Home Die Stigmata städtebaulichen Versagens

 

erschienen unter dem Titel „Wer soll nun mit der Umweltkatastrophe fertig werden?“

in den Basler Bachrichten, 18. November 1970

 

 

Die diesjährige Tagung des Schweizerischen Werkbundes (SWB) am Samstag im Kunsthaus Aarau dauerte sieben Stunden und hatte zum Thema „Betrifft: unsere Städte". Mit drei Referenten übervertreten war Zürich, Von Bern kam Hans Aregger, von Basel - dessen behördlicher Planer nicht eingeladen wurde – Dr. Lucius Burckhardt. Psychologisch, nicht städteplanerisch aufschlussreich war die. Diskussion, die Emotionen freilegte.

 

Es ist doch gut, wenn es ab und zu jemanden gibt, der den andern die Suppe versalzt. Sonst bliebe alles beim alten, und das ist heute kaum die richtige Lösung. Es ist nachgerade erschütternd, wie wenige hören, was es geschlagen hat, sehen, wie ernst die Lage ist. Die beiden offiziellen Stadtplaner von Bern (Hans Aregger) und Zürich (G. Sidler) scheinen nicht zu diesen wenigen zu zählen.

 

Nach der Eröffnung der Tagung durch den ersten Vorsitzenden des SWB, Peter Steiger, und nach Begrüssungsworten des Aarauer Stadtammans Dr. W. Urech berichteten die beiden Vertreter der Planungsämter leidenschaftslos über ihre Städte. In eher globalen Angaben skizzierten sie einige. Probleme - aber so, dass man den Eindruck hatte, es gebe gar keine.

 

Was Stadtplanung ist, will und soll, wurde auch in den anschliessenden Referaten nicht ersichtlich. Weder von den offiziellen Stadtplanern noch von deren Kontrahenten wurden Beispiele minutiöser Planung gezeigt, wurde erwähnt, was alles zur Planung gehört, wie vielfältige Faktoren und Interessen zu berücksichtigen sind, soziale, wirtschaftliche, finanzielle, politische usw. Eine Viertelstunde vor Ende der Veranstaltung kam jemand auf die gloriose Idee, wir müssten eigentlich zuerst einmal definieren, was Planung ist, wovon wir überhaupt sprechen.

 

Organisation kommt von Können

 

Es gab zwei Arten von Unruhestiftern. Die erste lag in der Diapositivprojektion. Sie rief ungetrübte Heiterkeit hervor und gab zu manch tiefsinnigen Kommentaren Anlass, etwa: „Man könnte es sehen, wenn man es sähe" (L. Burckhardt), oder: "So verblasst alle Planung vor der Geschichte" (H. Rebsamen) oder: "Bis die Bilder kommen werde ich noch etwas vorn Umdenken sagen; man muss ja flexibel sein"(J. Schilling). Dass deshalb die auf dem Kopf stehenden und unscharfen, kontrastarmen Dias - im hellen Tageslicht - weder erklärt werden konnten noch Aufschlüsse ergaben, ist klar.

Eine andere peinliche Panne war, dass man den Basler Stadtplaner schlicht einzuladen vergessen hatte. Das zwang Dr. Lucius Burckhardt zu der undankbaren Aufgabe, sowohl den offiziellen Verkehrsplan als auch seine fünf Alternativen dazu vorzustellen.

 

Als Maulwurf in der Verkehrswüste

 

Wie überall trifft man eine Polarisierung an zwischen Traditionalisten und Modernisten, wenn man so sagen will.

Bei ersteren ist alles bestens, in Ordnung, gibt einen Anlass zu Besorgnis. Die andern - eben die Störenfriede - machen sich Sorgen im das was kommt oder nicht kommt. Für Basel besorgten das Lucius Burckhardt und die verschiedenen progressiven Organisationen und Planungsgruppen. In Zürich versieht diese. Aufgabe die "Zürcher Arbeitsgruppe für Städtebau" (ZAS), die gleich zwei Vertreter ins Feuer schickte, weshalb sich auch die anschliessende Diskussion auf Zürich konzentrierte. Architekt J. Schilling plädierte für Umdenken. In zwanzig bis dreissig Jahren beginnt das grosse Ersticken, haben die Ökologen ausgerechnet. Stadtplanung ist heute nicht mehr ohne Einbezug des Umweltschutzes möglich.

