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Gordon Rattray Taylor: Das Selbstmordprogramm - Zukunft oder Untergang der Menschheit. G. B. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1971; Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch-Verlag 1974; erneut 1988

(engl.: The Doomsday Book. London: Thames and Hudson 1970; Greenwich, Conn.: Fawcett 1971; London: Panther 1972).

 

 

Zusammenbruch der biologischen Wechselwirkungen

 

Die Bevölkerungsexplosion bewirkt eine Zunahme einerseits der Ausbeutung der Erde, anderseits der Abfälle, was bald dazu führen könnte, dass die Menschheit sich selbst ausrottet.

 

Steht dahinter der Naturmechanismus, welcher übermässiges Wachstum selbst stoppt - und sei es durch eine Katastrophe? Wie wird die Erde in 30 Jahren aussehen, wenn die Bevölkerungszunahme im Gegensatz zu den bei einer Explosion bald verlangsamt weiterfliegenden Splittern immer schneller wird. Im Augenblick wächst die Erdbevölkerung in einer Minute um etwa 100 Menschen.

 

Kriegen wir die Verhältnisse noch in unsern Griff? Genügen Resolutionen und Massnahmenpakete? Gelingt es, die ökologische, das heisst die Umweltkrise der Biosphäre, also unserer Lebenswelt, wieder in ein Gleichgewicht zwischen Rohstoffen, ihrem Abbau, und unsern Bedürfnissen hinzuführen?

Man hört oft vom Verdacht, die Wissenschafter übertrieben. Können wir wirklich nicht mehr auf eine Selbstregeneration und -reinigung der Natur hoffen? Ist die Grenze schon überschritten und die Erde "Gottes eigener Schrottplatz", ein "Raumschiff mit sehr beschränkten Reserven"?

 

Von den Smog-Teppichen über grossen Städten, sterbenden Seen, vergifteten Pflanzen und Tieren haben wir alle schon gehört; Lärm und Berichte von Öl-Unfällen zu Land und auf den Ozeanen haben wir täglich in den Ohren. Der Zusammenbruch des ökologischen Systems ist nicht einfach eine physikalische Veränderung der Luft oder des Wassers, sondern ein Zusammenbruch der biologischen Wechselwirkungen, der Kette von Ursache und Wirkung.

 

Gab es früher drei Möglichkeiten, die Bevölkerung zu dezimieren, nämlich Hungersnöte, Seuchen oder Epidemien und Krieg, so gibt es jetzt eine vierte: Stress kann die Fruchtbarkeit mindern und zu Krankheit oder gar Tod führen.

 

Rücksichtslose Wissenschafter

 

Zynisch und rücksichtslos nennt Gordon Rattray Taylor, der in Schottland aufgewachsene amerikanische Warner, in seinem neuesten Buch "Das Selbstmordprogramm - Zukunft oder Untergang der Menschheit", G. B. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, diejenigen Wissenschafter, die Regen und Erdbeben "machen", Flüsse umleiten und gigantische Seen aufstauen wollen. In den "Pflugschar-Projekten" sollen mit Atomexplosionen Erdbewegungen durchgeführt werden. Die Radioaktivität, .die dabei freigesetzt wird, interessiert die Wissenschafter nicht.

Das Klima der Arktis und damit der ganzen nördlichen Hemisphäre möchte man durch das Abschmelzen der polaren Eiskappen verändern. Die natürlichen Klimaanlagen, unsere Wälder, sollen weiter abgeholzt werden, was die sattsam bekannten Überschwemmungen und Bodenerosionen hervorrufen.

 

Bei der Frage einer künftigen Eiszeit oder eines zu erwartenden Hitzetodes scheiden sich die Geister. Behaupten die einen Wissenschafter, das Kohlendioxyd in der Atmosphäre übe einen "Gewächshauseffekt" aus, so weisen andere darauf hin, dass seit Mitte dieses Jahrhunderts die Temperaturen wieder abnehmen und sich das Eis wieder ausbreitet. Das könnte darauf beruhen, dass die Trübung der Luft durch Staub, Rauchpartikel und Auspuffgase den Gewächshauseffekt überspielt. Da diese Partikel auch Kondensationskeime für Wasser sind, nimmt die Bewölkung zu. Wasserdampf transportiert überdies Wärme.

