Home Jacob Burckhardt vor dem Mysterium des Kunstwerks

 

 

Den vierteiligen Zyklus, den der «Verein der Freunde des Kunstmuseums» [Basel] diesen Winter [1969/70] durchführt, eröffnete Professor Dr. Werner Kaegi mit dem Vortrag «Jacob Burckhardt und die Philosophie der Kunst. Biographische Randbemerkungen».

 

Im vollbesetzten Vortragssaal des Kunstmuseums sprach dieser wohl beste Kenner Jacob Burckhardts - vier Bände seiner Biographie dieses grossen Baslers sind bereits erschienen - über das Verhältnis des Gelehrten zur Ästhetik. Im Wintersemester 1841/42 hörte Burckhardt zusammen mit Bakunin, Engels, Kierkegaard und vielen andern - allerdings nur sporadisch - die Vorlesungen Schellings in Berlin. Er nahm jedoch weder dessen Ästhetik noch dessen Philosophie auf, sondern pflegte ganz grundsätzlich eine äusserst vorsichtige Haltung zur Ästhetik, vor allem wenn sie als «systematische» auftrat, an den Tag zu legen.

 

Was Burckhardts Beziehung zur Kunst prägte, war nämlich die tiefe Scheu vor dem Unaussprechlichen, die Achtung dieses Wunders, das die Seele treffen soll. Er fand, eine Ahnung von Weltgedanken bewege die Kunst, und darum gebe es auch nur ein Ahnen und Fühlen dieses himmlischen Seelenhauchs.

 

Die Auffassung, dass Kunst eine «Offenbarung des Höchsten», ein «Geschenk der Gottheit» sei, durchzog sein Leben mit grosser Konstanz. Er entwickelte keine Kunsttheorie, ja seine ästhetischen Ansichten sind recht spärlich in den Schriften und Vorlesungsmanuskripten aufzuweisen. Einzig über die Maler der Renaissance sprach er immer wieder ausführlich: Die grossen Meister - «Menschen göttlichen Geschlechts» - sammeln aus Gaben des Himmels das Ewige zu unvergänglichen Kunstwerken, die eine vielgestaltige Offenbarung des Göttlichen bilden.

 

In den «Weltgeschichtlichen Betrachtungen» schliesslich kommt die Kunst als wesentlicher Bestandteil der dritten «Potenz» (ein Begriff von Schelling), der Kultur, vor. Sie emanzipierte sich aus den beiden andern Potenzen der Weltgeschichte, Staat und Religion. Ist Kultur die Offenbarung des Geistes der Völker, so ist derjenige Geist, der das Kunstwerk trägt, nicht der individuelle, sondern der Weltgeist. Sein Hauptkennzeichen ist die Spontaneität; der Geist ist wandelbar, ein «Wühler».

 

Die «Weltgeschichtlichen Betrachtungen» wurden bekanntlich in direkter Auseinandersetzung mit einem Buch des Schelling-Schülers Ernst von Lasaulx geschrieben, der ein langjähriger Freund der Basler Kunstmäzenin Emily Linder war.

 

Jacob Burckhardt zählt zwar nicht wie etwa die Nazarener zu den Kunstpietisten, die meinen, Kunst erlahme, wenn sie aus dem Bereich der Religion und der Kirche trete, doch - so schloss Professor Kaegi den weiten Rahmen seiner biographischen Anmerkungen - kann man ihn in gewisser Hinsicht als Nachfahren des Mystikers Jakob Böhme betrachten, den er sehr hoch schätzte.

 

Erschienen in den Basler Nachrichten, 20. Januar 1970

 



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