Home Die Industrie muss nicht mehr umdenken

 

Rolf Breitenstein: Wir müssen nicht im Dreck ersticken. Umweltschutz in der Bundesrepublik. Econ Verlag, Düsseldorf und Wien, 1971; 2. Aufl. 1972.

 

 

Gesundheitsfürsorge und Umweltschutz stehen beim Bundesbürger zuoberst auf der Wunschliste. Bevölkerungs- und Konsumexplosion sind gängige Schlagworte geworden.

 

Der Journalist Rolf Breitenstein, England- und USA-Experte, bringt eingängige Zahlen:

  • Verdreifachung der Einwohnerzahl auf dem heutigen Bundesgebiet in den letzten hundert Jahren,
  • Verhundertfachung der Welt-Rohölförderung in den letzten 70 Jahren,
  • Verfünffachung der Automobilproduktion und
  • Verzwanzigfachung der Zahl der Zahl der Flugpassagiere seit 1947/48 sowie
  • Vervierzigfachung der Kunststoffverpackungen in der BRD schon zwischen 1954 und 1962.

 

Die Begleiterscheinungen kennen wir: Zersiedlung, Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung, Lärm usw.

 

Greifen wir ein paar Details heraus: Im Juni 1969 fand das grosse Fischsterben im Rhein statt. 4000 bis 5000 Tonnen Fische im Wert von drei Millionen Mark standen um. Man vermutete, das ein Insektizid von einem Schiff in den Fluss gelassen worden war. Fast zwei Jahre. später stellte die Staatsanwaltschaft Koblenz das Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt ein. Man hatte weder die giftige Substanz noch das Schiff feststellen können und überhaupt sei der Rhein ohnehin stark verschmutzt gewesen.

Ob uns das neue Eidgenössische Gewässerschutzgesetz da weiterhülfe? Prof. Hans Heinrich Rupp (Mainz) glaubt nicht, dass man mit dem vom Polizeirecht her bekannten Verursachungsprinzip weiter kommt als mit dem strafrechtlichen Schuldprinzip.

 

"Auf dem Bodenmarkt entstehen Jahr für Jahr leistungslose Zufallsgewinne in Milliardenhöhe, die den Prinzipien unserer Gesellschaftsordnung widersprechen“, klagte Städtebauminister Lauritzen diesen Frühling.

 

Notwendig zur Abhilfe ist revolutionäres Denken und evolutionäres Handeln„ ein Umdenken der Werte und ein Umlenken der Investitionen. Die Finanzierung des Umweltschutzes erfolgt am besten je zur Hälfte durch die öffentliche Hand und die Industrie.

Sanierungen sind möglich In den letzten zehn Jahren konnte der Rauchgehalt der Londoner Luft ein Fünftel gesenkt werden; die Kosten pro Kopf und Jahr; betrugen 1.20 DM., Pittsburghs Anti-Rauch-Kampagne hat 380 Millionen Dollar gekostet, aber sie hat sich gelohnt. Dank dem 1913 im Rührgebiet begonnenen Wassersanierungsprogramm ist die Ruhr "ein gesunder und relativ sauberer Fluss"; 109 Kläranlagen stehen hier unter Obhut des Ruhrverbandes.

 

Prof. Kurt Hansen, Vorsitzender des Vorstands, der Farbenfabrik Bayer AG, Leverkusen, meint, Umdenken sei, wenigstens für die Industrie, nicht nötig. Er behauptet,

"dass die Denkweise nachdem ökologischen Prinzip heute und gerade in unserem Industriezweig integrierender Bestandteil unserer vom ökonomischen Prinzip geleiteten Überlegungen ist" (191).

 

Demgegenüber befindet Prof. Siegfried Balke, ehemaliger Bundesminister für Atomenergie und Wasserwirtschaft:

"Als gefährlichster Übeltäter in einer - allerdings auch sonst. nicht ganz heilen - bedrohten Welt erscheint derzeit die Chemiewirtschaft. Die Chemie wurde zum Opfer ihres eigenen wirkungsvollen Werbeslogans ‚Chemie erobert die Welt'" (141).

 

Der Bundestagsabgeordnete Prof. Friedrich Schäfer wiederum betont:

"Die Wirtschaft und die Technik sind durchaus in der Lage, enorm viele Probleme zu lösen, wenn sie vor den Zwang gestellt sind" (229).

 

Auch Breitenstein schafft mit seinen gut lesbaren Zusammenstellungen und den neun Interviews Prominenter mehr Verwirrung und Klarheit.

 

Jedenfalls streiten sich die Interessenvertreter und Experten, und die Geldmittel sind nicht vorhanden. Am Ende muss auf jeden Fall der Bürger, sei es über Preiserhöhungen oder Steuern, die Zeche bezahlen. Damit werden wir uns wohl befreunden müssen.

 

Erschienen unter dem Titel „Im Dreck ersticken?“ in den Basler Nachrichten, 26. Januar 1972

 


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