 

Vielleicht wird der Mensch sogar das Leben ausrotten

 

"Aus diesen Überlegungen ergibt sich immerhin eine solide Erkenntnis: Der Mensch ist heute so zahlreich, und er hat mit seiner Technologie einen derart grossen Einfluss, dass seine gesamte Umwelt in Mitleidenschaft gezogen wird. In weicher Richtung sich seine Aktivitäten auswirkten, lässt sich nicht sagen; wir wissen nur, dass ihr Einfluss derart gross ist, dass sie sich in der einen oder anderen Richtung katastrophal auswirken könnten. Vielleicht werden sie sogar das Leben, wie wir es kennen, auslöschen.“

 

Die Natur schlägt also zurück. Sie tut das auch mit Tier- und Pflanzenseuchen oder -schädlingen. Durch seine Massnahmen greift der Mensch in die empfindlichen Gleichgewichtssysteme der Natur ein, was neue Verschiebungen ergibt. "Die meisten unserer Schädlingsprobleme haben wir uns selber zu verdanken. Wenn wir Ökosysteme vereinfachen, indem wir unerwünschte Arten entfernen, geschieht es auf unsere Gefahr hin. Wir können dabei mehr verlieren als gewinnen. Unsere Umwelt ist viel feinnetziger und ökonomischer organisiert, als wir es ihr in unserer Arroganz zugestehen wollen.

Die völlige Ausrottung ganzer Tierarten hat der Schweizer Ökologe Vinzenz Ziswiler in seinem Buch "Bedrohte und ausgerottete Tiere" auf 150 Arten beziffert. Auch Pflanzen können aussterben.

 

Ins Meer gelangt vieles, was wir wegwerfen oder als Gase in die Luft blasen: Blei, Quecksilber, Cadmium, DDT, Dieldrin, Polychlorbiphenyl, Öl, radioaktiver Abfall, insgesamt eine halbe Million verschiedener Substanzen.

Dass der Sauerstoff, der beim Atmen und Verbrennen in Motoren verbraucht wird, vorderhand nicht ausgeht, liegt an den Pflanzen; sie atmen Sauerstoff aus. Treibendes Phytoplankton und Diatomeen der Meere liefern etwa 70% unseres Sauerstoffs; der Rest kommt vor allem von Bäumen, die viel mehr Kohlendioxyd verarbeiten als Grasflächen.

 

Viele Moleküle, die den menschlichen Körper aufbauen, enthalten Stickstoff. Vier Fünftel der Atmosphäre ist Stickstoff, der von hochspezialisierten Algen und denitrifizierenden Bakterien geliefert wird. Nun hat der Mensch auch angefangen, in diese Sauerstoff-, Stickstoff-, Kohlenstoff-, Schwefel-, Phosphor-, usw. Kreisläufe einzugreifen. Der Bauer kippt mit dem Kunstdünger Stickstoff auf seine Felder; hinzu kommen weitere Riesenmengen aus Autoabgasen und Kraftwerken. Der Stickstoffdünger wird aber weniger von den Pflanzen aufgenommen als schnell wieder in Gewässer abgegeben, wo er zusammen mit Nitraten aus Kläranlagen Algen düngt. Die Algenpopulation explodiert dann, stirbt ab und wird von Bakterien aufgefressen, die den im Wasser gelösten Sauerstoff verbrauchen. So wird das Wasser sauerstoffarm: Fische, Bakterien und andere Lebensformen sterben. Das nennt man "Eutrophierung".

 

Nitrate des Trinkwassers - auch von Spinat und roten Rüben - werden im Körper zu Nitriten umgewandelt, die mit. dem Blutfarbstoff Hämoglobin reagieren und diesen daran hindern, Sauerstoff zu transportieren. Dasselbe geschieht beim Einatmen von Stickoxyden aus Abgasen.

Zigarettenrauch ist nicht einmal mehr das Schädlichste. Asbestpartikel, die wir inhalieren, lösen sich weder auf, noch können sie zersetzt werden.

