HomeMax Weber und der Geist des Kapitalismus

 

Eine kurze Skizze

 

Max Weber hat seine ursprüngliche These, "die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" (1904-5), bis zu seinem Tod 1920 in vielerlei Hinsicht ergänzt und korrigiert. Das wurde häufig nicht zur Kenntnis genommen.

 

"Der Kernpunkt war für Weber, dass der asketische Protestantismus für das kapitalistische Wirtschaftshandeln adäquate Rechtfertigungsnormen entwickelt hatte, so dass der Berufsmensch bei seinem Reichtumserwerb darin nicht länger eine Verletzung ethischer Vorschriften sehen musste" (357).

Das bedeutete: "Der Unternehmer glaubte nun nicht mehr, dass eine Anhäufung von Reichtum von Gott bestenfalls geduldet würde, oder dass er für seine usuraria pravitas zu büssen hätte …, sondern er betrieb sein Geschäft mit dem festen Glauben, dass seine Vorsorge ihn letztlich in die Lage versetzte, Gottes Ruhm zu mehren und dass daher sein Erfolg als ein sichtbares Zeichen der Gnade Gottes aufgefasst werden müsste und, wenn er nur auf rechtmässigem Wege dazu gelangt war, als Massstab für seinen persönlichen Wert vor Gott und den Menschen" (356f).

 

Diese Rechtfertigungsnormen haben also die "innere Unsicherheit im wirtschaftlichen Handeln", "ja den Normenkonflikt" zwischen religiösen Normen und den Normen der Erwerbskarriere beseitigt.

 

Weber nahm aber an, dass die religiöse Offenbarung eines Sektengründers autonom entstanden sei. Erst nachher kann sie zum dominanten Normensystem werden.

 

Der Kapitalismus wurde nicht. aus religiösen Ideen abgeleitet (359); jedoch leitete sich "das Ethos einer methodischen Lebensführung aus der protestantischen Askese" ab, und diese stand zur Wirtschaftsordnung in einem "Adäquanzverhältnis" (362).

Weber sah den Calvinismus also nicht als kausal an für die Entwicklung des Kapitalismus; er ist nur kongruent (366). Weber vernachlässigte die Zeit (368).

 

Ernst Troeltsch deckte 1912 auf, dass der Calvinismus ausgezeichnet war durch

  • einen ausgeprägten Individualismus in seiner Prädestinationslehre
  • einen Aktivismus und
  • die Norm, was zu erreichen möglich und praktisch war, auch anzustreben (368).

 

Dies verband sich mit Wandlungen von Verhaltensweisen ausserhalb der calvinistischen Religion - aber ebenfalls in Genf entstanden, z.B.:

  • republikanische Tendenzen in der Politik
  • kapitalistische Tendenzen in der Wirtschaft
  • bestimmte diplomatische und militaristische Strömungen im Bereich der internationalen Beziehungen.

 

Daraus entstand die "religiöse Moral" der bürgerlichen Welt (369).

 

Am Schluss seines Lebens betonte Weber mehr die Gleichläufigkeit von Religion und Wirtschaft und "subsumierte sie unter dem umgreifenden Prozess der Rationalisierung" (369f).

 

Literaturangabe

 

Ephraim Fischoff: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Die Geschichte einer Kontroverse. In Johannes Winkelmann (Hrsg.): Max Weber. Die protestantische Ethik II. Kritiken und Antikritiken. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Siebenstern Taschenbuch Nr. 117, 1978, 346-379.

 

 

Traditionalismus - Rationalismus

 

Schon vom 11.-15. Jh. bereitete sich die Wendung zum bürgerlichen Erwerbsdasein und die Mentalität der "innerweltlichen Askese" vor, ja begannen sich teilweise schon zu entfalten.(7)

 

Max Weber meinte 1920: "Kapitalismus kann geradezu identisch sein mit Bändigung, mindestens mit rationaler Temperierung, dieses irratonalen Triebes", nämlich des Erwerbstriebes, dem Streben nach möglichst hohem Geldgewinn (12). Es geht um den "berufsmässig systematisch und rational" angestrebten "legitimen Gewinn" (54).

 

In diesem Sinne hat es Kapitalismus immer und überall gegeben.

Neu im Abendland ist dagegen eine besondere Art: die rational-kapitalistische Organisation von (formell) freier Arbeit (16), im Verein mit der Trennung von Haushalt und Betrieb und der rationalen Buchführung.

Also: Weber interessiert "die Entstehung des bürgerlichen Betriebskapitalismus mit seiner rationalen Organisation der freien Arbeit" (18), die in Zusammenhang steht mit dem "Bürgertum".

 

Paradebeispiel dafür ist Benjamin Franklin, der sich auf den Bibelspruch (Spr. Sal.) berief: "Siehst du einen Mann rüstig in seinem Beruf, so soll er vor dem König stehen."

 

Heute hat sich der Kapitalismus von seinen Stützen emanzipiert (61).

 

Das bedeutet aber; Er hat keine religiöse Stütze mehr. Heisst das, das uns heute die Heilsprämien (88, 96) fehlen?

 

Am Anfang aller Ethik steht der Traditionalismus; dieser bedeutet z. B. dass bei mehr Lohn ein Arbeiter einfach weniger arbeitet, damit er denselben Lohn wie bisher erhält (360; vgl. 50).

 

Der Gegensatz lautet also: Traditionalismus - Rationalismus.

Der Erwerbstrieb ist universell. Es gibt zwei Einstellungen zu ihm: Gebundenheit an die Tradition als Binnenmoral der "durch die Pietätsbande miteinander Verbundenen" (362). Nach aussen aber keine Schranke.

Nun wurden die alten Pietätsverhältnisse durch Rechenhaftigkeit ersetzt. Das war nur möglich, wo eine kapitalfeindliche Wirtschaftstheorie herrschte, also im Katholizismus. Vorbereitet wurde dies durch die Mönche, die eine rationale Wirtschaft führten. Diese ausserweltliche Askese wandelte sich durch die Reformation in eine innerweltliche Askese. Sebastian Franck meinte: "Du glaubst, du seiest dem Kloster entronnen; es muss jetzt jeder sein Leben lang ein Mönch sein." (371). Erwerb wurde zum Beruf. Das bescherte dem Unternehmer "ein fabelhaft gutes Gewissen und ausserdem ebenso arbeitswillige Arbeiter" (372).

Der Protestantismus ist überdies nicht wissenschaftsfreundlich, ausser dass "er die Wissenschaft in den Dienst der Technik und Ökonomik gestellt hat" (373).

 

Die Ablösung von der religiösen Wurzel erfolgte z. T. schon in der Aufklärung, zuerst bei Mandeville, durch eine "pessimistischrealistische Einstellung", dann durch einen Optimismus, der "an die Harmonie der Interessen glaubte". D. h. er beruht nur noch auf "mechanischer Grundlage" (188). Heute ist das Erwerbsstreben assoziiert mit "rein agonalen Leidenschaften" (189). Das Geschäft ist zum Leben unentbehrlich (59).

 

Literaturangabe

 

Johannes Winckelmann (Hrsg.): Max Weber. Die protestantische Ethik I. Eine Aufsatzsammlung. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Siebenstern Taschenbücher Nr. 53, 1972;
Vorwort des Herausgebers zur fünften Auflage der Taschenbuchausgabe, 1978, 5-8.

 




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