 

Es ist haarsträubend, wie die städtische Substanz geopfert wird. Der Baumbestand entlang der Sihl wird abgeholzt und das "Herz" der Stadt, das Dreieck Arboretum-Rathaus-Theater, wird quer durchschnitten. Die Parkgarage unter dem Hechtplatz ist ein ebensolches Meisterwerk, städteplanerischen Versagens wie die Unterhöhlung des Bubenbergplatzes in Bern, Der Mensch ist kein Maulwurf.

 

Oma auf der Rennstrecke

 

Genau entgegengesetzt den Bemühungen Sidlers um den Zürcher Stadtkreis 1 finden Schilling und der Kunsthistoriker Hanspeter Rebsamen, man solle die Altstadt doch endlich in Ruhe lassen. "Man hetzt die Grossmutter ja auch nicht mehr über die Rennstrecke – und wenn sie früher Langstrecklerin gewesen ist“. Rebsamens etwas forcierte kabarettistischen Einlagen über den sogenannten Durchgangsverkehr riefen lautes aber gequältes Lachen hervor, Er traf den Nerv. Das Flickwerk in der Altstadt, die nur einen Dreissigstel des Stadtgebiets ausmacht, sollte gestoppt werden - wie das in London vor zehn Jahren schon, erfolgreich, geschah.

 

Basel: verstopft und zugeschnürt

 

Nach Burckhardt weist auch das Basler Zentrum eine hohe Selbstzerstörungsrate auf. Es kann wegen der topographischen Senk-Lage nicht wandern. Die beiden "historischen" Ziele der offiziellen Stadtplanung fanden bei Burckhardt keine Gnade. Die "Stadt in ihren Hauern und mit ihren Quartieren, getrennt durch Cityringe und radiale Grüngürtel" taxiert er als romantische Idee. Das politische "Leitbild" war jahrzehntelang auf die Vereinigung mit dem Kanton Basel-Landschaft ausgerichtet. An die Stelle der Verschnupftheit über das nun nicht mehr Mögliche ist noch nichts Zukunftsweisendes getreten ausser der Mentalität: Willst du nicht mein Bruder sein, schlag ich dir den Schädel ein. Dabei wird vergessen, dass die Pendler nicht nur Spitalbelastung bringt, sondern umgekehrt Mehrwert in die Stadt hineinträgt.

 

Was die Basler Fachverbände vor einem Dutzend Jahren vom Projekt Leibbrand retteten, stellte - damals - eine gute Initiative dar. Der Fehler ist nur, dass man sich heute verpflichtet fühlt, sie auch zu verwirklichen. Einmal gefällte Entscheidungen rückgängig zu machen, ist eben unbequem.

 

City- und Expressstrassenring sind viel zu eng gelegt, schnüren die Stadt ein. Zudem wird zuerst der innere Ring ausgebaut bevor man äussere Ringe und Knoten zur Bewältigung des hereinkommenden Verkehrs geschaffen hat. Dadurch wird ein gewaltiger Sog zur Stadtmitte erzeugt.

 

„Lawinenverbauungen“ ante portas

 

In Zürich wird dieser unheilvollen Anziehung des Zentrums das Projekt "Lawinenverbauungen" der ZAS entgegengestellt. Der Name veranschaulicht worum es geht: Lawinen bekämpft man nicht im Tal, sondern wo sie entstehen. Also müssen auf der Aussenseite des Cityrings bei den hereinführenden Strassen kopfbahnhofähnliche Parkhäuser geschaffen werden. Der Verkehr auf dem Cityring soll ja nicht ein Parkplatzsucherverkehr werden.

 

Die Flucht vor Alternativen

 

Das Podiumsgespräch bestätigte nur die Eindrücke, die man bereits erworben hatte. Die Demokratisierung der Planung stiess bei Aregger und Sidler auf wenig Gegenliebe. Ersterer will den Bürger im Rechtsstaat nur als Bremser sehen, der erst bei konkret (fehl-) geplanten Objekten das Referendum ergreifen darf. Bei der Abstimmung gibt es dann immer nur die Zwickmühle: Ja oder die Katastrophe. In unserem Rechtsstaat, meint Aregger, kann nur die parlamentarische Kommission ("Volksvertreter") frühzeitig in die Planung eingreifen. Leider.

