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Zuviel Getreide an den falschen Stellen

 

"Das Problem überschüssiger Produktionskapazitäten ist nicht unbedingt nur die Folge marktfremder internationaler Absprachen. Auch so politisch kohärente Adressen wie die USA oder die EG tragen ein gutes Teil Verantwortung für Martkverzerrungen, besonders bei Agrargütern. Es gibt zuviel Getreide, zu viele Ölsaaten, zuviel Fleisch und zu viele Milchprodukte an den jeweils falschen Stellen der Welt.

Versuche zur Eingrenzung der auch für reiche Länder schwer finanzierbaren Überproduktion sind bisher nur bedingt erfolgreich gewesen. Reichere Ernten, auch in bisherigen traditionellen Absatzgebieten ausserhalb dieser Länder, haben zu weiteren Preiseinbrüchen geführt."

So lautet das Fazit des Rückblicks auf 1985 einer renommierten Tageszeitung.

 

Rückgang beim Weizen; Zunahme bei Futtermitteln

 

Mit Zahlenangaben waren Tageszeitungen und Fachpresse wesentlich zurückhaltender als in früheren Jahren. Insbesondere die Zahlen der FAO (Rom), welche allgemein als wenig zuverlässig betrachtet werden, fehlen weitgehend. Leider finden sich auch kaum Angaben des Amerikanischen Landwirtschaftsdepartements (USDA), die weit zuverlässiger wären. Daher stehen nur die Angaben des Internationalen Weizenrates (IWC) in London zur Verfügung. Sie lauten:

 

Weltgetreide:

Produktion, Handel und Übertragungsvorräte (in Mio. t; *Schätzungen)

 

Weizen           1983/84                      1984/85          1985/86*

Produktion     496                             521                 513

Handel            100                             104                 92

Vorräte           133                             135                 150

 

Rauhgetreide

Produktion     691                             799                 842

Handel            90                                102                 88

Vorräte           81                                100                 154

 

Die weltweite Getreideproduktion wird 1985/86 also mit einem Rekordergebnis von 1355 Mio. t aufwarten. Das sind 2,7% mehr als im Vorjahr (1320 Mio. t) - ein deutlich geringerer Zuwachs als die 11,2% vorher.

 

Für den Zuwachs ist vorwiegend die Futtermittelproduktion verantwortlich (+ 15,6% vor zwei Jahren, + 5,4% im letzten Jahr).

 

Erneut grosse Zunahme beim Mais

 

Das letztjährige Rekordergebnis von 798,5 Mio. t wird durch die bevorstehende neue Rekordernte erneut um 43 Mio. t übertroffen. Massgeblich darant beteiligt sind die USA, deren Maisernte vom amerikanischen Landwirtschaftsministerium auf 221,4 Mio. t (Vorjahr: 194,5 Mio. t), also um 14% höher beziffert wird.

 

Für Futtergetreide gesamthaft sieht die Zahlenübersicht folgendermassen aus:

 

Futtergetreideproduktion

(Mio. t; *Schätzungen)

1983/84          1984/85          1985/86*

EG                              64,2                74,4                71,7    (- 4%)

Osteuropa                  55,6                58,6                57,0    (- 3%)

UdSSR                       105,0              85,0                94,0    (+10%)

Kanada                      21,0                21,9                24,0    (+10%)

USA                            137,1              237,1              271,4 (+14%)

Mexiko                        13,8                13,8                16,0    (+16%)

S-Amerika                 45,0                47,2                49,8    (+ 5%)

China                          92,0                95,0                89,0    (- 6%)

Indien                          34,0                33,0                32,0    (- 3%)

Afrika                          41,2                43,9                49,0    (+12%)

Australien                   9,5                   8,9                   8,5       (- 5%)

Welt total                    691,3              798,5              841,7 (+ 5%)

 

davon:

Mais                            347,7              450,2              476,4 (+ 5%)

Gerste                        172,1              172,6              175,3 (+ 2%)

Hirse                           58,7                67,1                73,0    (+ 9%)

Hafer                           44,1                43,4                48,2    (+11%)

 

Massive Überproduktion reduziert Weltfuttermittelhandel und erhöht Vorräte

 

Während Westeuropa und China merklich weniger Futtergetreide produzierten, haben neben den USA vor allem die UdSSR (+10,6%), Kanada (+9,6%) und Mexiko (+16%) sowie Nigeria (+13% von 8,7 auf 9,8 Mio. t) und Südafrika (+22% von 8,2 auf 10,0 Mio.t) beträchtlich zugelegt.

