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Zum Werk

Erich Brock: Die Grundlagen des Christentums. Francke Verlag, Bern und München, 1970.

 

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«Das Wesen des Christentums von seinen Ursprüngen her anzuleuchten», ist das mutige Unterfangen des Zürcher Philosophen Erich Brock [1889-1976], der mit seinem «Weltbild Ernst Jüngers» (1945) viel Staub aufgewirbelt und 1958 in «Befreiung und Erfüllung» Grundlinien der Ethik ausgearbeitet hat.

 

Grundeinsichten  sind nun auch ohne umfassende Kenntnis der Sekundärliteratur «aus einem unmittelbaren Zudringen zu den Texten ... und aus einem unverdrossenen Sichversenken darein zu gewinnen». Es gilt vorerst, die «weltgeschichtliche Wirkeinheit» des Alten Testaments in die Hand zu bekommen, auf die Gefahr hin, kleinere Missdeutungen zu begehen.

 

Ein irrationaler Gott

 

Es ist das Bild eines von Absolutheit durchtränkten israelitischen Gottes, das Brock zeichnet. Irrationale Souveränität und reine Selbstbeziehung, Einzigkeit also und Unerforschlichkeit seiner augenblicksbestimmten Willensäusserungen kennzeichnen diesen (scotistischen) Gott, der blinde Unterwerfung verlangt und - ebenfalls ohne Begründung - als launischer und empfindlicher Despot diejenigen erwählt, an denen er «Lust hat». Die andern hasst er, verwirft und vernichtet sie.

 

Auch die Erwählung des Volks Israel findet aus vorgefasster irrationaler Zuneigung Gottes statt. Eine rational grundlose Liebe ist jedoch irrationalen Umschlägen in Hass ausgesetzt, besonders, wenn der Geliebte sich entzieht. Dem entgegenzusteuern macht sich Gott mit Drohungen und Verheissungen einen grossen, «schrecklichen Namen». Das «Land», das zur Volkheit gehört, ist dann der Preis für den Gehorsam gegen Gott und seine Gebote, das Gesetz.

 

Ungehorsam wird mit Tod und Sippenhaftung bedroht. Sprache und Rasse müssen reingehalten, also Heiden, Fremde, Götzendiener, Ungläubige und Lasterhafte ausgerottet werden.

Dennoch wurde Israel selbst, wegen Abgötterei, durch die Heiden - als Instrument Gottes - gezüchtigt. Nachdem Babylon auftragsgemäss Israel verwüstet hat, geht das sadistische Wüten Gottes gegen die Heiden los. Rest-Israel aber wird wieder zu Gnaden angenommen., Die Hoffnung auf Herrschaft Israels über die Heiden sowie auf Seligkeit muss freilich in eine fernere, apokalyptische Zukunft gelegt werden.

 

Vom Volk zum Individuum

 

In Kleinheit und Selbsterniedrigung kann man durch Gott gross, erhöht werden und Gerechtigkeit - auf Kosten der bereits Glücklichen und Grossen - finden. Eine einmalige Auflehnung gegen Gottes Ungerechtigkeit kämpft Hiob, mit gutem Gewissen. Er will Gott zwingen, «Bürge wider sich selbst» zu sein. Und tatsächlich: Gott muss trotz seiner Übermacht seine Taten mit einer Andeutung von Sinn und Vernunft erfüllt darstellen - damit er vertrauenswürdig bleibt.

 

In Jesus eröffnet Gott dem sündigen Israel eine Heilschance. Die Sünde muss beseitigt werden durch Besserung jedes einzelnen, also Busse, die Einsicht, Reue und Umkehr beinhaltet. Durch den Glauben an Gott - den Jesus als Allerwichtigstes fordert - oder wenigstens durch unversperrte Bereitschaft, ist Heilung und damit Sündenvergebung möglich.