 

Langsam löste die Diskussion Animositäten aus Der eine glaubt an die Planung, der andere sieht ihr Scheitern, gerade wenn man sie der Entwicklung der Gegenwart gegenüberstellt. Der eine sieht das Verkehrschaos, der andere (Aregger) befürchtet ein Alternativenchaos, die Entstehung einer nicht mehr entscheidungsfähigen Planung.

 

Gerade diese Haltung prangerte das Gespann Aldo Henggeler/ Peter F. Althaus mit erfrischender Deutlichkeit an. Planung soll keine statische Zwangsmechanik sein, sondern eine blosse Methode. (Bisher schien sie Selbstzweck zu sein und seltsame Sachzwänge hervorzurufen,) Sie soll nicht die Entwicklung bestätigen oder steuern, sondern sie spüren und überhaupt ermöglichen. Deshalb soll sie offen und flexibel bleiben und Entscheidungen möglichst hinausschieben, nicht präjudizieren. Wir kennen das ja, dass in zwei Jahren "plötzlich alles ganz anders" aussieht oder angeschaut werden muss.

Planer müssen Alternativen vorzeigen, und zwar mit deren möglichen Folgen; und darüber muss der Bürger laufend informiert werden.

 

Woran orientiert sich die schweigende Masse?

 

Eng mit der erwünschten oder unerwünschten Mitsprache den Bürgers ("Volksplaners") und der Transparenz des Planungsablaufs zusammen hängt des Pudels Kern: die Bedürfnisse des Bürgers. Abgesehen vom Nebenproblem, ob sich der Bürger - und gar der Planer - überhaupt für die Planung interessiert, bliebe zu klären, was die Planung eigentlich für Bedürfnisse befriedigen muss, Und hier ist unsere Unkenntnis anscheinend grösser als in der Steinzeit. Weder wissen die Planer, was sie selber wollen, noch was "der“ Bürger von der Stadt und deren Planer erwartet.

 

Vielleicht weiss aber der Bürger selbst auch nicht, was er eigentlich für Bedürfnisse hat, und vielleicht sind diese Bedürfnisse sogar falsch, überflüssig, fehlgeleitet und man müsste sie ihm austreiben. Vielleicht müsste auch der Bürger (um-) geplant werden, Planung müsste Problem-Management heissen, und das steht sichtlich vor einem riesigen Berg von Aufgaben und Untersuchungen und vorderhand auf wackeligen Beinen.

 

Nur nicht in Frage stellen …

 

Fazit: Das war eine Informations- nicht Arbeitstagung. Über das, was die Städte offiziell planen, war wenig Detailliertes und Überzeugendes zu vernehmen, und grosse Hoffnung ist nicht in Sicht. Eine politische oder Amtslaufbahn scheint Elan und grosszügiges Denken mit der Zeit lahmzulegen. Deshalb rief auch die von Rebsamen geäusserte Ansicht, man müsse die Ziele in Frage stellen und sogar an sich selbst zweifeln können, auf staunendes Schweigen.

 

Fatal ist, dass alle Disputanten recht hatten - was zeigt wie enorm gross der Problernkomplex ist. Noch tragischer aber ist, dass sich die oppositionellen Kräfte nicht zusammenfinden, sie verstehen einander nicht, sehen nicht, dass sie im Grunde Ähnliches erstreben, Das isolierte und abgekapselte Vor gehen von Behörden (in einem ziellosen Perfektionismus) wie von Splittergruppen, ist bedauerlich und wird weitherum unterstützt, sagte doch der SWB-Vorsitzende und sich einmal heftig verteidigende Diskussionsleiter Peter Steiger unbedacht: "Die Konfrontation der Meinungen soll vermieden werden."

 

 

Am .Ende der Veranstaltung bot der Baudirektor des Kantons Aargau, Dr. Jörg Ursprung, einen von der Stadtverwaltung bezahlten Apéritif dar. Es war derselbe Wein, der schon beim stehend zu vereinnahmenden Mittagsimbiss zu den Wienerli mit Kartoffelsalat kredenzt wurde.

 


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