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Infolge des rückläufigen Importbedarfs in West- und Osteuropa, in Südamerika und Afrika wird ein drastisches Absinken des Welthandelsvolumens für Futtergetreide um nicht weniger als 14 Mio. t (-14%) gegenüber der Rekordhöhe des Vorjahres erwartet. Im Gegensatz dazu werden die weltweiten Übertragungsvorräte an Futtergetreide vom IWC per Ende der Kampagne 1985/86 auf 154 Mio. t veranschlagt. Damit würden sie die Endvorräte des Vorjahres um enorme 54% übersteigen; gegenüber 1983/84 käme dies sogar nahezu einer Verdoppelung gleich.

 

Schlechte Weizenernten in den USA und in der EG, in Australien und Argentinien

 

Grund für den leichten Rückgang der Weltweizenproduktion von 8 Mio.t (-1,5%) bilden schlechte Ernten in der EG und in den USA, ferner in Australien und Argentinien. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es im Vorjahr gerade die EG (+28%) und die USA (+7%) gewesen waren, die zum damaligen Rekordergebnis von 521 Mio. t Weizen beigetragen hatten. Australien war schon damals abgerutscht. Kanada dagegen konnte von seiner massiven Einbusse von damals wieder etwas wettmachen. Eine Übersicht nach Ländern ergibt folgendes Bild:

 

Weizenproduktion

(Mio. t; *Schätzungen)

1983/84          1984/85          1985/86*

EG gesamt                59,4                76,2                66,5    (-13%)

Frankreich                  24,8                32,9                29,2    (-11%)

BRD                            9,0                   10,2                9,8       (- 4%)

Italien                          8,7                   10,0                8,5       (-15%)

Grossbritannien         10,8                14,8                12,0    (-19%)

 

Osteuropa                  29,9                34,8                32,3    (- 7%)

UdSSR                       80                    75                    86        (+15%)

 

Kanada                      26,6                21,2                22,2    (+ 5%)

USA                            65,9                70,6                65,8    (- 7%)

 

Asien

China                          81,4                87,8                86,0    (- 2%)

Indien                          42,8                45,1                45,0    ( - )

 

Australien                   21,9                18,6                16,7    (-10%)

 

Afrika                          8,5                   9,1                   10,7    (+18%)

 

Argentinien                12,3                13,2                10,5    (-20%)

 

Schwere Überschwemmungen in Argentinien

 

In Argentinien verursachten heftige Regenfälle im November riesige Überschwemmungen von Farmland. Sie dürften zu einem Ernteverlust von mindestens 1 Mio. t. Weizen geführt haben. Das rekordhohe Vorjahresergebnis von 13,2 Mio. t (Zunahme damals: + 7%) wird nach Schätzungen des IWC dadurch um 2,7 Mio. t oder mehr als 20% verpasst werden. Die Getreidebörse von Buenos Aires reduzierte ihre eigenen Schätzungen für die argentinische Weizenernte 1985/86 sogar auf 8,8 Mio. t, was einer Einbusse von genau einem Drittel entspräche. Auch die Qualität des Getreides wird als beeinträchtigt angesehen.

 

Im Unterschied dazu scheint Brasilien seine Weizenernte gegenüber den beiden Vorjahren auf rund 4 Mio. t verdoppeln zu können.

