Home Verpestete Luft - vergälltes leben

 

 

In den hochindustrialisierten Gegenden unseres Landes klagt die Bevölkerung mit Recht über die zunehmende Verstaubung oder Vergiftung der Atmosphäre. Anderseits unternehmen die angeklagten Werke verzweifelte Anstrengungen, um diese Plage einzudämmen.

 

Von P. Wirth

Schweizer Illustrierte, Nr. 16, 11. April 1955

 

 

In der Leventina um Bodio, im Wallis zwischen Chippis und Viap, im Raume Wildegg-Holderbank, im Seeztal bei Flums, in der Klus, zwischen Basel und Stein zeugen verdächtige Wolkenschwaden, die bald tief zwischen den Häusern lagern, bald hoch in der Luft die Sonne verdunkeln, von einer fast permanenten Beeinträchtigung des Lebensraumes der ansässigen Bevölkerung.

Aus Luken und Kaminen quillt Qualm in den verschiedensten Farbschattierungen zwischen Blau, Weiss und Schwarz, Staub oder gar schädigende chemische Substanzen mit sich tragend. Eine Plage, ein Übel, eine Zeit- und Begleiterscheinung der Industrialisierung und - der Konjunktur. Wer von ihr unmittelbar begünstigt wird, mag geneigt sein, diese Heimsuchung im stillen zu verfluchen. Dem auf der positiven Seite Unbeteiligten, dem der Abstrich an Lebensfreude durch keinen Vorteil aufgewogen wird, muss das Recht zugebilligt werden, Klage zu erheben. Er wird durch äussere Umstände gegenüber seinen Mitmenschen unverschuldet benachteiligt, gezwungen, dauernd in einer für Gemüt und Körper ungesunden Atmosphäre zu leben. Er hat ein Recht, Abhilfe zu fordern.

 

Die Verteidigung

 

Die Industrie handelt weder absichtlich, noch fahrlässig. Staub und Dämpfe sind meist sehr kostspielige Nebenerscheinungen, und ihre Erzeugung kostet Geld. Da sich die Technik in erster Linie mit der Entwicklung der Produktion und naturgemäss erst nachträglich mit der Behebung nachteiliger Erscheinungen des Produktionsprozesses befasst, humpelt die Bekämpfung von Rauch, Staub und Dämpfen automatisch hintendrein.

Die Einrichtung tauglicher Anlagen braucht in jedem Falle Zeit. In manchen Industrien wurden Mittel und Wege gefunden, in anderen wird erst noch gesucht und entwickelt. Die in mageren Jahren in bescheidenem Umfang erbauten Anlagen erweisen sich in Zeiten der Konjunktur als zu klein. Wesentlich ist die Feststellung, dass überall grosszügig gebaut, geplant oder mindestens ernsthaft und mit grossem Kostenaufwand nach Lösungen gesucht wird.

 

Der Vergleich

 

Der Kläger mag gelegentlich mit dem Gedanken spielen, die Betriebe, die seine Welt verpesten, sollten stillgelegt werden. Dem Beklagten liegt die ungefähr gleichwertige Forderung, der Kläger möge ausziehen, wenn es ihm nicht mehr passe, auf der Zunge. Einmal mehr dürfte sich ein gut eidgenössischer Kompromiss aufdrängen, denn unsere wirtschaftliche Stärke liegt doch offensichtlich in der Widerstandskraft unseres dichten Gewebes von Industrie, Landwirtschaft, Gewerbe, Handel und Verkehr.

Der gute Wille zu gegenseitigem Verständnis, zum weisen Abwägen, zum Einsatz aller Mittel im Rahmen des Möglichen macht es haltbar. So mag unser Problem, im grossen Zusammenhang gesehen, als eine Zerreissprobe betrachtet werden. Beweise des guten Willens auf beiden Seiten werden uns sie bestehen lassen.

 

 

Bildlegenden

 

„Unsere alten Öfen halten alle dicht“,

erklärt Werkmeister Rombach (links), der bereits seit über vier Jahrzehnten in den dampferfüllten Hallen von Badisch-Rheinfelden arbeitet und sich offensichtlich einer soliden Gesundheit erfreut. Er steht mitten in den umfangreichen Absorptionsanlagen des Werkes. „Die im Krieg gebauten Öfen arbeiten auf einem neuen Prinzip. Sie werden nach dem Arbeitsvorgang abgedeckt, und dabei entweichen die Fluoride. Wenn wir sie einfangen und zurückgewinnen könnten, würde das eine grosse Ersparnis bedeuten. Einstweilen zerstäuben wir pro Tag und Halle 1000 Kubikmeter Wasser. Fluoride bleiben nachweisbar darin zurück; ob indessen die im Wasser löslichen oder die unlöslichen den Schaden stiften, werden wir erfahren.“

 

