie Tages- und Wochenzeitungen andere Zahlen und Angaben bringen (und Nachschlagewerke nochmals andere), wäre der suchende Leser der AZ für präzise, zuverlässige und konsistente Angaben dankbar.

 

 

Antwort des Wirtschaftsredaktor der „Abendzeitung“ vom 29.1.1985

 

Wir danken Ihnen für Ihre Zuschrift vom 25. Januar an unsere Chefredaktion. Die Problematik präziser Zahlenangaben über die Weltgetreidemärkte beschäftigt uns selber immer wieder.

Die Erklärung für die zahlreichen Abweichungen liegt sicherlich zu einem grossen Teil einerseits darin, dass eine beträchtliche Zahl nationaler und internationaler Institutionen Ernteschätzungen vornimmt, anderseits darin, dass diese Schätzungen in mehr oder weniger kurzen Zeitabständen angepasst zu werden pflegen. Überdies kann es vorkommen, dass die erfassten Produkte - Brotgetreide, Futtergetreide, Substitutionserzeugnisse usw. - nicht in allen Fällen die gleichen sind.

 

Naturgemäss vermögen wir über die Weltwarenmärkte keine eigenen direkten Erhebungen anzustellen. Anderseits zählen wir die Veröffentlichung wichtiger Marktelemente zu unserem Auftrag. Wir bemühen uns, bei der Wiedergabe von Meldungen die erfassten Warenkategorien zu nennen und die Quellen der Informationen über Ernteschätzungen, Vorratshaltung, Handelsströme usw. festzuhalten, soweit dies auf Grund namentlich der verfügbaren Agenturdepeschen möglich ist.

 

Wir bedauern, dass Sie in unserem Archiv Lücken haben feststellen müssen, und wir sind Ihnen für diesen Hinweis dankbar. Wir haben unsere Archivabteilung darauf aufmerksam gemacht. Nationale Produktions- und Marktinformationen figurieren regelmässig in den entsprechenden Länderdossiers.

 


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