 

Drastischer Rückgang des Weltweizenhandels

 

Eine der folgenschwersten Erscheinungen dürfte der Rückgang des Weltweizenhandels um 12 Mio.t (-12%) darstellen. Auf einem schrumpfenden Weltmarkt bleibt den wichtigsten Exportländern nur noch ein aggressiver Konkurrenzkampf. Die Zahlen lauten:

 

Export von Weizen und Weizenmehl

(Mio. t; *Schätzungen)

1983/84          1984/85          1985/86*

Argentinien                9,6                   7,9                   8,0

Australien                   11,6                15,1                15,5

Kanada                      21,2                19,3                16,5

EG                              15,0                16,9                16,0

USA                            38,3                38,6                28,0

andere                        4,6                   6,5                   8

Total                            100,4              104,3              92,0

 

UdSSR-Bedarf sinkt um 20 Mio. t

 

Beträchtlichen Anteil an diesem Rückgang des Handelsvolumens hat der geringere Importbedarf der UdSSR. Da gegenüber der sehr schlechten Ernte des Vorjahres (Futtergetreide: -19% auf 85 Mio. t; Weizen: -6% auf 75 Mio. t) für die Kampagne 1985/86 mit Steigerungen um 9 Mio. t beim Futtergetreide (+11%) und von 11 Mio. t beim Weizen (+15%) gerechnet wird, ist der Bedarf dementsprechend um gesamthaft 20 Mio. t geringer zu veranschlagen. (Dies obwohl die Ziele des Fünfjahresplans erneut weit - um rund 20% - verfehlt wurden.)

 

Dieser Rückgang macht allen grossen Exporteuren zu schaffen, wie die nachstehende Übersicht zeigt:

 

UdSSR: Importe

(Mio. t; *Schätzungen)

Lieferant                                 Weizen                       Futtergetreide

1984/85          1985/86*        1984/85          1985/86*

Argentinien                4,1                   3,5                   4,0                   4,0

Australien                   2,0                   1,0                   1,2                   0,5

Kanada                      7,6                   5,0                   0,8                   1,0

EG                              6,1                   4,0                   2,7                   2,0

USA                            6,1                   3,0                   16,2                5,5

andere                        2,4                   2,5                   2,8                   3,0

Total                            28,3                19,0                27,7                16,0

 

 

Besonders betroffen sind die USA mit einer Halbierung der Weizenexporte nach der UdSSR und einer Reduktion der Futtergetreideexporte um gar zwei Drittel - dies trotz der US-eigenen Riesenernte bei Mais. Grund dafür ist, dass der Maisanbau in der UdSSR um 30% zugenommen hat und vorwiegend mit "intensiver" Technologie kultiviert wird.

 

Der Vertrag UdSSR-USA: Angebot ohne Nachfrage

 

Im Sommer 1983 wurde zwischen den USA und der UdSSR ein Vertrag für fünf Jahre abgeschlossen, der die UdSSR verpflichtet, jährlich (vom 1. Oktober bis 31, September) mindestens 9 Mio. t Getreide in den Vereinigten Staaten zu kaufen; je 4 Mio. t davon müssen Weizen und Mais sein. Die Sowjetunion kann aber ohne weitere Verhandlungen bis zu 12 Mio. t Getreide kaufen; nur wenn diese Menge überschritten werden sollte, sind weitere Konsultationen mit Washington nötig.

 

Dass die amerikanische Regierung im Herbst 1984 der UdSSR für das zweite Jahreskontingent zusätzlich 10 Mio. t Getreide zum Kauf anbot, war angesichts der damals laufend sinkenden sowjetischen Ernteerwartungen(von 190 auf 160 Mio. t) angebracht. Ob nun aber das gleichlautende Angebot vom Oktober 1985 nicht ein Schuss ins Leere ist, bleibt abzuwarten.

 

Verdoppelte Anstrengungen der UdSSR

 

Diese für die Exportländer belastende Lage dürfte sich in den nächsten Jahren noch verschärfen. Der IWC weist darauf hin, dass sich die Landwirtschaftsfläche mit intensiver Bebauunq in der UdSSR von 1985 bis 1986 nahezu verdoppeln wird, von 17 Mio. ha auf über 31 Mio. ha. Dazu ist mit einem grösseren und häufigeren Einsatz von Dünger und andern Mitteln zu rechnen. Mit diesen beträchtlichen Produktionsanstrengungen könnte es der UdSSR tatsächlich gelingen, die für das Jahr 1990 im zwölften Fünfjahresplan angestrebten Ziele einer gesamten Getreideproduktion von 250 bis 255 Mio. t zu erreichen.