Die Schwachen, Armen, Kleinen, Unglücklichen und Verfolgten sind besonders  bekehrungs- und heilsfähig: Sündig, muss der Mensch sein (Dirnen, Zöllner), aber es darf keine Herzensverhärtung dabei sein. Am schlimmsten sind feiger Geiz, Selbstgerechtigkeit, Heuchelei und Mechanismus, weniger schlimm Stolz, Kühnheit und Abtrünnigkeit aus Stärke und Freiheit. Letzteres deutet in Richtung Wagnis: Wagen ist besser als Haben. Und das verlangt Gottvertrauen, Glauben auf Wachstum und Vermehrung der Kraft und Gnade. Die Macht des Glaubens und Betens ist gross.

 

Das asketische, wohltätige Interesse ist bei Jesus wie so vieles mit Widersprüchen behaftet, jedenfalls trotz Überspitzungen wenig stark. Jeder Augenblick ist in realistischer Natürlichkeit und Gefühlspräsenz von der Endzeit her in sich selbst wichtig. Das ruft nicht nach Mass, sondern gerade nach dem Radikalen, Einseitigen, Absoluten.

 

Jesus: Messias, Mensch, nicht Gott

 

Bedeutsam, wie wichtig Jesus die Frau, auch wenn sie nicht Mutter ist, als vollen Menschen, als Subjekt nimmt - ganz entgegen dem zeitgenössischen Judentum. Jesus war kein politischer oder Sozialrevolutionär. Sklaverei nahm er als Gegebenes hin; er hat kein Wort für die Sklaven gesagt - obwohl er echt menschliches spontanes Mitleid mit körperlich Leidenden (Kranken) und Armen hatte.

 

Er hatte keine Geduld den Ungläubigen gegenüber. Seine absoluten Forderungen angesichts der Endzeit sind in ihrem Extremismus sinnwidrig. Jesus ist nicht an Ethik interessiert, sondern an einer autonomen Religion. Er drängt auf Entscheidung, Plötzlichkeit, ist schroff und stürmisch, wobei er sich selbst nicht an seine Vorschriften hält - trotz «Feindesliebe» hasst er die Pharisäer - oder in undogmatischer Schwebe (im Fall der Ehebrecherin) bleibt. Judas -und den Feigenbaum aber verdammt er.

 

Beklemmende Zweideutigkeit, Vielschichtigkeit und grosse Stimmungslabilität haftet ihm an: Jeder kann vertrauen, wenn er den Willen dazu hat. Doch wenige finden den Weg zum Leben, der schmal ist. Auch Schlangenklugheit wird gebilligt. Oder: Die Jünger, welche er als belehrbar erwählte, nennt er beschränkt, unverständig und verstockt; und sie sind dreist und feige. Dennoch, verspricht er ihnen im Jenseits grosse Belohnung.

 

Jesus steht in der Spannung zwischen Überlieferungstreue und revolutionärer Eigeneinsicht, zwischen Anfechtung und Stolz, Beirrung und Befestigung, zwischen Sanftmut und wildem Zorn, Härte, erbarmungslosem Beharren auf dem für recht und notwendig. Erkannten.

 

Begann er seine öffentliche Laufbahn optimistisch, festlich, ja triumphal, so musste er mit der Zeit seine Erfolglosigkeit einsehen: Er wird gereizt, verärgert und verfinstert. Das langsam erworbene Messiasbewusstsein, die Gewissheit seiner einzigartigen Berufung, festigt sich erst unter dem Druck des Todeswissens - dabei liebte er das, sein Leben so sehr.

Nun will er den Durchbruch zum Ende erzwingen, das Himmelreich mit Gewalt rauben, die Welt im Auftrag Gottes aus den Fängen des zu beseitigenden Teufels zu ihm zurückbringen. Die Bosheit des Volkes bedingt einen Umsturz aller Werte in den vollen Widersinn: Jesus muss die Höllenfahrt bis zur Gottverlassenheit antreten und getötet werden, damit die Sünde auf ihren umschlagsträchtigen Höhepunkt getrieben wird: «Dies ist das Lösegeld für das grösste Gut, für das eintretende Ende.»