„Wir würden die Fluoride gerne zurückbehalten“,

versicherte Dr. Buser, der sich um die Bekämpfung der schädlichen Abgase bei der Aluminiumherstellung in Badisch-Rheinfelden bemüht. „Leider gibt es noch kein erprobtes Verfahren zur Absorption der Fluoride bei unseren offenen Öfen. Zurzeit installieren wir mit grossen Kosten Rauchfänge mit Berieselungsanlagen, doch müssen wir erst sehen, ob sie wirksam genug arbeiten. Gleichzeitig beauftragten wir Fachleute der Eidgenössischen Technischen Hochschule mit dem Studium der Vorgänge, die uns seit 1951 so sehr Sorgen bereiten, seit wir die Produktion nach dem Fabrikationsverbot, das bis 1949 dauerte, wieder aufnahmen. Merkwürdig ist, dass bei uns Schäden auftreten, die andernorts, beispielsweise in Chippis, nicht in Erscheinung treten. Jedenfalls versuchen wir alles, was Erfolg bringen könnte.“

 

„Die Bienenvölker und die Blume sterben“,

erklärte Hans Wirthlin, Imker in Möhlin. «Und was besonders stossend ist, die gefährlichen Fluoride werden vom Wind aus Deutschland über den Rhein zu uns getragen. Die Vergiftungen der Bienen machen sich am schlimmsten während der Blütezeit bemerkbar. Die Bienen trinken vergifteten Nektar und gehen ein. Im Wald am Rheinufer sterben vor allem die Föhren und andere Nadelhölzer ab. Beim Vieh entziehen die Fluoride den Knochen Kalk.

Ich war der erste, der im Jahre 1951 die Vergiftungen feststellte, da sich einer meiner Bienenstände direkt gegenüber der Aluminiumfabrik Badisch-Rheinfelden befindet Je nach Wetter ist die ganze Gegend, je 4 Kilometer rheinaufwärts und rheinabwärts und drei Kilometer in die Tiefe von dem giftigen blauen Nebel bedeckt.“

 

„Seitdem die Fabrik besteht, kränkeln unsere Kinder“,

beteuert die Mutter des dreieinhalbjährigen Hasler in Wallbach am Rhein. «Sie bekommen Katarrhe und Ausschläge, und auch ich und mein Mann können nicht mehr wie früher im Freien arbeiten, ohne ebenfalls anfällig zu werden. Die Leute, die die Gemüsegärten um uns hegen, klagen oft über Kopfschmerzen.

So ist das Leben in unserem kleinen, schönen Häuschen, das wir uns erworben haben, wohl für immer beeinträchtigt.“

 

„Ich wollte einmal Unterschriften sammeln“,

bekannte Frau Fischer in Wildegg. „Unser Haus steht zwischen den Zementfabriken von Wildegg und jenen von Holderbank. Ob der West- oder, der Ostwind weht, stets werden wir mit Unmengen von Staub bedacht. Der Garten ist praktisch unbrauchbar geworden. Wenn wir um ein Viertel vor zwölf auf der Terrasse den Tisch decken, müssen wir um zwölf Uhr die Teller wechseln. Viermal im Jahr waschen wir die Treibhausfenster mit Salzsäure. Wir verkaufen abgeriebene und nicht abgeriebene Äpfel zu unterschiedlichen Preisen. Wenn wir in der Küche die Fenster offen lassen, schaufeln wir nach kurzer Zeit Staub in Menge zusammen.

Der Kampf gegen diese Plage ist zermürbend, Ich möchte die Frauen andernorts sehen, denen täglich Säcke voll Staub in Haus und Garten ausgeleert und die die Geduld nicht verlieren würden.“

 

„Ein einziger Filter kostet gegen 800 000 Franken“,

versichert Monteur Bättig, dem die Installation der gewaltigen Anlagen in Wildegg anvertraut ist. „Das hier verwendete Elektrofilter-System beruht auf der Tatsache, dass verunreinigte Gase von Staubpartikeln befreit werden, wenn man sie an Elektroden vorbeiströmen lässt, die mit hochgespanntem negativem Gleichstrom gespiesen werden. Der Wirkungsgrad beträgt 96 %.“

Die Entstaubungstechnik ist weit fortgeschritten, doch konnten bis heute Staubexplosionen in den Reinigungsanlagen noch nicht ganz vermieden werden, und endlich muss der Filter selbst entstaubt und so periodisch ausser Betrieb gesetzt werden, während der Ofen unbehindert weiterbrennt.

 

 „Wir kämpfen gegen die Wirkung von Quecksilberdampf an“,

erklärt Dr. med. P. Koch in Visp. „Er macht sich indessen nur noch bei empfindlicher Haut bemerkbar, wo er Ekzeme hervorrufen kann, die indessen leicht zu behandeln sind. Heute darf man dank der Verbesserung der Ventilatoren und dem Einbau modernster Entgiftungsfilter die Luft als praktisch unschädlich bezeichnen. Früher allerdings war die Arbeit im Werk selbst gesundheitsschädigend.“

 


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