 

Ähnliche Produktionsausweitungen werden übrigens auch von China und Indien ins Auge gefasst.

 

"Bittere Ernte" in den USA

 

"Bitter Harvest" betitelte das "Wall Street Journal" am 27. März 1985 einen Bericht über den bevorstehenden Exporteinbruch der amerikanischen Landwirtschaft. Obwohl die US-Farmer in den letzten fünf Jahren bereits einen Viertel ihrer Getreideexporte eingebüsst hatten, zogen weitere schwere Gewitterwolken am Horizont auf. Mehrere Käufer traten von ihren Verträgen zurück; allein in den ersten sechs Wochen des Jahres machte das ein Volumen von 1,8 Mio. t im Wert von 255 Mio. Dollar aus.

 

Einen wichtigen Faktor bildeten Preisdifferenzen bis zu 37% zwischen den amerikanischen Getreidepreisen und denjenigen einiger aktiven Konkurrenten auf dem Weltmarkt, insbesondere China, Frankreich und Südamerika. Dadurch wurden bisherige Handelswege über den Haufen geworfen. So importierte Mexiko, das doch auf dem Schienenweg mit dem Herzen des extensiven Weizenanbaus (den Prairie- und Plainstaaten) der USA verbunden ist, Weizen von China und Australien. Bisher treue Kunden wie Japan, Südkorea und Indonesien gingen zur Konkurrenz in Südafrika und im Pazifikgebiet über. Sogar einige einheimische Nahrungsmittelproduzenten begannen, nach ausländischem Getreide Ausschau zu halten.

 

Farmsterben in den USA

 

Was das für die Farmer bedeutet, ist offensichtlich. Allein in der zweiten Amtszeit von Präsident Reagan sind schätzungsweise 100'000 Bauernfamilien ihres angestammten Erwerbes verlustig gegangen. Weitere 400'000 sehen sich vom Ruin bedroht, wenn ihnen der Staat nicht unter die Arme greift. Jedoch: Die staatlichen Hilfen wie Mindestpreisgarantien und Zuschläge zum Marktpreis sollen längerfristig völlig abgebaut werden. Damit wird die Landwirtschaft den Gesetzen des freien Marktes unterworfen, in dem nur der Grösste und Stärkste überlebt. Daher gelangen immer mehr Farmen in die Hände der Getreidemultis und Landwirtschaftsmaschinenproduzenten.

 

"Wo einstmals Millionen ihr Auskommen fanden", berichtete ein Reporter aus den USA, "arbeiten heute weniger als 700'000 Fulltime-Bauern. Acht Prozent der Farmer, die 1920 das Land versorgten, produzieren heute nahezu gleich viel Getreide und Korn. Hochrechnungen gehen dahin, dass es in wenigen Jahrzehnten nur noch 2500 Farmbetriebe geben wird."

 

Offensive Exportpolitik der USA

 

Im Juni 1985 leiteten die USA ihre Wettbewerbsoffensive auf dem Weltmarkt mit dem mit zwei Milliarden Dollars ausgestatteten Exportförderungsprogramm BICEP (Bonus Incentive Commodity Export Programm) ein. Am 23. Dezember 1985 unterzeichnete Präsident Reagan das neue amerikanische Agrargesetz. Bald entstand helle Aufregung, weil sich das Landwirtschaftsministerium in Washington daran begab, die Ausführungsbestimmungen zu formulieren. "Nach Lage der Dinge kann nicht bezweifelt werden, dass die Amerikaner konsequent und kompromisslos vorgehen," kommentiert ein Schweizer Fachmann. "Und dies schon aus einem sehr nüchternen Grund: Sie haben weder Zeit noch Geld zu verlieren. Die ins Visier genommenen Europäer zeigen dagegen eine seltsame Mischung von schläfriger Gelassenheit und jener Lähmung, die man dem Kaninchen beim Anblick einer Schlange nachsagt."