 

«Warum so furchtsam, ihr Kleingläubigen?» (Math. 8, 20)

 

Nach Jesu Tod drangen sofort fremde Gedankengefüge in die blockhaften, «kyklopisch unverbundenen Paradoxien» ein. Nicht unbeteiligt daran war Paulus, ohne den allerdings das Christentum eine kleine jüdische Sekte geblieben wäre. Der gewalttätige Eiferer bog Jesus zu einer transzendenten metaphysischen Rolle zurecht, begann also die Göttlichkeit von Jesus aufzustilisieren. Was an Paulus abstösst, ist seine Rechthaberei und Machtgier: «Bekehrung ist zum Gehorsam bringen.»

 

Dem Bösen gar nie zu widerstehen, nicht zu richten, alles Natürliche, Körperliche als schmutzig und verbrecherisch anzusehen, der Obrigkeit. untertan sein, davon ist bei Jesus nichts Grundsatzklares aufzuweisen. Für Paulus gibt es nur Demut und Dienen; die Frau ist für ihn wieder nicht gottesunmittelbar, also zweitrangig. Er litt offensichtlich unter «einer persönlichen Verkrampftheit gegenüber dem gesamten Gefüge des Geschlechtslebens».

 

Inständigkeit religiösen Fühlens und Schärfe des Denkens

 

Das dichte Gewebe der Sinnbezüge, Verstrebungen und Begründungen, der dramatischen dialektischen Durchkämpfung, der Rhythmik auf schwindelnder Höhe herauszustellen, ist in Kürze unmöglich. Nicht ohne Ergriffenheit kann man dieses äusserst leichtfasslich und klar, in wahrhaft schöner Sprache gebaute Werk eines Philosophen von geistiger Schärfe und Kraft sowie innerster Zugewandtheit zum Göttlichen geniessen.

 

Der Klappentext trifft für einmal zu: Mit immanent religiösem Massstab werden überständige Formen und Schichten tot-mechanischer Zeremonialität abgetragen, um eine auf ihre tiefsten Gründe gesammelte Religion frei zu machen.

 

Jahrtausendealter Schutt wird mit eisernem Besen weggekehrt, aber weder in neumodisch selbstquälerischer Manier noch hektischer Eloquenz, sondern einzig an Hand der heiligen Texte. Nichts wird da rückwärts hineinprojiziert; bei den Anfängen beginnt das Herausschälen der Dynamik. Mögen auch Abraham, Moses und die Zehn. Gebote zu wenig berücksichtig worden sein, und reicht der 230seitige Mittelteil über Jesu Person, Schicksal und Gedankenwelt nicht an die Straffheit der Teile I und III heran, der Dschungel der Vorurteile, Verdrehungen und des Moralisierens muss eben mühsam durchhauen werden - die Schneide der Analytik ist denn im Mittelteil auch aufs schärfste geschliffen.

 

Erfreulich, dass Gott weder mit dem griechischen Seins- und Wesensbegriff, noch mit den heutigen Konstruktionen von Transzendenz und Umgreifendem vermengt wird. Es geht um das Christentum, um den Glauben. Wie da Gott durch den unfasslich grossen Menschen Jesus hindurchleuchtet, -wirkt und -spricht, das ist mit meisterhafter Darstellungsgabe und furchtbarem Ernst geschildert. Eine zwingende Unmittelbarkeit geht davon aus.

 

Es sind diesem Buch viele Leser zu wünschen, geübte allerdings im Denken, Fragen und Ringen. Da wird nichts verschwiegen und nichts verharmlost.

 

(geschrieben im Juni 1971;

erschienen in den „Basler Nachrichten“, 7. Juli 1971)

 



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