 

Untätige Behörden

 

"Handelt die Regierung nun endlich? Nein" stellt Taylor verzweifelt fest. Es werden zwar Gesellschaften zur Bekämpfung der Umweltvergiftung begründet, doch was hilft das? Die Industrie behauptet immer die Unschädlichkeit Ihrer Substanzen. Taylor erwähnt, dass beispielsweise Menschen, die in der Nähe oder in Atomreaktoren arbeiten, die zehn- bis hundertfache Menge der von den Behörden als "vertretbar" angesehenen Strahlendosis (0,17 rad) abbekommen. Dass auch Reaktorunfälle vorkommen, darf nicht verschwiegen werden. In Denver wendete man kürzlich immerhin 45 Mio. Dollar zur Behebung von Schäden auf. Man muss damit rechnen, dass Reaktoren auch explodieren. "Was dem Mann auf der Strasse verborgen bleibt, ist der Grad an Unverfrorenheit und Falschheit, und zwar nicht nur von seiten der Privatindustrie (von der man ohnehin nichts erwartet), sondern auch von seiten der Behörden."

 

Bevölkerungsexplosion

 

Auch bei der Bevölkerungsexplosion scheiden sich die Meinungen der Experten. Finden die einen, die Erde könnte gut bis zu 150 Milliarden Menschen ernähren, so werfen ihnen die andern Verkennung der soziologischen Probleme und psychologischen Faktoren vor - nur Wirtschaftswissenschafter könnten so wirklichkeitsfremd argumentieren.

Die Lebensmittel kosten uns mehr Energie als sie selbst enthalten. Das bedeutet, dass eines Tages Energie knapp wird. Auch Kernreaktoren bringen da keine Lösung. Ebenso nehmen die Rohstoffvorräte, z. B. Phosphor, Nickel, Wolfram ab.

Auch auf Empfängnisverhütung gibt Taylor nicht viel. Der Analphabetismus nimmt zu, Überalterung tritt ein, und Hunger breitet sich aus wie umgekehrt Überfluss in hochindustrialisierten Gebieten. Ballung der Bevölkerung in Stadtregionen führt zu Platzangst. In zwanzig Jahren wird die Hälfte der Menschheit in Städten wohnen. Kalkutta wird in dreissig Jahren zwischen 36 und 66 Millionen Einwohner haben. In Grosstädten nehmen Kriminalität und Geisteskrankheiten rapid zu; Vorstädte verdrängen die Natur; unberührtes Land wird immer rarer: Der Mensch überfällt in Horden mit technischem Gerät und Abfall nahe und ferne Landstriche.

 

Es befinden sich also jetzt schon viel zu viele Menschen auf der Erde, von denen wir lange nicht alle als Menschen behandeln ... Taylor sieht als einziges Abhilfemittel die Entscheidung eines Ehepaares, weniger und später Kinder zu bekommen. "Eine sich anbietende Möglichkeit wäre die Zahlung; einer Prämie für jedes Jahr zwischen der Hochzeit und dem ersten Kind" oder die Erhebung einer Zusatzsteuer für das Kinderkriegen.

 

"Erziehung zur Rettung der Menschheit"

 

Was kann man überhaupt tun? Immer diese bange, Hilflosigkeit aufdeckende Frage.

1. Die chemisch und physikalisch fassbaren Phänomene feststellen, messen und überwachen; ganz generell: mehr forschen.

2. Die Bevölkerung über die Gefahren aufklären. Das könnte durch eine "Globale Umweltplanungsorganisation" übernommen werden.

3. Der Umweltverschmutzung im weitesten Sinn kann nicht durch die Aufstellung, neuer Gesetze begegnet werden; es braucht hiezu eine effektive straffe Organisation mit einem klar definierten Mandat und ausgestattet mit denn nötigen Kompetenzen und Mitteln.

 

In allen Bereichen ist ein weiteres isoliertes Vorgehen einzelner Länder abzulehnen: Weltweite Zusammenarbeit - Erfahrungsaustausch, integrierte Planung und Kontrolle - muss einsetzen, die der Öffentlichkeit genau und ungeschminkt Rechenschaft ablegt. Forschungen müssen sich mit ökologischen Vorgängen befassen, medizinische, seelische und sozialpsychologische wie -pathologische Auswirkungen untersuchen, Methoden und Normen prüfen und neue schaffen.