 

Da nach Meinung der Experten die US-Produktion auch 1986/87 auf breiter Front über dem Bedarf liegen wird, erwartet man durch die im neuen Gesetz vorgesehenen vielschichtig gestalteten Exportsubventionen einen Verdrängungswettbewerb, der seinesgleichen suchen dürfte.

 

Schwere Zeiten für die EG

 

Zwar sanken die Ernten in der Europäischen Gemeinschaft vom Rekord des Jahres 1984/85 (151 Mio. t) - vor allem infolge aussergewöhnlich nassem Wetter in Nordeuropa - um 9 resp. 7% auf 138 Mio. t (Schätzung IWC) resp. 141 Mio. t (Bericht EG-Kommission), doch stiegen die Vorräte weiter in die Höhe. Verschiedene Zahlenangaben liegen vor:

 

EG-Weizenbestände

(Mio. t)

1984/85          1985/86

Anfangsbestände                              8,3                   16,8

(inkl. Hartweizen)

Bestand am 30.9.                             1984               1985

Weichweizen                                     3,7                   11,2

Hartweizen                                         0,8                   0,8

 

Öffentliche Lagervorräte am 16.1.1986

Backweizen                                                               2,9

Futterweizen                                                              6,8

Hartweizen                                                                 1,0

Weichweizen

(geschätzt auf Ende 1985/86)         von der EG     12,0

vom IWC (Weizen)    1                                              9,6

 

EG-Gersten- und Roggenbestände

(Mio. t)

 

1984/85          1985/86

Anfangsbestände

(Gerste)                                              1,8                   2,7

Bestand am 30.9.                             1984               1985

Gerste                                                1,2                   4,0

Roggen                                              0,3                   0,9

 

Öffentliche Lagervorräte am 16.1.1986

Gerste                                                                        4,3

Roggen                                                                      1,1

 

 

EG-Getreide: fast 1 Mrd. Fr. Lagerkosten und Zinsen

 

Kein Wunder, dass da die Schlagzeilen von "schwieriger Situation" oder "schwierigem Ausweg aus der EG-Agrarkrise" sprechen. Der Buchwert der gelagerten Getreidebestände wird auf über 3 Mrd. Ecu, also ca. 5,8 Mrd. Franken geschätzt, die Lagerkosten und Zinsen pro Jahr auf über eine halbe Milliarde Ecu, also rund 950 Mio. Franken.

 

Produziert die EG weiter am Markt vorbei?

 

Man ist sich in Brüssel einig, dass mittelfristig durch vermehrte Ausfuhr keine Linderung der eigenen Überschusskrise erwartet werden kann. Weit auseinander gehen jedoch die Meinungen über die Mittel, die einzusetzen wären, um zu einem Marktgleichgewicht zu gelangen. Verworfen werden sowohl eine rigorose Preispolitik als auch eine Quotenregelung zur Produktionssteuerung. Daher schlägt die EG-Kommission eine "Mitverantwortungsabgabe" der Erzeuger vor, flankiert von einer stärkeren Betonung der Qualitätspolitik und einigen Änderungen beim Interventionsmechanismus.

 

Losgelöst von den einzelnen Produkten werden zur generellen Produktionsdrosselung unter anderem eine Vorruhestandsregelung für Landwirte ab 55 Jahren, die alternative Verwendung von Böden (z. B. Aufforstung) oder eine Diversifikation in der Produktion (z. B. Agrarprodukte als industrielle Rohstoffe) diskutiert, berichtet ein Korrespondent aus Brüssel.

 

Krisen auch in Afrika?