 

 Das Vorhaben ist gewaltiger als die Reise zum Mond. "Erziehung zur Rettung der Menschheit" könnte man es gesamthaft nennen. Jeder einzelne kann seinen Beitrag leisten; kleine Grüppchen können schon Seeufer und Wälder reinigen, gegen Lärm vorgehen, Grün erhalten oder neu pflanzen.

 

Der Bürger zahlt die Zeche

 

Wer aber bezahlt die Zeche? "Man kann wissenschaftlich belegen, dass es immer wirtschaftlicher ist, eine Schweinerei zu verhüten, als sie hinterher wieder zu beseitigen; letzteres ist ausserdem manchmal gar nicht möglich", meint Taylor. "Das Vernünftigste wäre, dass jedes Unternehmen alle Kosten für die bei ihm hergestellten Produkte zunächst selbst trägt und sie dann über den Verkaufspreis wieder hereinholt." Das. ist aber ein grosses Problem bei konkurrenzierenden und exportierenden Industrien; sie müsste man vorderhand subventionieren.

Es ergibt sich das Paradoxe, dass öffentlicher Druck Regierung und Industrie zu Sanierungsmassnahmen zwingen muss - obwohl das dann eine höhere Steuerbelastung für den Bürger bedeutet und obwohl der Bürger zu einem Gutteil mit Abgasen, Ölheizungen und Kehricht die Umwelt selbst verpestet und verschandelt.

 

"Der Grund, warum Regierungen das Umweltproblem nicht wirkungsvoller anzupacken vermögen, liegt darin, dass weder die Regierungen noch die Bevölkerung, die sie vertreten, die Notwendigkeit solch drastischer Umorganisation verstehen oder akzeptieren. Der Grund, warum viele Studenten die heutige Gesellschaft revolutionieren möchten, resultiert gerade aus diesem Versagen."

Der Aufstand der Bürgerschaft ist aus folgendem Grund nötig: "Der Glaube, dass äussere Autoritäten durch innere Kontrollen - früher bezeichnete man sie als Gewissen - ersetzt werden könnten, ist einer der letalen Irrtümer unseres Zeitalters."

 

Der Verbrauch ist zu gross

 

Kurzum: Der Fetisch Wachstum - sei es von Bevölkerung und Industrie - muss fallen, Ähnlich ist es mit der Energie- und Wasserversorgung - ganz abgesehen von den Konsumgütern -: Der Verbrauch ist zu gross.

 Wir stecken unrettbar verloren in den Fängen der Technik. "Die Vergnügungen zahlreicher Menschen sind gleichermassen destruktiv wie ihre Arbeit", man denke nur an Motorboote auf den Seen, Radiogeplärr und Abfälle auf Campingplätzen.

 

Einseitigkeit und Panikmache?

 

Taylors Buch bringt wenig Neues. Nicht nur der Schweizer Emil Egli ("Natur in Not") ist ihm vorausgegangen. Taylor bietet aber eine sehr gefällige und eindrückliche Zusammenfassung aller Umweltprobleme. Dass der Aufbau ungeschickt ist und Ungenauigkeiten auftreten, ergibt sich aus der Verwendung vieler Quellen, die wie immer in solchen populärwissenschaftlichen Zusammenstellungen - die seltsamerweise immer denselben Stil aufweisen - oft fragwürdig oder zumindest nicht ganz überzeugend scheinen.

 

Einseitigkeit und Panikmache? Das muss der geneigte Leser selbst entscheiden. Die erste Hälfte des Werks ist jedenfalls einprägsam. Dann folgen nur noch Vermutungen und Verdächte. Gegen Schluss fängt sich Taylor allerdings wieder auf, so dass der deprimierende Eindruck, der sich bei solchen Menschheitsproblem-Büchern stets einstellt, wieder etwas aufhebt. Er gibt nicht nur Lösungsvorschläge, sondern erwähnt auch viele positive Beispiele, Es liegt an uns diese Reihe zu erweitern.

 

Wir tragen schwer an einer dreifachen Last, sind wir doch verantwortlich für die Erhaltung der Vergangenheit, die Bewältigung der Gegenwart und die Gestaltung der Zukunft.

 

Erschienen im Herbst 1971 in den Basler Nachrichten

 



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