 

Schweres Geschütz fuhren zahlreiche Entwicklungshilfeexperten auf:

- Stanley Please im Afrika-Bericht der Weltbank (Sept. 1984)

- die Schweizer Hilfswerke mit der Broschüre "Umwelt - Dritte Welt"

- die Aktion Finanzplatz Schweiz-Dritte Welt in einem Appell an die Präsidenten der drei Grossbanken

- Brigitte Erler mit dem Bericht "Tödliche Hilfe"

- Lord Peter T. Bauer z. B. in der NZZ vom 22.8.1985

- Gunnar Myrdal in einem von der Weltbank veröffentlichten Sammelband "Pioneers in Development" (1984) mit Selbstdarstellungen von zehn prominenten Wissenschaftern und Praktikern (NZZ, 1.10.1985)

- Willy Brandt mit seinem Buch "Der organisierte Wahnsinn - Wettrüsten und Welthunger"

- die kanadischen Ökologen Anthony Sinclair und John Fryxell sowie die englischen Wissenschafter E. Goldsmith und N. Hildyard

- die "Médecins sans frontidres" mit ihrem Bericht über grausame Umsiedlungspraktiken in Äthiopien (NZZ, 21./22.12.85)

- Otto Matzke in einer Studie der Deutschen Afrika-Stiftung.

 

Im selben Zeitpunkt als der ehemalige Weltbankpräsident Mc Namara in einer Rede in Washington behauptete, das südlich der Sahara gelegene Afrika steuere auf eine Katastrophe von nie dagewesenem Ausmass zu, bestätigte FAO-Generaldirektor Edouard Saouma in Rom das Bestehen substantieller Nahrungsmittelüberschüsse in afrikanischen Ländern. In sieben westlichen Sahelländern läge die Ernte 60% über dem Vorjahr und sogar in Äthiopien und im Sudan seien die Aussichten günstig; Zimbabwe habe mit einem Exportüberschuss von mehr als 1 Mio. t Mais und Hirse gar Absatzprobleme.

 

In Afrika selber, in Nairobi, zeichnete ebenfalls zu dieser Zeit (10.11.1985) der Direktor des Umweltprogrammes der UNO (Unep), Mustafa Tolba, ein düsteres Bild für Afrika. Und kurz darauf behaupteten amerikanische aussenpolitische Experten in einem "Pakt für afrikanische Entwicklung", die Entwicklung in Afrika seit Mitte der sechziger Jahre könne "mit den Auswirkungen eines Weltkrieges" verglichen werden.

 

Umstrittene FAO-Charta und -Berichte

 

Nach langen Diskussionen wurde im November 1985 auch eine "Charta für Welternährungssicherheit" von der FAO-Konferenz in Rom verabschiedet. Allerdings unter Vorbehalt der USA, von Kanada und Australien. Diese drei Länder leisteten 1984/85 mit 6,9 Mio. t  Getreide den Hauptanteil - genau zwei Drittel – der weltweiten Nahrungsmittelhilfe von 10,4 Mio. t (Getreide). Kanada zweifelte an der Notwendigkeit der Charta, und der australische Delegierte bezeichnete sie als Bündel "frommer Erklärungen, welche wenig oder gar keinen Bezug zur realen Welt haben".

 

Ebenso ins Kreuzfeuer geriet der Ende Dezember von der FAO veröffentlichte "Fifth World Food Survey", in dem behauptet wurde: "Hunger in der Dritten Welt erstmals seit 40 Jahren rückläufig." Genaue Lektüre ergibt, dass davon nicht die Rede sein kann. Hatte die Charta vor allem das Bevölkerungsproblem heruntergespielt, so ist es in diesem Bericht das Problem der Nahrungsmittelhilfe.

 

Erstaunt hat schliesslich, dass die FAO Ende Jahr in ihrem "Food Outlook" wiederum Nothilfe für Äthiopien und den Sudan forderte. Im Sudan war gegenüber 1984 die dreifache Getreideernte (4,6 Mio. t gegenüber 1,5 Mio. t) eingefahren worden. Als Erklärung wurden logistische Schwierigkeiten genannt. Diese bilden wohl das gravierendste Hindernis einer Lösung der Probleme - abgesehen von kriegerischen Auseinandersetzungen, wie etwa in den beiden ehemaligen portugiesischen Kolonien Angola und Moçambique. Letzteres erwartet daher Nahrungsmittelhilfe von 400'000 t.

 

(geschrieben im Januar 1986 für:

COOP-Mühle Zürich CMZ: Jahresbericht 1985)

 


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